XLVIII.

[195] Unter den 'Akkarî lebte ein Kaufmann, der grossen Reichtum besass. Daher sagten die Leute: »Wir wollen ihn zum Landesfürsten machen.« Er hatte eine Frau, die aber kinderlos war, und da nahm er sich zwanzig Weiber, von welchen eine einen Sohn gebar. Als er nun Fürst der 'Akkarî geworden war, wurde er als solcher in der Welt berühmt; freigebig teilte er sein Brot aus, sein Besitz vermehrte sich und er herrschte über die 'Akkarî. Einst schlug er seinem Sohne vor: »Mein Kind, wir wollen dir eine Braut werben.« Der aber antwortete: »Ich nehme keine hässlichen[195] Weiber, ich nehme nur eine, die mir gefällt.« Er suchte nun im ganzen Lande der 'Akkarî umher, aber an keiner fand er Gefallen. Da versammelte sich der Rat und sagte zu seinem Vater: »Der Häuptling der persischen Nomaden hat eine schöne Tochter, die wollen wir für ihn werben.« Daraufhin entsandte der Fürst vier Leute zum Perserhäuptling. Als diese dort angekommen waren, traten sie in sein Zimmer, setzten sich hin, speisten zu Abend und warteten, bis der Häuptling aus dem Frauengemache kam. Als er in den Empfangsraum eingetreten war, sagten sie zu ihm: »Schêch!« »Ja!« »Wir kommen in einer Angelegenheit zu dir.« »In welcher Angelegenheit?« »Wir kom men zu dir, um für den Sohn des Fürsten um deine Tochter zu werben.« »Ah!« erwiderte er, »ich will's mit ihrer Mutter überlegen.« Noch an jenem Abende begab er sich zur Mutter und teilte ihr mit, dass die Leute des Fürsten um ihrer Tochter willen gekommen seien. Als sie sich damit einverstanden erklärt hatte, sie ihnen zu geben, begab der Häuptling sich wieder in das Versammlungszimmer zurück und erklärte: »Wir wollen sie geben.« »So stelle deine Forderung,« sagten jene. »Zwanzig Maultiere mit Geld beladen.« »Einverstanden!« sagten sie und kehrten nach Hause zurück. Dort sagten sie dem Fürsten: »Wir haben sie gefreit.« »Schön!« sagte dieser, »wie viel Geld hat er gefordert?« »Zwanzig Lasten Geld und die Maultiere dazu.« »So holt zwanzig Maultiere und beladet sie mit Geld und zieht hin.« Sie machten sich auf und zogen unter Begleitung von Soldaten zum Häuptling. Dort luden sie die Lasten ab und bereiteten ein Mahl, die Leute des Häuptlings aber brachten den Baldachin und die [dazu gehörigen] Maultiere hinaus und übergaben ihnen das Mädchen. Sie setzten sie in die Sänfte und machten sich auf den Weg. Unterwegs erkrankte das Mädchen und kam nicht bis zu den 'Akkarî, sondern starb vorher. Als man sie nun in den Versammlungsraum des Fürsten gebracht hatte, betrachteten sie sie, und der Sohn des Fürsten sagte: »Gott hat gemacht, dass sie gestorben ist, sie würde mir nicht gefallen haben.« Darauf befalen sie: »Bringt sie ihrem Vater zurück, sie ist ja todt«. Als sie sie nun dem Häuptling zurückbrachten, fragte er: »Wesshalb bringt ihr sie zurück?« »Sie ist gestorben.« »Ja, sie ist gestorben, gestorben!« Und da machten sie ein Grab und begruben sie. Jene aber sagten: »Gib uns das Geld und die Maultiere zurück.« Der Häuptling aber entgegnete: »Ich gebe sie nicht.« Jene begaben sich zum Fürsten zurück und sagten ihm: »Er will das Geld und die Maultiere nicht herausgeben.«[196] Der Fürst stieg alsbald nebst seinem Sohne und den Soldaten zu Pferde und sammelte ein grosses Heer. Mit diesem begab er sich in's Land der Perser und liess dem Häuptling durch einen Abgesandten melden: »Gib uns das Geld und die Maultiere zurück: tust du das nicht, so kämpfen wir miteinander.« Der Abgesandte ging und überbrachte dem Häuptling die Botschaft. Darauf sammelte auch der Häuptling ein Heer und erklärte: »Ich gebe sie nicht.« So zogen sie zum Kampfe heraus und kämpften gegen einander mit Flinten. Nachdem sie einen Monat lang Krieg geführt hatten, kam ein Statthalter nach Baghdad, und es wurde ihm gesagt, dass zwischen den 'Akkarî und Persern Krieg geführt werde. Da bildete auch er – As'ad-Pâscha hiess er – ein Heer aus regulären Truppen und Arnauten, führte zwanzig Kanonen in's Feld und begab sich alsbald in's Land der Perser, wo er den Häuptling gefangen nahm. Dann wandte er sich gegen die 'Akkarî; diese empörten sich aber gegen die Regierung, und so begannen die Regierungstruppen den Kampf mit ihnen. Der Fürst zog sich mit seinen Truppen in die Burg Chân-Dimdim's [seines Vetters] zurück, und der Statthalter nahm das Land der 'Akkarî mit Ausnahme dieser Burg ein. Zur Bekämpfung des in derselben befindlichen Heeres richtete nun As'ad-Pâscha die Kanonen auf die Burg und liess sie beschiessen, aber sie konnten derselben nichts anhaben. So wurde zwei Monate weiter gekämpft, da gewährte der Statthalter dem Fürsten einen Waffenstillstand, und dieser kam mit Chân-Dimdim von der Burg herab in's Lager des Statthalters. Als sie aber in seinem Zelte waren, befal As'ad-Pâscha den Soldaten, sie gefangen zu nehmen. Da zog Chân-Dimdim sein Schwert und stürzte auf die anwesenden Grossen los, hundert und einen erschlug er, der Fürst aber tödtete den Statthalter selber. Dann eilten die beiden hinaus, wandten sich gegen die Arnauten und regulären Truppen, nahmen ihnen die Kanonen ab und brachten sie auf die Burg Chân-Dimdim's. Da entflohen die Arnauten, denn sie wagten nicht mehr, sich ihnen entgegen zu stellen. –.

Der Sohn des Fürsten hatte einen Freund in meinen Jahren, der sagte ihm eines Tages: »Unter den Kôtscher [kurdischen Nomaden] gibt's eine, die Tochter Fâris-Agha's, besser passt keine für dich, sie haben sie jetzt einem Manne gegeben, Benäfsche heisst sie, und sie ist sehr schön.« Der Sohn des Fürsten – Dschambalîjo war sein Name – machte sich alsbald auf, legte einen schlechten Mantel an, aber unter denselben steckte er hinten in seinen Gürtel einen Dolch von Gold und Silber, und so begab er[197] sich zu den Kôtscher, zum Zelte des Vaters der jungen Frau, der Benäfsche. Nachdem er vier Tage im Zelte Fâris-Agha's gewesen war, gegessen und getrunken hatte, sah er Benäfsche herankommen. Ihr Blick fiel auf den Jüngling und ihr Herz entbrannte in Liebe zu ihm. Auch er schaute sie an, sie war schön und gefiel ihm sehr. Sie sagte zu ihrem Vater: »Lass diesen Mann als Hirten bei dir bleiben.« Er war damit einverstanden und fragte ihn: »Willst du als Hirte bei mir dienen?« Dschambalîjo bejahte dies und weidete nun [am Tage] die Ziegen, Abends kam er nach Hause. Als man ihn fragte: »Wie heissest du?«, sagte er: »Mein Name ist Muçṭafa«, und verschwieg ihnen seinen wirklichen Namen, der Benäfsche aber sagte er: »Ich heisse Dschambalîjo, bin der Sohn des Fürsten der 'Akkarî, um deinetwillen bin ich gekommen, aber ich sage, ich heisse Muçṭafa, damit sie mich nicht kennen.« »Schön!« antwortete sie, und als er ihr nun noch den Dolch zeigte, da war sie ganz überzeugt. Sie war aber, wie gesagt, mit einem andern verheiratet. Vier Jahre lebte er bei ihnen als Hirte, Abends kam er von seinen Ziegen nach Hause, und sie hatten kein Arg. Da überredete er Benäfsche eines Abends, mit ihm zu fliehen. Die ganze Nacht hindurch flohen sie bis zum Morgen. Als der Tag anbrach, kamen sie in's Gebirge und versteckten sich in einer Höle. Unterdessen hatten die Leute Fâris-Agha's entdeckt, dass Benäfsche und der Hirte zusammen entflohen waren; sie suchten überall herum, fanden sie aber nicht. Als der Tag sich geneigt hatte, flohen Dschambalîjo und Benäfsche weiter. In der Nacht kamen sie nach Hause zu den 'Akkarî. Da fragte sie: »Wo sind wir hier? sorge nur, dass wir uns nicht verirren.« »Nein, nein!« antwortete er, »habe nur keine Furcht«. So waren sie nach Hause gekommen. Dem Fürsten verkündete man gleich die frohe Botschaft, Dschambalîjo sei gekommen und habe sich eine Frau mitgebracht. Der Fürst machte den Ueberbringern dieser Botschaft ein Geschenk von zwanzig Beuteln und liess Benäfsche dem Dschambalîjo antrauen.

Quelle:
Prym, E./Socin, A.: Syrische Sagen und Märchen aus dem Volksmunde. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprechts Verlag, 1881, S. 195-198.
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