Des Tanuki Scherflein.

[25] Einst lebte in einem Dorfe der Landschaft Hidatschi, die sich längs der östlichen Meeresküste im Norden von der Hauptstadt Tokio ausbreitet, ein frommer Priester, der mit Wohlthun und steter Bethätigung der Liebe zu seinen Nächsten still, aber vergnügt seine Tage verbrachte. Anspruchslos, wie er war, klagte er nie, daß die Götter ihm keine von den Priesterstellen gewährt hatten, welche irdische Schätze verleihen; er fühlte sich vollkommen zufrieden im Besitze des wenigen, was er hatte. Sein Amt besorgte er mit seltener Treue, und wenn er nach gethaner Arbeit abends in seinem friedvollen Stübchen saß, blieb ihm nichts zu wünschen übrig. Seine Wohnung lag dicht neben dem Tempel in einem schönen Cedernhaine, der im Sommer Kühlung gewährte, im Winter aber, wenn die Stürme vom Ozean daher weheten und in den hohen Wipfeln der Cedern rauschten, dann schob der fromme Priester seine Läden dicht zu und setzte sich neben dem Kohlentopf nieder. Wenn derselbe recht in Gluth war und eine behagliche Wärme verbreitete, dann fühlte er sich so glücklich, daß er mit keinem Fürsten hätte tauschen mögen.

Einstmals, es war ein bitter kalter Winterabend, saß er in seiner wohldurchwärmten Klause an seinem Tischchen und las mit gedämpfter Stimme in seinen Gebetbüchern, als er plötzlich ein leises Pochen an den äußeren Läden, welche rings um das[25] Haus liefen, zu vernehmen glaubte. Er horchte auf, und als sich das bescheidene Klopfen wiederholte, stand er auf, schob den Riegel an dem Thürladen zurück und öffnete. Zu seiner großen Verwunderung stand ein Tanuki1 vor der Thür und bat um Einlaß. Mitleidig, wie der Priester war, gewährte er dem armen Thiere, das vor Kälte und Hunger zitterte, gern seine Bitte, er hieß den Tanuki sich wärmen, und als er sein Abendbrot verzehrte, gab er ihm einige Fischabfälle und sättigte den Gast so gut er es vermochte. Als die Zeit kam, wo sich der Priester zur Ruhe legte, war der Tanuki in seinem Winkel bereits vor Erschöpfung eingeschlafen; der Priester ließ ihn daher ungestört liegen. Aber am anderen Morgen war das Thier schon frühzeitig aufgestanden; es dankte seinem Wirthe und verabschiedete sich. Der Priester sah den seltsamen Besuch lächelnd ziehen und hatte ihn fast vergessen, als am Abend sich das nämliche wiederholte. Der Tanuki klopfte, ward eingelassen und gefüttert, und nachdem er die Nacht gut und ungestört geschlafen, ging er am nächsten Morgen wieder fort. So lange die Winterszeit dauerte, kam nun Abend für Abend der Tanuki, und der Priester gewöhnte sich so an seinen Gesellschafter, daß er ganz betrübt wurde, wenn derselbe einmal ausblieb. So verging der Winter, und als es Frühling wurde, da mußte der Tanuki scheiden; denn seine Heimat war der Wald, und dort hatte er auch Angehörige, zu denen er zurückkehren mußte. Er nahm also Abschied von seinem Freunde, dem Priester, und versprach, wieder zu kommen, sobald die kalte Jahreszeit ins Land zöge. Der Priester war damit zufrieden und beurlaubte den Tanuki, und als der Sommer vergangen war und Schnee die Flur bedeckte, als nachts rauhe Stürme einherjagten und Kälte und Frost mit sich brachten, da stellte sich der Tanuki richtig wieder ein und verbrachte die[26] Abende in der warmen Stube des Priesters auf die behaglichste Weise.

Abermals war der Winter verstrichen, und der Frühling nahete. Da fragte eines Abends der Tanuki seinen Wirth, ob er denn gar keinen Wunsch habe? Der Priester dachte ein Weilchen nach und erwiderte dann freundlich: »O, ja, ich hätte wohl einen Wunsch, aber den kann ich mir nicht erfüllen. Sieh, ich möchte so gern mir eine Grabstätte an einem heiligen Orte kaufen und das Geld haben, das ich für einige Feierlichkeiten bei meinem Begräbnisse bestimmen könnte. Indessen gehören zu diesen Dingen drei Thaler, und die vermag ich nicht aufzubringen; ein armer Priester, wie ich, muß froh sein, wenn er kümmerlich seinen Lebensunterhalt zu bestreiten vermag.« Als er nun aber sah, daß der Tanuki darüber ganz betreten ward und sehr trübselig dasaß, setzte er sogleich hinzu: »Was schadet es? Im Grunde sind meine Wünsche doch nur Eitelkeiten, deren ich mich schämen sollte. Was verschlägt es, wie man bestattet wird? Das beste Andenken geben gute Thaten!« Der Tanuki, in Gedanken verloren, entgegnete nichts weiter und berührte den Gegenstand dieses Gespräches nicht wieder. Wie nun die warme Frühlingssonne vom Himmel herniederstrahlte und alles mit Blüthenpracht überschüttete, da nahm das Thier von seinem Wirthe Abschied und verschwand wie das Jahr vorher. Der Sommer verging, wie in jedem Jahre; er brachte der Freuden viele, spendete seinen Reichthum an Früchten jeder Art und ließ die Menschen fast vergessen, daß es einen Winter gäbe. Doch der böse Gesell kam unvermerkt dahinter her mit allen seinen Unbilden; Flur und Straßen wurden menschenleer, die Vögelchen verkrochen sich in ihre Schlupfwinkel, der heisere Schrei des Fuchses tönte durch die kalte Nacht, und wer ein schadhaftes Haus hatte, der stopfte jede Spalte zu und trachtete, sich so gut es ging vor der Kälte zu schützen.

Schon manche Nacht hatte der Priester in seinem warmen Zimmer gesessen und den Tanuki erwartet; er kam nicht, und[27] so oft auch der gute Priester vor die Thür eilte, wenn es wie ein leises Klopfen ertönte, so mußte er doch stets unverrichteter Sache die Thür wieder schließen. Der Tanuki kam nicht, er war und blieb verschwunden. Im nächsten Jahre wartete der Priester ebenso vergebens, und als der Tanuki auch im dritten Winter ausblieb, da gab ihn der Priester verloren und meinte, ein Jäger hätte das arme Thier erlegt, oder ein Bär oder Wolf hätte es zerrissen. So verging die Zeit; der Priester fühlte mehr und mehr, wie alt er wurde und dachte oft an seinen Tod.

Der Sommer war abermals dahin und der Winter im Anzuge, als eines Abends wieder, ganz wie ehedem, ein leises, bescheidenes Klopfen an den Außenläden des Hauses ertönte. Neugierig sprang der Priester auf und öffnete, und o Freude, da stand unversehrt der Tanuki. Der Priester ließ den alten Freund rasch eintreten, und als derselbe auf seinem alten Platze sich's bequem gemacht hatte, da erzählte er auf die Frage des Priesters, wo er denn die drei letzten Winter gesteckt habe, folgendermaßen:

»Euer Wunsch, den Ihr gegen mich aussprachet, ging mir sehr zu Herzen, und ich beschloß, alles mögliche dafür zu thun und zu wagen, daß ich Euch die drei Thaler verschaffte, welche Ihr zu einem würdigen Begräbnisse braucht. Als ich mich umhörte, wo ich wohl etwas verdienen könnte, da vernahm ich viel Rühmens von der Insel Sado, wo viel Goldwäschereien wären. Ich erbettelte mir daher das Geld für die Überfahrt und fing dort an zu arbeiten. Aber das Gold ist rar, und meine Pfoten waren so ungeschickt, daß ich drei Jahre brauchte, um so viel Gold zu sammeln, daß es für Euch genügt. Hier sind nun die drei Thaler in diesem Täschchen; bitte, nehmt es freundlich an!«

Der Priester war nicht nur aufs äußerste erstaunt, sondern auch tief gerührt. Er weigerte sich, das so sauer erworbene Geschenk des Tanuki anzunehmen; allein dieser bat ihn mit Thränen in den Augen darum und sagte: »Was würde mir das Geld nützen! Ich könnte es ja doch nicht brauchen!«[28]

»Wenn ich so ohne weiteres das Geld annehme,« entgegnete der Priester, »so wird man sicherlich sagen, es sei nicht ehrlich verdient. Bestehst du also darauf, daß ich es annehme, so muß ich dich bitten, mit mir in den Tempel zu gehen und deine Erzählung vor aller Welt zu bestätigen, damit man mir glaubt und mich nicht für einen Betrüger hält.«

Der Tanuki war es zufrieden und erfüllte die Bitte des Priesters. Alle Menschen aber, welche seine Erzählung hörten, priesen den treuen, dankbaren Tanuki.

Der Priester kaufte sich nun einen Begräbnisplatz an heiliger Stelle und bestellte die Opfer, welche bei seinem Tode gebracht werden sollten. Hochgeehrt von aller Welt lebte er aber noch lange Jahre, und der Tanuki kam Winter für Winter jeden Abend zu ihm und leistete ihm in seiner Einsamkeit treu Gesellschaft.

1

Eine besondere Art fuchsartiger Thiere, nicht viel kleiner als der Fuchs, aber grau gefärbt, mit nur mäßig langem Schwanz und im Stande zu klettern. Der systematische Name ist Nyctereutes viverrinus. Dies Thier ist häufig in Japan und beliebtes Jagdthier.

Quelle:
Brauns, David: Japanische Märchen und Sagen. Leipzig: Verlag von Wilhelm Friedrich, 1885, S. 25-29.
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