[230] 57. Du sollst deine Schwiegermutter ehren

Eine Schnepfe ging auf den Klippen am Strande spazieren. Es kam ein Wind vom Lande dahergeblasen; die Schnepfe hob ein Bein in die Höhe. Darauf kam ein Wind von der See dahergeblasen; die Schnepfe hob auch das andere Bein in die Höhe. Dann wurde sie guter Hoffnung und bekam ein Kind, das sie Sina nannte.

Sina wuchs heran und saß zu Hause, während die Schnepfe auf den Klippen am Strande spazieren ging.

[230] Da kam eines Tages der König von Fidji mit großem Gefolge und wollte Sina heiraten. Als das Boot nahe an den Strand herangekommen war, sah man die Schnepfe auf den Klippen spazieren gehen. Der König von Fidji rief: »Schmeißt 'mal die Schnepfe mit einem Stein tot, dann haben wir gleich einen Hochzeitsbraten für Sina!« Als die Schnepfe das hörte, flog sie schnell auf den First von Sinas Haus und sang ihren Ruf: »Tuli, Tuli!«

»Was ist da los?« fragte Sina.

Nun sang die Schnepfe:


»Hochzeitsleute sind drunten am Strand, tuli, tuli,

Hochzeitsleute vom König von Fidji, tuli, tuli.

Der sagt, er will mich steinigen, tuli, tuli.

Als Hochzeitsbraten für Sina, tuli, tuli,

Tu's nicht! Heirate ihn nicht! Tuli, tuli!«


Jetzt kamen die Leute vor Sinas Haus und brachten ihre Werbung an. Doch Sina antwortete ihnen: »Begebt euch wieder nach Hause, ich will mich nicht verheiraten.« So mußten sie unverrichteter Sache wieder abziehen.

Nach einiger Zeit ging die Schnepfe wieder auf den Klippen am Strande spazieren. Da kam der Häuptling Tingilau in großer Begleitung und wollte Sina heiraten. Als er die Schnepfe erblickte, sagte er aber: »Bringt 'mal ein Schwein her für die Schnepfe dort, das ist ja Sinas Mutter!« Sie schleppten der Schnepfe ein Schwein hin. Die setzte sich hin und aß davon. Als sie satt war, flog sie wieder auf das Haus von Sina und sang:


»Hochzeitsleute sind drunten am Strand, tuli, tuli,

Hochzeitsleute von Tingilau, tuli, tuli.

Ein fettes Schwein hat er mir gebracht, tuli, tuli,

Der Bauch ist mir zum Springen satt, tuli, tuli,

Mach dich fertig Tochter und heirate ihn, tuli, tuli!«


Dann schüttelte die Schnepfe ihre Federn, und lauter feine Matten und Tapastoffe flogen heraus. Sina heiratete nun den Tingilau und folgte ihm in seine Heimat.

Quelle:
Hambruch, Paul: Südseemärchen. Jena: Eugen Diederich, 1916, S. 230-231.
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