Kräftepolygon

[644] Kräftepolygon oder Krafteck, in der graphischen Statik die Figur, die entsteht, wenn man eine Anzahl Kräfte zeichnerisch so aneinander reiht, daß der Anfangspunkt jeder folgenden Kraft mit dem Endpunkte der vorhergehenden zusammenfällt.

Das Kräftepolygon dient zum Zusammensetzen verschiedener Kräfte zu einer Mittelkraft und fußt auf dem Satze vom Parallelogramm der Kräfte (s.d.). Sollen z.B. die vier im Punkte A angreifenden Kräfte P1 bis P4 zu einer Mittelkraft vereinigt werden, so zeichnet man (Fig. 1 rechts), von einem Punkte O ausgehend, ein Vieleck, in dem in der angedeuteten Weise jede Kraft sich an die vorhergehende anschließt. Dann ist nach obengenanntem Satze P1–2 die Mittelkraft von P1 und P2, P1–3 die Mittelkraft von P1, P2 und P3, und R = P1–4 die Mittelkraft aller vier Kräfte. Den Punkt O nennt man den Pol, die durch den Pol gehenden Linien die Strahlen des Kräftepolygons. Die Mittelkraft R der gegebenen Kräfte »schließt«, wie man steht, das Kräftepolygon. Kehrt man den Pfeil der Kraft R um und fügt sie als fünfte Kraft zu den gegebenen Kräften hinzu, wie es in der Figur links angedeutet ist, so bekommt man Kräfte, die sich im Gleichgewicht halten. Daraus folgt: Kräfte, die auf einen Punkt wirken, sind im Gleichgewichte, wenn ihr Polygon geschlossen ist. Aus einfachen geometrischen Gründen ergibt sich ferner der Satz: Die Mittelkraft ist von der Reihenfolge, in der die Kräfte zusammengesetzt werden, unabhängig. (Ueber die Zusammensetzung von Kräften, die beliebig in der Ebene liegen, s. Seilpolygon.) Kräfte im Raume, die durch einen Punkt gehen, werden[644] in gleicher Weise zusammengesetzt; nur muß in diesem Falle das Kräftepolygon in zwei verschiedenen Projektionen gezeichnet werden (Fig. 2). Die wahre Größe von R (oder irgendeiner der gegebenen Kräfte) findet man, wenn man die lotrechte Projektion r von R'' senkrecht an R' anfügt und die Hypotenuse zieht. Ueber die Zusammensetzung von beliebig im Räume gelegenen Kräften s. Zusammensetzung von Kräften.


Literatur: Culmann, Die graphische Statik, Zürich 1866, 2. Aufl. 1875; Bauschinger, Elemente der graphischen Statik, München 1871; zahlreiche andre Werke über graphische Statik.

Mörsch.

Fig. 1.
Fig. 1.
Fig. 2.
Fig. 2.
Quelle:
Lueger, Otto: Lexikon der gesamten Technik und ihrer Hilfswissenschaften, Bd. 5 Stuttgart, Leipzig 1907., S. 644-645.
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