Der Wunderkessel.

[42] In einer der Provinzen im inneren, bergigen Theile von Japan, in Joschiu, lebte ein Priester in einem kleinen Tempel. Derselbe kramte einst in dem alten Gerümpel, das in den Winkeln umherlag, und da zog ein alter eiserner Wasserkessel, der wohl lange, lange Jahre das Tageslicht nicht mehr gesehen, seine Aufmerksamkeit auf sich. Der Priester nahm ihn in die Hand, besah ihn von allen Seiten, und wie er fand, daß der alte Bursch noch unversehrt und nirgends schadhaft war, da reinigte er ihn vom Staube und nahm ihn mit sich auf sein Zimmer. »Das war ein guter Fund,« dachte der Priester und schmunzelte ob des Vortheils, den er sich verschafft hatte; denn ein guter Wasserkessel kostet viel Geld, und man kann froh sein, für den Fall der Noth einen zweiten Kessel in Bereitschaft zu haben. Deshalb nahm er denn auch seinen eigenen Kessel, der schon anfing, schadhaft zu werden, rasch vom Kohlenfeuer herunter, füllte den eben gefundenen Kessel und stellte ihn vergnügt an die Stelle des anderen.

Doch kaum ward das Wasser in dem Kessel warm, so bekam der Priester ein Schauspiel zu sehen, von dem er sich nichts hätte träumen lassen. Der wunderbare Kessel nämlich bekam einen Kopf und einen Schwanz, die sich lang hervorstreckten, und als nun auch noch vier Beine zum Vorschein kamen, da erkannte der Priester, daß der Kessel ein regelrechter, ausgewachsener Tanuki1 wurde, der alsbald vom Kohlenbecken herunterstieg und nach Herzenslust im Zimmer umherzuspringen begann. Der Priester, über alle Maßen erstaunt, wollte unwillkürlich sein Gebet hersagen; doch kam er nicht dazu, denn der Tanuki machte so tolle Sprünge gegen die Wände und an die Decke des Zimmers, daß der Priester ganz von Angst ergriffen ward und einen jungen Ordensbruder herbeirief. Mit diesem ging er[43] nun dem wilden Thiere zu Leibe; mit Besen und langen Bambusstäben schlugen sie so lange auf den Tanuki ein, bis sie endlich seiner habhaft wurden und ihn in einer Holzkiste fest verwahrten. Als dies geschehen war, setzten sie sich ermüdet auf die Matten nieder und beriethen, was sie mit dem Thier anfangen sollten. Nachdem sie die Sache hin und her überlegt hatten, beschlossen sie, dasselbe zu verkaufen, und sandten zu diesem Zwecke zu einem Handelsmanne, von dem sie wußten, daß mit ihm ein solches Geschäft gemacht werden könne. Der Handelsmann kam denn auch; als sie aber vorsichtig den Deckel der Kiste öffneten, um den Tanuki besichtigen zu lassen, da war derselbe verschwunden, und der alte Kessel stand so ruhig und gleichmüthig da, als ob die ganze Sache ein Traum gewesen wäre. Dem mochte indessen sein, wie ihm wollte, auf keinen Fall konnte und mochte der Priester den Kessel behalten, und deshalb verkaufte er ihn ohne Zögern an den Handelsmann für ein Geringes, und als dieser mit dem Kessel abzog, da war der Priester froh und glücklich, das unheimliche Ding los zu sein.

Der Handelsmann aber, der den Kessel nach Hause trug, merkte, daß derselbe schwerer und schwerer wurde, und deshalb warf er ihn ärgerlich in eine Ecke seines Zimmers und dachte nicht weiter an ihn. Doch in der Nacht, als er sich schon zur Ruhe gelegt hatte und eben eingeschlafen war, da weckte ihn ein Geräusch, das von der Stelle herkam, wo der alte Kessel stand. Er ermunterte sich und blickte aufmerksam dorthin, sah aber nichts als den Kessel. Nach einiger Zeit jedoch wiederholte sich das Geräusch, und als er nun abermals nach der Stelle hinsah, da verwandelte sich der alte Kessel in einen Tanuki, der die abenteuerlichsten Sprünge machte. Er setzte sich auf das Gestell, in dem die Nachtlampe brannte, ohne es irgend wie zu beschädigen, dann kletterte er an den Balken umher und schlug die lustigsten Purzelbäume. Der Kaufmann sah verwundert und auch etwas in Angst alle dem zu und schloß erst gegen Morgen die Augen. Als er dann bei Tageslicht erwachte, stand der alte[44] Kessel richtig an seinem Platze. Nun verschloß der Kaufmann sein Haus und ging zu einem alten Nachbar, um diesem die Geschichte zu erzählen. Der alte Mann hörte ihn ruhig an, schien aber gar nicht verwundert; er behauptete, in seiner Jugend einmal von einem solchen Wunderkessel gehört zu haben, und rieth dem Besitzer, ihn für Geld der Welt zu zeigen. »Du kannst ein reicher Mann werden,« setzte er hinzu; »doch wenn du auf meinen Rath eingehst, so mußt du zuvor die Einwilligung des Tanuki erbitten, und vor allen Dingen mußt du vermeiden, daß während der Vorstellung ein Gebet gehalten oder sonst eine religiöse Feierlichkeit veranstaltet wird, denn das würde den Tanuki sofort verscheuchen.« Der Handelsmann verabschiedete sich von seinem Nachbar und dankte ihm für den guten Rath. Gesagt, gethan: die Einwilligung des Tanuki ward eingeholt, eine Bude erbaut und das Volk benachrichtigt, daß es für Geld hier das Allermerkwürdigste erblicken könne, das je gesehen worden sei.

Vor der zahlreich erschienenen Menge wurde nun auf der Bühne der unscheinbare eiserne Wasserkessel gezeigt und niedergesetzt; doch auf Kommando streckten sich Kopf und Schwanz und die vier Beine hervor, und dann ging der Tanz los. Der Tanuki ging behende und nach allen Regeln der Kunst auf dem gespannten Seile auf und ab, er führte mit Grazie den Fächertanz aus und riß die begeisterten Zuschauer zu brausendem Beifall durch den Regenschirmtanz hin. Alles war aus Rand und Band, der Jubel hatte kein Ende. Tag für Tag war nun die Schaubude gedrängt voll, denn Jedermann wollte den viel bewunderten Tanuki sehen. Wie der weise Nachbar vorhergesagt, so kam es; der Handelsmann ward reicher und reicher. Doch war er nicht glücklich; die Sache hatte einen kleinen Haken. Er mußte das Beten verabsäumen, und daran konnte er sich nicht recht gewöhnen. So nahm er denn eines Tages den Kessel unter den Arm und steckte hundert Goldthaler ein. Beides brachte er dem Priester, von dem er den Kessel gekauft. Nachdem er ihm von[45] allem getreulich Bericht erstattet, machte er ihm begreiflich, daß er nun doch den Kessel nicht länger behalten könne, und bat ihn, für Ablaß seiner so lange fortgesetzten Unterlassungssünden zu sorgen und dagegen die hundert Goldthaler als Sühnegeld anzunehmen.

Der Priester ging nach einigem Überlegen auf die Wünsche des Bittenden ein; er versprach, durch Gebete die Götter zu erweichen und sie zu bewegen, daß sie dem Handelsmanne im ruhigen Besitze seines übrigen Geldes beließen. Zugleich aber vermochte er den Reumüthigen, zu den hundert Goldstücken noch so viel hinzuzulegen, daß eine kleine Kapelle erbaut werden konnte. In diese Kapelle stellte alsdann der Priester den Kessel und sprach ihn heilig. Man nannte ihn nun den großen kunstverständigen Heiligen, und die Menge kam scharenweis von allen Seiten, um ihn anzuschauen, und spendete dem Tempel gar manche Gabe.

Freilich ward die heilige Ruhe der Kapelle niemals wieder durch das Erscheinen eines Tanuki gestört, der Kessel aber steht noch heutzutage dort, und Jeder, der Lust hat, kann ihn nach Belieben in Augenschein nehmen.

1

S. Märchen: des Tanuki Scherflein, S. 26.

Quelle:
Brauns, David: Japanische Märchen und Sagen. Leipzig: Verlag von Wilhelm Friedrich, 1885, S. 42-46.
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