Iwama Kanzaÿemon.

[421] Im vorigen Jahrhundert lebte in der Hauptstadt Yedo ein Mann, Iwama Kanzayemon, der zwar bei seinen Nachbaren in gutem Rufe stand, im Grunde jedoch einen bösartigen Charakter hatte und sehr geldgierig war. Er war noch unverheirathet, als er einstmals mit einem buddhistischen Priester, seinem Hausgenossen, der mit ihm sehr befreundet war und volles Vertrauen in ihn setzte, eine Reise nach Kioto verabredete. Der Priester hatte zu einem frommen Zwecke einige hundert Thaler gesammelt und beabsichtigte dieselben einem der Tempel in der Nähe von Kioto zu überbringen. Als nun aber der Morgen anbrach, an dem sie beide abreisen wollten, kam Kanzayemon in des Priesters Schlafgemach und erschlug ihn. Nachdem er das Geld, das der Priester schon in den für die Reise bestimmten Kleidern untergebracht, richtig gefunden und an sich genommen hatte, wußte er den Leichnam zu verstecken, und so blieb der abscheuliche Mord nicht nur unentdeckt, sondern es heftete sich auch nicht der geringste Verdacht auf Kanzayemon, der mit dem Gelde des Priesters gute Geschäfte machte und sich bald darauf verheiratete. Welcher Schrecken aber war es für ihn, als der älteste Sohn, der ihm geboren ward, auf ein Haar jenem von ihm gemordeten Priester glich. Kanzayemon erinnerte sich, daß dieser ein Mal an der Hüfte hatte; er sah nach, und das Kind hatte auch dieses Zeichen an der nämlichen Stelle. Nun fühlte er wohl, daß die Vergeltung über ihn hereinbrach; er trachtete daher stündlich danach, sich durch Gebete, durch Opfergaben an die Tempel und ernstliche Reue derselben zu entziehen. Es wurden ihm nach und nach noch drei Kinder geboren, noch ein zweiter Sohn und zwei Töchter; als diese heranwuchsen, zeigte sich bei allen eine ganz und gar verderbte Gemüthsart. Beide Söhne wurden Spieler und brachten ihren Vater beständig in Ungelegenheiten und in Verlust; die Töchter ergaben sich einem ausschweifenden[422] Lebenswandel und brachten ihn in Schmach und Schande, und als er mit Hülfe seiner Frau sie auf bessere Wege zu bringen versuchte, fand er zu seinem tiefsten Schmerze, daß auch seine Frau ihn hinterging und um nichts besser war, als ihre ehrvergessenen Töchter. Auf diese Weise gerieth Kanzayemon endlich in Verzweiflung, und einstmals, als seine Söhne wiederum einen schlechten Streich ausgeführt, eröffnete er einem seiner Freunde, er wolle seinem Leben durch Bauchaufschlitzen ein Ende machen, und bat denselben, in der üblichen Weise ihm nach der eigenhändigen Ausführung des Bauchschnittes den Kopf abzuhauen. Wie dies jedem Japaner heiliges Gesetz, willigte der Freund sofort ein, und er nebst allen Bekannten Kanzayemons beklagte denselben aufrichtig wegen aller Leiden, welche die Seinigen ohne sein Verschulden über ihn brächten. Alle aber erstaunten sehr, als Kanzayemon bei der feierlichen Ceremonie des Bauchaufschneidens ihnen erzählte, was er früher verübt habe, und wie er nicht schuldlos leide, sondern in Folge des göttlichen Strafgerichtes, das er seit der Geburt seines ersten Kindes langsam aber sicher habe heranziehen sehen.

Quelle:
Brauns, David: Japanische Märchen und Sagen. Leipzig: Verlag von Wilhelm Friedrich, 1885, S. 421-423.
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