VII.

[23] Abu Sêd war Häuptling der Hilâl, Ḥêtim-eṭ-ṭai Häuptling der Ṭai. Einmal kamen drei Zauberweiber zu Abu Sêd, da setzte er ihnen Speise und Trank vor und schenkte einer jeden zehn Beutel, indem er sagte: »Wen habt ihr gesehen, der freigebiger wäre als ich?« Zwei derselben sagten nichts; aber die dritte sprach: »Gib mir Erlaubniss (zu reden)«. »Die hast du«, sagte er, »rede«. Sie sprach: »Ḥêtim-eṭ-ṭai ist freigebiger als du«. »O weh, das ist wunderbar, bin ich doch Abu Sêd, der Häuptling der Hilâl, und man sagt mir, es gebe noch einen, der besser sei, als ich! setzt die drei in eine Kammer; ich will gehen um auszukundschaften, ob ihre Rede wahr ist; ist es Lüge, so will ich den Zauberweibern den Kopf abschlagen lassen; wenn es aber wahr ist, ihnen die Schätze der ganzen Welt geben«. Abu Sêd verkleidete sich in einen Derwisch, hing sein Schwert um seine Schulter und reiste in der Welt herum. Er fragte den Ṭai-Beduinen nach und kam zu den Zelten derselben. Als es Abend wurde, stürzten die Diener des Ḥêtim-eṭ-ṭai in's Lager und liessen Niemand darin übrig, den sie nicht zum Tisch Ḥêtim's führten; auch den Derwisch trafen sie und riefen: »Derwisch!« »Was gibt's?« »Auf, komm zu Tische, zum Essen!« »Ich mag nicht kommen«, antwortete dieser. »Warum?« »Darum«. Die Diener gingen und berichteten es dem Ḥêtim-eṭ-ṭai: »Herr, es ist ein Derwisch da, der nicht zu Tische kommen will«. Ḥêtim-eṭ-ṭai zog seine Stiefel an und ging den Derwisch aufzusuchen. »Derwisch!« rief er. »Was gibt's?« »Komm zu Tische«. »Ich mag nicht kommen«. »Was hast du denn für eine Absicht im Herzen?« fragte der Häuptling. Er antwortete: »Wenn du mir deine Frau gibst, so komme ich mit; wenn nicht, so komme ich nicht«. »Steh auf«, sagte jener; »ich gebe dir meine Frau; der Tisch ist bereit, es wäre Sünde, (Jemandem nicht zu essen zu geben)«. Da stand der Derwisch auf und ging mit; Ḥêtim-eṭ-ṭai erwies ihm Ehre und bewirtete ihn; darauf legte sich der Derwisch in Ḥêtim's Zelt zum Schlafe nieder. Ḥêtim-eṭ-ṭai aber ging zu seinen Weibern; dort stopfte er eine Pfeife nach der andern, rauchte sie und klopfte sie wieder aus, ohne zu reden. Seine Frau sagte: »Ḥêtim-eṭ-ṭai!« »Ja!« »Wesshalb bist du so?« »Wie denn?« »Du sagst ja gar nichts«. »Was soll ich sagen?« entgegnete er, »da ist ein Derwisch, der nicht zu Tische kommen wollte: ich sagte zu ihm«: »›was willst du? komm doch zu Tische‹, er antwortete: ›deine Frau will ich!‹ ›Steh auf‹, sagte ich zu[24] ihm, ›ich will sie dir geben‹; darüber denke ich nach«. »Das hat nichts zu sagen«, antwortete sie. In der Frühe stand der Derwisch auf und nach dem Frühstück verlangte er von Ḥêtim-eṭ-ṭai, er möge ihm nun die Frau geben. Darauf führte er sie eine Tagereise weit mit sich fort. Als die Sonne unterging, lagerten sie sich im Gebirge und legten sich beide schlafen; er aber legte sein Schwert zwischen sich und die Frau, bis es Tag wurde. – Darauf gelangte er zu den Zelten seines Stammes, wies ihr ein besonderes Zelt zur Wohnung an und blieb zu Hause.

Eines Tages aber machte er sich auf, liess seine Anführer mit sich ziehen und ritt mit ihnen nach der Ruine von Ssärval; von dort sandte er Boten an Ḥêtim-eṭ-ṭai und liess ihm sagen, er möge kommen, »wir wollen Brüderschaft schliessen, sagt ihm: Abu Sêd hat's gesagt«. Ḥêtim-eṭ-ṭai kam mit seinen Anführern und sie trafen bei der Ruine von Ssärval zusammen. Abu Sêd sagte zu Ḥêtim-eṭ-ṭai: »Komm mit zu uns nach Hause«. »Auf!« antwortete dieser. Er ritt also nach dem Wohnplatz des Abu Sêd und letzterer liess ihm hundert Stück Widder schlachten, um ihm daraus ein Mal zu bereiten. Am frühen Morgen sagte Abu Sêd zu Ḥêtim-eṭ-ṭai: »Bruder, ich habe gar nichts, was ich dir schenken könnte; ich will dir meine Schwester zur Frau geben«. »Schön«, sagte jener. Noch am selben Morgen gab er ihm die Schwester; Ḥêtim-eṭ-ṭai nahm sie mit sich fort und kam mit ihr nach Hause. Als es nun Nacht wurde, und er sich nicht zu ihr schlafen legte, fragte sie den Ḥêtim-eṭ-ṭai: »Warum schläfst du nicht bei mir?« »Darum«, antwortete er; denn er hatte seine Frau nicht erkannt, und desswegen sprach er so. Sie fragte: »Warum hast du meinen Bruder belogen, (du wollest mich heiraten)?« »Darum«. »Steh auf«, sagte sie, »fürchte dich nicht, ich bin deine Frau«. Da sah er sie an und wurde nachdenklich. »Spürst du denn nicht einen Zug deines Herzens?« fragte sie ihn. »Nein«. »Was für ein Zeichen hattest du denn an deiner Frau?« »Ich habe ihr«, sagte er, »einmal die Spitze meines Schwertes auf die Brust gesetzt«. »Da«, sagte sie. »Warhaftig«, rief er und legte sich zu ihr. – Sie gebar einen Sohn. – Diesem Sohne sagte er: »Du sollst einmal über die Ṭai herrschen«. Sobald der Sohn zum Manne herangereift war, entehrte er jedes mannbare Mädchen aus seinem Stamme. Da kamen alle seine Stammgenossen zusammen in's Haus seines Vaters und sagten: »Diese Sachen lassen wir uns nicht gefallen«. »Wie so?« fragte dieser. »Dein Sohn«, antworteten sie, »entehrt die Mädchen des Stammes«. – Darauf vertrieben sie[25] ihn mit seinem Vater, und die beiden zogen in die weite Welt hinaus. Die Ṭaijiten aber walten sieh einen andern Häuptling.

Quelle:
Prym, E./Socin, A.: Syrische Sagen und Märchen aus dem Volksmunde. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprechts Verlag, 1881, S. 23-26.
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