LXVI.

[270] Es war einmal ein Mann, der hatte einen Ochsen, einen Esel und einen Hahn; mit dem Ochsen pflügte er, und auf dem Esel schaffte er Holz herbei. Einst redete der Hahn den Esel an: »Esel!« »Ja!« »Wenn man dir Fressen vorlegt, so friss es nicht.« »Warum?« fragte der Esel. »Dann wird man dich nicht mehr belästigen, sondern du wirst Ruhe haben.« Als man dem Esel nun den Futtersack mit Häcksel und Gerste umhing, frass er nicht; vier Tage hindurch enthielt er sich des Fressens und hatte Ruhe. Die Leute des Hauses sagten: »Unser Esel ist krank geworden.« Der Hahn aber sprach zu ihm: »Friss, sonst stirbst du Hungers.« Da frass der Esel wieder. Hierauf redete der Ochse den Hahn an: »Hahn!« »Ja!« »Gib mir einen Rat, dass man mich nicht so plage.« Der Hahn antwortete wiederum: »Wenn man dir Fressen vorlegt, so friss nicht!« »So sei es.« Als man nun dem Ochsen Häcksel und Kichererbsen vorlegte, frass er nicht, und die Leute sagten: »Warhaftig unser Ochse ist krank geworden.« Desshalb pflügten sie mit dem Esel. Drei Tage hindurch frass der Ochse nichts; da sagte der Esel zum Ochsen: »He da! friss doch!« »Das geht dich nichts an«, antwortete jener. Die Besitzer des Ochsen aber sagten: »Warhaftig morgen wollen wir den Ochsen schlachten.« Da kam der Hahn und rief dem Ochsen zu: »Sie sagen, sie wollen dich morgen schlachten.« »Das wird doch nicht wahr sein?« meinte dieser. »Ja, warhaftig, so haben sie gesagt.« »Aber wie soll ich's denn, anfangen?« »Diese Nacht, wenn man dir Fressen vorlegt, friss!« Sie legten dem Ochsen Fressen vor, und er frass; darauf nahmen sie ihn wieder mit zum Pflügen und schlachteten ihn nicht; den Esel aber liessen sie auf die Weide gehen.

Dort traf der Esel einen Fuchs an, und dieser rief ihm zu: »Auf, lass uns nach unsrer Wohnung gehen; wir wollen ein Hochzeitsfest veranstalten und unserm Vater eine Frau zuführen; denn[270] meine Mutter ist gestorben.« Da ging der Esel mit dem Fuchs zu dessen Wohnung. Unterwegs klagte der Fuchs, er sei müde geworden. Der Esel hiess ihn auf seinen Rücken steigen; dies tat der Fuchs. Darauf fragte der Esel: »Kommen auch Eselinnen zum Hochzeitsfeste?« »Ja freilich, es kommen deren viele, mein lieber Bruder«, antwortete jener. Da freute sich der Esel, schrie Tor Geilheit, schlug mit den Hinterbeinen aus und lief davon; der Fuchs aber fiel von seinem Rücken und brach ein Bein. Nun kam der Esel wieder zu ihm heran, und rief: »O weh, mein Bruder ist von meinem Rücken heruntergefallen«; der Fuchs aber weinte. »Auf«, sagte der Esel, »weine nicht; ich will dich zu einem Arzte führen.« Da gingen sie weiter, und er brachte den Fuchs zum Arzte; sie gingen nämlich zur Höle des Hasen. Der Esel rief dem Hasen, und dieser kam heraus: »Hase!« »Ja!« »Kannst du das Bein des Fuchses heilen?« »Ja.« »Ich will dir dafür tausend Piaster geben.« Auch der Schakal befand sich eben beim Hasen und klagte ihm: »Meine Augen tun mir weh, heile sie!« »Ja, ich will sie heilen«, antwortete der Hase. »Esel!« rief er, »geh, hole mir eine Wage.« Da ging der Esel und bat Jemand um eine Wage. Als der Esel die Wage gebracht hatte, befal ihm der Hase, dieselbe zu halten; das tat der Esel. Hierauf legte der Hase den Fuchs auf die eine Wagschale, und den Schakal auf die andere. »Nun wäge«, sagte er zum Esel. Da hob der Esel die Wage in die Höhe; aber es ergab sich, dass der Fuchs schwerer war, als der Schakal. Daher schnitt der Hase die Rute des Fuchses ab und steckte sie in den Hintern des Schakals; auf diese Weise wurde der Schakal schwerer, als der Fuchs. Desshalb schnitt der Hase die Zunge des Schakals ab und steckte sie in den Hintern des Fuchses. »Nun wäge«, sagte er zum Esel. Der Esel hob die Wage in die Höhe; da waren die beiden ganz gleich geworden an Schwere. »Jetzt sind sie beide wieder hergestellt«, sagte der Hase; »Esel, gib mir nun die tausend Piaster.« Da schlug der Esel aus und lief davon. Der Schakel aber forderte vom Fuchs seine Zunge: »Ich kann sonst nicht reden«, sagte er. »Gib mir meine Rute«, sagte dieser. »Ich weiss nicht, wo deine Rute ist.« »So weiss auch ich nicht, wo deine Zunge ist.« Da bekamen der Schakal und der Fuchs mit einander Streit, und der Fuchs versetzte dem Schakal einen Dolchstoss. Der Schakal aber ging hin und klagte bei der Hyäne: »Der Fuchs hat mir einen Dolchstoss versetzt und mir die Zunge weggenommen.« Die Hyäne aber ist Fürst der Tiere, das Pferd Richter, das Maultier[271] Grossrichter und der Hund Gerichtsdiener. Desshalb rief die Hyäne dem Hund. Der Hund fragte: »Was gibt's, Herr?« »Geh, rufe den Fuchs, die Belohnung für deine Dienstleistung werden wir schon von dem Schakal einziehen.« Der Hund ging und rief dem Fuchs: »Die Hyäne, das Pferd und das Maultier verlangen dich zu sehen.« Da versammelte sich das Gericht; der And führte den Fuchs herbei, und der Fuchs trat vor die Hyäne. »Fuchs!« rief diese. »Ja!« »Warum hast du dem Schakal einen Dolchstich versetzt und ihm seine Zunge weggenommen?« »Mein Gebieter«, entgegnete jener, »erkundige dich beim Esel!« Da schickte man den Hund, den Esel zu suchen; dieser kam, vom Hunde herbeigeführt, und trat vor die Hyäne. »Esel!« rief diese, »wie steht's um die Angelegenheit des Fuchses und des Schakals?« »Mein Herr«, antwortete dieser, »ich traf den Fuchs an« – »Sprich nur die Wahrheit«, warf der König dazwischen, – und er sagte zu mir: ›Auf, wir wollen in unsere Wohnung gehen, denn wir führen meinem Vater eine Braut heim.‹ Da fragte ich den Fuchs: »Kommen denn auch Eselinnen zum Festmal?« ›Ja‹, sagte er; da erfasste mich – er aber sass auf meinem Rücken – die Lust; ich jauchzte laut auf und lief schnell weiter. Da fiel der Fuchs von meinem Rücken herunter und brach ein Bein. Darauf führte ich ihn zum Arzte, dem Hasen; das weitere weiss der Hase; frage ihn! Die Hyäne rief: »Hund!« »Ja!« »Rufe den Hasen!« Der Hund ging den Hasen zu suchen und brachte ihn mit. Der Hase trat in die Versammlung, und die Hyäne rief: »Hase!« »Mein Gebieter!« »Was hast du mit dem Fuchs und mit dem Schakal gemacht?« »Was ich getan habe?« antwortete dieser, »der Schakal kam zu mir und sagte: ›Heile meine Augen.‹ Ich erklärte mich dazu bereit.« Darauf kam der Esel und brachte den Fuchs, dessen Bein war gebrochen. Ich beschaute das Bein, es war nichts Schlimmes daran, sondern seine Rute war verwundet; dann beschaute ich die Augen des Schakals, auch an diesen war nichts Schlimmes; aber seine Zunge war krank. Daher befal ich dem Esel, er solle eine Wage holen. Er aber versprach mir tausend Piaster, wenn ich den Fuchs heile. Er ging hin, holte eine Wage; ich setzte den Fuchs in die eine Wagschale und den Schakal in die andere. Der Esel hob die Wage in die Höhe; und da es sich ergab, dass der Fuchs schwerer als der Schakal war, schnitt ich die Rute des Fuchses ab und steckte sie in den Hintern des Schakals; jetzt war aber der Schakal schwerer, daher schnitt ich ihm die Zunge aus und steckte dieselbe in den Hintern des Fuchses,[272] da wurden sie gleich schwer; ich sagte: »Nun sind sie gesund geworden«, und forderte das Geld vom Esel; aber er gab es mir nicht, sondern rannte davon und schlug mit den Hinterbeinen aus. »Hierauf forderte der Schakal seine Zunge vom Fuchs zurück, und der Fuchs von jenem seine Rute; darüber gerieten sie in Streit, und der Fuchs versetzte dem Schakal einen Dolchstoss; das ist's, was ich weiss; ist darin etwas, was mir zur Last fällt?« »Nein«, antwortete man, »du bist Arzt, geh nur nach Hause.« Das tat der Hase. – Die Hyäne indessen pflog mit dem Pferd und mit dem Maultier Rat, und sie befalen, jene in's Gefängniss zu werfen. Dies geschah. Zwei Tage lang blieben sie eingeschlossen; dann rief man sie wieder vor und liess den Esel nach Hause gehen. Der Esel tat dies. Darauf befalen die Richter dem Schakal, die Rute des Fuchses herauszugeben. Da gab er die Rute des Fuchses heraus. »Aber nun Fuchs, gib auch die Zunge des Schakals heraus.« »Sie ist mir in den Bauch hineingeschlüpft«, antwortete dieser. »Ziehe sie heraus«, befal man. »Ich kann nicht.« »So legt den Fuchs hin.« Man legte ihn hin. »Hund«, hiess es weiter, »strecke deine Pfote dem Fuchs zum Hintern hinein und hole die Zunge des Schakals heraus!« Da streckte der Hund seine Pfote in den Hintern des Fuchses und zog die Zunge heraus; aber dem Fuchs tat sein Hinterteil sehr weh. »So geht nun«, befal man; der Hund indessen fragte: »Wo ist denn der Lohn für meine Dienstleistungen?« Das Pferd antwortete: »Deine Belohnung ist, dass du deine Pfote zum Hintern des Fuchses hast hineinstrecken dürfen.« »Möget ihr mit eurem Urteilsspruch alle zum Teufel gehen«, sagte der Fuchs und machte sich davon; man lief ihm nach, fing ihn aber nicht ein. –

Der Fuchs ging weiter und fand ein altes Weib; aber die Alte war nicht zu Hause; indessen hatte sie im Hause einen Vorratskorb. Nun hatte der Hase zum Fuchs gesagt: »Wenn du süsse Milch trinkst, so wird dein Hinterer gesund werden«; daher hob der Fuchs jenen Korb in die Höhe und siehe, es war Milch darunter. Wie der Fuchs am Trinken war, kam die Alte und schlug ihm mit einem Scheit Holz auf den Schwanz, so dass dieser abbrach. Der Fuchs machte sich davon und ging ohne Schwanz unter die Füchse; da sagten sie: »O mögest du crepiren, du ohne Schwanz,« Weinend kam der Fuchs zu der Alten zurück und bat sie: »Gib mir meinen Schwanz zurück!« »Geh«, antwortete diese »hole mir erst Milch.« Der Fuchs trat weinend vor die Ziege und bat: »Gib mir Milch, damit ich sie der alten Frau gebe, damit sie[273] mir meinen Schwanz wiedergibt.« »Geh, hole mir ein Beil«, sagte die Ziege, »damit ich Blätter abhaue; dann will ich dir Milch geben.« Da ging der Fuchs zum Schmied, und rief: »Schmied!« »Ja!« »Gib mir ein Beil.« »Wozu?« fragte dieser. »Damit ich der Ziege Blätter abhaue; damit sie sie fresse, damit sie mir Milch gebe, damit ich die Milch der alten Frau gebe, damit die alte Frau mir meinen Schwanz wiedergebe.« »Höle mir erst Eier!« sagte der Schmied. Da ging der Fuchs zur Henne und rieft »Henne!« »Ja!« »Gib mir Eier.« »Wozu?« fragte diese. »Damit ich sie dem Schmied gebe, damit er mir ein Beil gebe, damit ich Blätter abhaue, damit die Ziege dieselben fresse, damit sie mir Milch gebe, damit ich diese der alten Frau gebe, damit diese mir meinen Schwanz zurückgebe.« Die Henne antwortete: »Höle mir Gerste, die will ich fressen und dann Eier legen.« Da ging der Fuchs zum Schnitter und rief: »Schnitter!« »Ja!« »Gib mir Gerste!« »Wozu?« fragte dieser. »Ich habe etwas damit zutun«, entgegnete der Fuchs. »Geh«, antwortete er, »hole mir einen Schlauch voll Wasser.« Da ging der Fuchs und holte einen Schlauch Wasser vom Brunnen; den gab er dem Schnitter, und dieser gab ihm Gerste; er nahm die Gerste mit und gab sie der Henne; diese gab ihm Eier; dann gab er die Eier dem Schmied, dieser gab ihm ein Beil; dieses nahm er mit und hieb Blätter ab; die Ziege frass dieselben und gab ihm Milch; die Milch gab er der alten Frau, und diese gab ihm seinen Schwanz wieder. Nun ging der Fuchs zum Schwanzmacher and bat ihn: »Mache mir meinen Schwanz wieder.« Der Mann aber antwortete: »Geh, hole mir erst einen Laib Brot.« Darauf ging er zum Bäcker und stal ein Brot; der Bäcker aber hieb mit dem Messer auf den Fuchs und schnitt ihm einen Vorderfuss ab. Da entfloh er weinend und ging in's Gebirge unter die Füchse, indem er zu sich sagte: »Der Schakal hat meine Rute abgehauen, die alte Frau hat meinen Schwanz abgehauen, und der Bäcker hat mir die Finger abgehauen!« Die Hyäne jedoch entgegnete: »Das ist die Vergeltung, die dir gebührte.« Der Fuchs aber starb.

Quelle:
Prym, E./Socin, A.: Syrische Sagen und Märchen aus dem Volksmunde. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprechts Verlag, 1881, S. 270-274.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Anonym

Schau-Platz der Betrieger. Entworffen in vielen List- und Lustigen Welt-Händeln

Schau-Platz der Betrieger. Entworffen in vielen List- und Lustigen Welt-Händeln

Ohnerachtet Schande und Laster an ihnen selber verächtlich / findet man doch sehr viel Menschen von so gar ungebundener Unarth / daß sie denenselben offenbar obliegen / und sich deren als einer sonderbahre Tugend rühmen: Wer seinem Nächsten durch List etwas abzwacken kan / den preisen sie / als einen listig-klugen Menschen / und dahero ist der unverschämte Diebstahl / überlistige und lose Räncke / ja gar Meuchelmord und andere grobe Laster im solchem Uberfluß eingerissen / daß man nicht Gefängnüsse genug vor solche Leute haben mag.

310 Seiten, 17.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier II. Sieben Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier II. Sieben Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Michael Holzinger hat für den zweiten Band sieben weitere Meistererzählungen ausgewählt.

432 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon