Potential [5]

[200] Potential , thermodynamisches, eine Funktion zweier oder mehrerer Unabhängigveränderlicher, die in der Thermodynamik eine ähnliche Rolle spielt wie das Potential der Kräfte nach dem Newtonschen Gravitationsgesetz in der reinen Mechanik (vgl. Potential S. 194). Die thermodynamischen Potentiale haben nach dem Vorgehen von Massieu [1] und Helmholtz [2] besonders bei der Anwendung der Thermodynamik auf elektrische und chemische Vorgänge Bedeutung erlangt. Im Folgenden seien, die zwei wichtigsten derselben angeführt, wobei die gewöhnlichen Voraussetzungen der Wärmetheorie (s.d.) als zutreffend gelten sollen.

Wenn auf einen beliebigen Körper von äußeren Kräften (s.d.) nur ein auf die Oberfläche gleichmäßig verteilter Normaldruck von p pro Flächeneinheit wirkt, und dieser zusammen mit dem Volumen v als Unabhängigvariable die innere Energie U (s.d.) bestimmt, dann bestimmen p, v ebenso die absolute Temperatur T (s.d.) und die Entropie S (s.d.), und es können irgend zwei der Größen p, v, T, S, U oder Funktionen derselben für die übrigen Größen als Unabhängigvariable angesehen werden. Für beliebige Zustandsänderungen des Körpers hat man die nötige Wärmezufuhr und die Aenderung der Entropie (vgl. Wärmetheorie, Energie):


Potential [5]

wobei angenommen ist, daß d Q, d U, p d v in gleichen Maßeinheiten ausgedrückt sind, z.B. in Kalorien oder Meterkilogramm. Nach 1. läßt sich setzen:

d U = T d S – p d v,

2.


woraus, wenn S, v als Unabhängigvariable gewählt werden:


Potential [5]

Es folgt also hier der Druck p aus der Energie U in ähnlicher Weise wie die Kraftkomponenten der Newtonschen Gravitation aus dem Potential derselben, weshalb U nach Gibbs [7] ein thermodynamisches Potential heißt, und zwar, weil bei der Differentiation behufs Ableitung von p die Entropie S konstant bleibt, speziell das adiabatische Potential (vgl. Adiabatische Zustandsänderung). – Führen wir ein:

H = U – S T,

4.


so liefert 2.:

d H = – S d T –p d v,

5.


woraus, wenn T, v als Unabhängigvariable gewählt werden:


Potential [5]

Demgemäß wird nach Gibbs auch H ein thermodynamisches Potential genannt, und zwar, weil bei seiner Differentiation behufs Ableitung von p die Temperatur T konstant bleibt, das isothermische Potential. d L = p d v stellt die äußere Arbeit (s.d.) während der angenommenen Zustandsänderungen dar. Man hat nun nach 3. oder 1. bei adiabatischen Zustandsänderungen:

L = U1 – U,

7.


und nach 6. oder 5. bei isothermischen Zustandsänderungen:

L = H1 – H.

8.


Da H hiernach denjenigen Teil der ganzen inneren Energie U = H + S T bedeutet, welcher unmittelbar, ohne Aenderung der Temperatur, in äußere Arbeit und damit auch in andre Formen der Energie verwandelt werden kann, so nannte Helmholtz H die freie Energie und zum Unterschiede von dieser den andern Teil S T die gebundene Energie [2], S. 23, 28, [11], S. 275.

Ein weiteres thermodynamisches Potential ist die Erzeugungswärme (s.d.). Wenn andre äußere Kräfte als der oben allein in Betracht gezogene Normaldruck p wirken, so treten natürlich auch etwas andre oder allgemeinere Beziehungen für die thermodynamischen Potentiale ein [8], S. 66, [11], S. 277. Ueber Fälle, in welchen die gewöhnlichen Voraussetzungen der Wärmetheorie nicht erfüllt sind, insbesondere über nicht umkehrbare Vorgänge s. [10], [12], [13], S. 522, [14], S. 585, u.s.w.


Literatur: [1] Massieu, Sur les fonctions caractéristiques des diverses fluides, Comptes rendus 1869, LXIX, S. 858, 1057 (s.a. Journal de physique 1877, VI, S. 216). – [2] Helmholtz, Zur Thermodynamik chemischer Vorgänge, Sitzungsber. d. Preuß. Akademie d. Wissenschaften 1882, S. 22, 825, und 1883, S. 647 (auch Wissenschaftliche Abhandlungen II, Leipzig 1882, S. 958, 979). – [3] Duhem, Le potentiel thermodynamique, Paris 1886. – [4] Helmholtz, R. v., Die Aenderungen des Gefrierpunktes, berechnet aus der Dampfspannung des Eises, Wiedemanns Annalen 1887, XXX, S. 401. – [5] Natanson, Thermodynamische Bemerkungen, ebend., 1891, XLII, S. 178 (s.a. Zeitschr. f. physikalische Chemie 1892, X, S. 733). – [6] Riecke, Das thermodynamische Potential für verdünnte Lösungen, ebend. 1891, XLII, S. 483 (s.a. Wiedemanns Annalen[200] 1894, LIII, S. 379). – [7] Gibbs, Thermodynamische Studien, deutsch von Ostwald, Leipzig 1892, S. 79, 110, 160 u.s.w. – [8] Kirchhoff, Vorlesungen über die Theorie der Wärme, Leipzig 1894, S. 65. – [9] Piltschikow, Materialien zur Frage der Anwendung des thermodynamischen Potentials, Odessa 1896. – [10] Planck, Vorlesungen über Thermodynamik, Leipzig 1897, S. 100. – [11] Helmholtz, Vorlesungen über Theorie der Wärme, Leipzig 1903, S. 267. – [12] Encyklopädie der mathematischen Wissenschaften, Bd. V 1, Leipzig 1903, S. 104, 115. – [13] Chwolson, Lehrbuch der Physik, III, Wärme, Braunschweig 1905, S. 518. – [14] Winkelmann, Handbuch der Physik, III 2, Wärme, Leipzig 1906, S. 585, 601. – [15] van Laar, Sechs Vorträge über das thermodynamische Potential, Braunschweig 1906.

Weyrauch.

Quelle:
Lueger, Otto: Lexikon der gesamten Technik und ihrer Hilfswissenschaften, Bd. 7 Stuttgart, Leipzig 1909., S. 200-201.
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