[197] 45. Der Kampf der Vögel und Fische

Einst fand ein großer, gewaltiger Kampf zwischen den Vögeln und Fischen statt, denn die Fische hatten den Vögeln Kokosnüsse gestohlen. Deswegen erklärten sie einander den Krieg, sammelten ihre Heere, und als sie eines Tags aufeinanderstießen, begann der Kampf.

Gleich im Anfang speerte der Roche den Krebs ins Gesicht, weil er sich den Vögeln angeschlossen hatte. Der Stachel brach ab und blieb in der Stirn des Krebses haften – wo er heute noch zu sehen ist. Dann lief der Roche weg; der Krebs verfolgte ihn und sandte ihm einen Speer hinterher, der den Rochen in den After traf; darauf eilte er ebenfalls fort. Der Speer blieb aber bis heute im Rochen stecken.

Die Parteien gerieten im Kampfe hart aneinander; die Vögel fingen sich den Kofferfisch und schliffen ihn auf dem Boden hin und her, daß er nachher wie eine Kiste aussah; auch griffen sie sich die Scholle und rieben sie so lange auf dem Riffe in der Wut, bis sie ganz dünn wurde und ihre Augen auf einer Seite saßen. Schließlich bekamen die Vögel noch einen sehr großen Fisch in ihre Gewalt, den Hai; den schlugen sie so lange und tüchtig mit Steinen aufs Maul, bis es schief war.

Der Kampf wurde immer gewaltiger; und die Vögel waren stärker und im Vorteil, weil sie fliegen konnten, was die Fische nicht verstanden. So blieb ihre Partei die schwächere [197] und vermochte den Vögeln nicht zu entrinnen. Ein Hauptanführer unter den Fischen war besonders tapfer; das war der Seeigel; er fing alle nach ihm geworfenen Speere auf, während die anderen wegliefen.

In den Bergen lebte nun ein großer, starker, kräftiger Vogel, der Adler. Der hatte bei seinen Ausflügen über das Meer häufig von einem Tiere sprechen hören, das unheimlich stark, groß und kräftig sein sollte, und Likamatantar (die Herzmuschel) hieß. – Er wußte nicht, daß es in Wirklichkeit eine ganz kleine Muschel war, die auf den Steinen festzusitzen pflegt. – Er flog zu den Vögeln und rief ihnen schon von weitem zu: »Leute, paßt auf, heute fang' ich die Likamatantar!«

Er flog in das dichteste Kampfgewühl hinein und sah sich unter den Kämpfern nach der Likamatantar um. Dabei bemerkte er gar nicht, daß die Muschel nahe bei ihm auf einem Steine saß und aufpaßte. Er flog zum Stein und machte großen Lärm. Dann setzte er sich nieder und geriet dabei mit einem Fuße zwischen die Schalen der Muschel. Sie klappte die Schalenhälften zusammen und zwickte das gefangene Großmaul gehörig. Da wurde der vordem so Tapfere klein, er fing an zu schreien, zu brüllen und bat schließlich: »Laß doch los, Likamatantar!« Als er zu schreien anfing, bekam es seine Partei mit der Angst und ließ im Kampfe nach. Der Adler schrie sich fast heiser, aber die Muschel ließ nicht los. So mußte er seine Zuflucht zur List nehmen, und er überlegte sich, wie er die Likamatantar täuschen könnte.

Er stellte sich tot, breitete die Flügel weit aus und senkte sich langsam auf den Stein hinab. Als er ruhig war und sich nicht mehr bewegte, machte die Muschel langsam die Schalenhälften auseinander, um sich zu überzeugen, ob der Adler wirklich tot wäre. Wie der Vogel das merkte, wußte er, daß er jetzt loskommen konnte. Er sprang hoch, flog auf und rief: »Haha, Likamatantar, angeführt, angeführt!« – Dann war der Kampf beendet.

Die Fische sammelten sich, um festzustellen, wer und wie [198] viele von ihnen verwundet waren. Dabei fanden sie heraus, daß ein Fisch den Tag über gar nicht am Kampfe teilgenommen hatte; er hatte unter einem Stein versteckt geschlafen und war eigentlich der Urheber des Krieges gewesen. Sie suchten ihn, und als sie ihn schließlich fanden, fragten sie ihn: »Warum hast du heute nicht mitgekämpft? Du hast doch den ganzen Streit verschuldet, hast du den Vögeln nicht die Kokosnüsse gestohlen?« – Sie waren sehr zornig. Er antwortete jedoch: »Warum habt ihr mir nichts davon gesagt? ich habe geschlafen und wußte nichts von eurem Streite.« Er log; und deshalb verspotteten sie ihn, und er schämte sich sehr. Sie stießen ihn aus ihrer Gemeinschaft heraus; er mußte sich wegbegeben und fortan allein in den Mangroven Hausen. Es war die Forelle gewesen.

Auch die Vögel kamen zusammen, um den herauszufinden, der sich vom Kampfe gedrückt hatte. Als sie ihn schließlich gefunden hatten, schleppten sie ihn herbei und fragten ihn aus: »Sag, wo bist du gewesen? Wir haben dich heute gar nicht im Kampfe gesehen!« – Er antwortete ihnen: »Was wollt ihr von mir? ich gehöre ja gar nicht zu euch; könnt ihr nicht sehen, daß mein Gesicht wie das einer Ratte aussieht, und ich einen Körper habe wie ein vierfüßiges Tier?« – Jetzt lachten die Vögel ihn aus, verspotteten den Feigling gehörig und stießen ihn aus ihrer Gemeinschaft. Nun hieß er Fledermaus. Die sieht anders aus als die Vögel; sie haust an einsamen, dunklen Orten; und während die Vögel auf dem Baume sitzen, muß die Fledermaus sich unten an die Äste klammern.

Quelle:
Hambruch, Paul: Südseemärchen. Jena: Eugen Diederich, 1916, S. 197-199.
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