8. Ausläufer der dualistischen Schöpfungssagen.

[196] Eine Anzahl Sagen berichtet ohne ausgesprochene dualistische Tendenz von Teufelsgeschöpfen. Daß sie gleichwohl zu dem großen Sagenkreise gehören, der hier in den Hauptzügen vorgeführt worden ist, möge die Sage vom Pfau zeigen. Wir wissen, daß Elisaeus Vartabed allerlei über Ormuzd und Ahriman berichtet (oben S. 10 ff.). Er sagt auch folgendes: »Man erzählt sich von Ahriman, daß er einmal gesagt habe: ›Nicht weil ich nicht kann, sondern weil ich nicht will, schaffe ich nichts Gutes.‹ Und um die Wahrheit seines Ausspruches zu beweisen, schuf er den schönsten der Vögel, den Pfau

Wie man sieht, ist diese Schöpfung rein dualistisch gedacht. In den Volkssagen indessen, die ich im folgenden anzuführen habe, ist der alte Zusammenhang vergessen. Und so sind auch die übrigen Sagen, die ohne dualistischen Hinweis von Teufelsschöpfungen berichten, als Ausläufer des im letzten Grunde iranischen Sagenkreises anzusehen.


1. Der Pfau.

Vom Pfau erzählt man in Ungarn:


Der Teufel hat außer dem Pfau keinen andern Vogel. Denn dieser hat dem Teufel sein Fleisch verkauft und auch seine Füße, damit er schöne Federn erhalte; er hat nun auch kein Fleisch, nur Haut und Knochen. Damit er nicht übermütig würde, bekam er häßliche Füße. Der Pfau getraut sich nicht, seine Füße anzublicken, denn wenn er sie ansähe, würde er krepieren.


  • Literatur: Wlislocki, Volksgl. u. relig. Brauch der Magyaren, S. 111 = Kálmány, Vil. al. ny., S. 47. Vgl. Weil, S. 20. Dazu Kap. 5, Sündenfall, S. 206 f.

[196] Eine kleinrussische Sage lautet:


Die Pfaue sind Verwandlungen des Teufels. Man erzählt sich, daß einst am Vorabend von Mariä Verkündigung der junge Teufel und die Teufelin beschlossen, einander in alle möglichen Farben möglichst prächtig zu verkleiden. Der Teufelin gelang ihr Vorhaben, indem sie den Teufel überall, wo nur möglich, mit verschiedenartigen Blumen schmückte; der Teufel hatte aber bloß Zeit, seiner Frau ein einziges Blümlein an den Kopf zu stecken, als die Hähne krähten. So blieben sie in derselben Gestalt, zu Pfauen geworden, da nach dem Volksglauben die Teufel bloß bis zum ersten Hahnenschrei Macht haben.


  • Literatur: Čubinskij, Trudy I, 58. Vgl. Federowski, Lud. biał. I, Nr. 663 u. 664.

Zum Vergleiche dazu stellt sich eine polnische Sage:


Einmal, als der Teufel gerade aufhörte, die Menschen zu quälen, setzte er sich zu seiner Frau, und sie umschmeichelte ihn und fing an, ihn mit schönen Federn zu schmücken. Der Teufel betrachtete sich, war nicht wenig erstaunt über seine Schönheit und verlangte nun auch von seiner Frau, daß sie ähnlich aussehen solle, wie er. Er nahm daher Federn, legte ihr eine nach der andern an und schmückte sie, bis er zu ihrem Halse kam. Da krähte der Hahn, und der Teufel behielt die Gestalt des Pfaues, seine noch nicht fertig geschmückte Frau blieb Pfauin.


  • Literatur: Zbiór wiad. do antrop. kraj. V, 152 f., Nr. 51.

In andern Varianten fehlt die Beziehung auf den Teufel:


a) Der Pfau und die Pfauin sind ein Prinz und eine Prinzessin, welche sich zur Hochzeit ankleideten. Der Bräutigam wurde fertig mit Ankleiden, die Braut aber nicht, als der Koldun sie in Vögel verwandelte.


  • Literatur: Var.: Die Pfauin kleidete den Pfau an. Als sie sich selbst erst ein Büschel Federn auf den Kopf gesteckt hatte, krähte der Hahn, und so blieb sie.
    Dragomanov, S. 6, Nr. 14. Kleinrussisch.

b) Die Pfauin putzte den Pfau zum Ostersonntag und kam nicht dazu, sich selbst anzukleiden. Daher ist der Pfau ganz bunt, während bei der Pfauin nur der Kopf bunt ist.


  • Literatur: Etnogr. Sbornik XI, Abt. 1, S. 124. Russisch.

2. Die Fledermaus.

a) Der Teufel ließ einige Mäuse an den Leib des Herrn heran und befahl ihnen, die Altarkerzen zu zernagen. Mit den Kerzen wurden sie fertig, aber die Osterkerze1 konnten sie nicht durchbeißen, denn sie fiel mit großem Geräusch um. Da kamen die Priester, aber sie konnten den Schädlingen nicht beikommen, denn der Teufel gab ihnen Flügel zur Flucht. Zur Strafe beließ Gott diesen Mäusen die Satansflügel und nannte sie Fledermäuse.


  • Literatur: Polnisch. Zbiór wiadom. do antrop. kraj., V, 150. Rumänisch. Archiva diu Jasi VIII, 1897, vgl. Federowski, Lud. biał. I, 689; Čubinskij, Trudy I, 55.

Parallele: Die Eule frißt, was herunterfällt, als Christus das Abendmahl austeilt; es wachsen ihr Flügel, und sie wird zum Nachtvogel.


  • Literatur: Strauß, Die Bulgaren S. 72 f.

[197] b) Die Fledermaus war erst eine wirkliche Maus; aber einmal fraß sie die Hostie in einer Kirche auf, bekam Flügel und flog davon. Gott aber bestrafte sie für ihre Sünde, nahm ihr am Tage das Augenlicht und ließ es ihr nur des Nachts. Und außerdem verurteilte er sie dazu, immer an einsamen Stätten und in Ruinen zu leben.


  • Literatur: Aus Mazedonien. Politis, Nr. 337.

c) Als der oberste Teufel oder Teufelskönig noch jung war, verfolgte er nur die Männer, den Weibern aber tat er nichts zuleide, denn er hatte die Frauenzimmer gar lieb. Allnächtlich wanderte er in der Welt herum und stiftete nichts Böses an, sondern küßte nur die schlafenden Weiber. Darüber ärgerte sich seine Großmutter gar sehr und machte ihm Vorwürfe. Aber nichts half; der Teufelskönig trieb seine Liebeleien fort. Da fraß einmal seine Großmutter eine Maus und schmierte dann dem schlafenden Teufelskönig Unrat auf die Lippen. Als dieser nun bei Gelegenheit ein schlafendes Weib küßte, so entstand aus diesem Kusse die erste Fledermaus.


  • Literatur: v. Wlislocki, Aus dem inneren Leben der Zigeuner, Berlin 1892, S. 115.

3. Die Eidechse.

Ein junges Mädchen verschwor sich, um ihrer Putzsucht genügen zu können, dem Teufel und gebar ihm Eidechsen, ein Männchen und ein Weibchen. Von diesen stammen alle Eidechsen ab.


  • Literatur: Wolf, Deutsche Märchen u. Sagen, 1845, S. 562. (Belgisch.) Im Iranischen ist die Eidechse ein Tier Ahrimans.

4. Die Elster.

Die Elster ist vom Teufel geschaffen; sie dient ihm als Roß. Deshalb hängt man eine getötete Elster im Stalle auf, damit sie die Pferde vor dem Teufel beschütze.


  • Literatur: Čubinskij, Trudy I, S. 62. Russisch.
    Vgl. hierzu: Die Elstern mausern sich im Sommer und werden kahl am Hals; dann sagen die Leute, daß sie auf dem Blakulli, welcher dieselbe Bedeutung wie der Blocksberg hat, gewesen seien und dem Teufel geholfen hätten, sein Heu hereinzubekommen, und daß das Joch die Federn abgerieben habe. Aus Schweden. Thorpe, Mythology II, 84 = Swainson, Folklore of British Birds, S. 76.

5. Die Sperlinge.

Am Tage der heiligen Apostel Simon und Judä zeigen sich die Sperlinge gar nicht auf den Feldern. Denn an diesem Tage fängt der Teufel diese Vögel in ein ungeheuer großes Viertelmaß und schüttet sie in die Hölle. Was aber nach dem Abstreichen des Maßes an Vögeln übrig bleibt, das läßt er frei in die Welt fliegen.


  • Literatur: Polnisch. Russisch. Siarkowski, Zbiór wiad. do antrop. kraj. VII, S. 115, Nr. 27 = Čubinskij, Trudy I, 59–60 = Dragomanov, S. 9, Nr. 28.

Parallele:


Vor dem Margaretentage ist keine Fliege im Hause zu finden; an diesem Tage aber geht die heilige Margarete herum und läßt aus ihrer Schürze in jede[198] Küche eine Schar Fliegen hineinschwärmen. Deshalb soll man an diesem Tage die Türen nicht offen halten.


  • Literatur: Kálmány, Ethnogr. Mitt. aus Ungarn, II, S. 6.

6. Libellula depressa L. (Wasserjungfer).

Der Teufel rief einem Bauer, der über den See fuhr, zu, er solle ihn mitnehmen. Der Bauer fing an zu wimmern. Da der Teufel diese Töne nicht vertragen konnte, verwandelte er sich in eine Biene. Da aber sein Schwanz ziemlich lang war, wurde auch der Körper länger als bei der Biene; aus seinen Hörnern wurden die langen Flügel. So konnte der Teufel über den See fliegen. Seitdem ist dieses Tier auf der Erde geblieben (es heißt rumänisch: calul dracului = Pferd des Teufels).


  • Literatur: Marianu, Insectele 560.

7. Die Morcheln.

Der Teufel war einmal übler Laune. Da begegnete ihm ein altes Weib; er packte es und schnitt es in lauter Stücke und streute diese im Walde umher. Wo ein Stück hingefallen war, wuchs eine Morchel empor. Deshalb wird noch heute ein altes Weib eine Morchel genannt.


  • Literatur: Mitt. d. Schles. Ges. f. Volksk., Heft II, 42.

8. Der Altweibersommer.

Der Altweibersommer ist nach Saalebi's »Buche der Stützen des sich Beziehenden und dessen, worauf es sich bezieht« nichts anderes als Teufelsspeichel.2


  • Literatur: Arabisch. Zeitschr. d. deutschen morgenl. Gesellsch. V, S. 186, Nr. 81.

9. Die Eier des Haifischs.

Die Eier des Haifischs sollen aus dem Schaume des Mundes des zornigen Teufels entstanden sein. Man nennt sie die Teufel, weil sie in eine Art Hörner endigen.


  • Literatur: Sébillot, Folklore de France III, 345 = Desaivre, croyances 29.

10. Die Drachenwurz.

Eine leise Hindeutung auf den dualistischen Sagenkreis zeigt folgende estnische Sage:

Die Drachenwurz (Calla palustris L.) hatte Gott als Surrogat des Brotes geschaffen, und ein Fauler lebte einmal davon allein. Da kam der Teufel zu ihm und sagte: »Du magst nicht arbeiten und gesellst dich auch nicht zu mir, wovon nährst du dich denn?« »Von dem, was hier ist,«[199] war die Antwort. Da setzte sich der Teufel auf den gesammelten Vorrat, und seitdem ist die Wurzel scharf und giftig geworden. Der Mann aber gesellte sich doch nicht zu ihm, sondern fing an zu arbeiten.


  • Literatur: Wiedemann, Aus d. inn. u. äuß. Leben d. Ehsten, S. 447.

11. Holunder und Seidelbast.

Endlich sind zwei Bäume zu nennen, die sich in der neutestamentlichen Sage noch einmal zeigen werden:


a) Der Holunder ist Erzeugnis des Teufels: ihn hat der Böse gepflanzt und sitzt nun beständig unter ihm, deshalb wird dieser nie mit der Wurzel herausgegraben, um den Teufel nicht zu reizen, sondern man läßt ihn wachsen, wo er sich nur befindet. Der Holunder wird als verfluchter Teufelsbaum bezeichnet, weil sich an ihm der Verräter des Heilands, Judas, erhängte. Den Holunder darf man weder abhauen noch ausgraben, um über sich kein Unglück zu bringen.

Erst hatte der Holunder keine Beeren, als man aber an ihm die heilige Märtyrerin Barbara aufhängte und sie mit eisernen Schabern schabte, da begann der Holunder Beeren hervorzubringen.


  • Literatur: Russisch: Čubinskij, Trudy I, 77.

b) Der Seidelbast ist des Teufels Strauch und darf nicht verbrannt werden, sonst fängt der Teufel an, das Haus anzuzünden und ihm Schaden zuzufügen. Den Pferden, welche ihre Stricke zerreißen, dreht man welche aus dem Bast des Seidelbastes.


  • Literatur: Wiedemann, Aus d. inn. u. äuß. Leben d. Ehsten, S. 446.

Fußnoten

1 Die große Kerze hinter dem Altar zur Zeit des Auferstehungsfestes.


2 Vielleicht ist der sog. Kuckucksspeichel auch ursprünglich Teufelsspeichel.


Quelle:
Dähnhardt, Oskar: Natursagen. Eine Samlung naturdeutender Sagen, Märchen, Fabeln und Legenden, 4 Bände, Leipzig/Berlin, 1907-1912, S. 200.
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