VI.

[112] Der Kachiswansche Emir32 hat eine Tochter. Ihr Name ist Chandud-Chanum.33 Sie hörte von Davids Tapferkeit, beschenkte einen Sänger und sagte zu ihm: »Gehe zu David, besinge ihm meine Schönheit! Mag er hierher kommen und wir werden einander lieb gewinnen!«

Der Sänger ging nach Sassun; er dachte, in Sassun wäre David. Er kam und trat ein in Zöranwegis Schloss; er dachte, David wohne[112] dort. Er setzte sich hin und fing an Zöranwegi zu besingen. Zöranwegi schrie: »Ach, geht, schlagt ihn und jagt ihn fort! Er ist gekommen, um durch List meinen Bruder hinweg zu führen.« Sie schlugen den Sänger, schleppten ihn ins Thal und warfen ihn auf den Weg.

Abends kehrten die Hirten auf ihren Ochsen ins Dorf zurück. Des einen Ochs wurde wild und der Hirte fiel herunter. Sie suchten und fanden den Sänger. Der Sänger weinte und jammerte und fragte die Hirten: »Welcher von den Brüdern wohnt in diesem Schlosse?«

Die Hirten sagten: »Hier wohnt Zöranwegi, dort in Mösr David.«

Der Sänger gab den Hirten ein Goldstück. Die Hirten sammelten die Stücke seines zerschlagenen Tamburs34 und zeigten ihm den Weg. Der Sänger wandte sich gen Mösr. Er ging und besang vor David Chanduds Schönheit. David beschenkte den Sänger reichlich und sagte: »Gehe du, ich werde kommen!« Der Sänger kam und erzählte alles der Chandud-Chanum.35 Und David zog fort von[113] Mösr und kam geraden Weges nach Sassun. Von Sassun zog er zur Zözmakschen Höhe. Er schaut, auf dem Wege steht ein Pflug.36 Er band die Ochsen los, ergriff die Kette und bestieg das Pferd; von hier zieht er den Pflug hinunter. Ja, vom Gipfel des Schwarzen Sar37 sprengt er Kopf über hinunter zur Wasserleitung des Dorfes Marnik.

Er kam hin und schaut – ein Büffel38 hat sich losgerissen, ist mitten auf den Weg gelaufen und hat dort seinen Mist zurückgelassen. David schaute den Mist an und sagte: »Wenn mir ein Unglück begegnet, so ist der daran schuld, der den Mist hier zurückgelassen hat, wenn nicht, so ist es auch sein Werk, dass es mir nicht begegnet.«

Er sieht, aus der Lache kommt ein Büffel. Da David noch nie so etwas gesehen hatte, erhob er die Keule, um auf den Büffel loszuschlagen. Von der entgegengesetzten Seite kam ein Hirte und fing an den Büffel zu schelten. David meinte, man schelte ihn und sagte: »Bursche, was habe ich dir gethan, dass du mich so ausschimpfst?«[114]

Der Hirte sagte: »Wer bist du denn, Bruder? Aha, du bist ein Sassuner Schreier, der nie etwas von der Welt gesehen! Ich spreche mit meinem Büffel.«

David sagte: »Junge, sei nicht böse! Ist es denn eine Schande, dass ich in meinem Leben nie so etwas gesehen habe? Giebt es viel solcher Geschöpfe in eurem Lande?«

Der Hirte sagte: »Komme, ich will sie dir zeigen!«

Sie gingen aufs Feld von Ausut und dort spannten die Bauern ihre Büffel an und treiben sie an. David kam und sieht – die Büffel strecken vor Hitze die Zunge heraus und ziehen die Pflüge. David empfand Mitleid mit ihnen: er spannte die Büffel aus und trieb sie in den Teich.

Der Pflüger fing an auf ihn zu fluchen.

David sagte zu ihm: »Du, Pflüger, fluche nicht auf mich, gieb mir nur die Pflugkette in die Hand.«

Er packt die Kette an und fängt an zu ziehen. Der Pflüger stellte sich auf den Pflug und David pflügte neun Furchen um.

Der Hirte sagte zu David: »Das ist nicht dein Können, steige vom Pferde und dann ziehe, wir werden sehen, ob das dein oder deines Pferdes Können ist.«[115]

David stieg vom Pferde und pflügte allein noch neun Furchen um.

Darauf sagte der Pflüger zu ihm: »David, es ist schon Mittag, komm essen und dann kannst du deiner Wege gehen!«

David sagte: »Nein, ich reite fort, mögen deine Kinder essen; wenn ich zu dir komme, wird nichts für sie bleiben.«

Doch sie setzten sich. Als das Mittagessen aufgegeben wurde, zerkrümelte David alles Brot und leerte auf einmal die Töpfe.

Der Hirte sagte: »Ei, versteckt euch schnell, denn er frisst womöglich uns noch auf!«

David sagte: »Gewiss, Bruder, wer den Pflug zieht, muss Brot essen. Wie denn anders?«

Und er stand auf und zog geraden Weges zu Chandud-Chanum.

32

»Emir« ist in den Augen der morgenländischen Völker fast gleichbedeutend mit »König«.

33

Chandud ist ein Frauenname – Chanum heisst »Herrin«.

34

Ein Saiteninstrument, eine Art Guitarre.

35

Hier fehlt das Lied des Sängers, in welchem er die Schönheit Chanduds preist. Überhaupt lässt sich hier im Gange der Erzählung eine gewisse Flüchtigkeit bemerken.

36

Die Armenier bedienen sich zum Pflügen des grossen »Hutan«, eine Art Pflug, den 5–10 Paar Büffel oder Ochsen ziehen.

37

Der »Schwarze Berg«.

38

David sieht den Büffel nicht, sondern nur den Mist.

Quelle:
Chalatianz, Grikor: Märchen und Sagen. Leipzig: Verlag von Wilhelm Friedrich, 1887, S. 112-116.
Lizenz:
Kategorien: