Die weiße Frau zu Zabiehlitz.

[72] Einige Stunden von Prag ist das Schloß Zaběhlitz. Dort ist sonst die weiße Frau umgegangen; der Aufseher des Schlosses will sie noch gesehen haben. In einer mondhellen Nacht machte er mit dem Förster die Runde um das Schloß. Da sah er in den Fenstern der Kapelle eine weiße Gestalt. Er rief die Gestalt an, erhielt aber keine Antwort. Was aber auffallend war, der Hund bellte nicht, sondern winselte nur. Trotzdem näherte sich der Aufseher der Kapelle. Als sie ganz nahe[72] herangekommen waren, verschwand die Gestalt und es entstand ein Geräusch, als ob ein Sack Glas herunterfiele. – Zwei Soldaten, die auf dem Schlosse einquartiert waren, kamen in ein Zimmer und sahen dort eine weiße Gestalt, die saß am Tische und hatte den Kopf in die Hand gelehnt. Vor ihr stand eine Wachskerze und eine Bibel, in welcher sie zu lesen schien. Während die erschrockenen Soldaten hinabeilten, um Leute zu holen, war die Gestalt verschwunden. – Oft klopfte sie ans Fenster und wenn der Thurmwächter hinausgieng und öffnete, war niemand dort. – So lange im Schloße nicht mit den Glocken geläutet wurde, ließ sie sich öfter sehen, seitdem aber Früh, Mittags und Abends geläutet wird, hat man sie nicht mehr gesehen. (O. Hussa.)

Quelle:
Grohmann, Josef Virgil: Sagen-Buch von Böhmen und Mähren. 1: Sagen aus Böhmen, Prag: Calve, 1863, S. 72-73.
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