XVII.

[55] Es war einmal ein Mann, Namens Ḥosein-Agha, der war Fürst von Ḥasno; auch ein Armer lebte dort, den man als Kuhhirt angestellt hatte. Dieser hatte zwei Söhne, Bärdawîl und Pelagân.[55] Ihr Vater starb, und nun führten Bärdawîl und Pelagân die Kühe zur Weide; aber jeden Tag zerbrachen sie einem Rinde den Fuss (aus Uebermut). Da berief sie Ḥosein-Agha vor sich und befragte sie: »Warum zerbrecht ihr die Füsse der Rinder?« »Darum«. »Ihr seid von nun an nicht mehr nötig; packt euch aus der Stadt fort!« Hierauf verliessen sie mit ihrer Mutter die Stadt und zogen in's Gebirge in eine Höle; dort starb auch ihre Mutter, und die beiden blieben nun allein. Tag für Tag aber schlichen sie sich um die Hirten herum und stalen eine Ziege; die brachten sie in die Höle, um sie zu schlachten und zu verzehren. Eines Tages ging Bärdawîl in's Gebirge und erblickte dort einen Riesen, welcher nach etwas grub. Da fragte ihn Bärdawîl: »Was machst du hier?« »Hier liegt ein Schatz, den will ich heben, lauter Geld«, antwortete der Riese. »Ich will dir helfen«, sagte Bärdawîl. »Gut«. Darauf grub der Riese weiter und gelangte zu der Tonne mit Geld; er ergriff sie, hob sie in die Höhe und reichte sie dem Bärdawîl, dieser fasste sie und zog sie ganz her aus. Nun wollte auch der Riese aus dem Loche hinaufsteigen; Bärdawîl aber ergriff seine Keule, und versetzte ihm damit einen Hieb über den Kopf, der ihm den Schädel zerschmetterte, aber aus dem Kopfe des Riesen sprang eine Perle heraus. Diese nebst der Tonne nahm Bärdawîl mit nach Hause. Pelagân hatte unterdessen eine Ziege geholt, welche sie dann kochten und verzehrten. Darauf fragte Pelagân den Bärdawîl: »Bruder, was hast du mitgebracht?« »Bruder«, antwortete dieser, »eine Perle und eine Tonne voll Geld«. Als Pelagân dies beschaut hatte, sagte er: »Schön«. –. Einst sagte Pelagân zum Bärdawîl: »Bruder, wir brauchen nun auch Weiber«. »Wozu Weiber?« fragte jener. »Damit wir mit ihnen schlafen«. »Wie?« fragte Bärdawîl, »schläft man mit Weibern zusammen?« »Ja freilich«. Dann fuhr Pelagân fort: »Bruder, es gibt schöne, und es gibt hässliche; wir wollen uns nicht hässliche holen, sondern schöne«. »Gut«, sagte jener. – Darauf kamen sie zur Stadt Ḥasno und stiessen auf einen Mann aus der Stadt; den erschlugen sie und kehrten in ihre Höle zurück. Ḥosein-Agha aber stellte Nachforschungen an, wer diesen Mann erschlagen habe. Man berichtete ihm: »Warlich, Pelagân und Bärdawîl sind die Täter«. In Folge dessen sammelte Ḥosein-Agha ein Heer, marschirte gegen sie zur Höle und liess sich dort mit ihnen in einen Kampf ein. Aber jene tödteten vierhundert Mann von den Soldaten und verfolgten das Heer bis zur Stadt. Den andern Tag brachte Ḥosein-Agha von neuem viele Soldaten zusammen und marschirte[56] wieder gegen sie. Wiederum kämpften sie mit einander; diesmal aber tödteten jene sechs hundert Mann von den Soldaten, so dass sie in den zwei Tagen das Tausend vollmachten. – Ḥosein-Agha hatte zu Hause eine Schwiegertochter und eine Tochter; jene Räuber drangen Nachts in sein Haus ein, tödteten Ḥosein-Agha nebst seinem Sohne, nahmen seine Schwiegertochter und Tochter mit, und brachten dieselben in die Höle; dort wohnten sie ihnen bei, ohne sie sich vorher antrauen zu lassen; eine Nacht schlief Bärdawîl bei der Schwiegertochter, und dann wieder eine Nacht bei der Tochter Ḥosein-Agha's; so wechselten sie ab. Bärdawîl aber sprach zu Pelagân: »Ah, wie gut ist das!«

Einst sagte Pelagân: »Bruder«. »Ja!« »Bruder, 'Osmân-Agha hatte eine Tochter, als ich noch in der Heimat lebte und du noch jung warst, von der hiess es, es gebe nichts schöneres als sie unter der Sonne; sie ist die Tochter des 'Osmân-Agha aus Charpût«. »Wo ist sie? Bruder«, fragte jener. »Im Schlosse zu Charpût«. »Auf denn, Bruder«, sagte Bärdawîl, »lass uns zu ihr reisen; wir wollen unser Leben daran setzen, sie herzuholen«. »Bruder«, antwortete jener, »aber sie ist ja im Schlosse!« »Wie wollen wir's also anfangen?« fragte Bärdawîl. »Wir brauchen eine Leiter von dreihundert Sprossen«. »Ich will eine solche machen«. Da zogen sie über das Gebirge zur Stadt Charpût. Bärdawîl ging hinab in's Gartenland in die Baumgärten; dort fand er zwei hohe Weisspappeln; die riss er mit den Händen aus. Da erwachte der Gärtner und fragte: »Wozu hast du diese Weisspappeln ausgerissen?« Bärdawîl aber packte ihn und drückte ihm mit der Hand die Kehle zusammen, dass seine Augen aus ihren Hölen traten. Der Gärtner machte sich aus dem Staube und legte sich zu Bette. Nun machte Bärdawîl eine Leiter von dreihundert Sprossen und trug sie zum Schlosse des 'Osmân-Agha. Pelagân stieg auf derselben hinauf, aber Bärdawîl schüttelte unter ihm die Leiter; da fing Pelagân vor Furcht zu zittern an. Jener rief: »Komm, steige herunter, du verfluchter Kerl!« Pelagân stieg wieder hinunter und Bärdawîl hinauf: oben schwang er sich auf's Dach und ging – es war Nacht – in die Zimmer. Er durchsuchte dieselben. In dem ersten Gemache, in welches er kam, waren nur Diener, welche schliefen. Dann ging er in ein zweites; dort fand er 'Osmân-Agha und dessen Frau; er kehrte um und ging in ein ferneres Zimmer; darin fand er die Sclavinnen. Dann ging er noch in ein anderes Zimmer; vor dessen Thüre sah er einen Diener schlafen. Derselbe erwachte; aber Bärdawîl drückte ihm seine Hand[57] auf den Mund und erstickte ihn. Darauf fasste er die Thüre und hob sie aus der Angel, trat hinein und fand die Tochter 'Osmân-Agha's auf dem Bette schlafend, das leinene Kopftuch über ihr Gesicht gezogen. Bärdawîl hob letzteres in die Höhe und küsste sie. Dann wickelte er sie in die Bettdecken und band sie sich mit einem Seile auf den Rücken, ohne dass sie erwachte. So kam er auf die Zinne des Schlosses und stieg die Leiter hinab. Pelagân sass unten. »Bruder«, rief er. »Hier bin ich«. »Hast du sie mitgebracht?« »Ja«. Da machten sie sich auf den Weg, ohne dass das Mädchen erwachte, und brachten sie in ihre Höle. Hier fanden sie jedoch ihre Weiber nicht mehr, denn die Leute von Ḥasno hatten dieselben entführt. Darauf band Bärdawîl das Mädchen von seinem Rücken los und stiess sie an, dass sie erwachte; da schaute sie sich um und weinte. »Weine nicht«, sagte er zu ihr, »ich bin für dich noch etwas besseres, als dein Vater, wir wollen Mann und Frau werden«. – Pelagân aber sagte: »Bruder, wie sollen wir's nun anfangen?« »Wie wir's anfangen sollen? wir ziehen nun gegen die Stadt!« »Wir wollen nicht zu zweien gehen«. »So gehe denn du«, sagte Bärdawîl zu Pelagân. »Ich mag nicht«, antwortete dieser. – Da brach Bärdawîl auf und ging in die Stadt; daselbst erkundigte er sich bei einer Frau: »Wer hat unsre Weiber entführt?« Sie antwortete: »Die Leute der Stadt haben es getan«. Da suchte er sie und fand sie. Darauf griff er zum Schwert und stürzte sich auf die Stadt; er erschlug alle ihre Einwohner und entführte die Mädchen. »Das ist mein Vergnügen, (Kēf)« sagte Bärdawîl, und von dem Tage an nannte man die Stadt Ḥasan-Kêf. Dann brachte er die Mädchen zur Höle und rief: »Pelagân!« »Ja!« »Hast du der Tochter 'Osmân-Agha's beigewohnt?« »Ja«, antwortete dieser. »Warum das, ohne meine Erlaubniss?« sagte er und zückte das Schwert, um Pelagân damit zu schlagen. »Nicht so, mein Bruder«, sagte dieser, »ich bereue; ohne deine Einwilligung will ich's nicht mehr tun; ich habe gefehlt«. »Pelagân!« rief jener. »Ja!« »Diese beiden hier sollen dein sein und jene, die Tochter 'Osmân-Agha's, soll mir gehören«. Darauf vergnügten sie sich in der Höle, assen, tranken und ruhten sich aus.

Eines Tages aber sprach die Tochter 'Osmân-Agha's: »Bärdawîl!« »Ja!« »Jede Nacht liegst du bei mir bis früh am Morgen; du bringst mich damit um; dein Bruder hat zwei Weiber, da erholen sie sich abwechselnd; hole auch mir eine Gefährtin«. »Wenn sie nicht so schön sind wie du«, antwortete er, »hole ich[58] dir keine«. Sie sagte: »Die Tochter Fataḥ-Bek's, des Fürsten von Charſan, ist schön, geh hole sie«. – Da blieb Pelagân zu Hause, und Bärdawîl brach auf. Er erkundigte sich nach Charſan, zog dorthin und gelangte zu dem Schlosse des Fataḥ-Bek. Ani Fenster nähte eben die Tochter des Fataḥ-Bek einen Rock. Dort legte er Nachts die Leiter an und stieg hinauf; da sah er, dass sie sehr schön war. »Wie es auch sei«, sagte er, »das ist gewiss die Tochter des Fataḥ-Bek; denn eine schönere als diese gibt's nicht«. Da fasste er sie durch das Fenster und hielt ihr ein Tuch auf den Mund, um sie am Schreien zu hindern, und trug sie weg. Unterwegs traf er den Fed'ân an, der fragte: »Wohin willst du diese da bringen?« »Nach Hause«, antwortete jener. Aber auch Fed'ân war ausgezogen in der Absicht, die Tochter des Fataḥ-Bek zu holen, und daher fragte er den Bärdawîl: »Wer ist denn dieses Weib?« »Meine Frau ist es«, sagte jener; da wagte Fed'ân nichts zu entgegnen. So kam Bärdawîl mit ihr nach Hause und schlief nun bei den beiden schönen, wärend Pelagân die beiden hässlichen hatte, ohne dass er etwas dagegen zu sagen wagte. –

Es gab damals auch einen, der hiess der lange Ibrahîm; er war aus Sse'ört und es gab keinen stärkeren als ihn; sein Name war weltberühmt. Die Leute rieten ihm zu heiraten, er aber antwortete: »Ich mag nicht heiraten, wenn ich mir nicht Weiber im Kampfe gewinnen kann«. Diesen langen Ibrahîm suchte Fed'ân auf und kam zu ihm, denn er hatte gehört, jener sei sehr tapfer. Da sassen nun Fed'ân und Ibrahîm bei einander; beide hatten die Leute erzälen hören, Bärdawîl habe die Tochter des Fataḥ-Bek und die des 'Osmân-Agha von Charpût entfuhrt, auch die Leute von Ḥasno getödtet und sowol Schwiegertochter als Tochter des Ḥosein-Agha geraubt. Nun fragten sie, wo jene sich denn aufhielten. Als die Leute es ihnen erzält hatten, brachen Fed'ân und Ibrahîm auf. Das Haus deiner Mutter möge einstürzen: Ibrahîm war so schlank wie ein Majoranstengel; er hatte ein Blitzschwert und einen Schild, dessen Spangen aus Blitzeisen bestanden. Diese Waffen legte Ibrahîm an und zog fort, begleitet von den Wünschen seiner Mitbürger: »Gott möge dich heil und unversehrt zurückkehren lassen; denn Niemand kann sonst mit Bärdawîl und Pelagân kämpfen«. Fed'ân und Ibrahîm fragten nach der Höle Bärdawîl's, bis sie vor die Oeffnung derselben gelangten. Da erblickte die Tochter Fataḥ-Bek's Ibrahîm. Man hatte sie früher für ihn freien wollen. Als sie ihn erblickte, fing sie an zu lächeln. »Warum lachst du?« fragte Bärdawîl. »Darum«, antwortete[59] sie. »Du musst es sagen«. »Geh hinaus«, sagte sie, »du wirst schon sehen«. Da gingen Bärdawîl und Pelagân hinaus, nachdem sie sich die Säbel umgeschnallt hatten, und sahen, dass zwei Männer da waren. Bärdawîl rief: »Das ist der, welcher mich unterwegs getroffen hat, der Fed'ân«. Ibrahîm aber rief dem Bärdawîl und dem Pelagân zu: »Macht euch bereit; gegen euch geht's«. Da kämpften diese beiden mit jenen beiden, Bärdawîl mit Ibrahîm und Fed'ân mit Pelagân. Bärdawîl hieb mit dem Schwerte auf Ibrahîm los; dieser aber fing den Hieb mit dem Schild auf, so dass die Schneide von Bärdawîl's Schwert stumpf wurde; dann hieb Ibrahîm mit Schwertschlägen auf ihn los. Da wurde Bärdawîl wütend und führte einen Hieb gegen ihn, aber sein Schwert traf auf den Schild und flog in zwei Stücke auseinander. Dann rief Ibrahîm: »Nun drauf los«, fasste kräftig das Schwert und führte einen Hieb auf Bärdawîl, mit welchem er ihn tödtete. Dann gingen sie alle beide auf Pelagân los. Dieser verwundete den Fed'ân und wandte sich darauf gegen Ibrahîm. Er führte einen Hieb gegen ihn; aber sein Schwert traf auf den Schild und zerbrach. Da versetzte Ibrahîm dem Pelagân einen Hieb, mit welchem er ihm beide Füsse vom Leibe trennte. Er fiel und jener zerhieb ihn mit dem Schwerte. Darauf trat Ibrahîm in die Höle, führte die Weiber hinaus und ging nach Ḥasno, um die beiden im Hause Ḥosein-Agha's abzuliefern; aber es war Niemand von ihnen am Leben geblieben. Die Weiber sagten daher: »Wir wollen mit dir ziehen und deine Sclavinnen werden«. Nun machte er sich auf den Weg nach Hause; Fed'ân aber sagte: »Gib mir eine von den schönen zur Frau, entweder die Tochter Fataḥ-Bek's oder die Tochter 'Osmân-Agha's«. Ibrahîm aber wollte nicht. Da kämpften die beiden mit einander, und Ibrahîm tödtete den Fed'ân, welcher ja schon verwundet war. Darauf kam Ibrahîm nach Hause, und die Leute der Stadt freuten sich darüber. Die beiden schönen liess er sich antrauen, und die beiden andern wurden seine Sclavinnen; er liess sie in der Citadelle von Sse'ört wohnen, und sein Name wurde weltberühmt.

Quelle:
Prym, E./Socin, A.: Syrische Sagen und Märchen aus dem Volksmunde. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprechts Verlag, 1881, S. 55-60.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Anonym

Li Gi - Das Buch der Riten, Sitten und Gebräuche

Li Gi - Das Buch der Riten, Sitten und Gebräuche

Die vorliegende Übersetzung gibt den wesentlichen Inhalt zweier chinesischer Sammelwerke aus dem ersten vorchristlichen Jahrhundert wieder, die Aufzeichnungen über die Sitten der beiden Vettern Dai De und Dai Schen. In diesen Sammlungen ist der Niederschlag der konfuzianischen Lehre in den Jahrhunderten nach des Meisters Tod enthalten.

278 Seiten, 13.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten. Elf Erzählungen

Romantische Geschichten. Elf Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für diese preiswerte Leseausgabe elf der schönsten romantischen Erzählungen ausgewählt.

442 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon