XLV.

[186] Selîm-Pâscha, der Statthalter von Dscheſîre hatte zwei Söhne, der ältere hiess Bekr-Pâscha und der jüngere Ssleimân-Bek. Sie besassen grossen Reichtum, ihre Beschäftigung aber war die Jagd. Weil Selîm-Pâscha soviel aufs Korn der Flinte blickte, trat schwarzes Wasser in seine Augen, und er ward blind. Man erkundigte sich nach Aerzten, aber keiner war im Stande, seine Augen zu heilen. Da hiess es: »Es gibt in Russland einen Arzt [dafür].« Was man auch tat, um Bekr-Pâscha, den älteren Sohn, zu veranlassen, dorthin zu gehen, er wollte nicht gehen. Da machte sich Ssleimân-Bek, der jüngere Sohn, auf, bestieg sein Pferd und zog hin; er war ungefähr zwölf Jahre alt. Einen kleinen Sack mit Goldstücken legte er hinter sich aufs Pferd. Er zog seine Erkundigungen ein und reiste nach Russland. Von dort brachte er den Arzt mit, aber auf der Rückreise verfehlte er den Weg. Er kam zu einem öden Gebirge; dort erblickte er ein Schloss, auf dem stand eine, die schaute auf Ssleimân-Bek und rief ihm zu: »Komm zum Schlosse, mein Anblick ist tausend wert.« Sie verging fast vor Entzücken über Ssleimân-Bek, denn er war ein schöner Jüngling. Als er im Begriffe war, zum Schlosse zu gehen, liess der Arzt es nicht zu, sondern sagte: »Diese ist die Geliebte des Dämons; ihr Anblick ist tausend wert; wer immer zu ihr geht, der kehrt nicht mehr zurück, sie tödten ihn.« Also liess der Arzt es nicht zu, sondern nahm ihn mit sich. Da schrie sie ihm vom Schlosse aus nach, und Ssleimân-Bek antwortete: »Ich gehe den Arzt zu meinem Vater bringen, und dann kehre ich zu dir zurück.« »Versprich es mir sicher!« erwiderte sie. »Ich verspreche dir sicher, dass ich zurückkehren werde.« Ssleimân-Bek kam mit dem Arzte nach Hause. Die Leute des Statthalters weinten gerade über ihn, indem sie sagten: »Er hat sich verirrt.« Als sie nun hörten, er sei gekommen, freuten sie sich. Der Arzt stieg vom Pferde, brachte dem Statthalter Arzeneien und legte sie ihm auf die Augen. Als diese aber trotzdem nicht gesund wurden, erklärte er: »Ich vermag sie nicht zu heilen,« und kehrte nach Hause zurück.

Eines Tages traf Ssleimân-Bek seine Geliebte und sagte ihr: »Komm, lass uns in jene Ruine gehen und dort der Liebe pflegen.« Er begab sich mit ihr in die Ruine, sie tändelten mit einander und suchten sich gegenseitig hinzuwerfen. Als er sie zu Fall gebracht hatte, setzte er sich rittlings auf sie. Wärend er[187] nun ihre Liebe genoss, sah er, wie zwei Mäuse herauskamen, die eine hatte einen Grashalm im Munde, die andere kam auf jene los, und sie kämpften mit einander um das Gras – Ssleimân-Bek schaute zu, wärend er dem Mädchen beiwohnte. Dann stand er auf, nahm das Gras der Maus aus dem Munde und steckte es in seine Tasche, die Maus aber sagte: »Ssleimân-Bek!« »Ja!« »Zerstosse das Gras und siede es in Wasser, dann giesse es in eine Tasse und lege es deinem Vater auf die Augen, so werden sie gesund werden; ich kam, um es dir zu bringen, aber mein Bruder stritt mit mir, denn er sagte: ›Bringe es ihm jetzt nicht, es wärt Frevel, er wohnt ja gerade dem Mädchen bei,‹ da bist du aufgestanden und hast es selbst genommen.« Ssleimân-Bek nahm das Kraut mit nach Hause, zerstiess es im Mörser und kochte es in Wasser; dann goss er es in eine Tasse und legte es seinem Vater auf die Augen. Da wurden sie gesund. »Siehst du? Vater!« sagte er, »ich habe deine Augen geheilt.« »Mein Sohn, suche dir eine Frau; an welcher immer du Gefallen findest, und wenn sie auch verheiratet ist, die will ich dir freien.« »Nein, Väterchen,« erwiderte er, »so werde ich's nicht machen! ich gehe – ich weiss eine, deren Anblick gilt tausend, sie ist die Geliebte des Dämons, die will ich mir holen gehen.« »Mein Sohn, sie werden dich tödten«, entgegnete der Vater. »Sei ohne Furcht, Väterchen.« Damit stieg er auf und begab sich zu dem Schlosse; das Tor war verriegelt und der Dämon drinnen. Die Prinzessin stieg gerade aufs Schloss hinauf, den Weg Ssleimân-Bek's zu beobachten. Als sie hinschaute, erblickte sie Ssleimân- Bek vor dem Schlosse. »Mach auf!« rief er. »Der Dämon schläft«, entgegnete sie. »Wie sollen wir's anfangen?« »Ich weiss nicht«, erwiderte sie, stieg hinab und öffnete ihm das Schlosstor. Als er hineingetreten war, fragte er: »Wo ist der Dämon?« »Er ist drinnen.« Nun ging er mit der Prinzessin zu ihm; er schaute ihn an und geriet in Furcht vor ihm. Dann aber deckte er ihn auf, fasste seine Hoden, wog dieselben in der Hand und sagte: »Ich werde ihn tödten.« »Aber nicht mit deinem Schwerte, es schneidet nicht«, warf sie ihm ein. »Wo ist sein Schwert?« »Unter seinem Kopfe ist es.« Da zog Ssleimân-Bek an dem Schwerte und zog es aus der Scheide, dann holte er gegen den Dämon aus und versetzte ihm einen Schlag auf den Nacken, dass er aufsprang und wieder hinfiel, darauf gab er ihm einen zweiten Schlag, und so weiter schlug er ihn sechsmal, beim siebenten war er mit ihm fertig. Nun setzte er sich mit der Tausendwerten aufs Sofa und vergnügte sich mit ihr. Als er ihr aber[188] beiwohnen wollte, liess sie es nicht zu. »Warum lassest du es nicht zu?« fragte er. »Ich lasse es nicht zu; bis du mir meine Schwester von dem siebenköpfigen Unhold holst, lasse ich es nicht zu.« »Wo ist er?« »In der Höle von Haubo.« »So komm, lass uns gehen.« Die beiden machten sich auf, unterwegs trafen sie einen, den fragten sie: »Wohin gehst du?« »Ich gehe den Ssleimân-Bek aufsuchen.« »Wesshalb?« »Die Frau des siebenköpfigen Unholdes hat mich geschickt, sie befal mir, ich möchte zu ihm gehen und ihm sagen: sie wünscht sehr, dass du zu ihr kommst, denn dein Name ist weltberühmt.« »Wo ist sie jetzt?« fragte er, »In der Höle von Haubo.« »So geh und suche den Ssleimân-Bek auf.« Damit ging er mit der Prinzessin weiter. Als sie unterhalb der Höle angekommen waren – dieselbe liegt auf einem hohen Berge, Pferde können nicht zu ihr hinaufsteigen – sagte die Prinzessin: »Dieses ist die Höle meiner Schwester.« Dann banden sie die Pferde an einen Stein und fingen an hinauf zu steigen; wenn sie eine Stunde gestiegen waren, setzten sie sich ermüdet nieder; drei Tage dauerte es, bis dass sie zu der Höle hinauf kamen. Die Tausendwerte ging auf die Höle zu und fand, dass ihre Schwester allein war. Wärend Ssleimân-Bek sich verbarg, trat sie zu ihr hinein, die weinte und Lieder auf Ssleimân-Bek sang. Sie küssten einander und freuten sich sehr. »Wo ist der siebenköpfige Unhold?« fragte sie. »Er ist auf die Jagd gegangen, er wird im Augenblick kommen.« »Fürchte dich nicht, Ssleimân-Bek ist bei mir.« »Wie werden wir's anlegen mit dem Unhold, Schwester?« »Wo schläft er?« »Er schläft hier bei mir.« »Sobald er kommt, so sage ihm: gib mir dein Schwert, damit ich es aufhänge, denn du bist müde geworden.« Darauf trat der Unhold ein; als er die Beiden erblickte, freute er sich und fragte die Tausendwerte: »Warum bist du hier?« »Ich habe mich mit dem Dämon überworfen,« erwiderte sie, »er drohte mich zu tödten, da bin ich zu dir gekommen.« »Fürchte dich nicht; was ist seine Macht! ich will ihn zum Frühstück verspeisen.« Dann legte er sich schlafen und hing sein Schwert auf; die Tausendwerte ging den Ssleimân-Bek rufen. Dieser kam, ergriff das Schwert und schlug den Unhold so, dass er ihm drei Kopie abhieb, und nur noch vier übrig blieben. Der Unhold sprang auf, Ssleimân-Bek kroch unter einen grossen Korb, den sie drinnen hatten, die Höle dröhnte. Sobald der Unhold aufgesprungen war, fragte er: »Wer hat mich geschlagen?« Da antworteten sie ihm: »Der Dämon.« »Wohin ist er gegangen?« »Er ist geflohen.« Er lief hinaus nach ihm,[189] aber als er Niemand sah, kehrte er zurück und legte sich wieder hin. Da kam Ssleimân-Bek wieder unter dem Korbe heraus, ergriff das Schwert und hieb ihm mit einem Schlage noch drei weitere Köpfe ab. Der Unhold ward schwindelig, da gab er ihm noch einen Schlag, damit war er fertig. Nun setzte er sich mit den beiden hin und vergnügte sich mit ihnen; darauf aber standen sie auf, stiegen zu den Pferden hinab, jede von den beiden bestieg eines derselben, Ssleimân-Bek ging zu Fuss. So kamen sie zum Schlosse der Tausend werten, dort sahen sie einen sitzen und setzten sich zu ihm. Er hiess Ḥassan [oder auf syr. Osmar] Ghenâmi, auch er war ein schöner Jüngling; er war der Sohn des Fürsten der Barâvi. Sie fragten ihn: »Wesswegen bist du gekommen?« »Ich bin wegen der tausendwerten Prinzessin gekommen.« Ssleimân-Bek antwortete: »Da ist sie und ihre Schwester, hier bei mir.« Gleich sagte Osmar Ghenâmi: »Eine ist für mich, und eine für dich.« Ssleimân-Bek aber sagte: »Nein!« Da kämpften sie mit einander, und Osmar Ghenâmi erschlug den Ssleimân-Bek. Er nahm die beiden mit sich und kam nach Dscheſîre, der Stadt Ssleimân-Bek's. Als er dort beim Statthalter, dem Vater Ssleimân-Bek's, eingekehrt war, fragten sie ihn: »Woher hast du diese beiden geholt?« »Diese ist die Tausendwerte, und diese ist ihre Schwester,« antwortete er. »Hast du den Ssleimân-Bek, unsern Sohn, nicht gesehen?« »Nein,« gab er zur Antwort, aber die Tausendwerte sagte: »Bei Gott! er hat ihn erschlagen, jener hat uns geholt, und dieser hat ihn erschlagen.« Da sprangen die Leute des Statthalters auf und erschlugen den Osmar Ghenâmi, die beiden aber liessen sie dem Bekr-Pâscha antrauen.

Quelle:
Prym, E./Socin, A.: Syrische Sagen und Märchen aus dem Volksmunde. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprechts Verlag, 1881, S. 186-190.
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