3.

[5] Es war einmal ein Minister und ein Sultan, die saßen einst bei einander, taten Wasser in eine Schale und setzten sie aufs Feuer. Als nun das Wasser zu sieden anfing, fragte der Sultan den Minister: »Was sagt das Wasser, während es siedet?« Der antwortet: »Ich weiß es nicht.« Aber jener befahl: »Du sollst mir erklären, was das Wasser bei seinem Sieden spricht.« »O Herr,« sagte der Minister, »woher sollte ich wissen, was es sagt?« »Einerlei,« erwiderte er, »gib dir Mühe, und wenn du mir nicht berichten kannst, was es sagt, so lasse ich dir den Kopf abschlagen.« Da bat er: »O Herr, so gib mir Frist.« »Drei Tage sollst du haben, die will ich auf dich warten.« Da machte der Minister sich auf und trieb sich in der Welt umher, damit er jemand fände, der ihm sagen könnte, was das Wasser beim Sieden spricht. So kam er auch zu dem Häuptling der Beduinen. Als er bei ihnen Platz genommen hatte, fragten sie ihn: »Was ist dir, Gast?« »Mir ist eine schwere Sache auferlegt worden,« erwiderte er. »Was ist das denn für eine Sache?« fragten sie. Da erzählte er ihnen: »Ich saß mit dem Sultan zusammen, der tat Wasser in eine Schale und setzte sie aufs Feuer, darauf verlangte er von mir, ich solle ihm sagen, was das Wasser beim Sieden spricht, und wie ich ihm das nicht zu sagen wußte, drohte er mir, er würde mir den Kopf abschlagen lassen, wenn ich es ihm nicht sagte; jedoch gewährte er mir drei Tage Frist, welche er auf mich warten will; wenn ich ihm aber auch dann keine Antwort geben kann, so läßt er mir den Kopf abschlagen, und nun bin ich ratlos, was ich machen soll.« Als der Minister den Beduinen diese Geschichte erzählt hatte, sagte der Häuptling: »Das ist leicht, mach' dir nur keine Sorge, sei guten Mutes und vergnügt.« »Aber ich bitte dich, wie?« entgegnete er. »Ich habe ein Mädchen hier,« fuhr jener fort, »die wird es dir mitteilen.« »So laß sie zu mir kommen,« bat er. Darauf führte er sie zu ihm, und als er es ihr erzählt hatte und sie fragte, was das Wasser beim Sieden sage, antwortete sie: »Recht geschieht mir, das Leid kommt von mir selbst; im Tale lief ich, und jedes Holz, welches von mir trank, mit seinem Feuer werde ich jetzt gebrannt.«

Am andern Morgen brach der Minister aus dem Beduinenlager auf und begab sich zum Sultan. »Bringst du die Antwort?« fragte dieser. »Ich bringe sie,« versetzte er. »So laß mich hören.« »Herr,« erwiderte er, »das Wasser sagt: ›Recht geschieht mir, das Leid kommt von mir selbst; im Tale lief ich, und jedes Holz, welches von mir trank, mit seinem Feuer werde ich jetzt gebrannt.‹« Als der Minister ihm diese Antwort mitgeteilt hatte, verlangte der Sultan, er solle ihm anzeigen, wer ihm das gesagt habe, und als er ihm darauf die Tochter des Beduinenhäuptlings nannte, forderte er ihn auf, ihn zu ihr zu führen. Sie machten sich daher auf den Weg zu den Beduinen und zu der, welche ihnen die Antwort gegeben[6] hatte. Kaum waren sie dort angekommen, so fragte der Sultan den Minister: »Wo ist die, welche dir gedeutet hat, was das Wasser beim Sieden spricht?« »Dieses Mädchen ist es,« versetzte jener. Da sagte der Sultan: »Ich will bei ihrem Vater um sie anhalten.« Er hielt also bei ihrem Vater um sie an und fragte ihn, ob er ihm das Mädchen zur Frau geben wolle. Der aber erwiderte: »O Herr, der Sultan nimmt ein Beduinenmädchen?« »Ja freilich,« antwortete er, »laß nur den Prediger kommen, damit er mir deine Tochter antraue.« Man holte den Prediger, und dieser traute ihm das Beduinenmädchen an. Als er nun mit dem Mädchen zu Bette gegangen war, zog er sein Schwert aus der Scheide und legte es zwischen sich und das Mädchen. Dann schenkte er ihr eine Perlenschnur, befahl ihr jedoch, dieselbe nicht eher anzulegen, als bis sie ihm einen Sohn geboren habe. Ferner schenkte er ihr eine Schachtel voll Goldstücke, jedoch versiegelte er dieselbe mit seinem Siegelringe. Darauf verließ er sie.

Sie aber versammelte zwanzig Mädchen, zog ihnen Männerkleidung an und machte sie beritten. Dann brach sie auf und folgte dem Sultan. Dieser ließ sein Gefolge an einem Orte lagern, da ließ sie auch ihr Gefolge in einiger Entfernung davon lagern und verkleidete sich so, als wenn sie ein Mann wäre. Diesen Tag über lagerten sie dort. Der Sultan aber befahl dem Minister: »Rufe doch den Herren des Gefolges dort, damit wir uns ein wenig mit ihm unterhalten.« Der Minister rief den Anführer – sie, das Mädchen, hatte sich so verkleidet, als wenn sie ein Mann und ihr Anführer wäre –, und sie begab sich zu ihm, wie ein Mann gekleidet. »Mein General,« fragte der Sultan, »wohin reisest du?« »Auf Bagdad zu,« war die Antwort. »So nimm Platz, wir wollen uns ein wenig unterhalten.« Darauf schlug er vor: »Wir wollen mit einander Würfel spielen, und wer den andern besiegt, bekommt dessen Siegelring.« Sie spielten also; und der vermeintliche General, das Mädchen, gewann und erhielt den Ring des Sultans. Sobald sie zu ihrem Gefolge zurückgekehrt war, öffnete sie jene Schachtel, welche er mit Goldstücken gefüllt hatte, und füllte sie mit Häcksel1. Dann versiegelte sie sie wieder mit seinem Ringe. Am folgenden Tage ging sie zum Sultan, nachdem sie Männerkleidung angelegt hatte, und sagte ihm: »Nimm den Ring, welchen ich dir gestern abgewonnen habe, ich gebe ihn dir zurück.« Da schlug der Sultan vor: »Heute wollen wir so spielen: wenn du mich besiegst, so bekommst du eine Kebse von mir, und wenn ich gewinne, so bekomme ich eine Kebse von dir.« Sie spielten, und der Sultan gewann. Als er sie nun aufforderte, ihm eine ihrer Kebsen zu geben, sagte sie: »Gedulde dich einen Augenblick, ich will zu meinem Gefolge gehn; du aber folge mir, und die Kebse, welche du haben willst, werde ich dir zuführen2.« Sie aber ging hin und zog die Männerkleider[7] aus, auch ließ sie zwei, drei Mädchen die Männerkleidung ablegen, und legte sich und ihnen Weiberkleidung an. Darauf kam der Sultan, und die Mädchen traten vor ihn, damit er sich die nähme, welche er wollte. Er wählte sie, denn sie gefiel ihm sehr. Nachdem er sie drei Nächte bei sich hatte schlafen lassen, sagte einer, der da bei ihm war: »O Herr, gib dem General seine Kebse zurück, er hat dir neulich deinen Ring abgewonnen und ihn nur eine Nacht bei sich behalten und ihn dir dann zurückgegeben; du dagegen hast seine Kebse nun schon drei Nächte bei dir, gib sie ihm zurück.« Der Sultan erklärte sich damit einverstanden und schickte sie zurück, worauf der vermeintliche General mit seinem Gefolge aufbrach. Also die Beduinentochter, welche sich in den General verkleidet und dann, nachdem sie wieder Mädchenkleider angelegt hatte, sich in jene Kebse verwandelt hatte, die der Sultan wählte, kehrte mit ihrem Gefolge zu den Beduinen zurück. Dort ließ sie die Mädchen die Männerkleidung ablegen und wieder ihre gewöhnliche Kleidung, wie sie die Weiber tragen, anlegen.

Darauf wurde das Mädchen, die Beduinentochter, welche der Sultan zur Frau genommen hatte, guter Hoffnung und brachte einen Sohn zur Welt. Der wuchs heran und spielte mit den andern Knaben. Da ihm aber das Beduinenleben nicht gut bekam, so zog er nach Damaskus; vorher jedoch legte ihm seine Mutter die Perlenschnur, welche ihr der Sultan geschenkt hatte, um den Arm. Bald verbreitete sich dort der Ruf seiner Schönheit. Er verkaufte Rosinenscherbet, und die Leute kamen und gingen, um ihn sich anzuschauen. So hörte auch die Tochter des Königs3 und die Tochter des Sultans von ihm und verabredete sich, mit einander hinzugehn und ihn sich anzuschauen. Sie stellten sich, als wenn sie ins Bad gehn wollten, gingen aber an seinem Laden vorüber, und da er ihnen ausnehmend gut gefiel, so luden sie ihn ein, den Abend bei ihnen zuzubringen. Er folgte dieser Einladung und brachte den Abend bei ihnen zu. Am folgenden Tage sagte der Sultan zum König: »Da ist einer in der Stadt, der verkauft Rosinenscherbet, und alle Leute gehen hin, ihn sich anzuschauen; komm, laß uns beide Derwischkleidung anlegen und heute bei ihm den Abend zubringen.« Sie verkleideten sich also als Derwische und begaben sich am Abend zu ihm. Während sie sich mit ihm unterhielten, schickte die Tochter des Sultans eine Sklavin zu ihm mit dem Auftrage: »Meine Herrin läßt dir sagen, du möchtest den Abend bei ihnen zubringen; sonst würden sie zu dir kommen.« Er antwortete: »Sage ihnen, bei mir seien Gäste.« Als der Sultan und der König dieses Gespräch hörten, wurden sie sehr zornig und sagten einer zum andern: »Aber dieser! wir wollen ihm den Kopf abschlagen lassen! Soll er noch weiter zu unsern Mädchen gehn?«

Am folgenden Tage schickten der Sultan und der König nach[8] ihm; der Sultan setzte sich auf seinen Thron, ließ den jungen Mann holen und befahl dem Scharfrichter, ihm den Kopf abzuschlagen. Sie zogen ihm seine Kleider aus, so daß er nur noch das Hemde anbehielt, und der Scharfrichter hob das Schwert in die Höhe und war gerade im Begriffe, ihm den Kopf abzuschlagen; da machte der junge Mann so4 mit seiner Hand. Hierdurch fiel das Hemde vom Handgelenke aus den Arm hinauf und die Perlenschnur, welche seine Mutter ihm angelegt hatte, ward sichtbar. Sogleich erkannte der Sultan in ihr diejenige, welche er dem Beduinenmädchen gegeben hatte, und befahl dem Scharfrichter: »Hebe deine Hand von ihm weg und schlage ihm den Kopf nicht ab.« Darauf rief er den jungen Mann zu sich und fragte ihn: »Weh dir, mein Bursche, woher hast du diese Perlenschnur, welche sich an deinem Arme befindet?« »O Herr,« erwiderte er, »meine Mutter hat sie mir umgelegt.« »Wo ist denn deine Mutter? Ich wünsche, daß du sie mir zeigest, damit ich sehe, woher sie die Perlenschnur hat, so daß sie sie dir um deinen Arm legen konnte.« »O Herr,« versetzte er, »gewähre mir Sicherheit, so will ich meine Mutter holen gehn und wieder zu dir zurückkehren.« »Ich gewähre dir Sicherheit,« entgegnete der Sultan, »hole also deine Mutter und komm wieder her.« Da begab sich der junge Mann zu seiner Mutter und fragte sie: »Woher hast du die Perlenschnur, welche du um meinen Arm gelegt hast?« »Weshalb fragst du das, mein Sohn?« erwiderte sie. »Der Sultan verlangt, daß du ihm aufwartest und ihm sagest, woher du sie hast; ich soll dich zu ihm bringen, damit du ihm aufwartest.« Und er nahm seine Mutter mit und kam zum Sultan zurück. Der redete sie gleich an: »Du sollst mir erzählen, woher du diese Perlenschnur hast.« Sie erwiderte: »Bist du nicht selbst zum Häuptling der Beduinen gegangen und hast um seine Tochter angehalten?« »Ja freilich,« versetzte er. »Und was hast du ihr geschenkt?« fragte sie weiter. »Ich schenkte ihr eine Perlenschnur und befahl ihr, sie nicht eher anzulegen, als bis sie mir einen Sohn geboren hätte; ferner schenkte ich ihr eine Schachtel mit Goldstücken.« Da gab sie ihm die Schachtel und fragte: »Ist sie noch mit deinem Siegel versiegelt?« »Sie ist's,« erwiderte er. »Und was hast du mir in sie hinein getan,« fragte sie weiter, »Goldstücke oder Häcksel?« »Goldstücke,« sagte er. »Aber es ist Häcksel darin; öffne sie nur, und laß uns sehen.« Er öffnete die Schachtel, und es fand sich Häcksel darin. »Wie kommt das?« fragte er. Da erzählte sie: »An dem Tage, da du bei mir warst und um mich bei meinem Vater anhieltst und dann weggingst und mich verließest, da nahm ich eine Anzahl Mädchen, denen ich Männerkleidung anlegte und die ich beritten machte, und folgte dir mit ihnen ins Feld, und verkleidete mich als einen General und[9] ließ mein Gefolge in einiger Entfernung von dir lagern; dann schicktest du nach mir, und wir spielten zusammen Würfel; ich gewann und bekam deinen Ring, da Öffnete ich die Schachtel, nahm die Goldstücke heraus, füllte sie mit Häcksel, versiegelte sie wieder und gab dir am andern Tage deinen Ring zurück. Darauf spielten wir wieder zusammen, und du schlugst vor, wenn ich gewänne, sollte ich deine Kebse bekommen, und wenn du gewännest, solltest du meine Kebse bekommen. Du gewannst und bekamst meine Kebse. Wer war nun die Kebse? Ich war die, welche du wähltest; habe ich nicht drei Tage bei dir zugebracht?« »Ja freilich,« versetzte er. »Und dieser ist dein Sohn,« schloß sie. Als sie das alles dem Sultan erzählt hatte, sagte er: »Aber dann ist ja meine Tochter die Schwester des jungen Mannes, und dieser ist mein Sohn, und was die Tochter des Königs angeht, so will ich die für ihn zur Frau begehren.« Da hielt er für ihn um die Tochter des Königs an; dann ließ er den Geistlichen kommen, der traute sie, und darauf ließ er ihn und seine Mutter, das Beduinenmädchen, bei sich wohnen. Und nun ist die Geschichte aus.

1

[Spreu].

2

[die hole dir].

3

[so von hier an für ›Minister‹].

4

Die Erzählerin hob bei diesen Worten ihre Hand in die Höhe und legte sie mit der Außenfläche wie zum Schütze vor die Stirne.

Quelle:
Bergsträsser, G[otthelf] (Hg.): Neuaramäische Märchen und andere Texte aus Malula. Leipzig: F.A. Brockhaus, 1915, S. 5-10.
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