3. Dschuder Ben Omar.

[39] Es lebte einst ein Mann in Kairo, der hiess Dschuder Ben Omar; seiner Beschäftigung nach war er Fischer und hatte eine Mutter und zwei Brüder. Die beiden Brüder waren Bummler und Taugenichtse, aber Dschuder Ben Omar arbeitete für seine Mutter und ging auf den Fischfang, der Arme. Jeden Tag begab er sich an das Ufer des Wassers und warf den ganzen Tag über das Netz aus, um gegen Abend doch immer nur ein Paar armselige Fische zu erbeuten, die er dann für dreiviertel oder einen ganzen Piaster verkaufte. So lebte er eine Zeit lang. Einst dachte er bei sich und sprach: »Diese Beschäftigung kann mich nicht ernähren.«

Eines Tages begab er sich auch an das Ufer des Wassers; er hatte sein Netz schon das erste und das zweite Mal ausgeworfen, aber nichts gefangen. Da sprach er zu sich: »Ich will ein wenig ausruhen; das Schicksal will es einmal so: gegen Abend werde ich mit Gottes[39] gnädiger Hilfe zwei Fische wie gewöhnlich herausfischen!« Als er am Ufer sass und sich ausruhte, da kam ein Mann auf einem Maultiere herangeritten; der sprach zu ihm: »Friede sei über dir!« Dschuder antwortete: »Über dir sei der Friede!« Der Fremde sprach zu ihm: »Du bist Dschuder Ben Omar?« Er entgegnete: »Ja.« Da stieg jener von seinem Maultiere ab und sprach zu Dschuder: »Nimm hundert Goldstücke!« Er übergab ihm die hundert Goldstücke und reichte ihm einen seidenen Strick. Er befahl Dschuder: »Binde mich jetzt und schaff mich ins Wasser, bis du ins Tiefe kommst! Wenn du in das Tiefe kommst, dann wirf mich dort ins Wasser! Wenn du mich hineingeworfen hast, dann bleib und warte an jener Stelle! Wenn du dann siehst, dass sich der Schaum des Wassers weiss färbt, so freue dich, denn dann komme ich wieder zu dir herauf; wenn du aber siehst, dass der Schaum rot wird, dann halte mich für tot!« Dschuder sah den Fremden an und sprach zu ihm: »Was ist der Grund hiervon?« Jener entgegnete: »Frage mich nicht weiter! Wenn ich wieder heil zu dir heraufkomme, dann bist du ein reicher Mann; sterbe ich aber, mein Söhnchen, dann sei mir und dir Gott gnädig! Das ist, was dir von Gott beschieden ist!« Dschuder sagte weiter nichts, sondern ergriff jenen und fesselte ihn ordentlich. Jener sprach aber: »Fessle mich noch besser!« Schliesslich hatte ihn Dschuder nach seinem Wunsche gefesselt. Er nahm ihn auf die Schulter und begab sich mit ihm in das Wasser, dann warf er ihn ins Tiefe und gab Achtung. Jener Mann hatte zu Dschuder gesagt: »Warte etwa eine Stunde lang!« Dschuder wartete dort eine Stunde; da stieg ein roter Schaum herauf. Dschuder rief: »Gott, jener ist tot! Er hat sich selbst Leid angethan, wie es nur der Feind dem Feinde anthut!« Hierauf stieg Dschuder auf das Maultier und begab sich wieder in die Stadt zurück. Da begegnete ihm ein Jude am Stadtthore, der sprach zu ihm: »Gieb mir das Maultier!« Er entgegnete ihm: »Nimm es!« Hierauf wandte sich der Jude an Dschuder und sprach zu ihm: »Begierde und Mord bringt den Menschen ins Verderben!«

Dschuder Ben Omar kehrte zu seiner Mutter heim, froher Stimmung über das erhaltene Geld. Erst ging er zum Fleischer und kaufte Fleisch ein, dann kaufte er Gemüse und Schmalz; kurz, er machte einen prächtigen Einkauf und kam dann nach Hause. Seine Mutter sah ihn an und sprach zu ihm: »Mein Herr, woher stammt dieses Geld?« Er entgegnete: »Gott hat es mir geschenkt,[40] was fragst du weiter? Iss und trink und bete für mein Wohlergehen!« Sie entgegnete ihm: »Mein Söhnchen, du willst, dass ich für dein Wohlergehen bete, – dann musst du aber deine Brüder holen, damit sie mit dir speisen! Wenn sie auch Bummler sind, was können wir viel anderes thun?« Er entgegnete ihr: »Mütterchen, was Gott schenkt, das will ich mit dir und meinen Brüdern zusammen gemessen.« Er holte seine Brüder aus dem Kaffeehause. Man speiste zu Abend, wurde satt und hatte einen gesunden Schlaf.

Am folgenden Morgen nahm er wieder sein Netz und sprach: »Wohlan, ich will mein Glück versuchen!« Er begab sich an das Ufer und setzte sich hin. Er sass noch da und ruhte sich aus, – da kam wieder ein Mann auf einem Maultiere herangeritten. Der sprach zu Dschuder: »Friede sei über dir!« Er grüsste ihn wieder. Jener fragte ihn: »Du bist Dschuder Ben Omar?« Er entgegnete ihm: »Ja.« Jener fragte weiter: »Kam gestern jemand zu dir auf einem Maultiere geritten?« Dschuder entgegnete: »Ich habe niemand gesehen, ich weiss nichts davon!« Jener sprach zu ihm: »Ist nicht ein Mann zu dir gekommen, der dir einen Seidenstrick gab und zu dir sprach: ›Fessele mich damit?‹« Dschuder entgegnete: »Nein.« Jener aber sprach: »Sage mir doch die Wahrheit! Du sollst mit mir jetzt dasselbe thun wie mit jenem!« Da sagte Dschuder jenem die Wahrheit, und jener sprach zu ihm: »Das war also das Ende seines Lebens, und so ging er hinab, um zu sterben!« Dann stieg der Mann von seinem Maultiere ab, griff in seine Tasche und zog hundert Goldstücke hervor. Dies Geld überreichte er Dschuder. Ferner zog er einen seidenen Strick hervor und befahl: »Fessle mich wie meinen Bruder, wirf mich ins tiefe Wasser an derselben Stelle, wo du meinen Bruder hinabgeworfen hast! Wenn dann roter Schaum heraufsteigt, so halte mich für tot; wenn aber weisser Schaum, dann freue dich und denke, du bist ein reicher Mann!« Dschuder erwiderte: »Gott befohlen!« Er nahm jenen, fesselte ihn und warf ihn ins Wasser; wo er den Bruder desselben hineingeworfen hatte, da warf er auch ihn hin. Dann wartete er an dieser Stelle und betrachtete das Wasser. Da stieg roter Schaum herauf. Dschuder blickte auf und sprach bei sich: »Weshalb thun sich jene selbst Leid an?« Dann dachte er weiter: »Nun, jeden Tag erhältst du ja hundert Goldstücke! Wenn diese Zahlungen an mich aufhören, dann weiss ich wirklich nicht, ob ich lieber sterbe oder weiterlebe!«

Hierauf nahm er das Maultier und ging heim. Der Jude[41] begegnete ihm wieder und sprach zu ihm: »Gieb mir das Maultier!« Er erwiderte ihm: »Nimm es!« Der Jude fragte: »Er kam zu dir?« Er erwiderte: »Ja.« »Er starb?« »Ja, er starb!« Der Jude sprach: »So geht ein Leben zu Ende!« Dschuder kehrte in froher Stimmung zu seiner Mutter heim und kaufte neue Kleider für seine Mutter und seine zerlumpten Brüder. Dann ass man gut zu Abend.

Am nächsten Morgen nahm Dschuder wieder das Netz und begab sich an das Ufer. Er gelangte an seinen gewöhnlichen Platz und setzte sich nieder. Während er in seinen Gedanken dasass, sah er einen Mann auf einem Maultiere heranreiten, wie vordem. Dschuder sprach zu sich: »Ich will das Netz nicht auswerfen; vielleicht schenkt mir Gott wieder hundert Goldstücke!« Der Greis sprach zu ihm: »Du bist Dschuder Ben Omar?« Er entgegnete: »Ja!« Jener stieg von seinem Maultiere ab und fragte Dschuder: »Sind zwei Männer zu dir gekommen, einer gestern und einer vorgestern?« Er entgegnete: »Ja, sie sind gekommen.« Jener fragte weiter: »Sind sie gestorben?« Dschuder entgegnete: »Sie sind gestorben und zur Gnade Gottes eingegangen.« Da griff jener mit der Hand in seine Tasche und so übergab Dschuder fünfhundert Goldstücke, er gab ihm mehr als die früheren. Der Mann zog seine Kleider aus, griff mit der Hand in den Reisesack und nahm einen Anzug aus Leder heraus. Den zog er an und sagte zu Dschuder: »Berühre die Sachen hier, die ich abgelegt habe, ja nicht!« Dann steckte er die ausgezogenen Kleider in den Reisesack und sprach: »Dem Manne, der dir das Maultier abnehmen wird, dem übergieb dies alles zusammen! Wenn ich aber wieder lebendig aus dem Wasser komme, dann werde ich selbst die Sachen nehmen.« Dschuder sah den Mann an und sprach zu ihm: »Warum stürzt ihr euch so ins Verderben?« Jener erwiderte: »Frage mich nicht danach! Wenn ich wieder aus dem Wasser komme, werde ich dir alles erzählen und berichten; sollte ich aber nicht wiederkommen, dann ist's auch gut! Wie es Gott dir bestimmt, so ist es!« Dschuder nahm ihn her, fesselte ihn mit einem roten Stricke und nahm ihn auf seine Schulter. Jener sprach zu ihm: »Wo du meine Brüder hineingeworfen hast, da wirf auch mich hinein!« Dschuder begab sich mit jenem ins Wasser und warf ihn hinein. Dann wartete er eine Stunde lang. Da stieg weisser Schaum herauf; das freute ihn.

Nun tauchte der Greis auf; in jeder Hand hatte er einen roten Fisch und ein goldenes Rohr in seinem Munde. Als er aus dem[42] Wasser war, sprach er zu Dschuder: »Löse die Fesseln!« Dschuder befreite ihn aus der Fesselung. Der Greis griff mit der Hand in den Reisesack, zog eine Dose hervor, steckte die beiden Fische in die Dose hinein und schloss zu. Dann wandte er sich an Dschuder mit den Worten: »Du gehörst zu den Glücklichen!« Er fuhr fort: »In diesem Rohre befindet sich ein Pulver, ein Zauberpulver. Wir sind drei Brüder, und zwar Zauberer; es giebt nun einen Schatz weit im Abendlande, über den haben wir in den Zaubersprüchen gelesen, dass er nur durch deine Mitwirkung gehoben werden kann. Wer mit dem Pulver seine Augen bestreicht, der erblickt die Schätze in der Erde und die Reichtümer. Jene Fische in der Dose sind Geisterprinzessinnen, die sind die Besitzerinnen jenes Schatzes. Du musst nun mit mir ausziehen, den Schatz zu heben! Als wir früher einmal gegen jene Geisterprinzessinnen mit Zauberei vorgehen wollten, da nahmen sie uns das Rohr mit dem Pulver weg und flohen damit ins Meer. Mein erster Bruder kam hierher, musste aber bei seinem Versuche sterben; so auch mein zweiter Bruder. Du musst nun mit mir nach dem Westen ziehen; ja, du musst dort ein Jahr lang bei mir aushalten!«

Dschuder Ben Omar entgegnete jenem: »Wer wird für meine Mutter sorgen, wer wird für sie arbeiten, wenn ich nicht mehr da bin?« Jener versetzte: »Wir wollen ihr schon etwas dalassen, was sie zufriedenstellt!« Hiermit griff er in den Reisesack und nahm einen zweiten, zusammengelegten Reisesack aus dem ersten. »Wenn dieser Reisesack,« erklärte er, »auseinander gelegt wird, dann erscheint dir Alles, was du (zu essen) wünschest, wie Speisen und Getränke, und die Speisen erscheinen in garem und fertigem Zustande.« Dschuder sah auf und sprach: »Wir wollen ihn auseinanderlegen und ihn probieren, damit ich wegen meiner Mutter beruhigt bin!« Jener legte ihm den Reisesack auseinander und sprach: »Verlange, was du wünschest!« Dschuder entgegnete: »Ich wünsche gefüllte Hühner, Rebhühner in Schmalz gebraten und junge Tauben, kurz eine prächtige Mahlzeit!« Es erschien ihm alles fix und fertig. Er und der Greis speisten ihr Mittagsbrot. Dann legten sie den Reisesack wieder so zusammen, wie er gewesen war. Der Greis sprach nun: »Nimm ihn und gieb ihn deiner Mutter; zeige ihr, was sie zu thun hat, damit ihr die Speisen erscheinen; schärfe ihr aber ein, ihn ja nicht deinen Brüdern zu zeigen!« Dschuder erzählte seiner Mutter alles und sprach zu ihr: »Ich will verreisen, ich will[43] dich auf ein Jahr verlassen; ich möchte aber, dass du gut von mir denkst und für mein Wohlergehen betest!« Sie entgegnete: »Mein Söhnchen, du willst mich verlassen; wer wird da mit mir zärtlich sein, der armen Frau? Von deinen Brüdern weisst du ja selbst, dass sie Bummler sind!« Er entgegnete ihr: »Ich werde dir etwas hier lassen, was dir Unterhalt gewährt.«

Hiermit zog er den Reisesack hervor und sagte: »Verlange, was du dir wünschest: es wird dir jetzt erscheinen!« Als er den Reisesack auseinanderbreitete, sprach seine Mutter zu ihm: »Mein Sohn, du lügst mir etwas vor; was ist's mit diesem Reisesacke?« Er entgegnete: »Verlange nur, was du dir wünschest!« Sie erwiderte: »Dann wünsche ich mir einige Gerstenbrote und einen Teller Gemüse.« Er lachte sie aus und sprach zu ihr: »Da will ich lieber für dich wünschen, ich mag etwas so Ordinäres nicht!« Er sagte seinen Wunsch; da erschien eine Tafel voll mit allem, was nur der Mund und die Zunge aussprechen kann, eine königliche Tafel. Dann sprach Dschuder zu seiner Mutter: »Jetzt muss ich dich auf ein Jahr verlassen!« Sie entgegnete: »Wohlan, zieh hin, mein Söhnchen, ziehe wohl und munter aus und komm wohl wieder zurück!« Er sagte ihr noch: »Hüte dich ja, meinen Brüdern den Reisesack zu zeigen! Das Essen sollen sie ja mit dir verzehren, lass sie nicht darben; hüte dich aber ja, ihnen den Reisesack zu zeigen!« Ferner gab er ihr noch fünfhundert Goldstücke und sprach zu ihr: »(Ich gebe dir dies Geld,) damit du für dich und meine Brüder Kleider kaufen und ins Bad gehen kannst. Komme ich wieder zurück, so werden wir uns wiedersehen; komme ich aber nicht zurück, so finden wir uns vor Gott wieder. Ich will mich jetzt von dir verabschieden!«

Hiermit sagte er ihr Lebewohl und sprach zu ihr: »Mütterchen, leb wohl!« – Dschuder Ben Omar begab sich zum Greis; derselbe gab ihm ein Maultier; beide bestiegen Maultiere und traten die Reise an. Sie reisten vom Morgen bis zum Abend. Da sprach der Greis zu ihm: »Wohlan, lass uns haltmachen, ausruhen und zu Abend speisen!« Der Greis sah Dschuder an und sprach zu ihm: »Weisst du auch, eine wie grosse Strecke wir von deiner Heimat bis hierher zurückgelegt haben?« Dschuder entgegnete: »Ich weiss es nicht.« Jener entgegnete: »Heute haben wir eine Strecke von drei Monaten in einem Tage zurückgelegt!« Sie speisten und schliefen bis zum nächsten Morgen. Dann reisten[44] sie weiter, bis die Nacht einbrach; da machten sie Halt und speisten zu Abend. Sie hatten wieder eine Strecke von drei Monaten zurückgelegt. Am folgenden Tage reisten sie wieder bis Einbruch der Nacht; da zeigte sich gerade vor ihnen eine befestigte Stadt. Sie begaben sich in diese Stadt und schickten die Maultiere fort; die verschwanden. Die Stadt war die Heimat des Greises; der besass ein Haus in derselben. Dschuder begab sich mit ihm nach dessen Hause, daselbst speisten und tranken sie und legten sich schlafen.

Dschuder war bei dem Greise bereits drei Tage zu Gaste, da sprach er zu jenem: »Lass uns doch Weiterreisen!« Der Greis entgegnete: »Gestatte mir noch eine Frist, ich möchte, dass du einen Monat hier bei mir verweilest!« Dieser Monat ging zu Ende; da sprach der Greis: »Bleib noch einen Monat hier!« Dschuder blieb den zweiten, blieb auch den dritten Monat da. Eines Tages wandte er sich an den Alten und sprach zu ihm: »Lass uns doch weiterreisen; ich bekomme Sehnsucht nach meiner Mutter!« Der Greis erwiderte ihm: »Ich habe dich auf ein Jahr mit fortgenommen, und übrigens hast du, da du mit hierher gekommen bist, nötigenfalls auf deine Heimat und die Deinigen verzichtet! Wenn wir aber unsern Plan ausgeführt haben, dann kannst du in zwei Stunden wieder heimkehren.«

Eines Tages sprach der Alte zu ihm: »Wohlan, wir wollen jetzt aufbrechen; heute möge uns Gott Gelingen geben!« Beide brachen auf und reisten, bis sie an den Fuss eines Berges kamen. Da begann der Greis seinen Zauber: er brachte Holz, zündete ein Feuer an und begann in dies Feuer Räucherwerk zu streuen. Zu Dschuder sprach er: »Bleib hier aufrecht und starr wie ein Stein sitzen, sprich nicht!« Der Marokkaner zauberte weiter, und schliesslich öffnete sich der Schatz durch den Zauber. Dschuder sah ein Christenmädchen aus dem Schatze herauskommen mit einer goldenen Wage in der Hand. Die trat zum Marokkaner heran und sprach zu ihm: »Gieb mir, was du hast!« Er übergab ihr einige Packetchen Räucherwerk; die legte jene auf die Wage und wägte sie; sie fand deren Gewicht richtig. Sie sprach: »Tritt ein; es ist dir nicht verwehrt!« Der Marokkaner wandte sich nun an Dschuder und sprach zu ihm: »Geh du hinein, und ich werde hierbleiben! Du musst hinein in das Enge gehen; bald wirst du in einen breiteren Gang kommen. Da wird sich vor dir ein Haus zeigen,[45] und in dem Hause werden sich vier Zimmer einander gerade gegenüber befinden. Betritt das Zimmer, das sich gerade vor dir befindet! Du wirst in demselben ein Schwert und eine Tafel erblicken. Da werden die Geister auf dich einsprechen: hüte dich aber ja, ihnen zu antworten; denn wenn du sprichst, müssen wir beide sterben! Tritt ein, dann wirst du das Schwert dahängen und die Tafel unter dem Schwerte hängen sehen! Nimm beide Gegenstände, hänge das Schwert um deine Schulter und nimm die Tafel in die Hand und komm eilends wieder zu mir!« Dschuder Ben Omar ging nach der Schatzhöhle und schritt in den engen Gang hinein. Da hörte er eine Stimme rufen; er sah hierher und sah dahin und hörte die Worte: »Befreie mich, Dschuder Ben Omar!« Als er näher nachforschte, erblickte er ein Mädchen, das an Hals und Händen gefesselt war. Dschuder dachte bei sich: »Wohlan, ich will dies Mädchen aus dem Eisen befreien; das Schwert und die Tafel hängen ja da; wenn ich das Mädchen befreit habe, kann ich die beiden Dinge nehmen!« Er trat näher an das Mädchen heran und sprach zu ihr: »Was ist's mit dir, meine Tochter?« – da befand er sich vor der Höhle, und der Schatz hatte sich geschlossen! Er wusste nicht, was sich mit ihm zugetragen hatte.

Der Marokkaner nahm ihn auf den Rücken und kehrte mit ihm nach Hause zurück; Dschuder aber war wie betäubt, er wusste nicht, wo es mit ihm hingehe. So brachte ihn jener nach seinem Hause und besprengte ihn mit Wasser, bis er schliesslich wieder zur Besinnung kam. Als er wieder zur Besinnung gekommen war, sprach jener zu ihm: »Ach, Dschuder Ben Omar, warum thust du mir das an? Obwohl ich dich so sehr gebeten hatte, hat doch die Warnung nichts genützt!« Dschuder entgegnete: »Alles, was du mir ans Herz gelegt hattest, das habe ich stets im Gedächtnis behalten, nur die Worte, ich solle nicht sprechen, hatte ich vergessen! Sage mir jetzt aber von jenem Mädchen, ist sie von den Menschen oder von den Geistern?« Der Marokkaner entgegnete ihm: »Sie ist von den Menschen, und zwar eine Königstochter. Es hat sie ein Teufel dorthin gebracht, der peinigt sie Nacht und Tag schon drei Jahre lang. Er sucht sie zu überreden, ihn zu heiraten, doch sie will nicht. Es ist ihr vom Schicksale bestimmt, dass sie nur durch dich befreit werden kann.« Dschuder Ben Omar wandte sich an den Greis und sprach zu ihm: »Was ist da zu thun?« Der Greis entgegnete: »Wenn du an sie herangetreten wärest ohne[46] zu sprechen, und deine Hand auf die Ketten gelegt hättest, so würden sich dieselben von seihst geöffnet haben. Jetzt musst du noch ein Jahr bei mir bleiben!« Dschuder entgegnete: »Gern; wenn jene eine Gläubige ist, bleibe ich ihretwegen zehn Jahre!«

Als das zweite Jahr zu Ende ging, da sprach der Marokkaner: »Wohlan, wir wollen wieder nach der alten Stelle!« Der Marokkaner begab sich nach dem Platze, machte das Räucherwerk zurecht, zündete ein Feuer an und unterwies Dschuder mit den Worten: »Ich schärfe dir alles ordentlich ein, drum hüte dich, meine Worte wie das erste Mal, zu vergessen! Wenn du also an das Mädchen herantrittst, um sie zu befreien, so lege deine Hand auf die Ketten, ohne zu sprechen. Wenn du sie befreit hast, dann wirst du hinter ihr einen Schrank erblicken; in demselben wirst du einen Dolch entdecken; dieser Dolch ist von oben bis unten vollgeschrieben. Auf diesem Dolche steht geschrieben, dass der Besitzer des Schatzes durch ihn sterben wird; seine Seele ist an denselben gebannt. Wenn du den Dolch anfassest, da wird der Teufel auf dich einsprechen und rufen: ›Verschone mich, Dschuder!‹ – wenn du da sprichst, müssen wir sterben!« »Jetzt,« schloss er, »empfiehl dich Gottes Schütze!« Der Schatz öffnete sich, und das Christenmädchen erschien wieder wie das erste Mal; sie sprach zum Marokkaner: »Gieb her, was du hast!« Sie fuhr fort: »Hast du nicht genug vom ersten Male, hast du keine Angst?« Er überreichte ihr das Räucherwerk, sie wog es und befand es richtig. Sie sprach zu ihm: »Tritt ein, es ist dir nicht verwehrt!« Dschuder Ben Omar begab sich in die Höhle und ging weiter, bis er in den Hof kam. Er sah die Tafel und das Schwert dort hängen, nahm die Tafel, steckte sie in die Tasche, während er sich das Schwert an die linke Seite hängte. Dann begab er sich zu dem Mädchen und ergriff ihre Ketten, die öffneten sich, und das Mädchen war frei. Dann ging er auf jenen Schrank los, öffnete den Schrank und nahm den Dolch heraus. Er erfasste den Dolch mit der Hand: da erschien ihm sofort jener Teufel, der rief: »Verschone mich, Dschuder!« Dschuder aber verhielt sich still und sprach nicht zu jenem; er schwang den Dolch durch die Luft, da verbrannte Feuer den Geist, der starb den Feuertod. Der Schatz aber blieb offen.

Dschuder Ben Omar begab sich nun zu dem Marokkaner; der hiess ihn willkommen und rief ihm zu: »Bravo, Dschuder Ben Omar, du gehörst zu den Glückseligen!« Er nahm Dschuder das[47] Schwert und die Tafel ab und sprach: »Wir wollen jetzt heimkehren; es schadet nichts, wenn dieser Schatz hier offen bleibt, denn es kann ihn niemand sehen ausser dir und mir.« Dann nahmen sie jenes Mädchen und zogen wieder heim; bald gelangten sie nach dem Hause des Marokkaners. Letzterer sandte das Mädchen zu den Frauen; er selbst aber bezog mit Dschuder das Obergeschoss. Beide assen zu Abend und legten sich schlafen. Dschuder sprach zu jenem: »Zeige mir, worin die Eigenschaft des Schwertes und die der Tafel besteht!« Der Greis entgegnete ihm: »Wenn du dies Schwertern die Hand nimmst und schwingst, dann schneidet es die Köpfe herunter, soweit als dein Auge blickt. Die Eigenschaft der Tafel aber besteht darin, dass dir jedes Ding, das du dir wünschest, erscheint. Mit dieser Tafel stehen zwei Geisterkönige in Verbindung. Wenn du somit nach deiner Heimat zurückkehren willst, so kannst du (vermittelst jener Zaubertafel) in zwei Stunden den Weg zurücklegen; wünschest du mit einem Heere zu reisen, so kannst du dies sehr leicht!« Dschuder Ben Omar sprach: »Mir thut nur der Schatz leid, den wir so ganz offen gelassen haben!« Der Greis aber entgegnete: »Habe keine Sorge; den kann niemand sehen, und sobald du wünschest, gehört dir der ganze Schatz!« Er fuhr fort: »Lass keine Begierde nach diesem Mädchen in dir aufsteigen! Wir thun ihrem Vater einen Gefallen, wenn wir sie ihm zurückbringen!« Dann fragte er Dschuder: »Mein Sohn, willst du jetzt zu deiner Mutter zurückkehren?« »Nun,« sprach er weiter, »das Schwert ist für dich von weiter keinem Nutzen; ich will dir aber die Tafel geben, die wird dir von Nutzen sein!«

Die Erzählung möge sich jetzt zur Mutter des Dschuder Ben Omar wenden. Ihre beiden Söhne daheim sahen, dass es jeden Tag gutes Essen und Wein gab. Sie blickten einander an; da hiess es: »Bruder, dies Geld und dieses Essen, das wir täglich bekommen, woher stammt dies eigentlich?« Der ältere der beiden Brüder wandte sich an seine Mutter und sprach: »Woher kommt dies Essen und dies viele Geld, wie wir es so reichlich vordem nie zu sehen bekommen haben?« Seine Mutter entgegnete ihm: »Mein Sohn, was willst du nur? Esst und trinkt; warum fragst du weiter?« Jene aber sprachen zu ihr: »Nein, du musst es uns sagen!« Dabei hielten sie ihr die Hände fest und machten Miene, sie zu töten. Sie geriet in Angst und übergab jenen beiden den Reisesack. Jene nahmen den Reisesack und verliessen sie, begaben sich nach einer[48] Schänke, breiteten den Reisesack auseinander, schmausten und zechten und bewirteten auch ihre Freunde. Die arme Mutter kam beinahe vor Hunger um. Sie bot ihre Habseligkeiten zum Verkaufe aus, um wenigstens Essen zu haben. Schliesslich hatte sie garnichts mehr und musste betteln gehen.

Dschuder Ben Omar dachte bei sich nach und sprach: »Ich habe ja jetzt die Zaubertafel, da will ich den Geistern befehlen, zu kommen!« Er befahl den Geisterkönigen, ein Heer zu liefern; er sprach: »Ich will zu Lande heimreisen, da will ich mich umsehen und mit einem Heere heimziehen, wie ein Fürst!« Man brachte ihm ein Ross; er bestieg dieses Ross, und Soldaten zogen ihm zur Rechten und zur Linken; er selbst aber ritt in ihrer Mitte, wie ein Befehlshaber einer Reiterschaar. So reiste er. Als er an einen Ort gelangte, wo er rasten wollte, da gebot er den Geisterkönigen zu kommen, und sprach: »Ich wünsche ein Prachtzelt; an demselben wünsche ich vier goldene Zeltkuppeln, dann verlange ich die Zeltstangen ebenfalls aus Gold, schliesslich ein elfenbeinernes Bettgestell, sowie seidene Betten!« Er schlief jene Nacht in dem Bette; als der Morgen anbrach, legte er eine Reise von einem Monate zurück. Da erblickte er ein Schloss vor sich. Er wandte sich an den einen Geisterkönig und sprach zu ihm: »Was ist's mit diesem Schlosse?« Der König entgegnete: »Dieses Schloss haben vierzig Zauberer errichtet; die haben in den Zaubersprüchen gelesen, dass ihr Leben nur durch die Hand von Dschuder Ben Omar enden solle. In diesem Schlosse befindet sich auch ein weibliches Wesen, das sie daselbst gefangen halten. Du thust etwas Gutes, wenn du sie aus der Gefangenschaft befreist. Jene Zauberer sind ihrem Ursprünge nach Magier und Feueranbeter.« Dschuder fragte: »Wie soll ich sie töten? Sie sind doch mächtige Zauberer!« Der Geisterkönig sah ihn an und sprach: »Ich werde dir ein Zettelchen schreiben; dasselbe binde dir vorn zwischen die Augen und begieb dich so ins Schloss; das Thor wirst du offen finden. Wenn du ins Schloss kommst, wirst du den Boden mit Marmor gepflastert finden; ja, der Boden des Schlosses besteht immer aus abwechselnd einer weissen und einer schwarzen Marmorplatte. Tritt ja nicht auf eine schwarze Platte, denn wenn du auf eine trittst, wirst du sterben; denn diese sind vergiftet. Tritt nur auf das weisse Pflaster und springe von Platte zu Platte; dann wirst du in den Hof des Schlosses gelangen. Nun gehe in das obere Stockwerk! Vor dir wird sich ein Schrank[49] befinden, und an diesem Schranke steckt ein Schlüssel. Öffne diesen Schrank; da wirst du in ihm ein Schwert hängen sehen! Ziehe dies Schwert aus seiner Scheide! Wenn du dies Schwert angreifst, werden dir sofort die Zauberer, die abwesend sein werden, erscheinen; ihr Geist ist an jenes Schwert gebannt, sie können nur durch dasselbe sterben. Wenn du sie getötet hast, so wende dich zu dem Gemache zu deiner rechten; an der Thür steckt ein Schlüssel! Wenn du den Schlüssel berührst, wird sich das Zimmer öffnen. Du wirst darin ein Mädchen erblicken, das an allen vier Gliedmassen gefesselt ist.« Dschuder Ben Omar sprach: »Gott befohlen!« Er begab sich nach dem Schlosse, gelangte an das Schlossthor, trat ein und sprang auf den weissen Marmorplatten weiter, bis er schliesslich in den Hof kam. Da sah er einen Schrank gerade vor sich; er ging auf diesen Schrank los und öffnete ihn, zückte das erwähnte Schwert, und die Zauberer erschienen. Sie riefen: »Ach, Dschuder Ben Omar, verschone uns!« Er schwieg, fasste das Schwert fester und schwang es gegen die vierzig; da verbrannte sie Feuer, sie starben. Nun war er allein im Schlosse. Er begab sich nach jenem Zimmer. Als er den Schlüssel angriff, ging es auf. Er trat ein und erblickte ein Mädchen, dessen vier Gliedmassen gefesselt waren. Dies befreite er. Sie sprach zu Dschuder: »Was hat dich hierher zu mir gebracht, du guter Mensch?« Er entgegnete ihr: »Es hat mich der Herr der Himmel zu dir hergeführt, damit du durch meine Hände befreit werdest.« Nun fragte er sie: »Wie ist deine Geschichte?« Sie entgegnete ihm: »Ich bin eine Gläubige, und mein Vater ist ein König von China. Jene Zauberer kamen zu meinem Vater und warben um mich; mein Vater wollte mich aber nicht fortgeben. Da stahlen mich jene und brachten mich hierher; sie peinigten mich hier nun schon seit drei Jahren und sprachen zu mir: ›Werde doch eine Magierin und nimm unseren Glauben an!‹ Das wollte ich aber nicht!« Dschuder sprach zu ihr: »Jetzt, wo du frei bist, was wünschest du nun? Soll ich dich zu deinem Vater und deiner Mutter schicken?« Sie entgegnete: »Wer Gutes thun will, der braucht nicht weiter zu fragen; jetzt sind es drei Jahre, dass ich mich in dieser Marter befinde!« Dschuder zog die Tafel hervor, da erschienen die beiden Geisterkönige, die sprachen: »Verlange, Herr Dschuder, was du willst!« Er versetzte: »Einer von euch nehme dies Mädchen; ihre Mutter und ihr Vater werden sich daheim im Palaste befinden: setzt ihr sie zwischen beide hin!« Die Geisterkönige erwiderten: »Gewiss,[50] Gott befohlen!« Der eine König nahm sie und flog mit ihr fort; in einem einzigen Augenblicke brachte er sie heim. Ihre Mutter und ihr Vater sassen im Palaste, da erschien sie plötzlich zwischen beiden.

Dschuder Ben Omar entbot die Geisterkönige zu sich und sprach: »Ich wünsche, dass sich dieses Schloss mit allem was darin ist, mit seinen Schätzen und seiner Ausstattung, mitten in Kairo befinde.« Jene erwiderten ihm: »Gott befohlen!« Als die Nacht einbrach, sprachen jene zu Dschuder: »Lege dich schlafen, und wenn du die Augen wieder öffnest, wirst du dich mitten in Kairo befinden!« Die Nacht brach ein; Dschuder speiste zu Abend und legte sich schlafen. Am nächsten Morgen öffnete er seine Augen: da befand er sich mitten in Kairo! Er dachte bei sich nach und sprach zu sich: »Ich werde mein Schloss nicht ohne Schutz lassen!« Er erteilte den Geisterkönigen die nötigen Befehle, und dieselben brachten ihm zehn Thorwächter in Menschengestalt. Die stellte er am Thore auf, um Wache zu halten. Dann verliess er das Schloss und sprach: »Ich will nach meiner Mutter sehen.« Als er auf der Strasse einherging, erblickte er vor sich eine Alte, die bettelte. Er sprach: »Ist das nicht meine Mutter? Nun, lass sehen!« Er ging auf sie zu und sprach zu ihr: »Was thust du, Alte?« Sie entgegnete ihm: »Ich bettele, mein Söhnchen.« Er fragte: »Warum? Hast du denn gar niemand?« Sie entgegnete: »Nein! Der gute Sohn von mir, der mich zu versorgen pflegte, ist weit fort von mir, und die beiden anderen taugen nichts, die ziehen als Tagediebe in Kairo umher.« Da sah er sie an und sprach zu ihr: »Kennst du mich denn nicht?« Sie entgegnete: »Nein, ich kenne dich nicht!« Er sprach: »Ich bin aber doch dein Söhnchen Dschuder!« Da umarmte sie ihn und brach in Thränen aus, sie rief: »Ach, mein Söhnchen!« und küsste ihn. Er sprach: »Mütterchen, mit dem Zaubersacke, den ich dir daliess, hättest du doch für dein ganzes Leben auskommen können!« Sie entgegnete: »Den haben mir die Beiden entwendet; seitdem sie ihn mir entwendet haben, habe ich sie nicht wiedergesehen.«

Da nahm Dschuder seine Mutter mit und brachte sie nach seinem Schlosse; er liess sie die schmutzigen Kleider ablegen, führte sie nach einem Bade und gab ihr neue Kleider. Dann rief er den Geisterkönig her und sprach zu ihm: »Ich wünsche, dass meine beiden Brüder jetzt vor mir erscheinen!« Der Geisterkönig verschwand[51] und traf die beiden Brüder in der Schänke; da hatten sie eine Mahlzeit angerichtet, und alle Welt schmauste mit von dieser Mahlzeit. Der Geisterkönig trat an sie heran, hob die beiden nebst dem Zaubersacke empor und flog mit ihnen gen Himmel. Dann stellte er die beiden vor ihren Bruder. Dschuder wandte sich an sie mit den Worten: »Warum lasst ihr eure Mutter vor Hunger umkommen? Und wenn ihr den Zaubersack nicht hättet, (müsstet ihr sie versorgen,) und für sie an einem Baue arbeiten, um ihr Essen zu geben!« Der Geisterkönig sprach zu Dschuder: »Was befiehlst du jetzt in betreff der beiden?« Dschuder entgegnete: »Sie sind meine Brüder, was soll ich ihnen anthun?« Die Mutter Dschuders blickte auf und sprach: »Nimm mich als Fürsprecherin für sie an!« Er entgegnete: »Gut, Mutter!« Schliesslich schenkte er seinen Brüdern neue Kleider und machte sie zu Wesiren in seinem Schlosse, einen zur Rechten und einen zur Linken. Ferner stellte er zwei Divane in die Vorhalle des Schlosses und breitete schöne Polster hin. Hier stellte er auch die Thorwächter auf, fünf auf der rechten und fünf auf der linken Seite. Dschuder selbst aber nahm in der Mitte der Vorhalle Platz, wie ein Fürst.

Die Leute, welche vorübergingen, betrachteten dies neue Schloss und sprachen: »Woher ist dies Schloss gekommen, und wer ist das in seiner Vorhalle wie ein Sultan?« Die Kunde hiervon gelangte zu dem Sultan von Kairo. Man sprach zu ihm: »Herr, eine solche königliche Pracht haben wir vorher nie gesehen!« Der Sultan wandte sich an seinen Wesir und sprach zu ihm: »Geh du hin zu ihm; geh aber in aller Besonnenheit hin, und sprich zu ihm: ›Unser Herr, der Sultan, befiehlt dir, zukommen!‹ Der Wesir gehorchte und begab sich zu Dschuder.« Als letzterer den Wesir sah, da stand er auf, begrüsste ihn, hiess ihn neben sich Platz nehmen, und setzte ihm Kaffee und Speisen vor. Als man gespeist hatte, sprach der Wesir zu Dschuder: »Unser Herr, der Sultan, befiehlt dir, zu kommen.« Dschuder aber sah den Wesir an und entgegnete ihm: »Ich werde nicht hingehen; der Sultan muss zuerst hierher zu mir kommen!« Der Sultan hatte aber den Wesir bedeutet und ihm gesagt: »Sprich ja nichts Ungehöriges mit jenem; melde mir alles, was jener dir sagt!« Der Wesir kehrte zum Sultan zurück und sprach zu ihm: »Mein Herr, jener Mann hat ein königliches Wesen. Er muss irgend eine Zaubertafel besitzen oder einen Zauberring.« Der Sultan erwiderte dem Wesir: »Wir[52] wollen zusammen zu ihm gehen und dabei die nötige Vorsicht beobachten.«

Der Sultan und der Wesir begaben sich nun zu Dschuder und nahmen noch vier oder fünf Wesire mit. Man gelangte zum Schlosse von Dschuder Ben Omar; der bewillkommte sie und liess ihnen Speisen und Kaffee vorsetzen. Dann wandte sich der Sultan an Dschuder Ben Omar und sprach zu ihm: »Was bedeutet das? Ich schicke nach dir, und du kommst nicht zu mir?« Dschuder erwiderte ihm: »Verzeih mir! Ich war unwohl und noch müde von der Reise.« Der Sultan sprach jetzt zu Dschuder: »Sprich du nichts, was eine Missstimmung erregen könnte, und ich will es auch nicht thun; lass es uns so halten: du seiest mein Sohn und ich sei dein Vater, ich gebe dir meine Tochter zur Frau, und du wirst Wesir zu meiner Rechten; und wenn sich mein Auge geschlossen, dann gehöre der Thron dir!« Dschuder entgegnete: »Gott befohlen!« Beide legten ihre Hände auf die erste Sure des Koran und lasen dieselbe. Hierauf sprach Dschuder: »Ich wünsche heute Nacht noch Bräutigam zu sein; denn auch die Könige haben in letzter Zeit Betrügereien begangen!« Der Sultan erwiderte: »Ich gebe dir mein heiliges Versprechen, dass ich dich nicht betrügen werde.« So feierte denn Dschuder noch an diesem Tage seine Hochzeit und verlebte seine Brautnacht. Er begab sich zu der Braut; sie bewillkommte ihn, und er sie; er blieb bei ihr sieben Tage.

Einst zog er die Zaubertafel hervor und sprach: »Meine Tochter, verwahre diese Tafel sicher!« Ferner bedeutete er sie auch in betreff seiner Mutter und erklärte ihr: »Meine Mutter ist eine alte Frau, suche du ihr Herz zu gewinnen!« – Seine Brüder sahen sich einst an und sprachen zu einander: »Unser Bruder Dschuder ist hochangesehen in seiner Stellung, und sein Wort hat grössere Macht als das unsrige: lass uns ihn töten!« Der zweite Bruder entgegnete: »Nein, töten wollen wir ihn nicht, aber ihn mit Gewalt nach einem andern Lande befördern.« In dieser Absicht kamen sie zu ihrem Bruder und sprachen zu ihm: »Lieber Bruder, wir wollen heute zusammen zu Mittag speisen!« Er folgte der Einladung, und man brachte das Mittagessen. Da wurde er durch sie mittels eines Schlaftrunkes betäubt; sie steckten ihn in eine Kiste, begaben sich zu einem Schiffskapitän und fragten denselben: »Kaufst du uns einen Sklaven ab?« Der Kapitän entgegnete: »Ja.« Er kaufte ihnen Dschuder ab. Sie sagten noch zum[53] Kapitän: »Wecke ihn hier nicht aus seinem Schlafe auf, wecke ihn bei deiner Ankunft in irgend einer anderen Stadt auf!« Als jener nun nach einer anderen Stadt kam, da öffnete er die Kiste, in der sich Dschuder befand. Dschuder musste niesen, wachte aus seinem Schlafe auf und sprach zum Kapitän: »In wessen Gegenwart befinde ich mich jetzt?« Jener entgegnete: »In der Gegenwart von mir, dem Kapitän!« Dschuder fragte: »Was hat mich zu dir gebracht?« Der Kapitän entgegnete: »Zwei Menschen brachten dich, die haben dich an mich verkauft, und ich habe dich gekauft.« Dschuder erwiderte: »Gott befohlen!« Der Kapitän begann wieder: »Wohlan, mein Junge, arbeite mit den übrigen Matrosen!« Hiermit gab er Dschuder einen Anzug für den Seedienst, eine Lederjacke und eine Lederhose. So blieb Dschuder drei Jahre im Dienste bei jenen Seeleuten.

Als die drei Jahre um waren, sprach Dschuder zum Kapitän: »Ich erbitte mir eine Wohlthat von dir: lass mich frei, damit ich nach Mekka pilgern kann!« Jener entgegnete ihm: »Ich will dir die Pilgerfahrt nicht verwehren; gut, geh hin und pilgere!« Er gab Dschuder ein Stück Geld und einen Freibrief und sprach zu, ihm: »Wohlan, zieh hin, mein Junge, du bist ein freier Mann!« Dschuder ritt von Dschidda nach Mekka. Als er in Mekka umherwanderte, erblickte er einen Marokkaner; der Marokkaner war aber derjenige, der durch seine Beihilfe den Schatz gehoben hatte. Der selbe sah ihn an und sprach zu ihm: »Kennst du mich nicht?« Dschuder entgegnete ihm: »Wer bist du?« Jener entgegnete: »Ich bin ja der Marokkaner, dem du gütigst beistandest, und der dir auch Gutes erzeigte. Was ist dir aber geschehen?« Dschuder entgegnete: »Meine Geschichte ist folgende: ich schlug meine Augen auf, da befand ich mich mitten auf dem Meere; meine Brüder hatten treulos an mir gehandelt und mich in die Sklaverei verkauft!« »Du hattest aber doch die Zaubertafel?« sprach der Marokkaner. Dschuder erwiderte: »Die hatte ich bei meiner Gemahlin gelassen; hätte ich sie bei mir gehabt, so würden sie meine Brüder entwendet haben.« Der Marokkaner zog einen Ring hervor und sprach: »Dieser Ring hier ist noch besser als die Zaubertafel; denn auf ihm steht der Name eines gewaltigen Geisterkönigs; er ist besser als die Zaubertafel und überhaupt als alles dieser Art!« Damit übergab ihm der Marokkaner den Ring.

Als Dschuder seine Wallfahrt in der gehörigen Weise beendet[54] hatte, drehte er den Ring am Finger um; sofort erschien ihm der Geisterkönig, der sprach zu ihm: »Verlange, mein Herr, was du begehrst!« Dschuder entgegnete: »Ich wünsche, jetzt mitten in meinem Schlosse in Kairo zu sein.« Der Geisterkönig nahm Dschuder; der schlug seine Augen auf, da befand er sich mitten in seinem Schlosse in Kairo neben seiner Frau. Seine Frau sprang auf und begrüsste ihn; auch die Dienerinnen sprangen auf und riefen: »Herrin, gieb uns eine Belohnung für die frohen Worte: ›Der Herr ist da!‹ Seine Mutter, die Arme, sass da und weinte;« sie sprach: »Mein Sohn, du bist lange von mir fern gewesen!« Er entgegnete: »Frage nicht weiter nach dem, was vorüber ist!« Jene Nacht verbrachte er an der Seite seiner Gemahlin, am folgenden Morgen aber begab er sich zum Sultan. Der Sultan wies ihm seinen alten Platz zur Rechten an. Er hatte die Brüder Dschuders gefragt, die aber hatten erwidert: »Wir wissen nicht, wohin er gereist ist.« Dschuder blieb längere Zeit als (Wesir) bei dem Sultan; dann erkrankte der Sultan, liess die Wesire, Kadis und Muftis zusammenkommen und sprach zu ihnen: »Dieser soll mein Nachfolger sein; wenn ich sterbe, soll dieser an meiner Statt regieren!« Der Sultan starb, und Dschuder übernahm die Regierung und machte seine Brüder zu Wesiren, einen zur Rechten und einen zur Linken.

Die Brüder sahen einst einander an, und es hiess: »Vorher war er Wesir, jetzt ist er gar Sultan geworden; nun müssen wir ihn töten, um selbst Sultane zu werden!« Der eine Bruder sprach: »Weisst du auch, wodurch er Sultan geworden ist? Der Zauber liegt in dem Ringe an seinem Finger. Wir wollen ihn einladen, bei uns zu speisen, da thun wir ihm Gift in die Speise!« Der andre Bruder entgegnete: »Recht so!« Sie sprachen also zu Dschuder Ben Omar: »Speise doch bei uns, du thust uns einen Gefallen!« Er entgegnete: »Nein, ich kann nicht kommen!« Er hatte Angst noch von dem ersten Male her, als sie ihn durch einen Schlaftrunk betäubt hatten. Die Brüder sprachen zu ihm: »Gott sei Zeuge, wir werden dir kein Leid anthun!« Er entgegnete: »Nein, ich kann nicht kommen!« Jene sprachen: »Bei der Milch, die wir an der Brust unsrer Mutter getrunken haben, wir werden dir kein Leid anthun und dir nichts anhaben!« Da folgte er ihrer Einladung und sprach: »Gott befohlen!« Man brachte ihm das Essen und setzte ihm die Schüssel mit dem Gifte vor. Er nahm den ersten Bissen; da sank er lautlos hin! Als er tot war, sprang sofort sein[55] älterer Bruder auf, zog ihm den Ring vom Finger ab, steckte ihn sich selbst an und drehte ihn um. Es erschien ihm der Geisterkönig, der sprach zu ihm: »Verlange, Herr, was du begehrst!« Er entgegnete: »Mein Herr, töte hier diesen meinen Bruder sofort!« Er tötete den jüngeren Bruder sofort. Der ältere Bruder befahl nun, man solle Dschuder Ben Omar wegschaffen und ihn begraben. Man nahm den Leichnam und brachte ihn zu seiner Frau; seine Frau, die Ärmste, begann zu jammern, sie und seine Mutter. Man begrub ihn. Die Frau Dschuders aber wandte sich an seine Mutter und sprach: »Habe du keine Sorge und gräme dich nicht: du bist meine Mutter, und ich bin deine Tochter! Du wirst nicht in Dürftigkeit und Armut geraten, du wirst immer bei mir bleiben!«

Jetzt möge sich die Erzählung zu Dschuders Bruder wenden, der diesen und noch den anderen Bruder getötet hatte. Er liess sich auf den Thron des Sultans nieder und drehte den King um; da erschien ihm ein Geisterkönig. Er sprach zu demselben: »Ich wünsche zehn Leute rechts und zehn links mit gezücktem Schwerte.« Die zwanzig erschienen. Der neue Sultan sprach zu denselben: »Wer nicht auf meine Befehle hört, dem schneidet den Kopf ab!« Dann liess er die Bürger und die Wesire kommen. Dieselben leisteten dem Rufe Folge. Er sprach: »Wollt ihr mich zum Sultan haben?« Sie entgegneten: »Jawohl!« –; denn sie fürchteten sich, als sie zwanzig Leute mit gezückten Schwertern sahen. Der Sultan regierte bereits eine Woche über die Stadt; die Stadt war aber seiner Bosheiten überdrüssig: er vergewaltigte Mädchen und Frauen!

Einst berief er den Kadi zu sich und sprach zu ihm: »Ich wünsche, dass du für mich bei der Gemahlin meines Bruders wirbst; ich will sie zur Frau,« Der Kadi entgegnete: »Jawohl, Gott befohlen!« Er begab sich zu ihr und klopfte an die Thüre. Der Thürsteher rief: »Wer ist's?« Er entgegnete: »Sag deiner Herrin, der Kadi sei gekommen!« Die Gemahlin Dschuders sprach: »Lass ihn heraufkommen!« Der Kadi stieg in die oberen Gemächer, und sie verbarg sich auf der einen Seite des Saales, damit er sie nicht sehen könnte. Der Kadi begann: »Meine Tochter, was sagst du hierzu? Denke, da hat mich der neue Sultan, der weder Gott noch die Menschen scheut, zu dir mit einem Heiratsantrage gesandt!« Jene sann eine kurze Zeit nach; dann fragte sie den Kadi: »Wie ist seine Regierungsweise?« Der Kadi entgegnete: »Was soll ich dir über die Weise seiner Regierung berichten? Die gefällt weder[56] Gott noch den Menschen! Die Stadt hat er zu Grunde gerichtet mit seinen Bosheiten!« Nach einer Weile sprach sie zum Kadi: »Nun, ich werde ihn nehmen, ich werde ihn heiraten! Du aber geh jetzt zu ihm und sage ihm von mir die Worte: ›Dein Bruder ist nicht gestorben, denn du bist ihm gleich!‹« Dann wandte sie sich nochmals an den Kadi und sprach zu ihm: »Folgende Worte aber unter uns!« Der Kadi fiel ihr ins Wort: »Du wirst's also mit ihm ausführen?« Sie entgegnete: »Ich werde es mit ihm ausführen; nicht diese Nacht werde ich ihn mit mir ganz durchleben lassen!« Der Kadi begab sich wieder zum neuen Sultan. Der fragte gleich: »Was ist die Antwort?« Er entgegnete: »Deine Angelegenheit ist in Ordnung.« Darauf liess ihr der Sultan sagen: »Heute Nacht soll die Hochzeit sein!« Sie entgegnete: »Gott befohlen!« Sie machte sich fix und fertig, färbte sich mit Henna, ging ins Bad und legte kostbare Kleidung an, damit er sich an ihr erfreue. Dann liess sie jenem melden: »Komm in meinen Palast; ich bin bereit, dich zu empfangen!« Sie empfing ihn und sprach zu ihm: »Segen hat uns aufgesucht! Nimm Platz!« Nun setzte sie ihm Kaffee vor und Speisen und sprach: »Lass uns essen!« Er nahm den ersten Bissen; da sank er lautlos hin!

Sie stürzte sich schnell auf den Ring und befahl den Wesiren »Nehmt jenen Toten weg, werft ihn irgendwohin!« Dann berief sie die Bürger zu sich. Diese kamen. Sie sprach zu denselben: »Derjenige, der über euch in so nichtswürdiger Weise regierte, ist nun tot!« Man antwortete ihr: »Du sollst Königin werden, an der Stelle deines Vaters und deines Gemahls sollst du regieren!« Doch sie entgegnete jenen: »Die Religion gestattet es nicht, dass eine Frau über Männer regiere. Sehet ihr zu; wer für euch taugt, den macht zum Sultan!« Jene setzten nun einen Sultan, wie sie ihn begehrten, ein und wählten dazu einen guten Menschen. Den machte man zum Sultan; sie aber bestimmte für sich einen gewissen Jahresgehalt, der ihr bis zu ihrem Tode gezahlt werden sollte. Man lobte und pries sie und sprach: »Gott segne dich! Die ganze Stadt ist dein Eigentum!«

Quelle:
Stumme, Hans: Tunisische Märchen und Gedichte. Leipzig: Hinrich: 1893, S. 39-57.
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