VII.

[116] David kam an das Thor des Schlosses, in welchem Chandud-Chanum wohnte, dorthin, wo alle Freier anhielten. Auch er kommt dahin. Er sieht, es steht jemand am Thore mit einer Keule in der Hand.

David fragte ihn: »Heda, Junge, wie heisst du?«

Er sagte: »Ich heisse Gorgis.«[116]

David sagte: »Gorgis und ich David! Wenn ich Chandud-Chanum heirate, sollst du mein Gevatter werden.«

Dann sagte er: »Gevatter Gorgis, wer ist in diesem Hause?«

Jener sagte: »Es sind Brautwerber von den Riesen Schibikon aus Chorassan und Hamsa aus Lori gekommen.«

Er sagte: »Nimm mein Pferd und binde es an!« Jener nahm es und band es an.

David fragte: »Was für eine Keule haben sie dir da in die Hand gegeben? zeige doch!«

Er nahm sie ihm aus der Hand und warf sie mit solcher Wucht in die Luft, dass sie jetzt noch herumschwirrt.

Dann sagte er: »Gevatter Gorgis, gehen wir ins Haus, wir wollen schmausen und zechen!«

Sie gingen hinein. David setzte sich, denn er war müde und hungrig und jene Brautwerber reichen David einen Becher Wein nach dem andern. David verlor die Geduld; er ergriff den Weinkrug und leerte ihn mit einem Zuge, wobei er sagte: »Nun sagt doch auf dein Wohl?«

Der Wein berauschte David und als er den Kopf hängen liess, ziehen jene Brautwerber die Schwerter, um ihn zu schlagen. Und wie er den Kopf wieder aufrichtet, verstecken[117] sie die Schwerter. Als sie wieder damit anfangen, schreit Gevatter Gorgis: »Glaube nicht, du seiest in Georgien, nein, du bist in einem gefährlichen Lande!«

Als David das hörte, sagte er: »Nun, steh' fest an der Thür!«

Da sprangen die Brautwerber auf und liefen fort. Jeder gab Gorgis eine Ohrfeige und entlief. Jetzt wandte sich David zu Gorgis und sagte: »Wo kann ich Chandud-Chanum sehen!«

Gorgis sagte: »Im königlichen Garten! heute ist Freitag, sie wird dort sein. Vor ihr werden zwanzig Sklavinnen gehen und hinter ihr auch zwanzig. Heute gehen wir hin und wir werden sie sehen.«

David und Gorgis gingen hin, versteckten sich hinter die Gartenmauer und warteten. Es kamen die Sklavinnen, eine nach der anderen, vorbei. Es kam auch Chandud-Chanum. David legte seinen Arm um ihren Hals und küsste sie dreimal. Chanum sagte kein Wort. Er küsste sie noch einmal. Chandud-Chanum packte David am Kragen und warf ihn an die Mauer, dass ihm das Blut aus der Nase spritzte.39[118]

David wurde böse und ging zu seinem heiligen Kreuze und zu seinem Rosse, um es zu besteigen. Er sagte: »Gevatter Gorgis, führe mein Ross hinaus, ich will diese Stadt zerstören.«

Gorgis fing an ihn zu bitten: »Ich bitte dich, verschiebe das bis auf morgen, jetzt ist es schon dunkel. Bei Tagesanbruch stehe auf, zerstöre die Stadt und ziehe ab!«

David liegt im Bette und kann vor Ärger nicht einschlafen. »Wird es nicht bald dämmern, damit ich aufstehen kann, um diese Stadt zu zerstören und mich davon zu machen!« denkt er bei sich selbst.

Chandud-Chanum spazierte immer noch im Garten herum. Eine lahme Sklavin kam zu ihr und sagte: »Dein Spaziergang wird traurig enden! Sieh' doch, David wird sogleich deines Vaters Stadt zerstören und sich davon machen.«

Sie nahmen ihr Tischtuch, in welches ihr Abendbrot eingewickelt war und kehrten zurück. Sie gingen geraden Weges ans Schloss, in welchem sich David befand und klopften an das Thor, damit man ihnen öffne.

David sagte: »Oho, oho! was für ein freches Volk hier wohnt, sie wollen nicht bis[119] zum Morgen warten; sie sagen: ›Stehe doch jetzt auf, zerstöre die Stadt und ziehe fort!‹«

Gorgis stand auf, sah nach, kehrte zurück und sagte: »Das sind Weiber und keine Männer!«

Sie öffneten das Thor.

Chandud kam zu David und sagte: »David, du hast mich einmal für deine Reisebeschwerden geküsst, ein zweites Mal für dich selbst, das dritte Mal Gottes wegen. Wozu hast du mich noch ein viertes Mal geküsst? Du bist der Sohn deines Vaters und ich die Tochter des meinigen! Es ward gesagt: ›Nimm dir ein Weib, damit du einen Sohn habest, der dem Onkel ähnlich sei.‹ Du denkst, du habest mir die Köpfe der Riesen Hamsa von Lori und Schibikan von Chorassan gebracht, dass du mich noch ein viertes Mal küsstest!«

Diesmal erweichte Davids Herz und er sagte: »Wenn dem so ist, so will ich mit Tagesanbruch ausziehen und dir ihre Köpfe bringen.«

Dann setzte er hinzu: »Nun gut, ich will gehen; sollten sie stärker sein als ich, so werden sie mich töten. Um Gottes Willen komme da meine Leiche suchen: auf der rechten Hand habe ich ein Muttermal, ein Kreuz. An ihm wirst du mich erkennen, nimm meine Leiche und beerdige sie!«

Und David machte sich auf den Weg.[120] Die Riesen bemerkten, dass ein Reiter komme und der Staub von den Hufen des Pferdes aufgewirbelt, zum Himmel aufsteige. Sie sagten: »Dieser Reiter kommt hierher zum Kampfe. Vielleicht ist er aus dem Geschlechte des Ssergo.«40

Sie riefen ihn laut an und fragten: »Ei Bursche, wer bist du und woher kommst du? Wir wissen nicht – kennst du Chandud-Chanum und kannst du ihr nicht diesen Ring überbringen?«

David sagte: »Gewiss kenne ich sie. Aber ich bin gekommen, um der Prinzessin Chandud eure Köpfe zu bringen. Ich bin nicht nach dem Ringe gekommen.«

Dem Schibikan von Chorassan hingen die Augenbrauen bis auf die Brust herab und er hatte sie um den Rücken gebunden. Der andere Riese, der Hamsa von Lori, hatte eine so lange Unterlippe, dass sie bis zur Erde herabhing und den Boden fegte.

Und sie fingen an sich zu schlagen und zu hauen, David und die Riesen und kämpften mit Keulen und Bogen bis zum Abend. David[121] rief: »Ich glaube an das hohe, heilige Kreuz von Maratuk! Jesus Christus, hilf mir!« Er nahm sein Schwert und hieb beiden die Köpfe ab. Er band ihre Locken zusammen und knüpfte sie wie eine Satteltasche an sein Pferd. Und die Zungen der Riesen hingen aus dem Munde heraus und furchten die Erde wie ein Pflug. David reitet mit ihren Köpfen und er hatte schon den halben Weg zurückgelegt, als er sieht, ihm entgegen reitet zwischen Himmel und Erde ein Reiter, der ihm zuruft: »Ho, hüte dich! Glaubst du nicht, du seiest dem Riesen Schibikan und Hamsa begegnet?« Der Reiter sprengte David in den Rücken und schlug mit der Keule auf ihn los. David verkroch sich unter dem Sattel, die Keule traf den Steigebügel, riss ihn los und jagte ihn in den Boden. David sprang unter dem Sattel hervor und sagte: »O, Brot und Wein – der Herr lebt!« Dann schwang er seine Keule über dem Kopfe des Gegners; dieser duckte sich und seine Locken fielen ihm übers Gesicht. David schaute hin und erkannte Chandud-Chanum. Sie hatte sich verkleidet und war David entgegen gekommen.

David sagte: »Ach, du schamlose Dirne! So willst du mich schon das zweite Mal mit deiner Keule zu Boden werfen!«[122]

Sie ritten zusammen in Chandud-Chanums Stadt. Sie kamen an und stiegen ab. Hier riefen sie Chandud-Chanums Vater und David sagt zu ihm: »Wirst du mir deine Tochter nicht zur Frau geben?«

Der Vater sagte: »Ich gebe sie nicht. Wenn du sie heiratest und hier wohnen bleibst, so gebe ich sie dir. Wenn du fortziehst, gebe ich sie nicht! Wie kann ich denn auch anders! Ich habe viele Feinde. Sie werden meine Stadt zerstören.«

David sagte: »Ich heirate sie und bleibe hier, ich nehme sie nicht fort.«

Da heirateten sie einander, feierten die Hochzeit und schmausten sieben Tage und sieben Nächte.

39

Wahrscheinlich handelte David gegen die Sitte, indem er die Prinzessin viermal küsste.

40

Sergo-Sarkis (Sergius). So nennen oft die Kurden die Christen, indem sie sie als Nachkommen des heil. Sergius ansehen, der bei den Armeniern von Wan und Musch sehr populär ist.

Quelle:
Chalatianz, Grikor: Märchen und Sagen. Leipzig: Verlag von Wilhelm Friedrich, 1887, S. 116-123.
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