B. Verwandlung in Säugetiere.

[446] 1. Estnische Sage.


Einem ebengeborenen Knaben ward das Zauberwort: »Alles, was du sagst, soll geschehen!« in die Wiege gelegt. Das hörte eine Gefährtin und Hochzeitssängerin der jungen Mutter, und es gelüstete sie, den Knaben mit dem Zauberspruch zu besitzen. Sie nahm der schwerkranken, besinnungslosen Mutter das Kind fort, holte aus dem Walde Rabenjunge, die sie in Stücke riß und auf das Bett der Wöchnerin legte; und damit es aussehen sollte, als hätte die Mutter im Fieberwahn selbst das Kind aufgegessen, machte sie der Kranken den Mund blutig. – Nachdem das Weib längere Zeit mit dem Knaben herumgewandert und seine Zauberkraft ausgebeutet hatte, geschah es, daß der Knabe zufällig hörte, wie das Weib einer Freundin die Geschichte des Kindes erzählte. Zur Strafe sagte der Knabe zum Weibe: »Hundestreiche hast du getan, und zum Hunde sollst du werden,« worauf diese sich in einen Hund verwandelte und so der erste Hund entstand. Heimkehrend heilte der Knabe seine Mutter vom Wahnsinn und lebte mit seinen Eltern in Glück und Freude. (Aus Fennern, Wändra.)


  • Literatur: Aus dem hdschr. Nachlaß von J. Hurt.

2. Rumänische Sage.


Eine alte Frau wurde im Wald von Räubern gefangen genommen und sollte sterben, da ihr Sohn die Bande einst verraten hatte. Da sie flehentlich um Schonung bat, führte sie der Hauptmann in eine Gegend, wo sie verhungern sollte. Mit Hilfe einer Ziege kam sie wieder in menschliche Gegenden und bat eine Frau, namens Kata, um Wasser. Diese aber haßte alle alten Weiber, wegen ihrer bösen Schwiegermutter, und versagte ihr das Gewünschte. Da bat die Alte Gott, Kata in ein Tier zu verwandeln. So geschah's, und nach der Frau heißt das Tier Katze.


  • Literatur: Papahagi, Basme Aromâne, S. 21.

3. Aus Annam.


Nach einem annamitischen Märchen wurden ein reicher Mann und seine Frau in Affen verwandelt, weil sie ihre Magd schlecht behandelten. Ein Genius hatte das arme Mädchen, das Wasser zum Opfer holen sollte, mit göttlicher Schönheit begabt, Der Mann und die Frau wollten auch Jugend und Schönheit für sich erlangen. Auf Befehl des Genius mußten sie vier große Ziegelsteine rotglühend machen und sich darauf setzen. Sie wurden in Affen verwandelt und flüchteten in den Wald.


  • Literatur: Nach Landes, Contes annamites, S. 128.

4. Aus Afrika.


a) Man erzählt sich, daß der Affe früher ein Mensch gewesen ist, der sich vor der Arbeit scheute und in ein wildes Tier verwandelt wurde. Es heißt, er ging in den Wald, um Beeren und Wurzeln zu essen und sich von In sekten und von kleinen Tieren zu nähren. So erzählten es sich die Leute früher, heute erzählen sie folgendermaßen: Eines Tages stieß dieser Mann sich mit dem Spatel seiner Störstange[446] – la spatule de la boullie – in das Gesäß; dabei wurde er ein wildes Tier, lief auf vier Füßen, und sein Körper, seine Arme und Beine wurden von Pell bedeckt. Soweit wurde er verwandelt, das übrige blieb wie es war, Arme, Beine, Gesicht, die Art, sich zu setzen, all das blieb wie beim Menschen.


  • Literatur: Revue des trad. pop. 10, 37: Jacottet, contes et trad. du Haut du Zambèze.

b) Man sagt, daß der Pavian ein Mann aus dem Volke der Amatusi war. Und bis heute sagen die Amafenen, daß die Paviane aus ihnen hervorgingen. Es heißt, ein Mann jenes Volkes war ein sehr großer Faulpelz. Er hatte zu keinerlei Arbeit Lust; er wollte nur immer essen, während andere dafür arbeiteten. Wenn man ihn aber schalt, über ihn lachte und seiner Faulheit spottete, so ward er zornig. Zuletzt nahm er den Griff seiner Hacke und befestigte ihn hinten, daß er ein Tier werden und seine Nahrung stehlen könne, um die man ihn schalt. Er schlief auf offenem Felde und wurde ein Affe.


  • Literatur: Henry Callaway, Nursery tales of the Zulus, S. 179.
    Ebendort S. 178 die Variante, daß der ganze Stamm der Tusi, welcher zu den Amafenen gehörte, faul und gefräßig war, seinen Wohnort verließ und jeder sich den Stiel einer Radehacke hinten befestigte. Wir wissen keine lange Geschichte darüber, was sie taten, daß sie sich in Paviane verwandeln konnten. Wir wissen nur, daß sie die Stiele so befestigten. Diese wuchsen und wurden Schwänze. Haar zeigte sich auf ihren Leibern, ihre Stirn ward hervorstehend, und so wurden sie Affen. Sie gingen zu den Abhängen, ihre Wohnungen wurden die Felsen. Vgl. ebd. S. 177: Menschen, die viel im Freien lebten, wurden fabelhafte Tiere (Izingogo).

c) Vor langer Zeit lebte ein Stamm Eingeborener am Ufer des Kongoflusses bei Bolobo, der wurde seinen Nachbarn verschuldet. Um den Verfolgungen ihrer zornigen Gläubiger zu entgehen, flohen sie in den Großen Wald. Die Zeit verging, und sie blieben arm und kamen durch das Waldleben ganz herunter. Sie leben noch jetzt im Walde und heißen Bakewa = Menschenaffen. (Vom oberen Kongo.)


  • Literatur: Journ. Brit. Anthr. Inst. 24, 269. Auch an der Loangoküste: Bastian, Exped. a.d. Loangok. 2, 185.

d) Die Akraneger an der Goldküste erzählen, daß, als Nyongmo die Menschen erschuf, die Fetische es ihm nachmachen wollten; aber es kamen nur Halbmenschen oder Affen hervor.


  • Literatur: Globus 65, 133.

e) Ursprünglich war das Land am Zaire von Affen bewohnt, die dorfweise im Wald zerstreut lebten. Da sie aber die Verehrung Gottes (Zambi) vergaßen und ihn sogar schmähten, indem sie unter Emporkehrung ihres Gesäßes Verwünschungen ausstießen, so geriet Gott in Zorn und verwandelte sie in zottige Tiere mit wackeln dem Gange, die jetzt behausungslos in den abgelegenen Teilen des Walddickichts hausen.


  • Literatur: Ad. Bastian, Exped. a.d. Loangoküste 2, 218. Vgl. ebd. S. 185 und S. 223:

f) Die Schimpansen stammen von einem Fetissero, der in den Wald floh und sich mit einer Affin mischte.


g) Der Schimpanse erfreut sich des königlichen Schutzes, sagen die Wanjoro1, und es wäre ein Verbrechen, ihn ohne ausdrücklichen Befehl zu fangen oder zu töten, da er vor alters dem Menschengeschlechte angehörte.


  • Literatur: Casati 2, 37.

[447] h) In Südostafrika bemerkte der Pater Dos Santos schon vor langer Zeit: »Sie sind der Ansicht, daß die Affen einstmals Männer und Frauen gewesen seien, und nennen sie deshalb in ihrer Sprache das erste Volk.«


  • Literatur: Tylor, Anfange der Kultur 1, 370 unter Hinweis auf Dos Santos, Ethiopia Oriental; Evora 1609, pt. I, c. IX. Ferner ist dort verwiesen auf Burton, Footsteps in East Africa p. 274 und Waitz, Anthropologie 2, 178 (Westafrika).

5. Sage der Mbocobis (Südamerika).


Bei dem großen Brande der Wälder kletterten ein Mann und eine Frau auf einen Baum, um Schutz vor der Feuerglut zu suchen, aber das Feuer versengte ihr Ge sicht, und so wurden sie Affen.


  • Literatur: Tylor, Anfänge der Kultur 1, 370 – d' Orbigny, L'Homme Américain 2, 102.

6. Sage der Quiches (Guatemala, Anfang des 18. Jhdts.).


Im Anfange war nur Gott der Schöpfer, die starke Schlange. Die Mütter und Väter waren im Wasser. Er rief sie zur Beratung, und durch ihr bloßes Wort wurde die Erde gebildet, auf dem Wasser schwimmend. Die Tiere vermochten ihren Schöpfer nicht zu loben und seinen Namen nicht auszusprechen; sie wurden daher wieder zerstört und nach mehreren wieder zerschlagenen Mißbildungen der Mensch geschaffen. Diese Menschen aber waren von Holz und ohne Verstand, sie vergaßen ihren Schöpfer. Daher trat eine große Flut und eine allgemeine Empörung der geschaffenen Dinge gegen sie ein, die ihnen den Untergang brachte. Infolge davon wurden sie in die jetzigen Affen verwandelt.


  • Literatur: Waitz 4, 263. Aus der Chronik von Ximenes. Nach Tylor, Anf. d. Kultur 1, 370 ist hierzu die Parallele bei Brasseur, Popol Vuh S. 23, 31 und eine Sage der Pottowatomis bei Schoolcraft, Indian. Tribes 1, 320 zu vergleichen.

7. Aus der Flutsage der Caingang (Argentinien).


Bei der Flut entstand durch Wasserhühner und Enten, die in Körben Sand herbeischleppten, die sie ins Wasser fallen ließen, eine Aufschüttung an der Ostseite des Gebirgsrückens, und auf diese begaben sich nun die Kaingang, welche auf dem trockenen Gipfel Platz gefunden hatten, jene aber, welche, als sie durch Schwimmen sich auf die Serra do mas gerettet, aber keinen freien Platz dort mehr gefunden hatten und so gezwungen waren, in den Baumwipfeln sich zu bergen, verwandelten sich in Cebusäffchen, die Kuruton aber in Brüllaffen.


  • Literatur: Globus 74, 246. Vgl. oben S. 6.

8. Sage der Hindu.


Die Affen (makakus radiatus) waren einst Menschen – Kappuvandlu oder Landleute. Sie gerieten in Schulden, und die Gläubiger überraschten sie eines Tages und verlangten ihr Geld. Erschreckt und unfähig, zu bezahlen, nahmen die Affen ihre gegenwärtige Gestalt an, klemmten die Schwänze ein und flohen in den Dschungel.


  • Literatur: Folklore 11, 218 vgl. dazu Tylor, Anf. d. Kultur 1, 375, und Landweibel von Einsiedeln Jakob Ochsner (1798–1871) berichtet: (in der Zeit zwischen 1862–1871).

9. Aus der Schweiz.


Schon gar oft wurde ich von Leuten, denen ich als Mann von Kenntnis galt, befragt, ob denn die Affen wirklich verwünschte oder verfluchte Menschen seien, wie sie und ihre Voreltern von jeher es immer hörten und glaubten. Auf meine Antwort, daß sie auch eine Tiergattung seien, und nach weiterer Erklärung wollte der alte Glaube doch noch nicht bei allen weichen.


  • Literatur: Schweizerisches Archiv f. Volkskunde VIII, S. 300, wo verwiesen ist auf Lütolf, Sagen S. 349.

[448] 10. Aus Afrika.


a) Der Elefant war früher ein Mensch, er scheute sich vor der Arbeit und wurde in ein großes Tier verwandelt. Seine Vorder- und Hinterbeine, seine Verteidigungswerkzeuge, seine Ohren, all das hat nichts Menschliches mehr. Nur seine Brüste, sein »Finger« (= Rüssel) und sein Mund ähneln dem Menschen. Wenn die Menschen ihr Feld bebauen, kommen die Elefanten, um das Korn zu fressen. Wenn die Menschen es bemerken, stellen sie Wachen bei ihren Feldern auf; wenn die Elefanten kommen, so finden sie die Eigentümer der Felder da. Die sagen zu ihnen: das sind solche, die nicht haben arbeiten wollen und die unsere Nahrung zerstören.


  • Literatur: Revue des trad. pop. 10, p. 37: Jacottet, Contes du Haut Zambèse.

b) Da waren einst zwei Weiber, die wohnten einander gegenüber. Eine von ihnen war reich und die andere arm. Eines Tages kochte sich die Reiche ein gutes Essen von Milch, und die andere kochte sich ein geringes Essen, einen Bohnenbrei. Wie sie sie nun aßen, sahen sie ein altes Weib daherkommen. Das ging zuerst zu der Reichen, bat sie um Speise und sprach: »Gib mir von deinem Milchbrei, Liebe!« – Sie wurde aber arg gescholten, und Speise bekam sie nicht. Nun ging sie zu jener, die das ge ringe Essen hatte, und sprach: »Gib mir ein wenig von deinem Essen, Liebe!« Die Arme gab ihr auch, denn sie sah, wie sehr sie Hunger litt. Die Alte setzte sich nieder und aß. Als sie gesättigt war, stand sie auf und sprach: »Ich gehe jetzt weiter. Doch höre: wenn du nun ein Sausen hörst, so halte dich fest an der Mittelsäule des Hauses und schaue nicht hinaus!« Mit diesen Worten verließ sie das Haus und ging davon. Eine kleine Weile wartete das Weib. Da fühlte sie, wie ein Erdbeben vorüberging, und sie hielt sich an der Mittelsäule fest, wie ihr gesagt war. Als es wieder still geworden war, trat sie hinaus und sah nun, daß ihre Nachbarin, welche der Alten das Essen verweigert hatte, verschwunden war. Ihr Haus, ihre Bananenstauden und alle Bäume auf ihrem Platze waren in die Steppe hinuntergeschleudert worden. Dort verwandelten sich ihre Rinder in Büffel, und ihre Ziegen wurden zu Antilopen und ihre Schafe zu Wildschweinen. Sie selbst aber wurde ein Elefant. Die Arme jedoch hatte nicht den geringsten Schaden davongetragen.

Noch jetzt, wenn einer dem anderen Speise zu geben sich weigert, sagen die andern zu ihm: »Willst du auch mit deinem Hause in die Steppe hinuntergestoßen werden, wie einst jenes Weib?« – Viele Leute dort mögen auch kein Elefantenfleisch essen. »Es ist ein Mensch,« sagen sie, »denn er hat eine Hand wie ein Mensch


  • Literatur: Neun Dschagga-Märchen, erz. von den Missionaren Gutmann und Fokken, hg. von A.v. Lewinski, S. 6 (Lpz. 1905, Lichtstrahlen im dunklen Erdteile, kleine Serie Nr. 3, Verlag der Ev.-luth. Mission).

11. Sage der Aino.


Die Bärengöttin heiratete einen Menschen, darum sind die Bären menschenähnlich.


  • Literatur: Ausführlich im Folklore Journal 6, 11.

12. Sage der Samojeden.


Es wird erzählt, daß der Bär aus der Verbindung einer Frau, die halb Tier, halb Mensch war, mit einem Waldgeist abstamme.


  • Literatur: Potanin, Očerki sěvero-zap. Mongolii IV, 754. Vgl. Revue des trad. pop. 11, 249

[449] 13. Mongolische Sagen.


a) Der Bär war früher ein Chan mit Namen Karabty-chan. Er befahl einem Waisenkind, sich die Fuchskappe Jerlik-chans zu verschaffen. Die Waise fragte: »Wie werde ich sie erlangen?« Karabty-chan antwortete: »Ziehe gegen ihn aus, als ob du Krieg mit ihm führen wolltest; wenn er dann zu dir hinaustritt, so ergreife seine Kappe.«

[Das Waisenkind gehorcht und ruft den Jerlik-chan aus seiner Jurte hervor.] Sein Ruf war gleich den Rufen von hundert Menschen, das Gestampf eines Pferdes war gleich dem Gestampf von hundert Pferden. Jerlik-chan erschrak und sprang hinaus; das Waisenkind ergriff seine Kappe und sprengte davon. Jerlik-chan rief ihm nach: »Warum trugst du meine Kappe fort?« Das Waisenkind antwortete, so sei es ihm von Karabty-chan befohlen. Da sagte Jerlik-chan: »So möge Karabty-chan ein Bär werden, sein Weib ein Schwein, sein Sohn aber ein Stern.« (Erzähl, e. Telengiten.)


  • Literatur: Potanin, Očerki 4, 167 a.

b) Aus Furcht vor dem menschenfressenden Džel'baga flieht das letzte Menschenpaar: der Mann in den Wald – und wird zum Bär, der deswegen menschlichen Verstand hat und Fußspuren wie ein Mensch hinterläßt, das Weib – ins Wasser und wird zum Fisch Mezil'. (Erz. e. Bjurgun.)


  • Literatur: Ebd. 167 b.

c) Der Bär war früher ein Jäger und Schamane. (Burjatisch.)


  • Literatur: Ebd. S. 168 v.

14. Sagen der Ostjaken und Wogulen.


Der Bär stammt von Menschen ab, von Helden und weiblichen Waldgeistern oder von Heldentöchtern und männlichen Geistern; von einem Mann, den seine Mutter verflucht hat, und einer Heldentochter, die in eine Bärin verwandelt worden war; von einem Helden, der sieh im Walde verirrt hat, und dessen Körper sich beim übersteigen eines mit Moos bewachsenen Baumstammes ebenfalls mit Moos bedeckt.2


  • Literatur: Charusin, Etnogr. Obozrěnie 10, 4, 1 ff.
    Ebd. eine zweite Sage: Der Bär lebte früher mit Gott im Himmel und kam auf die Erde entweder auf eigenen Wunsch oder zur Strafe für seinen Ungehorsam. Er darf alle wilden und die Haustiere böser oder ihn auslachender Menschen fressen. Er wurde schließlich von einem Helden getötet, die Gottheit erlaubte aber dem Schatten des Bären, seine frühere Gestalt anzunehmen und für immer auf der Erde zu bleiben.

15. Sage der Wotjaken.


Anfangs gab es keinen Bären; er ist aus einem Wotjaken entstanden. Einstmals heiratete ein berühmter Zauberer. In der Nacht, während des Schlafes, fing er plötzlich an, wie ein Bär zu stöhnen. – »Warum stöhnst du?« fragte ihn seine Frau. »Das tut nichts,« antwortete der Zauberer, »ich werde im Hof auf- und abgehen, dann wird alles aufhören.« Er ging hinaus, legte seine Kleider ab und ließ sie an der Vorratskammer liegen. Leise schlich die Frau ihm nach, um zu sehen,[450] was er tun würde. Und da sieht sie, daß ihr Mann nackt in den Wald geht, auf eine Eberesche steigt und von dort mit dem Kopf voraus herabklettert. In dieser Zeit war er zum Bären geworden. Dann kehrte er aus dem Walde zurück und ging in das Dorf, um zu zaubern.

Die Frau erriet, daß es mit ihrem Manne nicht geheuer sei, lief voller Schrecken nach Hause, packte ihres Mannes Kleider zusammen und verbarg sich in der Vorratskammer. Nach einiger Zeit kehrt der Bär zurück und findet sein Gewand nicht. Er klopfte an die Tür der Frau und bat mit Bärenstimme um seine Kleidung. Mehr denn je erschrak das Weib und sprach kein Wort. Da brüllte er auf, brüllte und ging zurück in den Wald. Und so blieb er für immer ein Bär.


  • Literatur: Etnogr. Obozrěnie 4, 4, 174.

16. Sage der Altajer.


Man erzählt, daß nach der Sintflut, die von dem Gotte Dyel Bega über die Menschheit geschickt worden war, nur zwei Personen am Leben blieben: ein alter Mann und seine Frau. Sie flüchteten sich in den Wald, und der Alte verwandelte sich in einen Bären. Darum hat der Bär eine fast menschliche Intelligenz.


  • Literatur: Revue des trad. pop. 11, 249.

17. Sage der Schwarzwald-Tataren.


Es lebten zwei Brüder. Des einen Acker war an der Sonnenseite, des anderen Acker war auf der von der Sonne nicht beschienenen Mitternachtsseite. Des einen Acker geriet gut, des anderen Acker geriet gar nicht. Der eine Bruder sprach: »Auf deinem Acker ist das Getreide gut, auf dem meinigen ist gar kein Getreide.« So sprechend, zürnte er dem Bruder. Der eine Bruder steckte zwei Pfeile in den Mund, diese wurden zu Hauzähnen, er selber ward ein Bär. Der Bruder, der ein Bär geworden, warf seine Bogensehne fort; diese Bogensehne verwandelte sich in die Hopfenpflanze und wuchs, sich um den Baum herumrankend.


  • Literatur: Radloff, Proben der Volkslit. d. türk. Stämme Süd-Sibiriens 1, 286.

18. Aus Rußland.


a) Ein armer Bauer fuhr in den Wald und dachte eine Tanne, welche ihm zusagte, zu fällen; diese aber rief ihm mit menschlicher Stimme zu: »Fälle mich nicht, ich bringe dir Nutzen!« Er hörte darauf und schlug eine andere Tanne. Nach einiger Zeit aber fuhr er wieder in den Wald und fällte doch jene Tanne. Da donnerte es plötzlich, es zuckte der Blitz, der Mann stürzte zur Erde und wurde ein Bär.


  • Literatur: W.N. Jastrebow. Mat. po ethnogr. Nowoross. kraja S. 10.

b) 1. Variante zu dem Märchen vom Fischer und seiner Frau. Eine Linde, die der Bauer abhauen will, erfüllt die Wünsche. Der Bauer und seine Frau werden zu Bären, weil der Bauer als Gouverneur noch Zar werden wollte.

2. Ein Gevatter erfüllt die Wünsche. Als der Bauer auf Antreiben seiner Frau Gott werden will, werden beide zu Bären. (Kleinrussisch.)


  • Literatur: Etnogr. Obozrěnie 3, 2, 129–132.

c) [Ein Bauer wollte einst eine Linde fällen; diese bittet ihn aber, es nicht zu tun, und stellt ihm einen Wunsch frei. Er wünscht sich Brennholz. Die Frau des Bauern ist damit höchst unzufrieden; ein zweiter Wunsch (welcher – war dem Erzähler nicht mehr erinnerlich) wird gewährt. Auch damit ist das Weib nicht[451] zufrieden. Auch die dritte Bitte, »daß die Leute uns fürchten mögen,« wird erfüllt.] Der Bauer ging nach Hause und stolperte auf der Schwelle, fiel und wurde zum Bären. Die Alte aber erblickte ihn, erschrak, fiel ebenfalls und wurde zur Bärin. – Von ihnen beiden stammen alle Bären ab.


  • Literatur: Etn. Obozrěnie III, 4, 197.

19. Lettische Sagen.


a) Früher konnten alle Bäume sprechen und baten immer die Menschen, sie nicht zu fallen. [Die Linde macht einen Bauern erst zum Herrn und dann zum König, damit er sie nicht abhaue.] Doch als der Bauer zum dritten Male kam und Gott werden wollte, antwortete die Linde: »Stell' dich auf alle Viere, dann will ich es tun!« Der Bauer gehorchte, und im selben Augenblick wuchs ihm das Fell, und er ward zum Bären.

Danach bestimmte aber Gott der Herr, daß die Bäume nicht mehr reden sollten.


  • Literatur: Živaja Starina 5, 431, Nr. 1 = Stef. Ulanowska, Lotysze Inflant polskich 1, 91.
    Vgl. die Variante ebd. 5, 432 Nr. 3 = Rākstu krājums 3, 33–35. Über das Sprechen der Bäume s. Treuland, Lett. Volksmärchen. Mitau 1887, Nr. 39, S. 43.

b) Eine Frau wird von einem Zauberer in eine Bärin verwandelt, von der alle Bären abstammen. Verstand hat der Bär darum wenig, weil seine Abstammung eben auf eine Frau zurückgeht.


  • Literatur: Živaja Starina 5, 432, Nr. 2 = Rākstu krājums 3, 110.

20. Aus Island.


Der Eisbär ist ein verzauberter Mensch.


  • Literatur: Jón Árnasson, Isl. Volkssagen übs. von Lehmann-Filhés, N.F.S. 253.

21. Aus Bulgarien.


Eine Frau hatte zwei Töchter, von denen die eine ihre eigene, die andere ihre Stieftochter war. Sie liebte ihre eigene Tochter mehr. Einmal schickte sie ihre Stieftochter zum Flusse mit weißer Wolle, damit sie dieselbe so lange wasche, bis sie schwarz werde. Das Mädchen wusch und wusch die Wolle, damit sie schwarz werde. Ein Alter kam heran und fragte sie: »Weshalb wäschst du diese Wolle?« Das Mädchen versetzte: »Meine Stiefmutter hat gesagt, daß ich die Wolle so lange waschen soll, bis sie schwarz wird.« »Nun, so wasche sie nur, wenn sie es so befohlen hat,« meinte der Alte. Die Maid wusch weiter, und die Wolle verwandelte sich da in Gold. Sie trug es nach Hause. Als die Stiefmutter das sah, schickte sie auch ihre eigene Tochter mit Wolle aus, damit sie sie so lange wasche, bis sie schwarz werde. Das Mädchen wusch so lange, bis es ermüdete; dann setzte sie sich nieder, um zu rasten. Auch sie wurde von dem Alten gefragt, was sie mache. »Ei, geh du nur weiter, was fragst du darnach!« antwortete sie. Da verfluchte sie Gott: »Nimm diese Wolle auf deinen Rücken und durchstreife als Wild die Wälder!« So entstand aus dem Mädchen der Bär.


  • Literatur: Strauß, Die Bulgaren, S. 65 f. Vgl. Schischmanoff, Nr. 15.

22. Aus Serbien.


Einmal lebte ein böser Mensch – ein Bäcker, der fürchtete Gott nicht und schämte sich vor den Leuten auch nicht – und manchmal lästerte er Gott. Er sollte aber bestraft werden. Als er einmal wieder so fluchte und seine Hände gerade voll Teig und sein ganzer Körper voll Mehl waren, wurde er in einen Bären verwandelt.[452] Deswegen hat der Bär die Füße (die Sohlen) wie ein Mensch, und auch sein ganzer Körper ist dem menschlichen gleich.


  • Literatur: Zbornik (Agram) IV, S. 137.

23. Sage der Cherokee.


Vor langer Zeit gab es einen Cherokee-Stamm, der hieß Ani'-Tsâ'gûhĭ, und in einer Familie dieses Stammes war ein Knabe, der oft das Haus verließ und den ganzen Tag in die Berge ging. Nach einiger Zeit ging er häufiger dorthin und blieb auch länger da. Zuletzt wollte er nicht einmal mehr im Hause essen, sondern ging bei Tagesanbruch fort und kam erst des Nachts wieder. Seine Eltern schalten ihn, das half aber nichts, und der Knabe ging jeden Tag fort. Da bemerkten sie, daß langes braunes Haar an seinem Körper zu wachsen anfing. Sie wunderten sich darüber und fragten ihn, warum er so gern in den Wäldern wäre, daß er nicht einmal zu Hause äße. Der Knabe sagte: »Ich finde dort genug zu essen, besseres Korn und bessere Bohnen, als wir sie in den Ansiedlungen haben, und bald bleibe ich für immer weg.« Seine Eltern sorgten sich und baten ihn, sie nicht zu verlassen, aber er sagte: »Es ist dort besser sein als hier, und ihr seht ja, ich verändere mich schon, so daß ich hier nicht länger leben kann. Wollt ihr mit mir kommen? Es gibt dort Unterhalt für uns alle, und ihr braucht niemals dafür zu arbeiten. Wollt ihr aber kommen, so müßt ihr erst sieben Tage fasten.« – Die Eltern besprachen dies miteinander und erzählten es dann dem Stammeshäuptling. Es wurde Beratung darüber gehalten, und nachdem alles vorgebracht worden war, kamen sie zu dem Schluß: »Hier müssen wir hart arbeiten und erwerben kaum genug. Dort, sagt er, ist immer Überfluß ohne Arbeit. Wir wollen mit ihm gehen.« Da fasteten sie sieben Tage, und am siebenten Morgen verließen alle Ani'-Tsâ'gûhĭ die Ansiedelung und zogen dem führenden Knaben in die Berge nach.

Als die Leute aus den anderen Orten davon hörten, waren sie sehr traurig und sandten ihre Anführer, um die Ani'-Tsâ'gûhĭ zu überreden, zu Hause zu bleiben und nicht in die Wälder zu gehen, um dort zu leben. Die Boten fanden sie schon auf dem Wege und waren überrascht, als sie bemerkten, daß ihre Körper schon anfingen, sich mit Haaren zu bedecken wie bei den Tieren, weil sie sieben Tage lang sich der Menschennahrung enthalten hatten und ihre Natur sich änderte. Die Ani'-Tsâ'gûhĭ wollten nicht zurückkommen, sie sagten: »Wir gehen dahin, wo wir Überfluß an Nahrung haben. Von nun an sollt ihr uns yânû, Bären, nennen, und wenn ihr hungrig seid, so kommt in die Wälder und ruft uns, und wir werden kommen und euch unser eigenes Fleisch geben. Ihr braucht euch nicht zu fürchten, uns zu töten, denn wir werden ewig leben.« Sie lehrten die Boten Lieder, um sie zu rufen, und die Bärenjäger singen die Lieder noch jetzt. Als die Gesänge beendet waren, wandten sich die Boten wieder den Ansiedelungen zu, aber nachdem sie ein Stück gegangen waren, wandten sie sich um und sahen einen Zug von Bären in die Wälder gehen.


  • Literatur: Mooney, Myths of the Cherokee, S. 325.

24. Aus Finnland.


a) Es waren einmal drei Brüder. Und einer ging in den Wald, und aus ihm wurde ein Bär. Und der andere ging in den See, und aus ihm wurde ein Frosch. Und der dritte blieb zu Hause, und der wurde der Mensch.


  • Literatur: Krohn, Suom. Kansans. 1, 267, Nr. 274. Russ. Übs.: Živaja Starina 5, 444, Nr. 6.

[453] b) Es war einmal ein reicher Hof, wo große Hochzeiten gefeiert wurden. Ein alter Bettler, der auf diesen Hochzeitshof zu essen haben wollte, erhielt nichts, sondern es hieß: »Wir haben kein Essen für so niedrige Menschen!« Da wurde der Greis böse, ging in die Badestube und begann zu zaubern. Darauf sagte er zu seinem Knaben: »Geh' und sieh, was die Hochzeitsleute in der Stube machen.« Der Knabe ging, um nachzusehen, und meldete dann dem Greise: »Die Hochzeitsleute springen an die Wände.« Dieser schickte ihn zum andernmal hinein, und der Knabe sagte: »Sie laufen auf vier Füßen nach der Tür zu.« Beim drittenmal brachte der Knabe die Botschaft: »Sie sind gerade dabei, in den Wald zu gehen.« Und so war es. Der Hof verblieb mit allem, was darin war, dem Greise; die Hochzeitsleute aber waren Bären geworden, die Frauen wurden Bären, die einen Ring um den Hals haben. Daher stammen nun alle Bären.


  • Literatur: Krohn, ebd. S. 267, Nr. 275 (gekürzt). Russ. Übs.: Živaja Starina 5, 444, Nr. 5.

[c) Übertragung auf die Wölfe.]

Ein Mann, der ein Brachfeld pflügen wollte, sah einen Wolf hinter einem Zaune lauern und bemitleidete ihn so, daß er ihn zuletzt segnete. Da verwandelte sich der Wolf in einen Menschen und sagte: »Ich habe auf die Segnung gewartet, ich bin einer jener estnischen Wölfe3, in die alle die Hochzeitsleute verwandelt wur den.« Dann erzählte er, daß Jesus und Petrus in einem Hochzeitshofe keine Herberge und kein Essen erhalten hätten. Jesus habe die Ungastlichen verflucht und seinem Gefährten befohlen, hineinzugehen und zu sehen, was sie machten. Antwort: »Sie springen jetzt an die Wände.« Zweite Antwort: »Sie brüllen wie die Wölfe.« Beim drittenmal waren sie schon zu Wölfen geworden und sprangen in den Wald. »Und ihrer waren so viele, daß es das Sprichwort noch heute im Lande gibt: Sie sind wie estnische Wölfe.«


  • Literatur: Krohn, S. 268, Nr. 276.

25. Sage der Votjaken.


Anfangs gab es keine Wölfe; sie sind aus Russen entstanden. – Unter ihnen war ein berühmter Zauberer, der von allem Volk sehr gefürchtet war, und alles machte ihm Geschenke. Nun gab ihm aber einmal der Hausherr, bei dem eine Hochzeit gefeiert wurde, nichts. Da ward der Zauberer böse, eilte dem Hochzeitszuge nach, erreichte ihn im Walde und verwandelte alle Teilnehmer in Wölfe; und so blieben diese Leute Wölfe.


  • Literatur: Etnogr. Obozrěnie IV, 4, 174.

26. Kosakenmärchen.


Ein reicher und ein armer Mann hatten einmal ein Feld in gemeinschaftlichem Besitz, das besäten sie zu gleicher Zeit mit gleichem Samen. Gott aber segnete die Arbeit des Armen und ließ die Saat gedeihen, die des Reichen dagegen gedieh nicht. Da verlangte der Reiche das fruchtbare Feldstück für sich und sagte zu dem Armen: »Sieh her, meine Saat ist gut aufgegangen, deine gar nicht!« Der Arme erhob Einspruch, doch der Reiche wollte nicht hören, sondern sprach zu ihm: »Wenn du mir nicht glauben willst, dann komm morgen vor Tagesanbruch aufs Feld, Gott soll zwischen uns richten.«

[454] Da ging der Arme heim. Der reiche Mann aber grub eine tiefe Grube in des Armen Feldstück, setzte seinen Sohn hinein und sagte zu ihm: »Merk' auf, mein Sohn, wenn ich morgen früh hierherkomme und frage, wessen Feld das ist, dann rufe: das gehört nicht dem Armen, sondern dem Reichen.«

Danach überdeckte er ihn mit Stroh und wandte sich nach Hause. Am Morgen sammelte sich alles Volk und ging aufs Feld hinaus. Der Reiche aber rief: »Sprich, Herr Gott, wessen Feld ist dies, des Reichen oder des Armen?«

»Des Reichen, des Reichen,« rief eine Stimme mitten im Felde.

Aber der Herr selbst war unter dem versammelten Volke, und er sprach: »Höret nicht auf die Stimme, denn das Feld ist wahrlich das des armen Mannes.« Und er erzählte allen, wie sich's verhielt. Dann gebot er dem Sohne des Reichen: »Bleibe, wo du bist, und sitze dein ganzes Leben hindurch unter der Erde, solange die Sonne am Himmel steht.«

Alsbald wurde der Sohn des Reichen zum Maulwurf, und das ist der Grund, weshalb der Maulwurf das Tageslicht flieht.


  • Literatur: Bain, Cossack Fairy Tales and Folk Tales S. 201.

27. Aus Serbien.


Schon von der Schöpfung der Welt an stritten und zankten die Menschen immer miteinander, und fast jeden Tag kam eine Zwietracht über jede Kleinigkeit vor. Einmal stritten auch zwei Nachbarn über ein Stück Erde, und jeder wollte die Erde sich zueignen, und einer wollte den andern um jeden Preis betrügen. Endlich schlössen sie einen Vertrag ab, nach dem die umstrittene Erde selbst ihren Hader entscheiden sollte. Da grub jeder von ihnen heimlich eine Grube aus, in die er sein Kind, das er zu diesem Zwecke vorbereitet hatte, hineinsteckte. So machten es beide, und jetzt kamen sie wieder aufs Feld, und der eine fragte, wem also die Erde gehöre und wen sie mehr liebe. Das Kind antwortete natürlich, wie der Vater ihm vorher gesagt hatte. Danach fragte auch der andere, und die Antwort des anderen Kindes war dieselbe. Der Streit war also nicht entschieden. Als sie aber jetzt die Erde wegscharrten – da möchten sie das sehen! – von den Kindern keine Spur da. Sie waren in zwei kleine Maulwürfe verwandelt, die ihren Vätern jetzt Schaden anrichten.


  • Literatur: Zbornik (Agram) IV, S. 137.

28. Aus Thrazien.


Der Maulwurf war einst ein Totengräber, und einmal, während einer großen Krankheit, wobei viele starben, begrub er einen noch halb Lebendigen. Und Gott verfluchte ihn, daß er blind werde, weil er nicht aufgepaßt hatte, und er solle immer sein Grab graben, und er wurde zum Maulwurf.


  • Literatur: Politis, παραδόσεις Nr. 355.

29. Aus Frankreich.


a) Eine sehr hochmütige Frau wurde in ein Tier verwandelt, das seither Maulwurf genannt wird und durch Hände und Füße noch an seine Abstammung erinnert.


  • Literatur: Rolland, faune populaire 1, 14; auch bei Sébillot, litt, orale de l'Auvergne, p. 192.

b) Als sich die Feen einst gegen Gott auflehnten, wurden sie zur Strafe in Maulwürfe verwandelt und verdammt, das Tageslicht nicht wieder zu sehen. Daß[455] diese Geschichte wahr ist, kann man noch daran sehen, daß die Pfoten der Maulwürfe wie kleine Hände aussehen.


  • Literatur: Sébillot, ebd. p. 192 aas Gras, Dictionnaire du patois forézien. Andere Lesarten bei Sébillot. 1. Feen, die ans Hochmut um Erhöhung ihres Tales und Vernichtung des dieses überragenden Berges gebeten haben, werden in Maulwürfe verwandelt. 2. Feen bitten, nachdem das Johannisevangelium gepredigt ist, um Verwandlung in Maulwürfe.

30. Aus Niederösterreich.


Ein tückischer Zwerg, der in der Umgebung eines frommen Einsiedlers haust, neckt und quält die Waldbewohner, wo er nur kann, und fügt zuletzt auch dem ehrwürdigen Mann viel Schaden zu. Eines Morgens überrascht ihn dieser, während er sich in seinem Garten zu schaffen macht. Nachdem er in der Nacht alles Gepflanzte zerstört hat, wühlt er jetzt in einem Winkel, um die letzten Reste der Wurzeln zu vernichten. Da verflucht ihn der Greis: »Von nun an sollst du verflucht sein, zu wühlen, aber nicht auf der Erde, sondern unter derselben. Du sollst den Menschen nützlich sein, ohne es zu wollen, indem du alle schädlichen Würmer aufzehren mußt. Du sollst das Tageslicht nicht mehr sehen. Du sollst unbeholfen und dumm sein. Wiewohl du den Menschen nützlich bist, sollst du doch von ihnen verfolgt und verabscheut werden, wenn du auf die Erde kommst.« Der Zwerg schrumpft zusammen und wird ein Maulwurf.


  • Literatur: Nach Th. Vernaleken, Heimgarten 24, 781.

31. Aus Pommern.


Es war einmal eine Prinzessin, für die hatte ihre Mutter einen Bräutigam ausgewählt, aber sie war stolz und wollte nichts von ihm wissen. Da ergriff die Mutter großer Zorn, und sie verfluchte und verwünschte ihr eigenes Kind.

Sogleich schrumpfte der Körper des Mädchens zusammen, und ihr schwarzes seidenes Kleid legte sich als ein schöner tiefschwarzer Sammetpelz um ihn herum, kurz – aus der schönen Prinzessin ward der Maulwurf, und sie mußte Maulwurf bleiben für immer.


  • Literatur: Jahn, Volkssagen aus Pommern, 2. A., S. 450. Vgl. Haas, S. 140 f. Auch Bl. f. pomm. Vk. 8, Nr. 5, S. 73.

32. Aus Mecklenburg.


De Mullworm is 'ne verwünschte Prinzessin. Dee hett sik so inbild't, het ümmer in Samft un Sid' gähn un hett sik ehr samften Kleed nich von de leew' Sünn' beschinen laten wullt. Dor hett uns' Herrgott secht: »wenn se de Sünn' nich achten ded', denn süll se för ümmer in de Jer (Erde) wöhlen;« un hett se to'n Mullworm maakt.

Dorüm kann de Mullworm noch de Sünn' nich verdrägen.


  • Literatur: Wossidlo, Mecklenb. Volksüberl. 2, 343.

33. Aus Schleswig-Holstein.


Ein Edelmann ließ sich von einem Schlachter das ganze Jahr hindurch Fleisch liefern. Als nun das Jahr um war und der Schlachter seine Rechnung brachte, wog ihm der Edelmann alle Knochen wieder zu und sagte: »Ich habe nur Fleisch verlangt und keine Knochen. Du mußt dir nun für so viel Pfund abziehen lassen.« Das wollte der Schlachter natürlich nicht gelten lassen und verklagte den Edelmann, konnte aber gegen ihn kein Recht bekommen. Das folgende Jahr über ließ sich der Edelmann von einem andern Schlachter sein Fleisch liefern und machte es am Ende ebenso wie mit dem ersten. Zuletzt hatte er alle Schlachter der ganzen[456] Gegend auf dieselbe Weise angeführt. Da haben die armen betrogenen Leute den Edelmann endlich unter die Erde zu einem Tier verwünscht, das sich nur Fleisch ohne Knochen suchen muß. Das ist nämlich der Maulwurf, der ja nur Regenwürmer frißt.


  • Literatur: Karl Müllenhoff, Sagen, Märchen und Lieder der Herzogtümer Schleswig, Holstein und Lauenburg, S. 357.

34. Aus England (Bridgewater).


Eine stolze Frau ist durch Verwandlung in einen Maulwurf bestraft worden. Das sieht man noch heute an dessen Händen und Füßen.


  • Literatur: Notes and Queries, 1. Ser., 5, 534.

35. Aus Amerika.


a) Der Maulwurf ist eine verwandelte stolze Frau.


  • Literatur: Bergen, Animal and Plantlore, S. 155. (Aus Chesterton, Negersage.)

b) Der Maulwurf war ein stolzes Mädchen. Nun trägt er schöne Kleider unter der Erde und hat keine Augen, weder für seine eigene Schönheit noch für die anderer.


  • Literatur: Folklore Journal 6, 90. (Aus Washington.)

36. Berberische Sage.


Es war einmal eine Frau, die holte an einem Feiertage Holz. Da verwandelte sie Gott in ein Stachelschwein. Die Stacheln auf dem Rücken sind das Reisig, das die Frau sammelte.


  • Literatur: H. Stumme, Märchen der Schluh von Tázerwalt, S. 194.

37. Sage der Flachkopf-Indianer.


Drei Brüder behandeln ihren Stiefbruder schlecht. Dieser ist ein Medizinmann und beschließt, sich zu rächen. Er bewirkt, daß sie mit ihren Speeren an einem Seekalb hängen bleiben; das Kalb bringt sie auf eine Insel. Dort sind sie wieder frei und stehlen einem kleinen Mann Fische. Dieser überwindet sie und bringt sie nach dem Dorf der kleinen Leute. Das Völkchen wird von großen, Gänsen ähnlichen Vögeln überfallen, welche, wie Stachelschweine, ihre Posen auf die kleinen Männer schießen, welche dann leblos umfallen. Die Brüder ziehen die Posen wieder heraus und beleben sie. Die Männer wollen die Brüder aus Dankbarkeit in die Heimat schicken und setzen sie auf einen Walfisch. Dieser überlegte es sich anders und verwandelte4 sie in Meerschweine, die seitdem in beständigem Krieg mit den Seekälbern leben. Als der Walfisch eines Tages die Mutter der Brüder in ihrem Schmerz sieht, verwandelt er sie voll Mitleid in einen Stein.


  • Literatur: Ausland, 1859, S. 921. Aus P. Kane, Wanderings of an Artist.

38. Mongolische Sagen.


a) Alle Murmeltiere waren einst Menschen, sie lebten von der Jagd und schössen ausgezeichnet. Einst aber wurden sie übermütig, prahlten, jedes Tier, selbst den Vogel im Fluge mit dem ersten Schusse zu töten, und erzürnten dadurch den bösen Geist. Um sie zu strafen, trat dieser unter sie und befahl dem besten Schützen, eine fliegende Schwalbe mit der ersten Kugel herabzuschießen.

[457] Der dreiste Jäger lud und schoß; die Kugel riß der Schwalbe jedoch nur die Mitte des Schwanzes weg. Seit jener Zeit haben die Schwalben einen Gabelschwanz. Die übermütigen Jäger aber wurden zu Murmeltieren. (Sage der Tungusen.)


  • Literatur: K. Müllenhoff, Natur im Volksmunde, S. 29. Vgl. Brehm, Tierleben 3 A. II, 445.

b) Das Murmeltier war früher ein Mensch und kühner Jäger. Einst wollte er einen tel'gen (eine Art Raubvogel) erlegen, schoß und traf ihn in den Schwanz, weswegen jetzt der Schwanz des tel'gen einen Einschnitt hat. Nachdem er also vorbeigeschossen, verfluchte der Jäger sich selbst, hieb sich den großen Finger ab, vergrub sich in die Erde und sagte: »Nur vier Monate im Jahr möge ich leben!«


  • Literatur: Potanin, Oćerki 4, 179 a. Erzählung eines Djurbjuten.

c) Tarbagan (das Murmeltier) wandelte früher auf der Erdoberfläche, lebte nicht unter der Erde und war ein dem Menschen schädliches Geschöpf. Erchemergen schwor, den tarbagan zu töten, und schoß ihm mit dem Bogen den großen Finger weg. In der Angst wühlte sich tarbagan in die Erde hinein und sagte: »Von nun ab werde ich der Fraß aller Kreaturen sein!« Und jetzt nährt sich mit ihm der Vogel tas, der bjurgut und die Elster, der Wolf fangt ihn, und vom Menschen wird er geschossen.


  • Literatur: Potanin, Okraina 2, 345, 2. Erzählung eines Chalchater.

d) Erche-mergen gedachte einst auf Sonne und Mond zu schießen. Da stahl ein burchon (mongol. dämon. Wesen? vgl. burchan) einen Stern des Mečit (Plejaden), der damals aus 7 Sternen bestand, und forderte den Erche-mergen auf, einen von den Sternen des Mečit zu treffen; könne er es nicht, so würde er auch Sonne und Mond nicht zu treffen vermögen. Erche-mergen schießt und vernichtet einen Stern des Mečit. Der burchon aber verstand es, schnell den gestohlenen Stern an die Stelle des zertrümmerten zu setzen. Erche-mergen sieht: Als er sich zum Schießen anschickte, waren 6 Sterne im Mečit, und jetzt sind es ebenfalls 6; folglich hat er gefehlt. Darauf sprach er: »Wenn ich trockenes Gras essen werde, muß ich sterben; wenn ich Quellwasser trinken werde, muß ich sterben,« und er verwandelte sich in ein Murmeltier.

Daher frißt das Murmeltier kein trockenes Gras, sondern nur grünes, und liebt nicht feuchte Stellen, es baut sich immer auf trockenem Boden an.


  • Literatur: Potanin, Okraina 2, 345, 1. Erz. e. Malchas. Lama.

e) Das Murmeltier war einst ein Jäger. Damals gab es vier Sonnen, je eine in jeder Himmelsgegend. Er begann, nach der Sonne zu schießen, und hatte bereits drei erschossen.

Da erzürnte Burchyn-Baksi, daß es kein Licht mehr auf Erden geben würde, und verwandelte den Jäger in ein Murmeltier.


  • Literatur: Erz. e. Bogdošabiner. Potanin, Očerki 4, 179 g. Ebd. S. 180 d und e eine ganz ähnliche burjatische und telegitische Variante.

f) Das Murmeltier war früher ein Mensch und Jäger. In der Zeit gab es drei Sonnen; er wollte die eine Sonne mit dem Pfeil treffen und fehlte. Er schneidet sich im Zorn den großen Finger ab und gräbt sich in die Erde ein.


  • Literatur: Erz. e. Urjanchaier. Ebd. S. 179 v.

g) Kan Geredej, verwundet durch den Tarbagan, haut diesem den Finger ab,[458] vergräbt ihn in die Erde und verflucht ihn: niemand möge ihm Ruhe geben, die armen Leute sollen ihn essen, Vögel und Tiere ihn herumschleppen. (Telengitisch.)


  • Literatur: Ebd. S. 179 b.

h) Es war früher ein unfehlbarer Bogenschütze. Der grub seinen Daumen in die Erde und sagte: »Sei ein Maulwurf.« Seitdem schoß er nicht mehr.


i) Zwei Jäger schössen viele Tiere, darum verwandelte Gott sie in Biber und Murmeltier.


k) Auf der Tiere Flehen wird ein Jäger von Gott mit den Worten in die Erde gegraben: »Du konntest nicht in Frieden auf der Erde leben, so lebe in einem Loch unter der Erde und nähre dich von Wurzeln.«


l) Das Murmeltier war einst ein reicher Mann, der hieß Karun bai. Er hatte Tausende von Pferden, Ochsen, Kamelen, Schafen. Es kamen Bettler, Blinde, Lahme und alte Leute, die um Almosen baten. Karun bai gab ihnen nichts. Da wandten sich die Bettler in ihrer Not zu Gott und sagten: »Herr, du gabst Karun bai vergeblich so großen Reichtum. Wir Armen bitten ihn um Almosen, und er gibt niemals jemandem etwas.« Gott fragte Karun bai: »Gibst du Almosen?« »Nein,« erwiderte Karun bai, »warum sollte ich denn?« Da verwandelte Gott ihn in ein Murmeltier und befahl ihm, daß er Gras fressen solle. Das Murmeltier verließ seine Familie mit dem Ruf: »Anguit! Anguit!« d.h. Amanbul, lebe wohl! und noch jetzt ruft er sein Lebewohl, wenn er aus seinem Loche kriecht. Das Rindvieh Karun bais verwandelte Gott in wilde Tiere. Die Ochsen in Renntiere, die Schafe in argali, die Ziegen in Felsziegen, die Pferde in kulans und surtax und die Kamele in tiu ê giēk.


  • Literatur: Var. h) bis l) aus Folklore Journal 3, 318.

39. Aus Griechenland (Athen, Arkadien und sonst).


a) Das Wiesel war eine Braut und wurde zum Tier. Darum ist es auf alle Bräute eifersüchtig. Und um der Braut nicht die Mitgift zu ruinieren, legte man in die Kammer, wo man sie aufbewahrte, Schächtelchen mit Salben und Honig, damit das Wiesel sich daran satt fresse und zufrieden gestellt werde, damit es die Aussteuer nicht durchlöchere.

Das Wiesel als Bräutchen, das es ist, liebt das Spinnen. Sobald man es sieht, muß man zu ihm sagen: »Willkommen, mein Wieselchen, willkommen, mein Bräutchen!« und an der Haustür oder auf die Sachen, die es zu zerreißen pflegt, legt man ihm einen Spinnrocken mit Baumwolle hin. Dann freut sich das Wiesel und tanzt darauf herum. Wenn durch Zufall eine Frau darüber aufschreit (?), wird es sie behalten und sich an ihr rächen. Denn es ist sehr rachsüchtig. Es wird ihr die Kleider zerreißen, selbst wenn sie sie in der Truhe hat. Die dagegen, die ihm schmeicheln, haben großen Nutzen von ihm. Wo es ungerechtes Geld findet, nimmt es dieses weg und bringt es in das Haus dessen, der es gepflegt hat. Und wenn man Goldstücke in einen Sack aus Wieselfell tut, werden sie nie alle.


  • Literatur: Politis, παραδόσεις Nr. 333 u. 335. Vgl. Nr. 334:

b) Eine Variante aus Arkadien unterscheidet sich nur dadurch von der vorigen, daß sie das Wiesel eine Nixe gewesen sein läßt, in die es sieb, wieder verwandelt, wenn man ihm einen Spinnrocken mit Baumwolle hinlegt, weshalb man es auch. »Spinnrocken« nennt.


  • Literatur: Dazu bemerkt Politis (Bd. II, 926 ff.):
    Die Bezeichnung als »Bräutchen« ist schon mittelgriechisch. Vgl. Ducange s.v. Schol. zu Aristoph. Wolken 169, 6, 424 (Dübner); Plut. 693. Dazu Panzer, Beitrag[459] zur deutschen Mythologie II, 358; Gubernatis, Zool. Myth. II, 52. P. nimmt an, »daß die Zierlichkeit des Tieres, die glänzende Farbe seines Felles, seine Eigenschaft, manchmal auf den Hinterfüßen zu stehen, behende seine Umgebung beobachtend, Anlaß gegeben hat zur Ausbildung von Sagen über seine Verwandlung aus einem Weibe, und zwar einer schönen Braut, deren Heirat unglücklich verlief«. So erdenkt sich das Volk, daß es die Bräute um ihr Glück beneidet und ihre Aussteuer vernichtet, wenn man es nicht durch die obigen Mittel versöhnt. Auf die gleiche Vorstellung bei andern Völkern deuten die Bezeichnungen: ital. donola (vornehmes Fräulein), span. port. doninha, deutsch Fräulein, Jungferchen, Mühmlein (bair.), Schöndinglein, Schöntierle; dänisch brud, auch kjönne (Wunderschöne), franz. belette, breton. kaerell (kaer = schön), engl. fairy, baskisch andereigerra (aus andrea = Frau), ungar. menyét (aus meny = Schwiegertochter), rumän. nevăstuică (Weibchen), albanes. nūs ĕ ljaljĕsĕ (Schwägerin); vgl. Hahn, Alb. Stud. III, 86.
    Ein sizilianischer Gebrauch als Nachklang der Sage bei Pitrè, Usi e costumi III, 440 f. Vgl. dazu die opferartigen Fütterungen des Wiesels bei den heutigen Griechen und den Deutschen Siebenbürgens (vgl. Drexler) sowie die versöhnende Anrede in einigen Gegenden von Deutschland: »Schönes Dingl, behüt dich Gott!« (vgl. Brehm, Tierleben, Säugetiere Bd. 2, 85). – Zu der Vorstellung von der Unerschöpflichkeit des aus Wieselfell hergestellten Geldbeutels vgl. Bartels, Zschr. d. Ver. f. Volksk. 1899, 175 (vom Maulwurfsfell) und Wuttke, Deutscher Volksaberglaube § 118. In Niederbayern benutzt man das Wieselfell zur Heilung von Tierkrankheiten (vgl. Panzer, Beitrag zur Deutschen Myth. II. 189). Antike Mythen über das Wiesel s. Bd. IV.

40. Estnische Märchen.


a) An einem schönen Sommertage gingen ein Bruder und eine Schwester im den Wald Beeren pflücken. Sie verirrten sich und fanden sich nicht zurecht, obwohl sie den Wald kreuz und quer durchgegangen waren. Der Knabe wurde durstig. Bald fanden sie auch eine Quelle. Freudig beugte sich der Knabe nieder, um zu trinken. Plötzlich rief eine Stimme: »Trink nicht! Wer dieses Wasser trinkt, wird ein Hase.« Der Knabe trank nicht und ging weiter. Aber der Durst quälte sehr. Da fanden sie eine Wasserlache. Der Knabe lief darauf zu und wollte trinken, aber auch aus dieser Wasserlache rief eine Stimme: »Knabe, trink nicht! Wer von hier trinkt, wird ein Fuchs.« Auf die Bitte der Schwester bezwang der Knabe seinen Durst. Sie gingen weiter. Aber der Durst wurde immer unerträglicher. Als sie bald wieder eine Quelle fanden und auch aus dieser Quelle eine Stimme rief: »Trink nicht! Wer von hier trinkt, wird zur Gemse,« ließ sich der Knabe auch durch die Bitten der Schwester nicht abhalten und trank. Sofort verwandelte er sich in eine Gemse. Die Schwester band ihm das Strumpfband um den Hals und wollte ihn nach Hause führen, bald aber befreite er sich und lief in den Wald. Die Schwester ging weinend nach Hause.

Das war die erste Gemse.


b) Der Knabe war das einzige Kind armer Eltern und ihr Sonnenschein vom klein auf. Er war ein aufgewecktes Kind und sollte so gut wie irgend möglich geschult werden.

Als er schon in dem Alter war, daß er was lernen konnte, nahm ihn der Vater mit sieb, um ihn in der Stadt in der Schule abzugeben. Unterwegs begegnete ihnen ein schwarzer Mann, fragte, wohin sie gingen. »Gib den Knaben mir,« sagte der Fremde, »ich will einen klugen Mann aus ihm machen. Nach drei Jahren kannst du ihn von hier, wo wir eben sind, abholen.«

Der arme Mann war sehr froh, einen so billigen Lehrer gefunden zu haben, und gab seinen Sohn freudig hin.

[460] Drei Jahre verstrichen. Der Vater kam zur verabredeten Stelle, um seinen klugen Sohn abzuholen. Wie erschrak er aber, als er den schwarzen Fremden allein vorfand!

Sein Sohn sei noch zu dumm, er müsse noch drei Jahre lernen, sagte der Fremde. Dann aber werde er einen sehr klugen Mann in seinem Sohne erkennen. Sehr sorgenvoll kehrte der Vater heim, wo die Mutter untröstlich darüber war, daß der liebe Sohn noch nicht heimgekehrt war.

Wieder verstrichen drei Jahre. Voll froher Hoffnung ging der Vater wieder, den Sohn abzuholen. Aber diesmal fand er auch den schwarzen Fremden nicht und seinen Sohn erst recht nicht. Vergeblich wartete er lange Zeit auf die beiden. Niemand kam. Er wurde sehr unruhig. Der Vater konnte ohne seinen Sohn nicht heimkehren, und er ging weiter und weiter, um ihn zu suchen. Da kam er in ein kleines Häuschen, wo drei Laib Brot drin waren. Der erste Brotlaib sagte: »Du suchst deinen Sohn. Er ist in der Hölle beim Teufel, wo er viel zu leiden hat. Aber geh hin, du kannst ihn vielleicht retten. Der schwarze Mann, dem du deinen Sohn abgabst, wird dir begegnen und wird dir drei ganz gleiche junge Männer zeigen. Einer von ihnen ist dein Sohn. Wenn du ihn erkennst, dann hast du Hoffnung, ihn zu befreien. Erkennst du ihn nicht, ist er für immer verloren.« Voller Angst fragte der Mann, wie er seinen Sohn denn erkennen könne. Das Brot sagte: »Einem von den jungen Männern wird ein kleiner, weißer Taschentuchzipfel aus der Brusttasche gucken. Dieser ist dein Sohn.« Der Mann dankte und wollte gehen. Da sagte das zweite Brot: »Wenn du deinen Sohn unter den Jünglingen erkannt hast, wird der Teufel dir drei ganz gleiche Fische zeigen. Einer von ihnen hat in seinem Schwanz einen kaum merklichen weißen Punkt; dieser ist dein Sohn.«

Der dritte Laib sprach: »Darauf wird der Teufel deinen Sohn und die beiden anderen Teufel in ganz gleiche schwarze Hähne verwandeln. Derjenige Hahn, welcher bei seinem Kamm ein kaum merkliches weißes Zeichen hat, ist dein Sohn. Sei aufmerksam: Wenn du ihn nicht erkennst, ist er dir auf immer verloren.« Mit vielem herzlichen Dank ging der Mann die Hölle aufsuchen.

Der Mann fand alles so, wie die Brote ihm gesagt hatten, und erkannte jedesmal richtig seinen Sohn. Der Teufel war wütend, mußte aber dem Manne seinen Sohn in Gestalt des Hahnes in einen Korb packen und abgeben.

Der Vater ging frohen Herzens, den Korb unterm Arm. Unterwegs fing der Hahn an zu sprechen: »Geh' mit mir in die Stadt und verkauf mich für einen teuren Preis. Aber den Korb darfst du nicht mit verkaufen, sonst hast du deinen Sohn für immer verkauft.« Kaum war der Mann in die Stadt getreten, so bestürmten ihn die Menschen, den Hahn zu verkaufen. Er verlangte 50 Rubel für den Hahn, was ihm sofort ausgezahlt wurde. Den Korb wollten sie auch kaufen, aber der Mann verkaufte ihn nicht.

Sobald der Mann die Stadt verlassen hatte, so kam ihm sein Sohn in menschlicher Gestalt mit schnellem Schritte nach.

»Vater, wir sind arm,« sagte der Sohn, »wir wollen noch Geld machen. Ich werde mich in einen Ochsen verwandeln, verkauf mich teuer, aber verkauf mein Joch nicht.« Der Mann verkaufte den Ochsen ohne Joch für 150 Rubel. Noch ein drittesmal verwandelte sich der junge Mann in einen Hengst und schärfte dem Vater ein, daß er den Zaum nicht auch verkaufte, sonst sei er für immer verkauft.

Für den Hengst bekam er 500 Rubel. Der Käufer war der Teufel selbst. Er bot dem Mann auch für den Zaum 500 Rubel. Das war zu verlockend, und er verkaufte auch den Zaum.

[461] Nun kam der Sohn ihm nicht mehr nach. Traurig ging er heim.

Der Teufel kehrte mit dem Hengst in einer Schenke ein. Er band das Tier hoch ans Dach, so daß es nur auf seinen Hinterbeinen stehen konnte. Ein Mann kam aus der Schenke, sah das gequälte Tier und befreite es. Der Hengst lief davon, bis ihm das Meer entgegen kam. Der Teufel verfolgte ihn. Schnell verwandelte sich der Hengst in einen kleinen Stichling, der Teufel verwandelte sich in einen Walfisch. Der Stichling wandte sich bald rechts, bald links und entkam schließlich. Der Walfisch sucht aber bis heute den Stichling.


  • Literatur: Aus dem hdschr. Nachlaß von J. Hurt.

41. Indianersagen.


a) Sage der Vancouverinsel-Indianer.


Das Eichhörnchen ist aus einem Kinde entstanden, das einer Menschenfresserin entging.


  • Literatur: Bancroft, Nat. Races 3, 52.

b) Aus British-Columbia.


Squaktktquaclt trifft einen Mann namens Coyote, der sich rühmt, Menschenfresser zu sein. Um ihn zu prüfen, sagt Squaktktquaclt, er solle das Essen wieder von sich geben, worauf ein bißchen Gras erscheint. Zur Strafe für seine Prahlerei wird er in das Tier seines Namens verwandelt.


  • Literatur: Folklore 10, 207.

c) Vom unteren Fräser River.


α) K·alE'tSEmES, der erste Häuptling der K·oā'antEl, hatte eine Tochter. Diese wollte keinen Mann nehmen. Eines Nachts aber schlich sich ein Mann zu ihrem Bette, und sie duldete ihn bei sich. Es war der Hammer ihres Vaters, welcher menschliche Gestalt angenommen hatte. Morgens, ehe es hell wurde, verließ er sie wieder und wurde wieder ein Hammer. Am nächsten Abend schlich sich wieder ein Mann zu ihrem Bette und schlief mit ihr. Es war ihres Vaters Hund, der ebenfalls menschliche Gestalt angenommen hatte. Nach einiger Zeit gebar sie eine Anzahl Hunde. Der Hund war stärker gewesen als der Hammer, sonst wären die Kinder kleine Hämmer geworden. Als ihr Vater das sah, schämte er sich und verließ sie mit seinem ganzen Stamme. Da baute die Frau sich eine kleine Hütte und ging jeden Tag an den Strand hinab, Muscheln zu suchen, von denen sie und ihre Kinder lebten. Als sie drunten am Strande war, hörte sie Singen und das Schlagen von Stäben zur Gesangbegleitung. Sie versuchte einige Male unbemerkt nach Hause zu kommen, um zu sehen, wer da sang, doch gelang es ihr nicht. Eines Tages nun hing sie ihren Mantel und ihren Korb, in dem sie Muscheln sammelte, an ihren Grabstock, so daß es aussah, als sammle sie Muscheln. Dann schlich sie sich von hinten zum Hause. Da hörte sie folgenden Sang: »O! Mutter glaubt, wir seien Hunde und verläßt uns täglich. Sie weiß nicht, daß wir Menschen sind.« Und sie sah sechs Knaben umherspielen. Einer saß als Wächter an der Haustür und sah nach dem Strande, um gleich seine Brüder zu benachrichtigen, wenn die Mutter heimkomme. Im Hause sah sie die Hundefelle, in denen die Kinder sonst immer steckten, hängen. Da sprang sie hinein, er griff die Felle und warf sie ins Feuer. So mußten die Kinder Menschen bleiben. Sie wurden die Ahnen der K·oā'antEl. Später kam Qäls des Weges und verwandelte K·alE'tSEmES in einen Dachs.


  • Literatur: Boas, Indianische Sagen S. 25.

β) Der Ahne der Mā'çQui, Sk·Elē'yitl (von sk·Elā'o, Biber), hatte einen Sohn,[462] den er ebenso, wie sich selbst, ganz in Biberfelle kleidete. Als Qäls kam, kämpfte er mit ihm, indem beide einander gegenüberstanden und sich gegenseitig zu verwandeln suchten. Endlich besiegte ihn Qäls. Sk·Elē'yitl sprang ins Wasser und schlug dort wild um sich. Er wurde nebst seinem Sohn in Biber verwandelt. Boas, ebd.


d) Sage der Nutka.


Im Anfange wohnten nur die Ky'äimi'mit, Vögel und andere Tiere auf Erden. Sie wußten, daß sie einst in Menschen und wirkliche Tiere verwandelt werden würden. Als sich nun das Gerücht verbreitete, daß zwei Männer, namens Kwē'kustEpsEp (= die Verwandler), vom Himmel heruntergestiegen seien und sie verwandeln würden, beriefen sie einen Rat, um die Angelegenheit zu besprechen. Ā'tucmit, der Hirsch, sagte: »Wenn sie kommen und mich verwandeln wollen, werde ich sie töten. Ich fürchte mich nicht.« Er nahm ein Paar große Muschelschalen auf und schärfte sie am Meeresufer auf einem Steine. Er versuchte an seiner Zunge, ob sie scharf seien, und das abgeschabte Pulver lief aus dein Munde über sein Kinn. Während er noch so beschäftigt war, sah er zwei Leute herankommen, die gerade so aussahen, wie seine Nachbarn. Sie fragten: »Was tust du da, Ā'tucmit?« Er antwortete: »Ich mache mir Dolche, um sie zu töten, sobald sie kommen.« »Wen denn?« fragten jene. »Die Verwandler, wenn sie wirklich kommen,« erwiderte der Hirsch. »Da hast du dir schöne Muscheln ausgesucht, laß sie uns doch sehen«, fuhren jene fort. Als Ā'tucmit sie ihnen gab, schlugen sie ihn mit denselben auf die Stirn und riefen: »Sie sollen immer auf deiner Stirn sitzen; diese hier, jene dort! Nun schüttele deinen Kopf!« Er mußte gehorchen. »Nun nochmals,« riefen sie. Als er seinen Kopf zum zweiten Male geschüttelt hatte, wurden die Muscheln in Geweihe verwandelt. Dann befahlen sie ihm, die Hände auf die Erde zu stützen, und sie beschmierten sein Hinterteil mit dem Pulver, das er von den Muscheln abgerieben hatte. Dann hießen sie ihn in den Wald laufen, und er wurde ein Hirsch. Die Verwandler gingen nun in das Dorf und verwandelten alle Bewohner in Tiere und Vögel. Die Landotter hatte einen langen Speer, der Biber ein langes, breites Knochenmesser; daraus machten sie ihnen Schwänze.


  • Literatur: Boas, S. 98.

e) Sage der Cowitchin.


Qäls traf einen Mann, welcher Muscheln schärfte, um sie als Spitzen für seine Pfeile zu gebrauchen. Er fragte: »Was machst du da?« Jener antwortete: »Wenn Qäls kommt, will ich ihn mit diesen Pfeilen erschießen.« Er erkannte ihn nämlich nicht. Qäls ließ sich die Muscheln geben, schlug sie jenem in den Kopf und verwandelte ihn in einen Hirsch, indem er sagte: »Nun springe davon! Künftig sollen die Menschen dich essen!«


  • Literatur: Boas, S. 46.

f) Sage der Nak·o'mgyilisala.


α) Und K·'ā'nigyilak' wanderte weiter. Einst traf er einen alten Mann, namens Tlē'qēkyōtl, welcher zwei Muscheln an einem Wetzsteine schärfte. K·'ā'nigyilak' trat dicht an ihn heran und fragte ihn, was er mache. Unwirsch drehte jener sich um und antwortete: »Hm! Wenn K·'ā'nigyilak' hierher kommt, will ich ihn damit auf den Kopf hauen und töten.« Er erkannte ihn nämlich nicht. Da sagte K·'ā'nigyilak': »O, das ist recht! Laß mich doch einmal deine Muscheln sehen!« Tlē'qēkyōtl[463] gab ihm erst die eine, und als K·'ā'nigyilak' darum bat, auch die andere Muschel. Dann schlug dieser ihm die eine rechts, die andere links in den Kopf, beschmierte sein Hinterteil mit Schmutz und rief: »So, nun werde ein Hirsch und laufe in den Wald.« Und so geschah es. Die Muscheln wurden in das Geweih verwandelt, und noch heute sind die Hirsche hinten schwarz.


  • Literatur: Boas, S. 200.

β) K·'ā'nigyilak' ging weiter und traf einen Mann, der damit beschäftigt war, einen Stock sorglich mit schwar zen Ringen zu bemalen. Er trat neben ihn und fragte: »Was machst du denn da?« Jener drehte sich um und sagte: »Wenn K·'ā'nigyilak' hierher kommt, so will ich ihn mit diesem Stocke töten.« Denn er erkannte ihn nicht. K·'ā'nigyilak' antwortete: »So, ich kenne den Mann nicht, aber das wird ihm gewiß ganz recht geschehen. Laß mich doch einmal deinen Stock sehen!« Der Mann gab ihn ihm, dann ließ K·'ā'nigyilak' ihn aufstehen, und unversehens stieß er den Stock in sein Hinterteil. Dann bemalte er seinen Mund und Rücken schwarz und sagte: »Fortan sei ein Waschbär und lebe auf den Bergen!«


  • Literatur: Boas, ebd. – Der Stock als Schwanz auch auf S. 454 Anm.

42. Sage der Hudson-Bay-Eskimos.


Ein Knabe, der wegen seiner langen Ohren verspottet wurde, lief fort und wurde zum Hasen.


  • Literatur: Journal of Am. Folklore 12, 18. = Turner, The Hudson Bay Eskimo, 11th Ann. Rep. Bur. of Ethn., S. 263.

Fußnoten

1 Im Lande Unjoro, besonders in Nusrandure und in der Zone des Flusses Kafu.


2 Vgl. Etn. Ob. II, 1, 109 (aus Potanin, Putešestv. po Mongolii = Očerki 4, 754): Die Ostjaken erzählen, daß der Bär früher ein Mensch (Held) war, der über einen Baumstamm im Walde klettern wollte, nachdem er seine Kleider abgelegt hatte. Letztere wurden ihm gestohlen, statt dessen wuchs ihm ein Bärenfell; allein er behielt die menschlichen Eigenschaften und versteht die Sprache der Menschen.


3 Die Leute aus Karelen und Savolas glauben, daß der Wolf ihnen aus Estland zugeschickt worden ist, wo er aus einem Menschen in seine jetzige Gestalt verwandelt wurde, und dessen Schwanz aus einem hinten eingesteckten Holzscheit gebildet ist.

Mitt. von Herrn Prof. K. Krohn. Vgl. oben S. 14 f.


4 Auch an der pacifischen Küste traut man dem Walfisch eine »große Medizin« (Zauberkraft) zu.

Ausland 1859, 869.


Quelle:
Dähnhardt, Oskar: Natursagen. Eine Samlung naturdeutender Sagen, Märchen, Fabeln und Legenden, 4 Bände, Leipzig/Berlin, 1907-1912, S. 464.
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