Schiffsgeschütze [1]

[662] Schiffsgeschütze dienen zur Armierung der Kriegsschiffe und finden gegen feindliche Kriegsschiffe, d.h. gegen bewegliche vertikale Panzerziele sowie bewegliche horizontale gepanzerte Decks Verwendung. Sie umfassen daher nur Flachbahngeschütze von größter Durchschlagskraft, großer Feuergeschwindigkeit sowie bester Treffwahrscheinlichkeit.

Da die Durchschlagskraft durch die Endgeschwindigkeit und das Gewicht des Geschosses bestimmt wird, so kann diese durch Vergrößerung des Kalibers oder durch Energievermehrung des bisher schwersten Kalibers gesteigert werden. Bei Vergrößerung des Kalibers steht jedoch einer Erhöhung der Durchschlagskraft um einen bestimmten Prozentsatz eine Gewichtsvermehrung um das Dreifache gegenüber. Eine Energievermehrung kann bei gleichbleibendem Kaliber durch Erhöhung des relativen Geschoßgewichts und durch Vermehrung der Anfangsgeschwindigkeit, d.h. durch eine Rohrverlängerung, erfolgen. Hierbei spielt jedoch bei den jetzt notwendigen großen Gefechtsentfernungen – über 6000 m – das relative Geschoßgewicht insofern eine wichtige Rolle, als leichtere Geschosse infolge ihrer geringen Querschnittsbelastung gegenüber dem Luftwiderstand auf große Entfernung mehr an lebendiger Kraft verlieren als schwere Geschosse. Man ist daher bestrebt, zunächst das relative Geschoßgewicht bis an die praktisch erreichbare Grenze zu steigern und dann erst die Anfangsgeschwindigkeit zu erhöhen. Aber auch für letztere sind praktische Grenzen gesteckt, da mit wachsender Kaliberlänge und Erhöhung der Pulverladung die Rohrabnutzung gefördert und die Lebensdauer der Rohre verringert wird. Die Bestrebungen, die panzerbrechende Leistung der schweren Geschütze zu erhöhen, ist daher mit einem großen Gewichtsbedarf verbunden und bedingt der letztere, die Zahl der schweren Geschütze in engen Grenzen zu halten. Zur Unterstützung der schweren Geschütze verwendet man daher für hohe Granatwirkung gegen ungepanzerte oder schwach gepanzerte Ziele namentlich im Nahgefecht Geschütze geringeren Kalibers mit großer Feuergeschwindigkeit und genauer Richtbarkeit, während zur Abwehr von Torpedofahrzeugen ein leichtes Kaliber genügt. Die Kaliber der Schiffsgeschütze gehen daher von 30,5 cm bis zu 5 cm hinab, wenn man von den Maschinengewehren absieht. Die Schiffsartillerie gliedert sich demnach in 1. schwere Artillerie von 24–30,5 cm Kaliber, 2. mittlere Artillerie von 14–23,4 cm Kaliber und 3. leichte Artillerie von 5–12 cm Kaliber. – Ueber die Aufstellung der Geschütze an Bord vgl. Geschützarmierung.

Der Rohrbau weist noch bei den schweren Geschützen Verschiedenheiten auf. Während England an der künstlichen Drahtkonstruktion festhält, ist bei den übrigen Staaten die Ringkonstruktion vorherrschend. Die Drahtkonstruktion hat den[662] Nachteil, daß das dünne Kernrohr den Druck der Pulvergase nicht gleichmäßig auf die Drahtschicht überträgt, so daß Ausbauchungen eintreten, die zu Stichflammen und Ausbrennungen des Rohres Veranlassung geben. Außerdem besitzen die Drahtröhre eine mangelhafte Längsfestigkeit und bei Schiffsvibrationen geringere Treffähigkeit; vgl. Geschützfabrikation. Die Länge der Geschützrohre ist von 30 Kaliberlängen auf 45 gewachsen; sie werden nur noch als Hinterlader gebaut und kommen Rundkeil und Schraubenverschlüsse zur Anwendung (vgl. Verschlüsse der Geschütze).

Vielseitig sind die Fortschritte in der Konstruktion der Schiffslafetten (s. Lafettierung), die in der Hauptsache auf eine Verkürzung der Ladezeit und auf eine Verbesserung der Visier- und Richteinrichtungen hinzielen. Die Tabelle auf S. 662 gibt die wichtigsten Daten der in der Front befindlichen Geschütze der schweren und mittleren Artillerie wieder.


Literatur: [1] Müller, Die Entwicklung der preußischen Küsten- und Schiffsartillerie von 1860–1878, Berlin 1879. – [2] Galster, Die Schiffs- und Küstengeschütze der deutschen Marine, Berlin 1885. – [3] Ledieu und Cadiat, Le nouveau materiel naval, Paris 1889. – [4] Kaiser, G., Konstruktion der gezogenen Geschützrohre, Wien 1892. – [5] Lloyd und Hadcock, Artillery, its progress and present position, Portsmouth 1893. – [6] Dredge, Modern French artillery, London 1892. – [7] Garben, H., Naval gunnery, London 1897. – [8] Leitfaden für den Unterricht in der Artillerie, Berlin 1902. – [9] Dawson, A.T., Modern Artillery, Engineering 1901; Naval Ordnance, ebend. 1901. – [10] Nauticus, Artillerie und Panzer 1903 und 1905; Die neuere Entwicklung der Artillerie, Berlin 1908.

T. Schwarz.

Schiffsgeschütze [1]
Quelle:
Lueger, Otto: Lexikon der gesamten Technik und ihrer Hilfswissenschaften, Bd. 7 Stuttgart, Leipzig 1909., S. 662-663.
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