Onkel Jachja.

[126] Dschuha kam einst zum König Jachja. Der König Jachja mochte ihn gut leiden und sprach zu ihm: »Verlange, was du willst!« Da antwortete Dschuha: »Wer Jachja heisst, soll mir einen Piaster geben; wer am frühen Morgen ausgeht, desgleichen; wer auf die Worte seiner Frau hört, desgleichen; ebenso, wer einen langen Bart hat, und schliesslich auch, wer auf dem Kopfe aussätzig ist!« Der König befahl hierauf: »Fertigt ihm die Gewährung seiner Bitte schriftlich aus!« Dschuha nahm nun die Verordnung und ging weg.

Einst begab er sich nach einem von den Stadtthoren, früh im Morgengrauen. Als er so dahockte, kam ein Beduine vorüber, der wollte Brennreisig nach der Stadt bringen. Dschuha hielt ihn an und rief ihm zu: »Gieb mir einen Piaster!« Der Beduine fragte: »Weshalb?« Jener erwiderte: »Weil du am frühen Morgen ausgehst.« Da blickte der Beduine auf und sprach: »Wenn ich nicht auf die Worte meiner Frau gehört hätte, wäre ich nicht früh aufgestanden!« Da rief Dschuha: »Gieb mir zwei Piaster!« Jetzt wurde der Beduine zornig und rief: »Weg! Lass mich in Ruhe! Sonst kannst du den Stock hier aus der Hand des Hadsch Jachja zu kosten bekommen!« Hierauf sprach Dschuha zu ihm: »Jetzt drei Piaster!« Sie begannen sich nun herumzustreiten; der eine rief: »Gieb mir!«, und der andre erwiderte: »Ich gebe dir nichts!« Beide stiessen sich herum und begannen sich zu prügeln. Da wurde der Bart des Beduinen sichtbar, und Dschuha sah, dass jener einen langen Bart hatte. Drum sprach er zu ihm: »Vier Piaster!« Sie schlugen sich weiter[126] herum; da wurde auch der Kopf des Beduinen bloss. Den sah Dschuha mit Aussatz bedeckt. Sofort rief er: »Fünf Piaster!« Der Streit der beiden wurde immer heftiger; drum brachte man sie vor den Herrscher.

Sie gelangten vor den Sultan. Derselbe sprach: »Was soll das nun bedeuten, Dschuha?« Dschuha entgegnete: »Hier ist deine treffliche Verordnung, die du mir gegeben hast! Bei diesem Manne,« fuhr er fort, »entdeckte ich die fünf Eigenschaften, die in der Verordnung aufgezeichnet stehen: er heisst Jachja, geht am frühen Morgen aus, hört auf den Rat seiner Frau, hat einen langen Bart und leidet an Aussatz auf dem Kopfe!« Da sprach der Sultan zu jenem Beduinen: »Geh' du nur ruhig nach Hause! Du bist ein armer Mann und hierhergekommen, um dir etwas zu verdienen; Dschuha hat dich abgehalten!« Der Sultan gab dem Beduinen ferner ein Geschenk und sprach: »Geh jetzt fort!« Dschuha blickte König Jachja an und sprach zu ihm: »Es mangelt doch auch einem jeden, der Jachja heisst, am Verstande!« Über diese Äusserung wurde König Jachja sehr zornig und ereiferte sich immer mehr. Schliesslich rief er aus: »Bei Gott, wenn du mir nicht jemanden ausfindig machst, der Jachja heisst, und dem es zugleich am Verstande mangelt, lasse ich dir den Kopf abschneiden!« Dschuha entgegnete: »Gieb mir hundert Piaster und gewähre mir neun Tage Frist!« Der König liess ihm das Geld geben und gab ihm die gewünschte Frist. Der König erklärte nochmals: »Wenn du mir eine solche Person, wie beschrieben, nicht binnen neun Tagen herbringst, lasse ich dir den Kopf abschneiden!«

Dschuha verliess den Palast und begab sich nach dem Schafmarkte; dort kaufte er sich einen hübschen Hammel, färbte ihn mit roter Farbe und trieb ihn nach dem Basar der Gewürzkrämer. Er fragte einen Mann: »Giebt es vielleicht hier im Basar irgend jemanden, der Jachja heisst?« Der Gefragte erwiderte Dschuha: »Der Mann in dem Laden dort heisst Jachja.« Dschuha begab sich zu dem bezeichneten Manne und sprach zu ihm: »Friede sei über dir!« Der Gewürzkrämer entgegnete: »Über euch sei der Friede!« Er bewillkommte Dschuha. Letzterer fragte: »Du heisst Jachja?« Jener erwiderte: »Jawohl!« Dschuha sprach: »Ich habe dir ein Geschenk gebracht!« Jener fragte: »Von wem denn?« Dschuha entgegnete: »Diesen Hammel hat dir der Erzengel Gabriel gesandt!« Der Alte freute sich und rief: »Lob sei Gott, der sich[127] meiner erinnert und mir einen Hammel durch den Engel Gabriel gesandt hat!« Der alte Jachja nahm nun diesen Hammel mit nach Hause.

Was that aber nun Dschuha? Dschuha hielt sich eine Woche lang fern vom alten Jachja, nach Verlauf derselben kam er aber wieder zu ihm. Der Alte bewillkommte ihn freudig und sprach zu ihm: »Sei gegrüsst!« Dschuha erwiderte: »Komm her! Ich will dir etwas anvertrauen, was ein Geheimnis zwischen uns sein soll!« Jachja versetzte: »Sag' an!« Dschuha entgegnete: »Ich bin der Engel Asrael, und heute Nacht wird mich Gott zu dir senden, um deinen Geist davonzufahren!« Jachja entgegnete: »Freund, was habe ich verbrochen?« Dschuha sagte: »Du magst etwas verbrochen haben, oder auch nicht (das ist ganz gleichgültig): wer vor seinem Ende steht, der muss seinen Fuss langstrecken! Geh hin,« fuhr er fort, »und nimm von allen deinen Familienangehörigen, Verwandten und Bekannten feierlich Abschied!« Der alte Jachja erwiderte: »Ich will aber den Tod nicht!« Dschuha entgegnete: »Was bedeutet das? Das Geschenk (den Hammel) heisst du willkommen, aber den Tod willst du nicht? Nimm also nur dein Leichentuch in die Hand und geh so aus dem Laden nach Hause! Ich selbst aber werde zu dir gegen Abend kommen und zwar mit zwei anderen zusammen, den Engeln Michael und Gabriel.« Hiermit verliess Dschuha den alten Jachja. Dieser dachte nun bei sich: »Heute Nacht muss ich also sterben!« Dann nahm er sein Leichentuch in die Hand und ging nach Hause. Er wusch sich und betete zwei Abschnitte; zu den Seinigen im Hause sagte er: »Niemand soll das Haus verlassen!« Hierauf begab er sich zu seinen Freunden und Verwandten und sprach zu ihnen: »Verzeihet mir alles Schlechte!« Man fragte ihn: »Was ist's mit dir?« Er entgegnete: »Heute Nacht muss ich sterben!« Da hiess es bei dem einen: »Jachja ist verrückt geworden!« Der andere sprach: »Vielleicht hat er seinen Tod vorausgesehen.« Dann ging Jachja wieder nach Hause. Seine Frau und seine Schwiegertochter kamen ihm entgegen und sprachen zu ihm: »Sei gegrüsst!« Er aber entgegnete: »Weder gegrüsst, noch sonst etwas! Verzeihet mir alles! Denn heute Nacht muss ich sterben!«

Die Erzählung möge jetzt zum König Jachja zurückkehren![128] Dschuha begab sich wieder zu dem Könige und sprach zu demselben: »Da habe ich dir einen ausfindig gemacht, der, wie du, Jachja heisst, und dem es am Verstände fehlt!« Hierauf brachte er zwei Kapuzenmäntel herbei; der König und der Wesir zogen je einen solchen Mantel an, und Dschuha that das Gleiche. Zur Zeit des Abendgebetes begaben sich nun alle drei nach dem Hause des alten Jachja; sie fanden die Hausthür offenstehen. Als sie eintraten, flüchteten sich die weiblichen Familienglieder und riefen: »Das ist der König Tod, der will uns vielleicht auch töten!« Jene drei traten nun ein und sprachen zum alten Jachja: »Friede sei über dir!« Er erwiderte ihnen: »Über euch sei der Friede!« mit matter Stimme. Dschuha befahl ihm nun: »Leg dich hin und strecke dich lang!« Jener legte sich hin und streckte sich lang. Dann befahl ihm Dschuha: »Sag' dein Glaubensbekenntnis!« Hierauf begann er den Alten von unten an zu quetschen und zu zwicken; mit dem Beine desselben fing er an, und zwar mit der grossen Zehe; dann kam er ihm an den Bauch, dann an die Brust und schliesslich kam er ihm an den Hals. Als er ihm tüchtig an den Hals griff, da wurde jener ohnmächtig. Hierauf deckte er dem Alten das Gesicht zu und sprach zum Sultan und zum Wesir: »Lasst uns jetzt wieder heimgehen!« Als Dschuha nun das Haus verliess, sprach er zu den übrigen Angehörigen der Familie des alten Jachja: »Wer sich muckst oder gar schreit, dessen Geist hole ich!« Zum Sultan und zum Wesir sprach aber Dschuha: »Morgen werdet ihr mit mir dem Begräbnisse beiwohnen!«

Am nächsten Morgen ging der Sohn des alten Jachja aus und brachte die Sänger und die Bahre herbei. Man wusch den Alten und hüllte ihn in das Leichentuch, dann legte man ihn auf die Bahre – während er immer noch ohnmächtig war – und zog nach dem Friedhofe. Unter den Leuten beim Begräbnisse befanden sich auch der Sultan und der Wesir, desgleichen Dschuha. Da kam Dschuha ein altes Weib auf dem Wege entgegen. Er sprach zu ihr: »Komm hierher! Da ist ein Goldstück! Begieb dich jetzt,« fuhr er fort, »an die Bahre, tritt zu den Trägern heran und sage ihnen, was ich dir vorsagen werde!« Hiermit teilte Dschuha der Alten mit, was sie zu sprechen hatte. Sie trat nun auf die Träger der Bahre zu und sagte zu ihnen nach dem Wortlaute Dschuha's: »Wer ist der Tote?« Man erwiderte ihr: »Der alte Jachja vom Basar der Gewürzkrämer.« Sie sprach darauf: »Gott sei ihm nicht gnädig! Ich kaufte bei ihm ein Pfündchen Ambra, als ich mein[129] Töchterchen verheiraten wollte; – da hat er mich um vier Unzen betrogen!« Als der alte Jachja diese Worte hörte, richtete er sich auf der Bahre in die Höhe und rief: »Ich bin ein Betrüger, du schlechtes Weib? Man kennt mich als einen Dieb?« – Da warfen die Leute, welche die Bahre trugen, dieselbe hin auf die Erde und flohen davon. Alle Leute aber begannen zu lachen, und der Sultan und der Wesir stimmten mit in das Gelächter ein. Jetzt wandte sich Dschuha an den Sultan und sprach zu ihm: »Habe ich dir nicht gesagt, jedem, der Jachja heisse, fehle es am Verstände?« Der Sultan erwiderte: »Ich verzeihe dir hier mit! Verlange von mir, was du willst!«

Quelle:
Stumme, Hans: Tunisische Märchen und Gedichte. Leipzig: Hinrich: 1893, S. 126-130.
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