[251] 81. Die Tiere gehen zur Beichte

Es war einmal eine Frau, die hatte eine Katze. Die Frau sammelte Milch und sammelte so lange, bis sie einen großen Topf gefüllt hatte. Die Katze kam und stieß den Topf um mitsamt der Milch. »Ich Ärmste«, jammerte die Katze, »was soll ich nun anfangen, wie soll ich Verzeihung erlangen für diese Sünde? Was wird da andres helfen, ich will gehn, meine Sünden wieder gut zu machen!«

Die Katze ging fort, um zu beichten, und geriet in den Wald; da kam ihr der Hase entgegen, der wünschte ihr einen guten Tag: »Sei gegrüßt, Gevatterin, wohin gehst du?« – »Sei selbst auch gegrüßt! Wohin ich geh? Ich lebte bei einer Frau, die Frau sammelte Milch, füllte einen ganzen Topf, ich Ärmste stieß ihn um, und nun gehe ich zur Beichte.« – »Ah, zur Beichte! Dann laß mich auch mitgehn!« – »Was hast du denn verbrochen?« – »Ich räumte im Hafer eines Wirtes auf; ein Hahn kann da jetzt dem andern zujodeln!« – »In diesem Falle komm nur mit!«

Sie gingen und gingen, da begegnete ihnen der Fuchs: »Seid gegrüßt, Katze und Hase, wohin eilt ihr?« – »Zur Beichte eilen wir!« – »Wirklich zur Beichte! Was bedrückt denn euch das Herz?« – »Ich stieß meiner Hausfrau die Milch um!« – »Ich fraß einem Wirt den Hafer weg.« – »Oh, Gevatterchen, laßt [251] mich auch mitgehn! Mein Herz ist mir auch schwer, ich traf auf eine große Herde Gänse und biß allen den Hals durch!« – »Komm nur mit!«

Da gingen sie nun zu dreien, sie gingen und gingen; da kam ihnen der Wolf entgegen: »Wünsche einen guten Tag, Gevatterchen, wohin geht ihr so zu dreien?« – »Wir gehn zur Beichte, haben viel verbrochen –; ich stieß meiner Hausfrau die Milch um –; ich fraß einem Wirt den Hafer weg –; ich biß Gänsen den Hals durch.« – »Dann laßt mich auch mitgehn; es war eine prächtige Kuh, die riß ich nieder.« Sie gingen nun zu vieren, da kam ihnen der Bär entgegen; der wollte auch mit: »Es war ein herrlicher Hengst, dem habe ich den Garaus gemacht.«

Da gingen sie nun alle und kamen zu einem großen tiefen Grabe, und über das Grab hinweg lag eine Stange. Die Katze sagte: »Wer auf der Stange über das Grab kommt, der hat seine Sünden gutgemacht.« Die Katze machte selbst den Anfang und war hinüber wie der Wind. Der Hase ihr nach, fiel aber in das Grab. Dann schritt der Fuchs hinüber: bis zur Hälfte kam er, da glitt er hinein. Der Wolf kletterte auf die Stange: er schlug mal mit dem Schwanz, da lag er schon drin. Der Bär versuchte auch sein Glück, doch hatte er kaum die Vordertatzen auf der Stange, da war er schon auf die anderen gefallen mitsamt der Stange.

So lebten sie nun einige Zeit im Grabe, da fing der Hunger an, sie zu plagen. Was nun beginnen? Der Fuchs half aus der Verlegenheit: »Wir wollen singen! Wer die leiseste Stimme hat, den fressen wir auf.« Prächtig! Sie fingen an zu singen: der Bär brüllte so auf, daß der Sand von den Wänden rieselte, der Wolf heulte, daß die anderen taub wurden; was konnte neben ihnen der Hase mit seinem Gepiepse! Der Hase wurde verspeist. Der Fuchs hatte überhaupt den Mund nicht aufgetan, er hörte zu und gab das Urteil ab, wie die Stimmen der andern geklungen hatten.

Mit dieser Nahrung lebten sie einige Tage, da stellte sich wieder das alte Übel ein: der Hunger. Sie fingen wiederum an zu singen. Der Bär brummte wohl so, daß der Boden erzitterte, doch die Stimme des Wolfes ist schriller: der Bär wurde verspeist. Der[252] Fuchs, das schlaue Tier, fraß, soviel er nur konnte, außerdem stopfte er noch von des Bären Eingeweide unter seinen Sitz.

So lebten sie wiederum einige Tage, da fing der Wolf an zu jammern: »Füchschen, Gevatterchen, der Magen knurrt, ich möchte was zum Fressen!« – »Wie soll ich dir helfen, ich selbst fresse schon meine eignen Eingeweide!« Mit diesen Worten holte er unter seinem Sitz des Bären Darm heraus und verspeiste ein Stückchen. »Füchschen, Brüderchen, laß mich auch davon schmecken!« – »Meinetwegen, Onkelchen, ich geb dir vom eignen Körper, das wirst du mir nicht vergessen!« Der Fuchs gab dem Wolf ein Endchen vom Darme, und jener verschlang es gierig – der Fuchs wollte nichts mehr geben und sagte: »Nimm von den deinigen!« – Der Wolf hatte an der Speise Geschmack gefunden; er fing an, die eigenen Gedärme herauszureißen, und endete auf der Stelle.

Der Fuchs blieb allein nach und verspeiste den Wolf; er saß und saß; wie lange aber willst du ohne Essen sitzen! Was nun anfangen? Da sah der Fuchs: ein Star hüpfte am Rande des Grabes; er fing an, dem Star zu drohen: »Hör einmal, Star! Sieh zu, daß du mich aus dem Grabe schaffst, sonst freß ich deine Jungen bis auf das letzte!« – »Aber wie soll ich dich herausschaffen?« – »Hol Ästlein, wirf Reisig!« Der Star schleppte und schleppte, daß ihm die Augen quollen, bis das Grab gefüllt war und der Fuchs hinauskonnte.

»Hör du, Star, gib mir was zu fressen, sonst freß ich deine Jungen!« – »Wo soll ich was hernehmen?« – »Sieh, da geht eine Mutter mit ihrem Sohn zur Taufe, die tragt in einer Schale Kuchen. Flieg ihnen um den Kopf, immer um den Kopf, dann legt die Mutter den Kuchen nieder und geht eine Rute schneiden.«

Der Star flog und flog, die Frau ging, eine Rute zu schneiden, um den Star zu jagen; unterdessen besorgte der Fuchs den Kuchen.

»Hör du, Star, schaff mir zu trinken, sonst freß ich deine Jungen!« – »Wie soll ich das anfangen?« – »Sieh, da fährt ein Mann zur Hochzeit, ein Faß Bier hat er auf dem Wagen; flieg [253] um den Zapfen des Fasses, der Mann schlägt nach dir und schlägt zugleich den Zapfen heraus.« Der Star flog um den Zapfen, der Mann scheuchte ihn mit der Peitsche und schlug den Zapfen heraus: das Bier strömte im Bogen hervor wie nur je aus dem Spundloch; der Fuchs pumpte sich den Magen voll, nahm sich auch den Kopf voll.

»Hör du, Star, jetzt schaff mir, worüber ich lachen kann, sonst freß ich deine Jungen!« – »Aber wie soll ich das machen?« – »Sieh mal, da drischt ein Vater mit seinem Sohn; flattre um den Kopf des Vaters, nur immer um den Kopf des Vaters; der Sohn langt nach dir mit dem Dreschflegel, schlägt dabei dem Vater um die Ohren – dann hab ich zu lachen genug.« Der Star flatterte um den Kopf des Vaters, der Sohn wollte ihn vertreiben und versetzte dabei dem Vater einen gesalzenen Hieb: der Fuchs klatschte vor Freude mit den Tatzen und lachte so, daß ihm der Magen zitterte.

»Hör du, Star, jetzt sieh zu, daß ich springen kann!« – »Aber wie soll ich das machen?« – »Wir wollen aufs Gut! Da wart ich hinter dem Zaun, du gehst hinein und rufst: ›Laßt die Windhunde los, die Windhunde laßt los, der Fuchs ist hinter dem Zaun!‹ – dann kann ich springen, soviel das Herz nur begehrt.« Sie gingen beide aufs Gut, der Fuchs blieb hinter dem Zaun, der Star rief die Windhunde heraus. Die kamen alle mit Gesaus und Gebraus und fingen an, dem Fuchse nachzujagen; sie jagten und jagten, doch ohne Erfolg – der Fuchs verschwand wie der Wind und rettete sich in seine Höhle.

In der Höhle fragte er seine Füße: »Was tatet ihr zu meiner Rettung?« – »Wir gruben, wir gruben, damit der Fuchs davonkäme.« – »Aber ihr Hinterfüße, was tatet ihr?« – »Wir sprangen, wir sprangen, damit der Fuchs davonkäme.« – »Aber ihr Augen?« – »Wir wiesen getreulich den Weg, damit der Fuchs davonkäme.« – »Aber du, Nase, was tatest du?« – »Ich schnupperte, ich roch, damit der Fuchs in seine Höhle käme.« – »Aber ihr Ohren?« – »Wir hörten nur und hörten, woher Gefahr käme.« – »Nun, und du, Schwanz?« – »Ich schlug an die Bäume, ich zerrte am Gesträuch, damit man den Fuchs finge.« – [254] »Aha, also das tatest du! Da hast du, Hund, friß den Schwanz auf!« Der Fuchs steckte den Schwanzbüschel aus der Höhle, da wartete auch gerade ein Hund, der schnappte zu, fraß den Schwanz und auch den Fuchs.

Quelle:
Löwis of Menar, August von: Finnische und estnische Volksmärchen. Jena: Eugen Diederichs, 1922, S. 251-255.
Lizenz:
Kategorien: