Brandung [2]

[100] Brandung. Die an den Meeresküsten auftretende Brandung ist neuerdings als eine der vielen Ursachen der seismischen Bodenunruhe erkannt worden.

In den Aufzeichnungen der Seismographen sind Bewegungen bemerkbar, die sich durch ihre Beschaffenheit und ihre längere Dauer von den durch die Erdbeben erzeugten unterscheiden. Man bezeichnete sie zuerst als »pulsatorische Oszillationen«, auch als »mikroseismische Bewegungen«; die letztere Bezeichnung ist, da sie zu Verwechslungen mit mikroseismischen Aufzeichnungen von Fernbeben Veranlassung geben kann, nicht zu empfehlen. Die heute bevorzugte, durchaus treffende Bezeichnung »Bodenunruhe« rührt von Belar her. Oertliche Brandungen als Ursache der Bodenunruhe sind z.B. beobachtet worden in Apia (Samoa), wo die mittlere Periode 4,75 Sekunden beträgt ferner auf Helgoland und in Tsingtau, wo die mittlere Periode etwa 2 Sekunden ist. Für Helgoland läßt sich die Abhängigkeit der Bodenunruhe vom Seegange nachweisen. Auch auf der Insel Oshima (Japan) und in Cheltenham bei Washington sind ähnliche Beobachtungen gemacht worden. Auf den Einfluß der Brandungen auf die Bodenunruhe machte zuerst E. Wiechert aufmerksam. Nagaoka beobachtete die Aehnlichkeit der Bodenunruhe- und der Brandungswellen, während Omori den 7. Oktober 1899 und den 17. November 1900 als Tage anführte, an denen gleichzeitig mit der größten Bewegung auch außergewöhnliche Wellen die japanische Küste trafen. Nach Schneider ist für Wien die Brandung die wahrscheinlichste Ursache der Bodenunruhe, während nach Mazelle der Seegang der Adria für Triest nur sekundäre Bedeutung hat. Angenheister und Zoeppritz halten den ursächlichen Zusammenhang der Brandung, besonders in Norwegen, mit der in Göttingen beobachteten Bodenunruhe für sicher. Der Einfluß der Brandungen im Mittelmeer, im Meerbusen von Biscaya, an der britischen Westküste, der britischen Ostküste, im Aermelkanal, an der Ostseeküste und der Westküste Norwegens mit den Göttinger Beobachtungen hat B. Gutenberg lehr gründlich untersucht. Er kommt zu dem Ergebnisse, »daß die Brandung, wie Wiechert vermutete, die Hauptursache der kurzperiodischen Bodenunruhe ist, und daß für Deutschland .... besonders die Brandung des südlichen Teils der Weltküste von Norwegen in Betracht kommt«. – Die auffallende Tatsache, daß für Deutschland gerade die Brandung an der fernen Küste Norwegens von viel größerem Einflusse ist als[100] die an unsrer Nordseeküste, führt Gutenberg auf die Beschaffenheit der Küsten zurück. Während an der Nordseeküste »die Wellen in der Nähe des flachen Ufers infolge der Reibung am Grunde sich nach vorn überneigen und dann, sich überstürzend, das sandige Ufer oder bei Sturmflut die meist sanft geböschten Dünen oder Deiche hinauslaufen, kommen die Wogen des Atlantischen Ozeans an der norwegischen Steilküste unverändert an diese heran, schlagen klatschend auf die harten Felsen, wobei sie sich rücklings überstürzen, und übertragen bei diesem fast senkrechten Anprall eine weit größere Menge von Energie auf das Land«.


Literatur: [1] F. Linke, Die Brandungsbewegungen des Erdbodens und ein Versuch ihrer Verwendung in der praktischen Meteorologie (Abhandl. der Kgl. Ges.d. Wiss. zu Göttingen, Neue Folge, VII). – [2] Ergebnisse der Arbeiten des Samoa-Observatoriums, III, Berlin 1909. – [3] F. Omori, On micro-tremors (Bull, of the imp. earthqu. inv. comm., II, Tokio 1908.) – [4] J.E. Burbank, Some microseismic tremors and their appearent connection with barometric variations (Terrest. magnetism and atmosph. electricity, XIII, 1. March 1908). – [5] Verhandlungen der II. Internationalen seismischen Konferenz vom 24. bis 28. Juli 1903 zu Straßburg (Beitr. zur Geophysik), herausgegeben von Gg. Gerland, Ergänzungsbd. II, Leipzig 1904. – [6] H. Nagaoka, Stationary surface tremors (Publ. of the earthquake invest. committee in foreign languages), 22, Bd. 2, Tokio 1906. – [7] F. Omori, Results of horizontal pendulum observ. of earthquakes (Publ. of the earthqu. inv. comm. in for. lang.), V. 5, Tokio 1901. – [8] E. Mazelle, Die mikroseismische Pendelunruhe (Mitt. d. Erdbebenkomm, d. Kaiserl. Akad. d. Wiss. in Wien, Neue Folge), 15, Wien 1903. – [9] G. Angenheister, Bewegungen nichtseismischen Ursprungs (Seism. Registr. in Göttingen, 1905). – K. Zoeppritz, Mikroseismische Bewegungen (Seism. Registr. in Göttingen, 1906). – [10] B. Gutenberg, Die seismische Bodenunruhe, Inaug.-Diss., Göttingen 1911, mit ausführlichen Literaturangaben.

F. Meisel.

Quelle:
Lueger, Otto: Lexikon der gesamten Technik und ihrer Hilfswissenschaften, Bd. 9 Stuttgart, Leipzig 1914., S. 100-101.
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