Statik [1]

[254] Statik ist die Theorie des Gleichgewichts der Kräfte. Sie umfaßt das Gleichgewicht der Momentankräfte wie das der kontinuierlichen Kräfte.

Kräfte sind Größen von bestimmter Intensität, Richtung und Sinn. Sie sind daher durch geometrische Strecken darstellbar, und die Theorie der Kräfte ist im Grunde eine Anwendung der Theorie der Strecken, wie sie vorzugsweise von Möbius und Graßmann ausgebildet worden ist. Die Momentankräfte geben einem Punktsystem einen Geschwindigkeitszustand, die kontinuierlichen Kräfte einen Beschleunigungszustand, und das Gleichgewicht der Kräfte besteht darin, daß dieser Geschwindigkeits- oder Beschleunigungszustand äquivalent Null ist, d.h. daß die Kräfte sich gegenseitig tilgen. Da der Beschleunigungszustand eines Systems den Geschwindigkeitszustand desselben mit der Zeit abändert, so sind die kontinuierlichen Kräfte im Gleichgewicht, wenn sie keinen Einfluß auf die Veränderung des Geschwindigkeitszustandes auszuüben vermögen.

Die Massenpunktsysteme, an welchen die Kräftesysteme angreifen, sind unveränderlich oder nach gewissen Gesetzen veränderlich, und die Art der Veränderlichkeit modifiziert die Wirkung der Kräfte. Daher sind auch die Bedingungen des Gleichgewichts der Kräfte, die an solchen Systemen angreifen, von der Veränderlichkeit der Systeme abhängig. Doch kann gezeigt werden, daß die Gleichgewichtsbedingungen von Kräften am unveränderlichen System auch am veränderlichen System notwendig erfüllt sind, daß sie aber zur vollständigen Bestimmung des Gleichgewichts nicht ausreichen, sondern daß noch weitere Bedingungen erfüllt sein müssen.

Die Massenpunktsysteme sind entweder frei, d.h. es sind ihrer Beweglichkeit keine Bedingungen vorgeschrieben, oder sie sind gezwungen, in einzelnen Punkten oder mit einzelnen Flächen solchen Bedingungen zu genügen. Gelingt es, diese Bedingungen durch Kräfte zu ersetzen (Widerstände, Spannungen u.s.w.), so können die Bedingungen als erfüllt wegfallen und die Systeme als frei behandelt werden. Die Bedingungen des Gleichgewichts dienen alsdann zur Bestimmung dieser als Unbekannte einzuführenden Bedingungskräfte. Das Gleichgewicht eines Kräftesystems ist ein Zustand desselben, in welchem es keinen Einfluß auf den Geschwindigkeitszustand des Punktsystems ausübt. Dabei kann dieser Geschwindigkeitszustand im allgemeinen, ein beliebiger sein. Es können daher die Gleichgewichtsbedingungen des Kräftesystems auch so ausgedrückt werden, daß diese Unabhängigkeit von dem Geschwindigkeitszustand hervortritt. Dies geschieht in einem allgemeinen Prinzip der Statik, welches alle Systeme, die unveränderlichen und die veränderlichen, umfaßt, dem Prinzip der virtuellen Geschwindigkeiten (s.d.). Die Wirkung eines Kräftesystems auf ein Massenpunktsystem ist abhängig von der Lage beider gegeneinander. Während die Lage des Punktsystems sich ändert und das Kräftesystem an denselben Angriffspunkten mit denselben Intensitäten und in denselben Richtungen wirkt, gibt es Lagen, für welche das Gleichgewicht der Kräfte eintritt. Diese können Lagen des stabilen oder des labilen Gleichgewichts sein. Untersuchungen hierüber s. Gleichgewicht, Bd. 4, S. 559, Astatik, Bd. 1, S. 324, und Sicherheitsfunktion, S. 96.

Es gibt nicht bloß ein Gleichgewicht der Kräfte, sondern auch ein Gleichgewicht der Bewegungen. So kann ein Punktsystem eine Anzahl von Winkelgeschwindigkeiten besitzen, welche zusammen äquivalent der Ruhe sind. Ebenso können sich Systeme von Winkelbeschleunigungen gegenseitig tilgen.

(† Schell) Finsterwalder.

Quelle:
Lueger, Otto: Lexikon der gesamten Technik und ihrer Hilfswissenschaften, Bd. 8 Stuttgart, Leipzig 1910., S. 254.
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