Danzaÿemon, der erste Häuptling der Yeta.

[281] Als der glorreiche erste Schogun Yoritomo noch mit seinem übermächtigen Widersacher Kiomori im Kampfe lag, hielt er sich einst längere Zeit im Hakonegebirge auf und heiratete dort eine Nebenfrau, die ihm auch einen Sohn schenkte. Nachdem Yoritomo später seine siegreiche Heldenlaufbahn begonnen, ließ er diese Frau und ihr Kind in ihren heimatlichen Bergen zurück und dachte schließlich kaum noch an die Tage der Zurückgezogenheit, die er mit ihr doch so glücklich verlebt. Die Frau hatte wohl manchmal die Absicht, zu ihrem Gemahle, dem mächtigen Herrscher des Landes, zu gehen und ihrem Kinde die Vortheile seiner Geburt zu sichern, aber der Ausführung derselben stellten sich immer wieder Hindernisse entgegen, und als sie sich endlich auf den Weg nach Kamakura, der Residenz des Schogun begeben wollte, vernahm sie, Yoritomo sei gestorben, und zwischen seinen Nachkommen und Verwandten seien blutige Zwistigkeiten ausgebrochen. Da wollte sie ihren Sohn solchen Fährlichkeiten nicht aussetzen, sondern blieb mit ihm ruhig in einem kleinen Dorfe des Hakonegebirges, wo sie und ihr Sohn sich nicht nur redlich nährten, sondern auch ein kleines Besitzthum erwarben. Dieses Erbe ging dann viele Generationen hindurch vom Vater auf den Sohn über, es ward von manchen seiner Besitzer noch vermehrt, und so hatten dieselben mit der Zeit sich eines gewissen Wohlstandes zu erfreuen und genossen ein um so größeres Ansehen in ihrem Dorfe, als den Einwohnern desselben ihre erlauchte Abstammung sehr wohl bekannt war.

Nun ereignete es sich, daß viele Jahre nach Yoritomo's Tode aufs neue ein Zweig seiner Familie, die Linie der Aschikaga, die Schogunwürde erblich an sich brachte. Der dritte Regent aus dieser Schogundynastie war Yoschimitsu, ein unternehmender, kriegerischer Fürst, der ganz besonders an der Jagd ein großes Vergnügen fand und oft in den wildesten Theilen des Hakonegebirges[282] derselben nachging. Er liebte es, unbetretene Pfade aufzusuchen und bestieg auch, als der erste unter allen Sterblichen, im Jahre 1387 den Gipfel des Fuji-Yama, lange bevor derselbe, wie dies jetzt der Fall ist, von Pilgerschaaren besucht ward.

Dieser Schogun Yoschimitsu kam auf seinen Streifzügen einstmals in das Dorf, in welchem die Abkömmlinge Yoritomo's seit nunmehr zweihundert Jahren friedlich gelebt hatten. Er war sehr erstaunt, als ihm die Dorfbewohner mit der Nachricht entgegenkamen, daß hier bei ihnen ein Verwandter von ihm, das eigentliche Oberhaupt seiner ganzen Familie wohne, und als sie ihm die Geschichte desselben und seiner Vorfahren ganz ausführlich erzählten, so daß er an ihrer Richtigkeit durchaus nicht zweifeln konnte. Er war, wie man sich leicht denken kann, sehr betroffen über dies unerwartete Auftauchen eines Vetters, dessen Ansprüche ihm möglicher Weise unbequem werden konnten. Aber er bedachte doch, daß es unpassend sei, Yoritomo's Blut unter Bauern verkommen zu lassen; er ließ daher den Danzayemon – so hieß der damals lebende Urenkel Yoritomo's – vor sich kommen und fragte ihn, ob er nicht ein Samurai, ein Krieger werden und damit in den Adelstand treten wolle; dann könne er in seinen oder eines anderen Fürsten Diensten sich den Weg zu Ruhm und Ehre bahnen. »Nein,« war die entschiedene Antwort Danzayemon's, »ich ziehe es vor, ein Bauer zu bleiben. Würde ich ein Krieger, so müßte ich Jemand gehorchen, während ich hier auf eigenem Grund und Boden Herr und Gebieter bin. Ein Amt, das mich zum Herren und obersten Befehlshaber über noch so wenige und noch so wenig geachtete Untergebene machte, würde ich nicht verschmähen; verlang aber nicht von mir, daß ich aus meinem unabhängigen Stande in einen abhängigen trete.« Yoschimitsu war über diese vermessene und trotzige Rede sehr erzürnt; er bedachte sich einen Augenblick und erwiderte dann, um Danzayemon auf geschickte Weise zu bestrafen: »Nun wohl, so werde du das Oberhaupt der Yeta! Da bist du Niemand untergeben und herrschest über sie wie ich über Japan.« Die[283] Yeta waren aber die als unrein angesehenen Leute, welche sich mit Bereiten des Leders und anderer Abfälle von getödteten Thieren zu befassen hatten, sie waren daher allgemein verachtet und ausgestoßen, und ihnen lag unter anderem auch die Hinrichtung solcher Verbrecher ob, welche eines schimpflichen Todes sterben, etwa an ein Kreuz gebunden und mit Lanzenstichen getödtet oder auf andre grausame Art vom Leben zum Tode gebracht werden sollten. Wer – durch Bauchaufschlitzen und Köpfen – einen ehrenvollen Tod sterben sollte, durfte mit ihnen nicht in Berührung kommen, und überhaupt war alles mit Verachtung gebrandmarkt, was mit den Yeta irgend in Zusammenhange stand. Es waren, wie man sagte, auch zu einem großen Theile gar keine Japaner, sondern Kriegsgefangene, aus denen diese Kaste der Yeta zusammengesetzt war.

Man kann sich leicht denken, wie hart sich Danzayemon durch diesen Ausspruch getroffen fühlte; allein der Schogun hatte ihn beim Worte genommen, und er war viel zu stolz, dasselbe zurückzunehmen und um eine andere Entscheidung zu bitten. So zog er denn hin und ward Häuptling der Yeta, sprach ihnen Recht und regelte alle ihre Obliegenheiten gegen den Staat. Sein Wort galt bei ihnen ohne Widerspruch, er herrschte in der That unumschränkt über sie.

Und so blieb es auch unter seinen Nachkommen, denn Yoschimitsu verlieh ihm jene Würde erblich. Fast fünf Jahrhunderte hindurch sind auf diese Weise Danzayemon's Nachkommen die Oberherren aller Yeta in ganz Japan gewesen. Erst in dem denkwürdigen Jahre 1868 wurde der Bann, unter welchem diese Leute gelebt hatten, aufgehoben; sie wurden nun den übrigen Japanern vor dem Gesetze gleich, und die Herrschaft von Danzayemons Abkömmlingen hörte auf. Noch aber wohnen die Yeta an vielen Orten getrennt von den übrigen Einwohnern; das Volk hält ihre Beschäftigungen immerfort für unrein, sie selbst aber sind keineswegs gewillt, ihre altgewohnten Gewerbe aufzugeben, welche ihnen von jeher und jetzt noch mehr als zuvor zu Wohlstand verholfen haben. –

Quelle:
Brauns, David: Japanische Märchen und Sagen. Leipzig: Verlag von Wilhelm Friedrich, 1885, S. 281-284.
Lizenz:
Kategorien: