8. Die Hündin.

[109] Eines Tages ging Abu Nowas in der Stadt Bagdad spazieren; da erblickte er ein Haus, über dessen Thüre geschrieben stand: »Iss und trink hier, sei lustig und froh, frag' aber nicht nach dem, was geschieht!« Herr Abu Nowas begab sich hierauf in dieses Haus und dachte: »Ich will hinaufgehen und sehen, was es giebt!« Er ging hinauf ins Haus. Der Besitzer der Wohnung bewillkommte ihn; dann nahm Abu Nowas auf einem Stuhle Platz: er erblickte eine kleine Bühne für die Musik, sah Musikinstrumente und Sklavinnen, Lauten, lange und kurze Geigen und ein Schlagklavier. Ferner erblickte Abu Nowas auch eine kleine Hündin, die goldnen Schmuck an sich trug, und deren Halsband aus Gold war; diese Hündin sass am Ehrenplatze auf den Stühlen. Man reichte Abu Nowas ein Glas und dann noch eines, und er trank. Dann spielte die Musik. Hierauf befahl der Herr des Hauses: »Bringt jenes Weib her!« Da brachte man ein Mädchen herein, das gefesselt, und dessen Haupt unverschleiert war. Die legte man mitten in den Gang hin, und wer an ihr vorüberkam, der versetzte ihr einen Schlag in den Nacken; alle schlugen sie. Da blickte Abu Nowas auf und fragte: »Was hat dies Weib gethan?« Der Besitzer des Hauses versetzte hierauf so fort: »Nehmt ihn fest!« Man nahm Abu Nowas fest und gab ihm zweihundert Hiebe. Dann stand Abu Nowas auf, seiner Unthat quitt, und ging nach Hause. Er pflegte seine Wunden zwei oder drei Tage. Als er wieder genesen war, da dachte er bei sich: »Wenn ich nicht den Sultan und Dschafar auch hineinfallen lasse, will ich nicht Abu Nowas sein!«

Als eines Tages die Sitzung aus war, und Dschafar (der Wesir) nach Hause wollte, begleitete ihn Abu Nowas und sprach: »Wir wollen einmal hier vorbei gehen!« Hierauf führte er Dschafar absichtlich nach jenem Hause. Beide betrachteten die Inschrift über der Hausthür und lasen sie. Als sie dieselbe gelesen, fragte Dschafar seinen Begleiter: »Was besagt wohl diese Schrift?« Abu Nowas erwiderte: »Was fragst du viel? Du hast es ja gelesen und weisst nun, was dasteht!« Dschafar und Abu Nowas begaben sich nun hinauf in das Haus. Der Besitzer des Hauses bewillkommte sie. Man brachte ihnen Kaffee und andre Getränke; sie tranken und wurden lustig und heiter. Dschafar blickte auf und sah jene Hündin am Ehrenorte;[110] dagegen wurde jenes Mädchen hin auf den Boden geworfen: jeder, der kam oder ging, versetzte ihr einen Stoss! Da wandte sich Dschafar an den Besitzer des Hauses und sprach zu ihm: »Was hat dies arme Geschöpf verbrochen?« Der Angeredete rief: »Steht mir niemand bei?« Sofort nahm man Dschafar fest und gab ihm zweihundert Hiebe wie Abu Nowas, kurz, man zerklopfte ihm sein Fleisch tüchtig. Hierauf ging er fort und schüttelte den Staub des Todes von sich. Als er hinaus auf die Strasse kam, sprach er: »Warum, Abu Nowas, bringst du mich hierher, um Prügel zu bekommen? Was habe ich dir gethan?« Abu Nowas entgegnete: »Neugier und Todesstrafe ist ziemlich dasselbe! Hättest du,« fuhr er fort, »nicht gefragt, so hättest du nicht den Stock bekommen! Warum soll ich denn allein Prügel erhalten, solltest du nicht auch so welche bekommen dürfen wie ich? Heute Nacht aber wollen wir den Sultan Arraschid mitnehmen und ihm auch Prügel zur Gesellschaft zu kosten geben!«

Beide begaben sich hierauf heim zum Sultan. Sie forderten ihn auf: »Mein Herr, lass uns ein wenig spazieren gehen!« Der Sultan machte sich unkenntlich und zog andre Kleider an, als er gewöhnlich trug. Dann kam man an jene Hausthür, blickte auf und bemerkte die Inschrift. Der Fürst redete Dschafar an und fragte ihn: »Was ist das für eine Inschrift?« Der antwortete: »Sie ist so, wie sie ist; sie sagt ja selbst Bescheid.« Nun stieg man hinauf ins Haus. Als der Besitzer des Hauses den Sultan erblickte, erkannte er ihn; er stand auf und begrüsste ihn als seinen Sultan; dann wies er ihm einen schönen Platz an. Hierauf nahmen beide Platz. Bald wurde das Glas herumgereicht, und die Saiten ertönten. Da erblickte der Sultan jene Hündin an ihrem Ehrenplatze, während man dem Mädchen Stösse und Schläge versetzte. Der Sultan konnte seine Neugierde nicht bemeistern und fragte den Besitzer des Hauses: »Was hat dies Geschöpf gethan, dass man sie so stösst und schlägt?« Da entgegnete jener: »Du bist als der Beherrscher der Rechtgläubigen zu mir gekommen, und ich kann dich nicht mit dem Stocke peinigen wie deine Gefährten; vielmehr sei Gott gedankt, der dich hierhergebracht! Ich konnte nicht nach dem Gerichtssaale kommen und meine Klage bei dir vorbringen und mein Geheimnis dem Gespötte der Leute preisgeben!«

»Diese,« so begann der Besitzer des Hauses zu erzählen, »ist die Tochter meines Vaterbruders, und wir sind aufgewachsen, ich[111] und sie, in einem Hause von Kindheit an. Ich heiratete sie, und alle Wünsche wurden ihr erfüllt: meine ganze Habe wurde für sie verausgabt. Eines Tages sass ich in meinem Laden und musste plötzlich nach Hause; ich betrat mein Haus; da fand ich einen Neger in ihren Armen ruhen! Ich griff ihn an, doch er leistete mir Widerstand. Ich warf ihn zu Boden und wollte ihn binden; da kam sie herbei, stürzte den Neger auf mich, und dann ergriffen mich die beiden und fesselten mich und begannen in meiner Gegenwart sich zu vergnügen, während ich gefesselt war. So sah ich ihnen zu, bis sie schliesslich trunken wurden und auf das Lager hinsanken. Da kam diese Hündin hier herbei, die ich mit Ehren überhäufe, und begann an meinen Banden zu nagen, bis sich schliesslich die Fesseln lösten, und ich frei wurde. Sofort ergriff ich den Neger und erstach ihn; dieses Weib aber legte ich in Ketten und peinige sie nun täglich. Heute hat dich Gott zu mir hergebracht! Du hast sie gesehen: nun urteile du über uns!« Da blickte Harun Arraschid auf und befahl: »Dies Weib soll gesteinigt werden!«

Quelle:
Stumme, Hans: Tunisische Märchen und Gedichte. Leipzig: Hinrich: 1893, S. 109-112.
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