Die Gesandtschaften des Himmels und das Ende der Regierung Ookuninnschi's auf Erden.

[126] So sehr der Herrscher Ookuninuschi auch bedacht gewesen war, die Erde mit allem zu beglücken, was ihr nach seinem Ermessen Noth that, und so sehr er auch selbst überzeugt war, daß alles zweckmäßig und gut sei, so hatte er doch den Beifall des großen Himmelsgeistes und der Sonnengöttin Amaterasu nicht erworben. Als diese vom Himmel auf die Erde hinunter blickten, sahen sie, daß alles unruhig und rebellisch war. Die Pflanzen redeten laut, und bei Tag und Nacht summte und schwirrte es in den Lüften. Böse Geister zogen wie die Fliegen einher, und bei Nacht glänzten sie wie die Glühwürmer. »Das muß anders werden,« sprachen der große Himmelsgeist und Amaterasu zu einander, und als sie nun alle Himmelsgötter zu einer Berathung beriefen, da wurde einmüthiglich beschlossen, einen Herrscher vom Himmel herab auf die Erde zu senden, der Ordnung schaffte und umständlichen Bericht über alles, was auf Erden webt und lebt, geben sollte.

Oschihomi, der älteste der Söhne, welche Sosanoo aus dem Diamantenhalsband der Sonnengöttin erschaffen hatte, war der erste, der auserkoren wurde, hinunter auf die Erde zu steigen und dieselbe zu regieren. Er empfing den Befehl und machte sich auf den Weg; doch kaum hatte er die Himmelsbrücke betreten und auf das unruhige Treiben hinabgeblickt, das in Japan, dem schönen Lande der Schilfebenen, herrschte, da ging er eilends zurück und bat, einen Andern an seiner Statt zu senden. Der große Himmelsgeist und Amaterasu fügten sich zwar seiner Weigerung, doch bestimmten sie nun seinen Sohn Ninigi, den sie zu diesem Zwecke mit großer Sorgfalt erzogen, künftig der Beherrscher der Erde zu werden.[127]

Um ihm indessen die schwere Aufgabe nach Möglichkeit zu erleichtern, schickten sie zuvor den zweiten Sohn, der einstmals aus den Edelsteinen der Amaterasu erschaffen war, den Amenohohi, auf die Erde hinab, damit er dem Ninigi ein wenig vorarbeiten möchte. Dieser Amenohohi aber, als er zur Erde hinuntergestiegen war und das Leben auf derselben erst kennen gelernt hatte, vergaß bald seinen Auftrag; es gefiel ihm so herrlich im Lande Japan, daß er Freundschaft mit den Landesgöttern schloß und nur dem Ookuninuschi zu Gefallen lebte.

Drei Jahre wartete man vergebens auf eine Nachricht von Amenohohi, und als Amaterasu immer nichts von ihm hörte, da war sie allerdings ungehalten, doch wollte sie ihn noch in aller Güte an seine Pflicht mahnen und deshalb schickte sie ihm seinen Sohn nach, der die Weisung bekam, seinen Vater an die ihm ertheilten Aufträge zu erinnern. Der Sohn suchte auch seinen Vater auf; aber auch er fand gleichwie dieser so viel Vergnügen an dem Leben auf der Erde, daß er den Zweck seiner Sendung völlig vergaß, sich mit den Landesgöttern belustigte und ebenso wenig wie Amenohohi eine Nachricht in den Himmel sandte.

Jetzt wählten die Himmelsgötter den Amewakahiko, einen stattlichen, herrlichen Gott aus, um ihn auf die Erde zu senden. Derselbe war gleichfalls ein Nachkomme Isanagi's, und der große Himmelsgeist schenkte ihm zu seinem Auszuge einen prachtvollen Bogen, den großen Himmelsbogen, mit den dazu gehörigen höchst wunderbaren Pfeilen, welche nie und nimmer ihr Ziel verfehlen. Damit sollte er die bösartigen Götter bekämpfen, und Amaterasu ermahnte ihn eindringlich, tapfer gegen dieselben vorzugehen und das Land, das ihr geliebter Enkel Ninigi nun bald beherrschen solle, in Ordnung zu bringen. Aber so viel Vertrauen auch Amaterasu und mit ihr alle Himmelsgötter in den herrlichen Gott Amewakahiko setzten, er ward ebenfalls ungetreu und wich vom Pfade Rechtens ab. Er heiratete mehrere[128] Landesgöttinnen, darunter die schöne Schitateru; dann schloß er Freundschaft mit ihrem Bruder, Ajischiki, lebte in Saus und Braus, und acht Jahre verstrichen, ohne daß er die geringste Botschaft in den Himmel schickte. Doch nicht allein sein lustiges Leben war es, das ihn seinen Auftrag vergessen machte, nein, er hatte noch ganz andere Pläne, und dies waren keine geringeren, als sich selbst der Herrschaft der Erde zu bemächtigen. Er dachte allen Ernstes daran, die Regierung Japans zu übernehmen, sich auf die Seite der Landesgötter zu stellen und den Himmelsmächten zu trotzen.

Der große Himmelsgeist aber und Amaterasu waren allerdings erstaunt, daß sie auch von diesem Gesandten, auf den sie ihr volles Vertrauen gesetzt, keine Nachrichten bekamen; doch mißtrauten sie ihm selbst jetzt noch nicht und beschlossen nur, Kundschafter auszuschicken, welche ihnen Nachricht darüber bringen sollten, was Amewakahiko veranlassen könnte, nichts von sich hören zu lassen. Zuerst schickten sie zu diesem Zwecke den Fasanen ab, welcher auch alsobald lustig davon flog. Als er aber auf die Erde kam, da sah er schon von weitem mit vieler Freude ein schönes großes Hirsefeld. Geschwind flog er zu diesem Felde hin und sah nun, daß auch noch ein ebenso großes Bohnenfeld daneben lag. Und über den Anblick der beiden Felder und über die Aussicht auf die köstlichen Mahlzeiten, die sie versprachen, vergaß der Schelm seinen Auftrag und ließ gerade so wie die anderen Abgesandten nichts wieder von sich hören. Nun schickte Amaterasu eine Fasanenhenne ab mit dem gleichen Auftrage, wie ihn der Fasanenhahn erhalten, und diese Henne war so brav und treu, daß sie an weiter nichts als an ihren Auftrag dachte. Ungefährdet kam sie auf der Erde an und flog schnurstracks vor Amewakahikos Haus. Hier setzte sie sich auf einen großen Baum und sang unaufhörlich: »Amewakahiko, warum hast du acht Jahre nichts von dir hören lassen?« Amewakahiko jedoch hörte den Gesang der Fasanenhenne nicht; desto besser aber hörte ihn eine boshafte Göttin, welche[129] Amanosugame hieß. Diese lief zu Amewakahiko hin und sagte ihm, vor seiner Thür säße ein Vogel, der unverschämtes Zeug sänge. »Du mußt das Thier tödten!« sprach sie. Amewakahiko, von Zorn entbrannt, nahm sofort seinen großen Bogen und einen der Himmelspfeile und schoß damit die Fasanenhenne mitten durchs Herz. Der Pfeil aber, der mit dem starken Himmelsbogen abgeschossen war, flog durch den Vogel fort und fort, immer weiter, bis in den Himmel hinein, so daß er vor Amaterasu's Füßen niederfiel.

Amaterasu und der große Himmelsgeist waren darüber nicht wenig verwundert: sie wußten nicht, was sie davon denken sollten und glaubten schier, Amewakahiko sei in einen gefährlichen und erbitterten Kampf verwickelt, und der blutbefleckte Pfeil käme als ein Zeichen zu ihnen, daß er um Hülfe bitte. Bei fernerer Ueberlegung aber schien ihnen die Sache doch verdächtig, und um sich Gewißheit zu verschaffen, nahm Amaterasu den Pfeil in die Hand und schleuderte ihn mit dem Ausspruche auf die Erde zurück, daß er Amewakahiko tödten solle, im Falle er schuldig sei, im andern Falle aber, wenn er sich nichts böses vorzuwerfen habe, solle ihm der Pfeil nichts zu Leide thun.

Amewakahiko feierte gerade das Erntefest, und müde von den vielen Festlichkeiten hatte er sich zur Ruhe gelegt und schlief, als der Pfeil hernieder in sein Herz fuhr. Natürlich ward er getödtet, da er schuldbeladen war und der Götter Willen schlecht, sehr schlecht befolgt hatte.

Seine Gattin Schitateru klagte so laut, daß ihr Wehgeschrei bis zu den Göttern im Himmel drang. Amewakahiko's Vater hörte es zuerst, und auf seine Erkundigung erfuhr er, daß sein Sohn todt sei. Da er ihn aber nicht in die Unterwelt ziehen lassen wollte, so erregte er einen gewaltigen Sturm, der den Leichnam mit sich fortriß und in den Himmel hob. Hier errichtete er ein Trauerhaus, und die aufgebahrte Leiche ward von ihm und von Amewakahiko's Gattin und Kindern, die er im Himmel zurückgelassen hatte, vorschriftsmäßig betrauert.[130] Die Vögel im Himmel aber, und besonders die Freunde und Genossen des Fasans, welcher die Veranlassung zu Amewakahiko's Tode gewesen, die Gans, der Hahn und der Sperling, halfen treulich bei den Leichenfeierlichkeiten. Als diese nun acht Tage und acht Nächte gedauert hatten, kam der Schwager und Freund des Verstorbenen, der Gott Ajischiki, in den Himmel gestiegen, um an den Trauerfeierlichkeiten Theil zu nehmen. Dieser aber sah dem verstorbenen Amewakahiko so sprechend ähnlich, daß ihn alle für diesen selber hielten, besonders die Wittwe und die Kinder, die sich an ihn herandrängten, seine Hände und Füße umfaßten und ihn ihren Vater nannten. Darüber erzürnte indessen Ajischiki gewaltig. »Ich komme,« rief er aus, »um meinen Freund zu betrauern, und deshalb scheuete ich die Unreinheit des Trauerhauses nicht; und nun hält man mich für einen Tobten! Wie soll ich diese entsetzliche Unreinheit wieder abwaschen?« Und als er dies gesprochen, da nahm er sein langes Schwert und hieb das ganze Trauerhaus zusammen. Es stürzte nieder und fiel auf die Erde, wo es noch heutzutage als der Trauerberg in der Landschaft Mino zu sehen ist. Ajischiki selbst stieg nun wieder auf die Erde hinab, und als er über Berg und Thal dahin zog, sah ihn die betrübte Schitateru und freute sich der Schönheit und des Lichtglanzes ihres Bruders so sehr, daß sie ihn in einem Liede besang, in dem sie sagte, daß er herrlicher als die Edelsteine des Himmels über die Thäler dahin schwebe und stattlicher sei, als die Himmelsgöttin, die den Himmelsfluß durchschreite. Durch dieses Lied erfuhren die Himmelsgötter, daß Ajischiki wieder auf Erden angelangt sei. Seit der Zeit aber scheut sich Jedermann, einen Lebenden dadurch zu erzürnen, daß er ihn mit einem Verstorbenen verwechselt.

Nachdem nun Amewakahiko todt war, wählten die Himmelsgötter einen neuen Abgesandten, der das Reich Japan in Ordnung bringen sollte, bevor Ninigi seine Regierung anträte. Die Wahl fiel auf Futsunuschi, das war ein Abkömmling der Götter,[131] welche aus dem von Isanagi zerstückten Feuergott entstanden waren. Als aber der gewaltige und kriegerische Donnergott Takemikadzutschi, der erste jener dem Feuergotte entsprossenen Götter, dies hörte, da trat er vor die versammelten Gottheiten des Himmels und rief: »Ist denn Futsunuschi allein ein Kriegsheld? Bin ich nicht stärker und gefürchteter als er? Warum kränkt ihr mich also damit, daß ihr ihn vorzieht und mich übergeht?« Da beschwichtigten die Himmelsgötter seinen Zorn, denn sie bewunderten seine Stärke, und sandten ihn nun mit Futsunuschi zugleich auf die Erde, um endlich das Land der lieblichen Schilfebenen, das Reich der acht Inseln, das herrliche Japan für Ninigi in Besitz zu nehmen.

Die beiden Götter begaben sich nun schleunigst nach Idzumo. Dort angelangt, pflanzten sie das große Himmelsschwert, das ihnen mitgegeben war, verkehrt in den Boden, den Griff nach unten. Dann knieten sie vor der emporgerichteten Spitze nieder und gelobten den Himmelsmächten Treue und Gehorsam. Als sie dies gethan, machten sie sich auf den Weg zu Ookuninuschi, der am Strande von Idasa fischte. Sie traten zu ihm und fragten ihn, ob er dem Ninigi, der von dem großen Himmelsgeiste zum Herrscher ausersehen sei, das Land gutwillig abtreten wolle. Ookuninuschi sprach: »Es wäre sehr thöricht von mir, dem großen Himmelsgeiste zu widerstreben! Wenn er befiehlt, so muß ich gehorchen. Indessen fordert ihr viel, und ich kann euch für jetzt keine entscheidende Antwort auf eure Frage geben, ehe ich nicht die Meinung und die Wünsche meines liebsten und weisesten Sohnes Kotoschironuschi kenne. Der ist aber nicht hier, er ist ausgezogen und wirft unterhalb des hohen Vorgebirges Miho seine Angel aus.« Als der Donnergott und sein Gefährte dies vernahmen, rüsteten sie ein Schiff, das die Himmelstaube hieß, zur Fahrt aus und schickten einen Gesandten an Kotoschironuschi, den Sohn Ookuninuschi's. Als der Gesandte ankam, berichtete er dem Kotoschironuschi getreulich alles was vorgefallen war, und dieser sprach ohne sich lange zu[132] besinnen: »Da die Botschaft von dem großen Himmelsgeiste kommt, glaube ich, daß mein Vater gut thut, sich nicht zu widersetzen. Er wird die Regierung des Reiches aufgeben und fortziehen müssen. Ich aber bin mit allem einverstanden, was mein Vater in dieser Angelegenheit thun wird.« Darauf pflanzte er eine achtfache Hecke nicht weit von dem flachen Strande, der sich unterhalb des Vorgebirges befindet, ins Meer; als aber die Hecke hoch und breit geworden war, stieß er mit dem Fuße sein Schiff um und verschwand hinter der grünen Mauer auf immer.

Der Gesandte, der zu Ookuninuschi mit dieser Botschaft zurückkam, verbeugte sich tief vor demselben, worauf Ookuninuschi in feierlichem Tone sprach: »Mein Sohn, auf den ich fest vertrauen konnte, ist dahingeschieden; meine Zeit ist um, auch ich muß fort. Wollte ich jetzt noch Widerstand leisten, so würden die Götter im Lande es ebenfalls thun. Doch ich will mich nicht widersetzen, und thue ich es nicht, so werden sich auch alle Landesgötter willig unterwerfen.« Mit diesen Worten überreichte er der Gesandtschaft seine mächtige Lanze und sagte, daß er dieselbe Ninigi zum Geschenke mache. Dieser würde, mit der ruhmreichen Waffe ausgerüstet, sicherlich die rechte Stätte für seine Herrschaft finden. »Ich selbst aber,« so schloß er, »werde mich am fischreichen Seestrande aller Augen entziehen.« Dann ernannte er noch einen Stellvertreter, Funado, den Gott der Seewege, der die Opfer für ihn in Empfang nehmen sollte, und Amenohohi ward ausersehen, sie ihm darzubringen. So endete die Regierung Ookuninuschi's. Der große Himmelsgott aber belohnte ihn durch einen Palast, den er ihm im Himmel schenkte, gewährte ihm einen Antheil an der Leitung der göttlichen Angelegenheiten und vermählte ihn mit einer seiner Töchter.

Quelle:
Brauns, David: Japanische Märchen und Sagen. Leipzig: Verlag von Wilhelm Friedrich, 1885, S. 126-133.
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