Kalkstickstoff [1]

[299] Kalkstickstoff (auch Calciumcyanamid oder Karbidstickstoff genannt), ein neues Stickstoffdüngemittel. S.a. Stickstoffkalk.[299]

Die im Jahre 1894 durch Moissan & Willson mit Hilfe der elektrischen Energie geschaffene industrielle Herstellung der Karbide ebnete Frank und Caro, beide in Berlin, den Weg zur Herstellung des Kalkstickstoffs. Sie stellten die Bedingungen fest, unter welchen die Karbide der Alkalien und Erdalkalien den Stickstoff der Atmosphäre binden. Später verband sich Frank mit Siemens & Halske, welche unter Gründung der »Cyanid-Gesellschaft« eine eigne Einrichtung zur Herstellung des Kalkstickstoffs schufen. Eine Fabrik in Tiano d'Orta in Italien soll in nächster Zeit die Fabrikation im großen betreiben.

Im elektrischen Ofen wird Kohle und Kalk zu Calciumkarbid zusammengeschmolzen und während dieses Prozesses ein Stickstoffstrom hinzugeführt, wobei sich unter Ausscheidung von 1 Atom Kohlenstoff Calciumcyanamid bildet. CaC2 + 2N = CaCN2 + C. Weitere Versuche ergaben, daß sich der gesamte Stickstoff des Calciumcyanamids sowie des daraus rein dargestellten Cyanamids durch Erhitzen mit Wasser unter hohem Druck glatt in Ammoniak umsetzen lassen. CaCN2 + 3H2O = CaCO3 + 2NH3 und CN2H2 + 3H2O = (NH2)2CO3. Versuche ergaben, daß das rohe Calciumcyanamid oder der »Kalkstickstoff«, wie das Präparat jetzt genannt wird, sich unter geeigneten Umständen direkt als Stickstoffdüngemittel verwenden läßt. Diese Versuche wurden von Wagner-Darmstadt und Gerlach-Posen seit 1901 bis in die neueste Zeit unter den verschiedensten Verhältnissen und mit verschiedenen Kulturpflanzen ausgeführt, und es soll das Gesamtergebnis derselben unten kurz wiedergegeben werden. Der Stickstoffgehalt des Kalkstickstoffs, welcher ein schmutziggraues Pulver darstellt, schwankt je nach dem dafür angewandten Herstellungsverfahren zwischen 14 und 22%, und die zu den Düngungsversuchen gelieferten Proben hatten gewöhnlich 20%. Außerdem wird noch ein reines Cyanamid CN2H2 und das ihm homologe Dicyandiamid, mit je 66% Stickstoff, dargestellt. Diese Präparate bilden reine weiße Kristalle, kommen aber als Düngemittel nicht in Betracht, weil sie überaus giftig auf alle Pflanzen wirken. Der Stickstoff des Kalkstickstoffs geht im Boden zunächst in Ammoniak über und wird dann wie dieses nitrifiziert. Die vorher erwähnten Düngungsversuche von Wagner und Gerlach ergaben in bezug auf den Düngewert dieses Stickstoffs bisher folgendes: Wurden die Düngungsversuche in Vegetationsgefäßen vorgenommen, so wurde der Düngewert des Salpeters bezw. Ammoniakstickstoffs fast erreicht, ging aber bei den Feldversuchen ganz wesentlich zurück. Diese ergaben, wenn man die durch Salpeterstickstoff produzierte Erntemenge = 100 setzt, folgende Resultate:


Kalkstickstoff [1]

Ferner ergaben diese Versuche, daß die Wirkung des Kalkstickstoffs um so besser ist, je später dieses Düngemittel ausgestreut wird. Sie betrug, wenn die Wirkung des Salpeterstickstoffs wiederum gleich 100 gesetzt wird, bei den ausgeführten Versuchen:


Kalkstickstoff [1]

Schließlich sei erwähnt, daß die Umsetzung des Kalkstickstoffs in freies Ammoniak schneller vor sich geht als bei dem Ammoniaksalz, daher eignet er sich noch weniger als dieses zur Kopfdüngung. Versuche nach dieser Richtung hin machte Wagner mit Futterrüben, bei welchen die Hälfte des Düngemittels vor dem Pflanzen der Rüben untergebracht und nur die andre Hälfte als Kopfdüngung verwendet wurde. Die hierbei erzielten Mehrerträge gegen ungedüngt ergaben, diejenige des Salpeters wiederum 100 gesetzt: bei schwefelsaurem Ammoniak 67, bei Kalkstickstoff nur 36. Neuere Versuche Wagners ergaben in der wärmeren Jahreszeit (im Mai für Hafer und Gerste, im Juni und Juli für Rüben) nur eine geringe Wirkung als Kopfdüngung, hingegen in vielen Fällen eine befriedigende im Februar, auf Winterfrüchte gestreut.

Die Moorversuchsstation zu Bremen hat mit Kalkstickstoff sehr ungünstige Resultate erhalten. Nach dem Bericht hierüber hat derselbe trotz des verhältnismäßig geringen Quantums giftig gewirkt. Man glaubt diese Erscheinung, die bei den andern Felddüngungsversuchen nicht beobachtet wurde, mit der Zusammensetzung der sauren Moorböden in Zusammenhang bringen zu müssen.

Ein besonderes Interesse an dem Verfahren zur Herstellung des Kalkstickstoffs mit Hilfe der Elektrizität haben diejenigen Länder, welche über reichliche Wasserkräfte verfügen. Aus Schweden liegen auch bereits Berichte über Düngungsversuche vor, welche Pehr Bolin, dem die Felddüngungsversuche der Akademie unterteilt sind, im Jahre 1903 auf Edsby bei Stockholm mit Roggen durchführte. Die Versuche waren so angeordnet, daß unter den ganz gleichen Verhältnissen Kalkstickstoff neben Chilisalpeter verwendet wurde, und ergaben folgende Resultate pro Hektar:


Kalkstickstoff [1]

Der Wert des Kalkstickstoffs steht natürlich im engen Zusammenhang mit seiner Wirkung; im Handel ist er allgemein noch nicht zu haben und daher ein zahlenmäßiger Preis noch nicht bekannt. Die Versuche sind zwar schon weit vorgeschritten, können aber noch nicht als beendet[300]

betrachtet werden, und mit Recht weist Frank darauf hin, daß es doch auch beim Chilisalpeter und beim schwefelsauren Ammoniak Jahrzehnte dauerte, bis feste Erfahrungssätze für die rationellste Verwendungsart gefunden waren.


Literatur: [1] Zeitschrift für angewandte Chemie 1903, Heft 23. – [2] Deutsche landwirtschaftliche Presse 1903, Nr. 55. – [3] Illustrierte landwirtschaftliche Zeitung, Berlin 1904, Nr. 5, 7 und 13. – [4] Göteborgs Handels- och Sjifarts Tidning 1903.

Weitz.

Quelle:
Lueger, Otto: Lexikon der gesamten Technik und ihrer Hilfswissenschaften, Bd. 5 Stuttgart, Leipzig 1907., S. 299-301.
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