Schiunsei.

[314] Einst lebte in der Provinz Tschoshiu ein Priester mit Namen Schiunsei, der stets mit äußerster Gewissenhaftigkeit allen Verpflichtungen und frommen Bräuchen, die ihm oblagen, nachkam. Einmal aber fand er beim Erwachen, daß der Schlaf ihn allzusehr übermannt und daß er die Stunde des Gebetes versäumt hatte. Sein Schmerz darüber war außerordentlich groß, und er beschloß, durch schwere Entsagungen für seine Unterlassungssünde zu büßen. Er fastete und kasteiete sich lange Zeit;[314] da aber erschien ihm plötzlich Buddha selbst. Der Glanz der Erscheinung war zwar durch einen Nebel, ähnlich einem Weihrauchnebel, gemildert, aber Antlitz und Gestalt des Erhabenen waren deutlich zu erkennen. In Entzücken darüber, daß die Gottheit selber ihm in solcher Weise Verzeihung verkündete, warf er sich zum Gebete nieder. Um indessen das Bild Buddha's stets vor Augen zu haben, flehete er, derselbe möchte ihm doch ein Andenken an diese tröstliche Stunde schenken, und alsbald zeichnete sich das Bild ganz von selbst auf einem der Papierfenster des Gemaches ab. Schiunsei bewahrte es sorgsam und ward vom Volke als ein Liebling des großen Buddha gepriesen; noch höheren Ruhm erntete er aber für seine Frömmigkeit, als er in späteren Jahren von einer schmerzhaften Ohrenkrankheit befallen und taub ward, und als dann nach einiger Zeit das eine Ohr zu klingen begann und aus demselben ein Knöchelchen hervorkam, welches ganz und gar die Gestalt Buddha's hatte, wie er dasitzt und die Menschheit segnet.

Quelle:
Brauns, David: Japanische Märchen und Sagen. Leipzig: Verlag von Wilhelm Friedrich, 1885, S. 314-315.
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