LXIX.

[285] Es war einmal ein Fuchs, ein Wolf und ein Marder; die waren Freunde und sagten zu einander: »Auf, wir wollen in den Weingarten gehen und Trauben fressen.« Im Weingarten aber war ein Wächter, der hatte einen Hahn und einen Esel bei seinem Wächterhäuschen; auch hatte er eine Falle gerichtet. Da kam der Wolf mit dem Fuchs und dem Marder zur Umzäunung des Weingartens, der Marder schaute hin und sagte vergnügt lachend: »Da ist ein Hahn.« Auch der Wolf schaute hinein und erblickte den Esel; der Fuchs schaute ebenfalls hinein und sah, dass Trauben da waren und der Wächter schlief. Der Marder ging den Hahn fressen, der Wolf ging hin und zerriss den Esel; der Fuchs aber ging Trauben fressen; dabei fing er sich in der Falle. Da weinte der Fuchs und erhob ein Wehgeschrei, indem er rief: »Wolf, Marder, kommt, befreit mich.« Der Aufseher erwachte und erblickte die Federn des Hahnes und die Haut des Esels; er ergriff seine Flinte und schoss dieselbe auf die Diebe ab; da entfloh der Wolf und der Marder. Hierauf ging der Wächter auf den Fuchs los und fragte ihn: »Warum hast du so gehandelt, Fuchs?« »Was habe ich getan?« antwortete dieser. »Wer hat den Hahn gefressen?« »Der Marder.« »Und wer hat den Esel ge fressen?« »Der Wolf«, antwortete er. »Warum bist du denn gefangen worden?« fragte jener. »Meine Mutter ist krank geworden«, erzälte der Fuchs, »und hat nach Trauben verlangt; da dachte ich, es ist eine Sünde, einer alten Frau einen Wunsch zu versagen; ich will gehen und ihr etwas Trauben holen; darum bin ich hergekommen, als du dich schon schlafen gelegt hattest, und habe dich nicht wecken wollen, sondern bin zum Weinstock gegangen, um etwas Trauben abzuschneiden; dabei habe ich mich in der Falle gefangen.« »Weisst du gar nichts vom Esel und vom Hahn?« fragte jener. »Nein, bei Gott nicht«, beteuerte er, »mein Vater ist Priester; beim Gebet meines Vaters schwöre ich, dass ich nichts davon weiss.« Darauf schlug jener den Fuchs mit einem Prügel, so dass er meinte sterben zu müssen; dann[285] nahm er ihn mit hinauf in's Wächterhäuschen und band ihn mit seiner Kopfbinde. Als der Wächter wieder eingeschlafen war, begann der Fuchs mit seinen Zähnen die Binde zu lösen und ging in den Weingarten hinunter; dort frass er sich satt und füllte obendrein das Tuch mit Trauben. Dann machte er sich auf den Weg nach Hause; da traf er den Marder und den Wolf an. »Der Fuchs ist gekommen«, riefen diese. Er aber antwortete: »Ihr habt die Flucht ergriffen; ich hingegen habe mich an den Trauben ergötzt.« »Hat dich denn der Wächter nicht geschlagen?« fragten sie. »Keines wegs«, antwortete er, »warum sollte er mich schlagen«; er sagte: ›Iss, bis du satt bist, und nimm noch dieses Tuch voll mit.‹ Jene antworteten: »Das ist uns nun entgangen, weil wir geflohen sind.« Der Fuchs aber schlug vor: »Auf, lasst uns in jenes Dorf gehen; es ist dort ein Hühnerstall.« Sie gingen hin lind fanden denselben; aber es schlief Jemand darin, um die Hühner zu bewachen. Da schlich der Marder hinein und der Fuchs hinter ihm her; als der Marder drinnen war, beknabberte der Fuchs den Mann, so dass er erwachte; dann machte er sich davon, der Marder aber blieb drinnen. Der Mann verschloss die Thüre, packte den Marder und tödtete ihn. Der Fuchs und der Wolf jedoch machten sich aus dem Staube und zogen weiter, indem sie sagten: »Warhaftig, man hat den Marder getödtet.«

So kamen sie zu einem Dorfe und erblickten einen Esel, welcher sich auf der Tenne wälzte. Da schlug der Fuchs dem Wolf vor; »Ich will in's Dorf gehen und uns Brot zusammenbetteln.« Der Wolf aber ging lauernd um den Esel herum. Inzwischen ging der Fuchs in's Dorf und verkündigte dessen Insassen: »Der Wolf will jenen Esel da zerreissen.« Da liefen die Bauern, ohne Geräusch zu machen, hin, packten den Wolf und tödteten ihn. Aber auch den Fuchs packten sie und sagten: »Du bist ja sein Gefährte.« »Nein, bei Gott«, schwor er; »ich weiss nichts davon.« Sie liessen ihn daher los, und er entfloh.

Unterwegs erblickte er ein Melonenfeld; da band er sich die schwarze Binde um den Kopf und sagte: »Liebt ihr Gott, so gebt mir doch eine Wassermelone; ich komme von Jerusalem und bin hungrig.« »Von Jerusalem kommst du?« fragten sie ihn. »Ja.« Sie sagten: »Hebe deinen Arm in die Höhe, damit wir sehen, ob er den Stempel trägt.« »Ach, ich habe ihn mir nicht machen lassen«, antwortete er. Da packten sie den Fuchs und sagten: »Das ist die Kopfbinde unsres Bruders im Weingarten; die hat[286] er gestolen.« »Warhaftig nein«, antwortete er, »sondern vom Wolf habe ich sie gekauft.« Jene sagten: »Der Wolf hat ja unsern Esel gefressen!« »Nein«, sagte der Fuchs, »vom Marder habe ich sie gekauft.« »Der Marder hat ja unsern Hahn gefressen.« Da tödteten sie den Fuchs, nahmen ihm die Binde weg und zogen ihm das Fell ab.

Quelle:
Prym, E./Socin, A.: Syrische Sagen und Märchen aus dem Volksmunde. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprechts Verlag, 1881, S. 285-287.
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