Die Krabbe und der Affe.

[29] Es war einmal eine Krabbe, die wohnte an der Schattenseite eines Berges in einer netten kleinen Höhle. Sie hielt dieselbe reinlich, wie es einer guten Hausfrau geziemt, und nährte sich durch Fleiß und Arbeitsamkeit redlich. Eines Tages sah sie auf dem Wege gekochten Reis liegen, der wahrscheinlich von einem Wandersmanne zurückgelassen war, welcher hier seine Mahlzeit gehalten hatte. Geschwind lief sie herzu, bemächtigte sich der leckeren Mahlzeit und machte sich daran, dieselbe in ihre Wohnung zu tragen. Da trat ein Affe, der auf demselben Berge wohnte, zu ihr heran, und da er auch sehr lüstern auf den Reis war, so bot er ihr einen Tausch an. Der schlaue[29] Bursch hatte eben einen schönen, saftigen Kaki1, so roth wie ein Liebesapfel und so süß wie Zucker, gegessen; von diesem hielt er die Kerne in der Hand und wollte dieselben der Krabbe für den Reis geben. Nun glaubt ihr wohl, die Krabbe hätte den Affen ausgelacht ob des lächerlichen Vorschlags? Nein, das that sie nicht; das kluge Thierchen legte den Kopf auf die eine Seite, blickte dem Affen gutmütig in das verschmitzte Gesicht und ging den Tausch nach einigem Besinnen ein. Der Affe verschlang sofort den Reis, und die Krabbe zog mit den Kernen des Kaki heim, die sie sogleich in ihrem klemm Garten gerade vor der Öffnung ihrer Höhle pflanzte.

Eine lange Zeit war verflossen, als der Affe wieder einmal des Weges kam und die Krabbe, welche gemächlich vor ihrer Thür im Schatten eines herrlichen Kakibaumes saß, höflich begrüßte. Das war nämlich derselbe Baum, der aus ihren Kernen seitdem emporgewachsen war. »Guten Tag,« sprach der Affe. »Schönen Dank,« sagte die Krabbe. »Dein Baum,« fuhr jener fort, »hat ja ausnehmend schöne Früchte; ich bin sehr hungrig, willst du mir nicht ein Paar derselben schenken?« »Herzlich gern wollte ich das,« entgegnete die Krabbe, »doch mußt du mich entschuldigen, ich kann nicht auf den Baum klettern und dir welche herunter holen.« »Das brauchst du auch nicht,« fiel ihr der Affe ins Wort, »das kann ich selbst, wenn du mir nur die Erlaubnis geben willst.« Die gutmüthige Krabbe that dies denn auch auf seine wiederholten Bitten, doch unter der Bedingung, daß er die Hälfte der Früchte, welche er abpflückte, ihr geben müsse. Der Affe erklärte sich mit dieser Bedingung einverstanden und war im Nu oben in den Zweigen des schönen Baumes. Doch was that er nun, der lose Schalk? Er that sich gütlich, aß so viel der herrlichen Kaki, daß ihm fast der Bauch platzte, und dann steckte er noch alle Taschen voll. Als die Krabbe sah, daß alle die reifsten und schönsten Früchte von[30] dem Baume verschwanden, und der Affe ihr nur ein paar schlechte Kaki zuwarf, da rief sie ihm zu und sagte, er sei ein schlechter Kerl, der sein Versprechen schlecht halte und ganz und gar seiner Pflicht vergäße. Aber da kam sie schön an; der Affe schalt sie ganz gehörig und bewarf sie mit so viel unreifen oder faulen Früchten, daß sie fast argen Schaden gelitten hätte. Und wie nun die arme Krabbe sah, daß gegen den falschen Affen nichts auszurichten sei, weil er viel stärker war als sie, da nahm sie zur List ihre Zuflucht. »Herr Affe,« rief sie, »du kannst wohl schön klettern, aber so voll wie du dich jetzt gestopft hast, bist du doch nicht im Stande, einen regelrechten Purzelbaum zu schlagen; nicht wahr, das kannst du nicht?« Kaum war ihr das Wort aus dem Munde, da schlug der Affe, der richtig in die Falle ging, zwei, drei Purzelbäume um den Ast, auf dem er aß, und dabei fielen ihm alle die schönen Kaki, die er eingesteckt hatte, aus den Taschen heraus und kollerten am Boden umher. Die Krabbe war nicht faul und zog flink, flink die besten Kaki ins Haus. So brachte sie eine ziemliche Anzahl in Sicherheit; als sie aber wieder einmal zum Vorschein kam, um abermals eine Frucht zu holen, da packte sie der Affe und prügelte sie so, daß sie für todt liegen blieb. Der Affe sprang fort und suchte das Weite.

Da war es ein Glück für die arme Krabbe, daß sie noch Freunde hatte, die ihr zu Hülfe eilten, als sie hörten, was ihr begegnet war. Die Wespe kam zuerst, tröstete die Krabbe und pflegte sie, dann aber flog sie zu dem Ei und zu dem Reismörser und erzählte ihnen die ganze Geschichte von dem schlechten Streiche des Affen. Beide gingen nun mit der Wespe zu der Krabbe, und da sie mit Recht muthmaßten, daß der Affe wiederkommen würde, um sich von den schönen Früchten abermals unrechtmäßiger Weise einige anzueignen, so beriethen sie sich, wie sie den Bösewicht für alle Zeiten unschädlich machen könnten. Der Mörser kletterte auf den Querbalken über der Eingangthür und setzte sich still auf denselben. Das Ei legte sich ruhig auf[31] die Erde und that ganz unschuldig. Die Wespe flog zu dem Wassereimer und setzte sich in eine dunkle Ecke. Die Krabbe aber kroch tief in ein Erdloch und ließ nichts von sich blicken. Da kam denn auch recht bald mein lieber Affe richtig herbei, und da er ein böses Gewissen hatte, so that er ganz scheinheilig und hielt vor der Thür eine lange Entschuldigungsrede. Indessen blieb alles still; er blickte ins Haus, sah Niemand und trat ein. Auch hier suchte er überall die Krabbe vergebens, und weil er nun von Natur gierig war, so sah er das Ei nicht sobald da liegen, als er es auch ergriff und auf das Kohlenfeuer legte. Das Wasser floß ihm im Munde zusammen, so freute er sich auf den Schmaus; wenn die Krabbe heim käme, so dachte er schadenfroh, dann könne sie zusehen, wie sie das Ei wieder bekäme. Aber während ihm diese Gedanken noch durch den Kopf gingen, platzte das Ei, und die scharfe Schale flog ihm in tausend Stückchen an den Kopf und zerriß ihm das Gesicht. Nun lief er zu dem Wasser, um sich zu kühlen, doch wie er nur die Hand danach ausstreckte, da kam die Wespe mit lautem Gesumm aus ihrem Winkel hervor und stach ihn tief und unbarmherzig in die Nase. Der Affe schrie laut auf und ergriff die Flucht; aber dabei sollte er noch schlimmer wegkommen, denn im rechten Augenblicke, als er gerade über die Schwelle lief, stürzte sich der schwere Mörser von seiner Höhe herab auf den armen Sünder und tödtete ihn mit einem Schlage. Da lag er nun, der böse Schelm, und hatte seine verdiente Strafe bekommen. Die Krabbe aber erholte sich bald vollends und lebte nun in Frieden und in guter Ruhe weiter, bis sie nach langen lieben Jahren unter ihrem schönen Kakibaume starb.

1

Frucht von Diospyros Kaki, sehr schmackhaft und von der Größe eines Apfels, sehr beliebte Obstsorte in Japan.

Quelle:
Brauns, David: Japanische Märchen und Sagen. Leipzig: Verlag von Wilhelm Friedrich, 1885, S. 29-32.
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