5. Einzelne Sagen

[214] a) Die Sage von Evas Teig.

Sobald Eva den Apfel gegessen hatte, stellte sie sich gleichgültig, damit Gott sie nicht bemerken sollte, und tat, als ob sie backe. Als sie[214] aber von Gott verflucht und mit ihrem Manne aus dem Paradies vertrieben worden war, verfluchte Gott auch den Teig, den sie in ihren Händen hielt, und sprach, indem er ihn zu Boden warf: »Felsen und Steine sollen daraus entstehen!« Und so geschah es.


  • Literatur: Aus Akarnanien. Politis, Μελέται Nr. 283.

b) Die Unebenheit der Fußsohle.

Die ersten Menschen waren so stark, daß sie in den Steinen, auf die sie traten, eine Spur hinterließen. Nach dem Sündenfall war es umgekehrt. Die Steine drückten sich in den Fuß, und davon ist die Sohle uneben.


  • Literatur: Aus der Ukraine. Veselovskij, S. 82 = Kievljanin 1866, Nr. 4.

c) Die Myrte.

Die Myrte stammt nach einer arabischen Legende aus dem Paradiese. Als Adam von der verbotenen Frucht gegessen hatte und aus dem lieblichen Garten vertrieben wurde, beschloß er, ein kleines Andenken auf die freudlose Erde mitzunehmen. Er brach eine überirdisch duftende Myrte ab, sie sollte ihm auch fernerhin grünen und duften und ihn an die glückliche Stätte erinnern, zu der er nimmer wiederkehren durfte.

So ward die Myrte der Liebling der Menschen und ist noch heute das Sinnbild der Hoffnung eines paradiesischen Glückes auf Erden.


  • Literatur: Warnke S. 86 f.

d) Die Biene.

Die Biene ist uns aus dem verlorenen Paradiese übriggeblieben – das einzige Tier, das wir daraus überkommen haben. Mit Gottes Segen hat sie es um der Menschen Sünde willen verlassen und sammelt das Wachs, ohne das die Messe nicht gesungen werden kann.1


  • Literatur: Grimm, Mythologie4 755 (aus Wales). H. Leo, Die malbergische Glosse. 1. Heft S. 119 (1842). Leoprechting, Aus dem Lechrain (1855) S. 80. Vgl. Cibele, Zoologia popolare Veneta p. 5. »Die Bienen sind im Volksglauben von Gott gesegnete Tiere, weil sie die Altäre mit Wachs versorgen.« Hierzu sagt mir die alte Libera Isoton aus Mel (Dörfchen im Gebiet von Belluno), eine beinahe Analphabetin, 80jährige Gemüsehändlerin, Tochter eines Zauberers, die lateinisch spricht und heilige Bücher zitiert, folgendes: »In dem fons Sanctorum, Quelle der Heiligen, steht so geschrieben: Der Herr gab der Biene den Befehl und sagte ihr: Biene, du wirst die Erleuchtung unserer Altäre besorgen müssen! Bei dem Befehl erschrak die Biene gewaltig und bewahrt seitdem bis heute jenes Geräusch: ›u, u, u‹, das nie aufhören wird bis ans Ende der Welt.«

e) Das Ungeziefer.

1. Als Adam und Eva noch im Paradiese waren, war die Laus noch gar nicht geschaffen. Erst als sie es nach dem Sündenfalle verlassen hatten[215] und im Schweiße ihres Angesichts ihr tägliches Brot verdienen mußten, erwuchs in dem Wuzel der schwitzenden Haut das Malefiztier.


  • Literatur: Leoprechting, Aus dem Lechrain, 1855, S. 80.

2. Bereschit Rabba, Par. V, cap. I, v. 11 (Wünsche S. 21) erklärt Gen. III, 17: Verflucht sei die Erde um deinetwillen, »d.h. sie bringe verfluchte (schädliche) Wesen hervor, wie Mücken, Flöhe und Fliegen«.

Fußnoten

1 Vgl. C.M. Blaas, Die Biene in der dtsch. Volkssitte und -Meinung S. 2 (Jahresber. des n.-ö. Landes-Realgymn. Stockeran 1883): Im Böhmerwald hält man die Bienen schon deshalb für heilige Tiere, weil sie das Wachs zu den Kirchenkerzen sammeln. Denn nach katholischem Ritus muß während der Feier einer gottesdienstlichen Handlung auf den Altären der Kirchen zu beiden Seiten des Kruzifixes wenigstens je eine Kerze aus reinem Bienenwachs, welches den jungfräulichen Leib des Herrn sinnbildet, brennen.


Quelle:
Dähnhardt, Oskar: Natursagen. Eine Samlung naturdeutender Sagen, Märchen, Fabeln und Legenden, 4 Bände, Leipzig/Berlin, 1907-1912, S. 216.
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