Die Thonfiguren auf den Grabhügeln der Fürsten.

[248] In uralter Zeit bestand der grausame Brauch, daß man, um Könige und Prinzen nach ihrem Tode besonders hoch zu ehren, ihnen außer ihren Kostbarkeiten und Leibrossen auch ihre Dienerschaft ins Grab mitgab. Man erzählt, daß viele Diener in jenen alten Tagen eine so große Anhänglichkeit an ihre Herren besaßen, daß sie bei deren Ableben flehentlich darum baten, man möchte sie tödten und sie nicht ihr übriges Leben in[248] Trauer um den verlorenen Gebieter verbringen lassen. Nicht alle aber dachten so, und die Paläste erschallten gar oft von dem Klaggeschrei der Armen, die unschuldig den Tod zu erdulden hatten, wenn ihr Herr gestorben war.

Noch schlimmer aber ward die Sache, als sich Niemand mehr finden wollte, der sich mit dem Blute der Schuldlosen beflecken mochte, und als man deshalb die viel grausamere Sitte einführte, die Diener und Dienerinnen der Vornehmen rings um die Grabstätten lebend einzugraben. Die Erde ward bis an den Hals um sie zugeschaufelt, dann aber mußten sie verschmachten und erfüllten oft noch oft viele Tage lang die Luft mit ihrem Wehgeschrei.

Diese Unmenschlichkeit war noch in vollem Gange, als Kaiser Suinin, von welchem die Heldensage viel wunderbares berichtet, den Thron Japans inne hatte, und so kam es, daß dieser Kaiser selbst Zeuge eines derartigen Begräbnisses wurde. Sein Oheim war gestorben, und man hatte zu dessen Ehre die sämmtliche Dienerschaft in die Erde gegraben und Hungers sterben lassen. Der Kaiser mußte in seinen Gemächern das Jammergeschrei der armen Opfer Tag und Nacht anhören, bis der Tod sich endlich ihrer erbarmte.

Dies empörte den Kaiser aufs äußerste, und um eine Wiederholung der abscheulichen Scene nie wieder erleben zu müssen, versammelte er einen hohen Rath, in dessen Sitzung er erklärte, er werde fürder nicht gestatten, daß die treuen Diener eines Fürsten so schnöden Lohn für ihre Anhänglichkeit erhielten. Er gab seinen Ministern auf, darüber nachzudenken und ihm Vorschläge zu machen, wie in solchen Fällen die Ehrfurcht gegen die Todten gewahrt bleiben könnte, ohne daß man sich einer so abscheulichen Grausamkeit schuldig machte.

Die Minister fanden lange Zeit hindurch keinen Ausweg; als aber viele Jahre hernach die Kaiserin Hibasu, die geliebte Gattin des Kaisers Suinin, starb, da gedachte der Kaiser in seiner tiefen Trauer jenes Beschlusses und sprach zu den obersten[249] Räthen: »Es ist schon seit langer Zeit beschlossen, daß wir den grausamen Brauch nicht mehr dulden wollen, demzufolge Lebende den Todten geopfert werden. Was aber sollen wir an dessen Stelle thun, um der Abgeschiedenen unsere Ehrfurcht und Liebe zu beweisen und ihren Geist nicht zu erzürnen? Was wißt ihr mir zu rathen?« Hierauf trat einer der vornehmsten Beamten am Hofe, Nominosukune, vor ihn, und nachdem er die Weisheit und Milde des Regenten gebührend gepriesen, der den alten grausamen Brauch nicht länger dulden wolle, bat er, man möge ihm Thonbildner zusenden und unter seinen Befehl stellen, dann wolle er schon Rath schaffen. Sofort ließ der Kaiser aus Idzumo, wo damals die besten Thonbildner wohnten, eine Anzahl derselben herbeikommen und schickte sie zu Nominosukune; dieser wies sie an, Thonfiguren anzufertigen, welche ganz einem Menschen glichen; andere solche Figuren stellten Pferde und sonstige Thiere dar. Diese zeigte alsdann Nominosukune dem Kaiser und bat ihn, er möge befehlen, daß man von nun an stets die lebenden Menschen und Thiere bei den Begräbnissen der Prinzen und sonstigen Großen durch solche Thonbilder ersetzen solle.

Der Kaiser war mit dem Vorschlage sehr zufrieden; er belobte Nominosukune höchlich und ordnete sofort an, daß solche Thonfiguren rings um das Grabmal der Kaiserin Hibasu aufgestellt würden. Und ebenso, befahl er, solle es bis in alle Zukunft gehalten werden. Man nannte diese Einrichtung die Thonhecke, weil die Figuren dicht neben einander aufgestellt wurden, bis der Kreis um das Grab geschlossen war. Der Erfinder ward zum Vorsteher einer neuen Gewerkschaft ernannt, welche derartige Thonbildnisse zu verfertigen hatte, und mit viel Land beschenkt, auf welchem die Arbeit betrieben werden konnte. Auch bekam er das Ehrenamt eines Oberaufsehers bei den Trauerfeierlichkeiten für die Mitglieder der kaiserlichen Familie.

Die Thonpuppen, welche durch Kaiser Suinin eingeführt wurden, waren schwärzlich von Farbe, ähnlich den japanischen Dachziegeln, und gaben durch die Kleidung und durch die Attribute,[250] mit denen man sie versah, zu erkennen, wen sie darstellen sollten.

Indessen kam der Befehl des Kaisers Suinin zu Zeiten wieder in Vergessenheit, und namentlich ahmten nicht alle Großen das rühmliche Beispiel der Kaiserfamilie sogleich nach; daher denn berichtet wird, daß der fromme Kaiser Kotoku, mehr denn sechs Jahrhunderte später, den Befehl seines Vorgängers Suinin verschärft in Erinnerung brachte und dadurch im ganzen Lande die alte Unsitte für alle Zeiten beseitigte.

Quelle:
Brauns, David: Japanische Märchen und Sagen. Leipzig: Verlag von Wilhelm Friedrich, 1885, S. 248-251.
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