Kalevala

[152] Die große Masse der finnischen Lieder oder Runen, die man das Kalevalaepos zu nennen pflegt, sind ursprünglich Einzelgedichte und behandeln Episoden, die später zu größeren Zyklen zusammengeschlossen wurden. Wer den Text in vollständiger Übersetzung liest, wird das leicht erkennen und z.B. die Lemminkäinen- (Lieder 11–15) oder Kullervoepisode (31–36) als geschlossene Sagenzyklen, die auch selbständig existieren können, aus dem Ganzen herauszuschälen vermögen.

Diese größeren, in mehreren Liedern behandelten Sagenkomplexe stehen verhältnismäßig locker in dem weit gespannten Rahmen der Haupthandlung: den Kämpfen zwischen Pohjola (Nordland) und Suomi (Finnland), die im ersten Teil der Braut, der Nordlandsjungfrau, im zweiten dem Sampo, der wunderbaren Mühle, gelten.

Es ist das Verdienst Elias Lönnrots gewesen, die einzelnen Lieder und die Liedkomplexe zu einem Ganzen vereinigt zu haben (1835), das nun in der Tat den Anspruch erheben darf, als ein Epos zu gelten. Versuche, die vor ihm gemacht wurden, blieben Fragmente.

Jakob Grimm war einer der ersten, die von der Bedeutung dieser Sammlung für die epische Poesie überhaupt Kunde gaben. So war es kein Wunder, daß die große neue Ausgabe des Kalevala, die im Jahre 1849 ebenfalls unter Lönnrots Redaktion erschien[152] und 50 Lieder mit mehr als 22000 Versen umfaßte, schon im Jahre 1852 in deutscher vollständiger Übersetzung erscheinen konnte. Anton Schiefner, der in St. Petersburg wirkende Akademiker und Sprachforscher, war es, der sich dieser Aufgabe mit größter Hingebung und Treue unterzog. Seiner Übertragung, die im trochäischen Versmaß abgefaßt ist, sind die Proben der Lieder 37–50 entnommen.

Unter den späteren Übersetzungen ragt die von Hermann Paul hervor, besonders was den Wohlklang und die poetische Schönheit der Sprache betrifft. Der erste Teil, der noch zu Lebzeiten Pauls erschien (1885), lieferte die hier mitgeteilten Bruchstücke der Lieder 1–19. Ihr Versmaß sind Trochäen, jedoch belebt durch eingeschobene Daktylen. Wer sich für die übrigen, auch die fremdsprachigen Übertragungen interessiert, findet sie sorglich verzeichnet im 10. Bande des »Anzeigers der Finnisch-Ugrischen Forschungen«, Helsingfors und Leipzig 1910. Dort und im 10. Bande der »Finnisch-Ugrischen Forschungen« selber sind auch eine Reihe von Aufsätzen und Berichten abgedruckt, die dem Kalevala gelten und zu einem eingehenderen Studium anregen. Hier ist es dem Herausgeber nur möglich, auf die reiche Literatur hinzuweisen. Raummangels halber muß er sich auch darauf beschränken, den Inhalt des Kalevala in gedrängtester Kürze wiederzugeben und nur einige Proben der Übersetzung, besonders solche von märchenhafter Haltung, vorzuführen. Viel wäre über Alter, Herkunft und Wanderung der Stoffe und der Lieder und über die Beziehungen zwischen Kavelala und dem estnischen Kalevipoeg zu sagen, allein das erforderte einen eigenen Band und würde den Rahmen dieses Märchenbuches sprengen.

Die Kalevalasagen in der Gestalt, wie Elias Lönnrot sie herausgab, beginnen nach einem Vorspruch des Sängers eindrucksvoll mit dem Bericht über die Weltschöpfung.

Die Jungfrau der Luft läßt sich in das Meer hinab, denn es scheint ihr allzu schwer, »in der Lüfte endlosem Raum« ewig einsam leben zu müssen. Ein Sturmwind von Osten türmt auf schaumgekröntem Meer die schwellenden Wogen,
[153]

»Und der Wind berührte die Jungfrau,

Leben weckte in ihr das Meer.«

(1, 35–36)


Siebenhundert Jahre trägt die Tochter der Luft ihre Bürde, doch das Kind ward nicht geboren. Da ruft sie Ukko, den ewigen Vater, an, ihren Qualen ein Ende zu machen. Ukko schickt ihr einen Vogel, der sich auf dem Knie der Schwimmerin niederläßt, dort ein Nest baut und es mit sieben Eiern, sechs goldnen und einem eisernen, anfüllt. Die Tochter der Luft fühlt ihr Knie sich erwärmen, spürt heiße Schmerzen die Adern durchjagen, zieht heftig ihr Knie zurück – und die Eier zerbrechen im Fall. Aus ihnen entstehen Erde, Himmel, Sonne, Mond, Sterne und Wolken. Nun erschafft die Tochter der Luft Landspitzen, Buchten und Ufer, Tiefen und Untiefen des Meeres. Wäinämöinen, der künftige Sängerheld, ruht noch im Mutterschoße. Mit aller Gewalt drängt er aber selber ans Licht, da Mond und Sonne, die er anruft, ihm nicht helfen, und treibt mehr denn sieben Jahre in den Fluten. Dann steigt er ans Ufer.


So ward Wäinämöinen geboren,

Also wurde der Sängerheld

Von der luftgebornen Mutter

Ilmatar dem Leben geschenkt.

(I, 341–344)


Im zweiten Gesang wird geschildert, wie die Bäume, Kräuter, Gras und Beeren entstehen und Wäinämöinen als erster finnischer Ackersmann Land rodet und Gerste sät. Er lebt nun auf der Heide in Wäinölä und wird durch seine Gesangskunst weithin berühmt:


Kunstreich sang er und weisheitsvoll

Früh vom Morgen bis spät am Abend,

Selbst die langen Nächte hindurch;

Sang von längst vergangnen Tagen,

Ursprungsworte aus alter Zeit ...

Weit verbreitete sich die Kunde,[154]

Fernhin hörte man das Gerücht

Von den herrlichen Liedern Wäinös1,

Von dem weisheitsvollen Gesang;

Kundig ward es im fernen Süden,

Bis nach Pohjola hoch im Nord.

(3, 6–10, 15–20)


Ein junger Lappe, Joukahainen, läßt sich in einen Sängerwettstreit mit ihm ein, kommt aber durch Wäinämöinens Beschwörungen in Gefahr und verspricht diesem seine Schwester Aino zur Gattin, wenn er ihn befreie. Wäinö erlöst ihn, und Joukahainen kehrt heim. Seine Mutter freut sich über den künftigen Schwiegersohn, allein die Schwester weint und klagt, daß sie die Heimat verlassen soll.

Sie begegnet im Walde dem Wäinö und weist dessen Werbung ab. Heimgekehrt, läßt sie sich von der Mutter nicht trösten und klagt, »einem Greise zur Freude und Lust« verschenkt zu sein. Aino legt ihre schönsten Gewänder und ihren herrlichsten Schmuck an und irrt über Sümpfe und Heide dahin. Am dritten Tage gelangt sie ans Meer, sieht von fern drei Jungfrauen durch die Wellen ziehen und will sich ihnen gesellen. Sie wirft die Kleider ab und streut Perlen und Goldschmuck in den Sand, schwimmt hinaus und will auf einem Felsblock im Meere ausruhen. Der Felsen löst sich jedoch und rollt in die Tiefe, mit ihm Aino, die blühende Jungfrau.

Wäinö erfährt von dem Tode seiner Braut und will sie aus dem Meere wiedergewinnen. Er angelt und fängt ein Fischlein, das ihm seltsam und fremd erscheint. Zum Essen will er es herrichten, allein, das Fischlein entschlüpft ihm, verlacht mit menschlicher Stimme den alten Sänger und gibt sich als Aino, seine verlorene Braut, zu erkennen. – Vergeblich sucht Wäinö das Mädchen wiederzufinden, er kehrt schließlich in seine Heimat zurück und sucht Rat bei seiner Mutter im Wellengrabe. Sie erwacht aus tiefem Schlummer und heißt ihn, eine der Töchter Pohjas, des Nordlandes, zu freien.[155]

Wäinö tritt seine Fahrt nach Pohja an, wird aber auf dem Wege von Joukahainen, der Rache für seine Schwester nehmen will, überfallen. Ein Bogenschuß trifft den Renner, auf dem Wäinö übers Meer reitet. Der edle Sänger stürzt ins Wasser und wird vom Sturmwind in die offene See hinausgetragen. Ein Adler nimmt sich jedoch seiner an und trägt ihn auf seinen Schwingen nach dem fernen Pohjola. Dort wohnt Louhi, die hurtige Hausfrau, »böser Ränke und Listen voll«. Sie pflegt den Erschöpften und tröstet ihn, den es nach seiner Heimat verlangt. Wäinö gelobt ihr einen Helm voll Goldes und einen Hut voll Silbers, wenn Louhi imstande wäre, ihn in sein eigenes Land zurückzubringen. Sie verlangt jedoch, daß er ihr zuvor den Sampo schmiede, dann könne er auch ihre Tochter zur Gattin erhalten. Wäinö entgegnet jedoch:


»Selber kann ich Sampo nicht schmieden,

Kunstreich mit dem Deckel versehn;

Doch läßt du nach Hause mich ziehen,

Send ich Ilmarinen, den Schmied,

Er wird Sampo gewißlich schmieden,

Kunstreich mit dem Deckel versehn,

Wird der jungen Tochter gefallen,

Leicht gewinnen der Jungfrau Sinn.

Wohlerfahren ist Ilmarinen,

Keiner schwingt den Hammer wie er,

Der das ewige Luftgewölbe,

Der den Himmel geschmiedet hat,

Ohne daß die Schläge des Hammers

Noch der Zange Spuren zu sehn.«


Sprach die hurtige Hausfrau Pohjas,

Louhi nahm von neuem das Wort:

»Dem gelob ich die eigne Tochter,

Geh mein einziges Kind zum Lohn,

Schenke sie dem, der Sampo schmiedet,

Kunstreich mit dem Deckel versieht

Aus der Spitze der Schwanenfeder,[156]

Einem einzigen Tröpfchen Milch,

Einem winzigen Gerstenkörnchen,

Einer Wollenflocke vom Schaf.«

(7, 325–348)


Dann setzt Louhi den Sänger zur Heimfahrt in ihren Schlitten, warnt aber, ja nicht in die Höh' zu schauen, eh die Dämmerung eingebrochen. Wäinämöinen vergißt jedoch die Mahnung, als er am Himmel die goldne Spule schwirren hört, die Pohjas schöne Jungfrau beim Weben in der Hand rollt. Er verliebt sich in die Holde und bewirbt sich um sie, die ihm zu folgen verspricht, wenn er ihr ein Boot baue:


»Nur dem Manne werd ich folgen,

Der ein Boot zu bauen versteht

Aus den kleinen Spänen der Spindel,

Aus den Stücken des Messerschafts,

Der das Boot ins Wasser hinabläßt,

In die Fluten den Nachen rollt,

Ohne die Knie anzustrengen,

Ohne daß er die Hand bewegt,

Ohne daß er die Arme ausstreckt

Oder daß er die Schulter rührt.«

(8, 123–132)


Wäinö versucht, das Boot zu bauen, verletzt sich aber dabei und kann das Blut nicht stillen. Er sucht vergebens nach Hilfe, bis endlich ein alter Mann ihn zu heilen verspricht. Man bringt Becken, Kanne und Kübel, allein, das Blut fließt in Strömen aus der tiefen Wunde. Da ruft der Alte vom Ofen, er kenne alle Beschwörungsworte, nur das einzige, erste nicht, denn er wisse nicht, wie das Eisen geschaffen und das Erz entstanden ist. Wäinämöinen erwidert, er kenne des Eisens Ursprung und des Stahles Beginn:


»... Luft ist die urälteste Mutter,

Wasser ist das älteste Kind,

Eisen ist der jüngste der Brüder,

Feuer ist der mittlere Sohn.[157]

Ukko, der allmächtige Schöpfer,

Der Beherrscher der weiten Welt,

Hat einst Luft und Wasser geschieden,

Schied vom Wasser das feste Land,

Eh das Eisen noch gewachsen,

Eh das rostige Erz entstand.


Und der Schöpfer des Himmels, Ukko,

Rieb die rechte und linke Hand,

Preßte beide gegeneinander,

Legte beide gegen das Knie;

Da entstanden alsbald drei Jungfraun,

Liebliche Töchter der Natur,

Die das Eisen entstehen ließen,

Und den blauen, blitzenden Stahl.


Leichthin schwebten die schönen Jungfraun

Fern am Rande der Wolken hin,

Trugen in den schwellenden Busen

Überreichlich nährende Milch,

Ließen die Milch zur Erde rinnen,

Unaufhaltsam floß sie herab

Über die Felder, über Sümpfe,

Über stille Wasser und Seen.


Schwarz von Farbe floß sie hernieder

Aus der ältesten Jungfrau Brust,

Weiß von Farbe in hellen Tropfen

Rann die Milch der zweiten dahin,

Doch wie Purpurfarbe gerötet

Floß die Milch der jüngsten herab.


Der die schwarzen Tropfen entflossen,

Sie ließ reiches Eisen entstehn;

Der die weißen Tropfen entflossen,

Sie erschuf den blinkenden Stahl;[158]

Der die Purpurtropfen entflossen,

Sie bracht sprödes Eisen hervor.

Als ein Weilchen dahingegangen,

Will das Eisen auf Wandrung gehn,

Will den ältern Bruder besuchen,

Macht sich auf, das Feuer zu sehn.


Doch das Feuer ist bös geartet,

Schürt sich an zur mächtigen Glut,

Will das Eisen sogar verbrennen,

Will dem Bruder ein Leides tun.

Doch zum Glück entschlüpft das Eisen,

Achtet sich in seinem Versteck

Vor des grimmigen Bruders Händen,

Des gefräßigen Feuers Mund.


So entrann es dem Untergange,

Nahm die Flucht und rettete sich

Unter die Erde, im Moraste,

In den tief verborgenen Quell,

Auf die weite Fläche des Sumpfes,

Auf des mächtigen Felsens Kamm,

Wo die Schwäne sich Nester bauen

Und der Adler die Brut bewacht.


So lag tief im Sumpfe das Eisen,

Lag im feuchten Meere versteckt,

Hielt zwei Jahre sich dort verborgen,

Lag im dritten Jahre noch still

Zwischen zwei verwachsenen Stubben,

Unter morschem Birkengesträuch.

Doch es sollte sich nie befreien,

Nie des Bruders Händen entgehn,

Sollte noch einmal wiederkehren

In des Bösen Feuersgewalt,

Als es zu Geräten und Werkzeug

Und zu Waffen geschmiedet ward.
[159]

Lief der Wolf einst über die Sümpfe,

Brummend trabte der Bär im Moor;

Deutlich war die Fährte des Wolfes,

Spuren zeigte des Bären Tritt.

Sieh, da stieg das rostige Eisen,

Da erhob sich blinkender Stahl

In der breiten Fährte des Wolfes,

In des Bären mächtiger Spur.


Ilmarinen, der kluge Schmieder,

Sah zum ersten Male die Welt,

Ward am Kohlenhügel geboren,

Wuchs am rußigen Berge auf,

Einen Kupferhammer in den Händen,

Kleine Zangen unter dem Arm.


In der Nacht erst ward er geboren,

Ging am nächsten Tage schon aus,

Eine Schmiedestätte zu suchen,

Für den Blasebalg einen Raum;

Da erblickt er ein Streifchen Sumpfland,


sah ein wenig feuchten Morast,

Eilte die Stelle zu betrachten,

Ging das Plätzchen näher zu sehn;

Dorthin baute er seine Schmiede,

Stellte die Blasebälge auf.


Bald bemerkt er des Wolfes Fährte,

Sieht im Sumpfe des Bären Spur,

Sieht das rostige Eisen wachsen,

Findet den aufgewühlten Stahl

In der breiten Fährte des Wolfes,

In des Bären mächtiger Spur.


Läßt der Schmieder sich so vernehmen:

›O du unglückseliges Erz,[160]

Wohin, Eisen, bist du geraten,

Welch unwürdiger Aufenthalt

Unter des Wolfes plumpen Füßen,

In des täppischen Bären Spur!‹


Bei sich selber denkt er im stillen,

Was mag hieraus endlich entstehn,

Wenn ich das Erz ins Feuer werfe,

In die funkensprühende Glut?


Da erfaßt Entsetzen das Eisen,

Furcht ergreift es und Todesangst,

Da vom Feuer es reden hörte,

Das erschreckende Wort vernahm.


Doch der Schmieder erhob die Stimme:

›Fürchte dich nicht, du armes Erz,

Feuer tut dem Bruder nicht schaden,

Bringst dem Freunde keine Gefahr!

Wenn du hereintrittst in die Schmiede,

Auf die Esse dich niederläßt,

Wirst du schöner dich noch erheben,

Noch weit stattlicher auferstehn,

Wirst zum scharfen Schwerte der Männer,

Für die Fraun ein nützlich Gerät.‹


Und seit jener Stunde bis heute

Gräbt man Eisen aus Sumpf und Moor,

Sucht es in Morästen und Seen,

Trägt zur Esse das rauhe Erz.


So auch nahm der Schmieder das Eisen,

Warf es auf den glühenden Herd,

Schürte am ersten Tag die Flamme,

Auch am zweiten und dritten noch;

Träge floß das glühende Eisen,[161]

Stieg in kochenden Blasen auf,

Dehnte sich gleich gärendem Teige,

Schwer und zähe floß es dahin

In des mächtigen Feuers Flammen,

In der düster leuchtenden Glut.


Da rief das geängstigte Eisen:

›O du Schmieder, erbarm dich mein,

Nimm mich aus dem brennenden Feuer,

Aus der heißen, flammenden Glut!‹


Doch der Schmieder ließ sich vernehmen:

›Wenn ich jetzt vom Feuer dich nähm,

Könntest du zum Bösen erwachsen,

Könntest allzu gefährlich sein;

Deinen Nächsten könntest du morden,

Schontest des eignen Bruders nicht!‹


Da erhob das Eisen die Stimme,

Schwur den höchsten, teuersten Eid

Drinnen in der Esse des Schmieders,

Auf des Amboß' blinkendem Stahl,

Redete so und ließ sich hören,

Nahm von neuem das Wort und sprach:


›Sind doch Bäume genug zu fällen

Und zum Schlagen Steine genug;

Werde nimmer den Bruder treffen,

Nie dem Nächsten ein Leides tun;

Besser ist und schöner das Leben,

Ehrenvoller und angenehm,

Als Gefährte dem Mann zu dienen,

Ihm als Waffe ein Freund zu sein,

Denn dem Nächsten als Feind zu schaden,

Brüder dem Verderben zu weihn.‹
[162]

Da nahm Ilmarinen, der Schmieder,

Da zog der gepriesene Schmied

Aus dem Feuer das arme Eisen,

Auf den Amboß legt er es hin;

Hämmert es biegsam und gefügig,

Schmiedet scharfes Gerät daraus,

Bildet kunstvoll Äxte und Schwerter,

Schmiedet Werkzeug jeglicher Art.


Doch noch etwas fehlte dem Eisen,

Etwas tat dem Stahle noch not;

Härte fehlte, des Eisens Zunge,

Und die rechte Schärfe dem Mund;

Hart läßt sich das Eisen nicht schmieden,

Ohne daß es Wasser benetzt.


Und der hochgepriesene Schmieder

Sinnt im stillen und überlegt,

Streut ins Wasser ein wenig Asche,

Löst in scharfe Lauge sie auf,

Um dem Eisen Härte zu geben,

Festigkeit und Stärke dem Stahl.


Sieh, da fliegt ein Bienchen im Rasen,

Schwebt auf bunten Flügeln empor,

Spielend wiegt es sich auf und nieder,

Flattert summend um ihn herum.


Sprach der hochgepriesene Schmieder:

›Ei, mein Bienchen, flinker Gesell,

Bring mir Honig in deinem Flügel,

Trag herbei den herrlichen Saft;

Saug ihn aus den Kelchen der Blumen,

Aus dem duftigen grünen gras,

Um dem Eisen die rechte Härte,

Festigkeit zu geben dem Stahl!‹
[163]

Hiisis böser Vogel, die Wespe,

Hörte der Rede heimlich zu,

Sah vom Dache lauschend hernieder,

Gab im stillen auf alles acht,

Sah das rostige Erz bereiten,

Sah den blinkenden Stahl entstehn.


Eilends flog die Wespe von dannen,

Sammelte Hiisis Schrecken ein,

Trug den schwarzen Eiter der Schlange,

Bracht' der Natter tödliches Gift;

Holte den scharfen Schleim der Würmer

Und der Kröte ätzenden Saft,

Um dem Eisen Härte zu geben,

Festigkeit und Stärke dem Stahl.


Ilmarinen, der kunsterfahrne,

Der vor allen gepriesne Schmied,

Dachte selbst und glaubte im stillen,

Daß sein Bienchen wiedergekehrt,

Daß die Flinke den Honig brachte,

Ihm den herrlichen Saft gereicht;

Und in Worten ließ er sich hören:


›Jetzt erst scheint die Lauge mir recht,

Um das rostige Eisen zu härten,

Kraft zu geben dem blauen Stahl.‹

In die Lauge taucht er das Eisen,

Arglos warf er das Erz hinein,

Da er aus dem Feuer es wegriß,

Aus der glühenden Esse nahm.


Da erst ward das Eisen verderblich,

Wurde ungefügig und bös,

Fraß gleich einem Hunde die Ehre,

Brach den heilig geschwornen Eid,[164]

Mordete den eignen Bruder,

Biß ihm Wunden mit scharfem Mund,

Öffnete dem Blute die Wege,

Goß es aus in schäumendem Strom.«

(9, 29–266)


Nun hemmt der Alte, nachdem er den Ursprung des Eisens erfahren hat, den Blutstrom und heilt mit einer zauberischen Salbe die Wunde. Wäinämöinen kehrt nach Hause zurück und fordert Ilmarinen auf, nach Pohja zu ziehen, um den Sampo zu schmieden. Durch List bringt er Ilmarinen dazu, und dieser schmiedet den Sampo:


Schön und herrlich bildet er Sampo,

Auf der einen Seite, um Mehl,

Auf der anderen Salz zu mahlen,

Auf der dritten Seite das Geld.


Fleißig mahlte der neue Sampo,

Schwang im Kreise sich leicht herum,

Mahlte einen Haufen am Morgen

Zu des Hauses eignem Bedarf,

Machte den zweiten zum Verkaufen

Und den dritten ins Vorratshaus.

(10, 413–422)


Die Pohjawirtin ist hocherfreut über diese wunderbare Mühle und trägt sie in den Kupferfelsen hinein, sichert den Zugang durch neun Riegel und versteckt den Sampo neun Klafter tief unter der Erde.

Ilmarinen fordert die Braut, wird aber unter allerhand Vorwänden abgewiesen. Er kehrt in die Heimat zurück und erzählt Wäinämöinen, daß er den Sampo geschmiedet hat.

Nun folgt die Lemminkäinen-Episode, die ausführlich von den Abenteuern des heiratslustigen kecken Lemminkäinen berichtet. Auch er zieht schließlich nach Pohja auf die Freite trotz der Warnungen[165] seiner Mutter. Dort angelangt, sieht er durchs Fenster, daß die Stube voll von Zauberern, Sängern und weisen Männern ist, die »Lapplands mächtige Runen« singen. Lemminkäinen wandelt seine Gestalt, dringt in das Zimmer ein und singt nun seinerseits einen Zaubergesang:


»Sang die besten unter den Sängern

Zu den schlechtesten herab,

Drängte Kiesel in ihre Kehle,

Steine häufte er in den Mund

Selbst der auserlesensten Sänger,

Selbst der größten unter der Schar.


Also sang er die stolzen Männer

Hierhin einen, den andern dort,

In die wüste, traurige Ebne,

In die weite Wildnis hinaus;

Sang sie in die öden Gewässer,

In die toten Wasser hinab,

In den reißenden Fall der Rutja,

In des Strudels schäumenden Gischt;

In den Strom zu blitzendem Schaume,

Mitten im Sturz zu Felsgestein,

Ließ in lichte Flammen sie aufgehn,

Warf sie als Funken durch die Luft,«

(12, 451–468)


Lemminkäinen vertreibt mit dieser Beschwörung alle Männer mit Ausnahme eines alten Hirten, der ihm zu häßlich und gering erscheint. Der Alte entfernt sich und sinnt auf Rache. – Die Hausfrau von Pohjola will Lemminkäinen die Braut geben, stellt ihm jedoch schwere Aufgaben, wie sie in Märchen häufig wiederkehren. Bei der dritten Probe kommt Lemminkäinen durch den verachteten Hirten um und wird zerstückelt; seine Mutter fügt aber die einzelnen Teile mit großer Mühe wieder zusammen und erweckt den Sohn zu neuem Leben.[166]

Die Handlung kehrt zu Wäinämöinen zurück, der ein Boot zu zimmern beginnt, doch fehlen ihm beim Bauen drei Worte, die er in Tuonela, dem Totenreich, sucht. Dort will man ihn zurückhalten, allein, er rettet sich durch Verwandlung in Tiergestalt. – Dann sucht Wäinö die fehlenden Worte beim riesengroßen Seher Wipunen, stürzt aber in dessen weit geöffnete Kehle und wird von ihm verschluckt. Wipunen empfindet Schmerzen und teilt Wäinö gegen das Versprechen, seinen Leib zu verlassen, die drei fehlenden Worte und seine ganze Weisheit mit. – Wäinö baut sein Boot fertig und segelt nach Pohja, die Jungfrau zu freien. Auch Ilmarinen begibt sich zu Pferde dorthin. Louhi, die Pohjawirtin, rät ihrer Tochter, Wäinämöinen zum Gatten zu nehmen, allein, die Jungfrau, die Ilmarinen zum Gatten wünscht, weist den Freier ab:


Sprach die blühende Tochter Pohjas,

Nahm von neuem also das Wort:

»Nicht das Leben des Seemanns rühm ich,

Der den Wellen sich anvertraut;

Winde entfuhren die Gedanken,

Stürme erschüttern leicht das Hirn!

Niemals will ich die Deine werden,

Will im Leben nicht mit dir gehn,

Werde nimmer als Gattin folgen,

Dir als Täubchen im Arme ruhn,

Dir zum Schlummer die Kissen ordnen,

Zubereiten die Lagerstatt.«

(18, 695–706)


Ilmarinen naht und tritt hastig zur Tür herein. Den Willkommtrunk schlägt er aus, bis die langersehnte Braut erschienen ist. Pohjas Hausfrau macht jedoch Einwendungen und verlangt, daß Ilmarinen zuvor drei schwere Aufgaben erfülle: den Schlangenacker soll er pflügen, Tuonis Bären und Manas grimmen Wolf zähmen und den großen Hecht in Tuonelas Fluß fangen. Mit Hilfe der Braut, die Ilmarinen klugen Rat erteilt, besteht er alle Proben. Bei der letzten heißt es:
[167]

Hilfreich ließ sich die Jungfrau hören,

Gab ihm selbst verständigen Rat:

»O du kundiger Ilmarinen,

Laß die Sorge, sei ohne Furcht!

Einen feurigen Adler schmiede,

Einen flammensprühenden Aar!

Der wird den Gewaltigen zwingen,

Den gefürchteten Kampf bestehn

In den Wogen des Tuoniflusses,

Tief in Manalas schwarzem Strom.«

(19, 175–184)


Ilmarinen schmiedet den flammensprühenden Aar und belehrt ihn, wie er den Hecht greifen soll.


Nun zeigt Tuonelas Fisch sich endlich,

Manalas Untier läßt sich sehn,

Nicht der größte unter den Fischen,

Doch auch wahrlich der kleinste nicht;

Wohl zwei Äxte lang ist die Zunge,

Ein Rechen ist jeder Zahn,

Nicht drei Ströme füllen den Rachen,

Sieben Boote mißt er am Leib;

Ilmarinen will er ergreifen,

Gierig fällt er den Schmieder an.


Doch mit rauschendem Fluge plötzlich

Stürzt der Vogel der Luft herab,

Nicht der größte unter den Vögeln,

Doch auch wahrlich der kleinste nicht.

Hundert Klafter mißt er am Schnabel,

Nicht fünf Ströme füllen den Schlund,

Sieben Speere lang reicht die Zunge,

Wohl fünf Sensen reichen die Klaun.


Tief im Strome sieht er das Untier,

Tuonis ungelenkigen Fisch,[168]

Schlägt in seine Seiten die Krallen,

Bohrt sie in den schuppigen Leib.

(19, 223–244)


Doch der Fisch zieht den Vogel mit sich in die Wogen hinab, noch zweimal muß der Adler seinen Angriff wiederholen.


Und der Adler mit scharfen Krallen

Wagt zum dritten Male den Kampf;

Feurig glänzen die starken Flügel,

Flammen sprüht er aus seinem Blick,

Streckt die Krallen nach Manas Untier,

Packt mit seinen Klauen es an,

Zerrt es mit den eisernen Fängen,

Reißt das greuliche Ungetüm

Aus der Tiefe der schwarzen Wogen

An die Oberfläche empor.

(19, 269–278)


Ilmarinen wird der Pohjatochter verlobt, Wäinö jedoch kehrt traurig in die Heimat zurück und bereut, daß er als alter Mann ein junges Weib habe freien wollen.

Die folgenden Gesänge (20–25) sind von höchstem volkskundlichem Interesse, denn sie schildern eingehend die Vorbereitungen zur Hochzeit und diese selbst. Von besonderer Eigenart sind auch die Unterweisungen, die der Braut und dem Bräutigam darüber erteilt werden, wie sie sich in der Ehe zu verhalten haben. Der beschränkte Raum verbietet leider näheres Eingehen an dieser Stelle. Wir kommen zum zweiten Teil, dessen Hauptinhalt die Gewinnung des Sampo durch Wäinö und Ilmarinen bildet, und bringen einige Proben der Übersetzung Anton Schiefners.

Die Lemminkäinen-Episode übergehen wir, die den jungen Abenteurer als großen und erfolgreichen Weiberfreund zeigt, und versagen uns auch notgedrungen, Kullervos Taten, die ihn dem starken Hans des deutschen Märchens zur ans des deutschen Märchens zur Seite stellen, eingehender zu schildern.[169]

Für den Fortgang der Handlung hat die Erzählung von Kullervo hauptsächlich die Bedeutung, daß sie den Tod der Frau des Ilmarinen schildert. Kullervo ist nämlich Hüter ihrer Herde und findet eines Tages einen Stein in dem Brot, das ihm die Herrin mitgegeben hat. Er rächt sich dafür, jagt die Herde in einen Sumpf und sammelt statt ihrer Wölfe und Bären, die er am Abend nach Hause treibt. Als die Hausfrau sie melken geht, wird sie von den wilden Tieren zerrissen.

Auch Kullervos Ende ist tragisch: er entleibt sich selbst aus Gram darüber, daß er – unwissentlich – seine Schwester verführt und sie dadurch in den Tod getrieben hat.

Ilmarinen weint lange seinem Weibe nach und schmiedet sich dann aus Gold und Silber eine Gattin:


Kommt ein Mädchen aus der Esse,

Von dem Balg mit goldner Flechte,

Silberhäuptig, goldenlockig,

Wunderschön am ganzen Leibe;

Daß die andern Furcht empfinden,

Ilmarinen sich nicht fürchtet.


Darauf schmiedet Ilmarinen,

Er, der Schmieder, das Gebilde,

Schmiedet Nächte ohn zu ruhen,

Tagelang ohn anzuhalten;

Füße gab er wohl der Jungfrau,

Füße ihr und bildet Hände,

Doch nicht taugt der Fuß zum Gehen,

Nicht die Arme zum Umarmen.


Schmiedet Ohren wohl der Jungfrau,

Doch nichts hören konnten diese;

Meisterhaft schuf er den Mund ihr,

Schön den Mund, die Augen lebhaft,

Leider war der Mund ihr wortleer,

Ohne Anmut auch das Auge.
[170]

Sprach der Schmieder Ilmarinen:

»Wäre eine schöne Jungfrau,

Wenn sie Worte nur besäße,

Mit Besinnung eine Zunge.«


Zog darauf die schöne Jungfrau

Auf sein weiches Federlager,

Auf das sanfte Ruhekissen,

Auf das Bett von zarter Seide.

(37, 139–166)


Ilmarinen läßt darauf viele Decken bringen, in die er sich einhüllt, und legt sich an die Seite des goldnen Gebildes. Allein, die der goldnen Jungfrau zugewandte Seite Ilmarinens erstarrt vor Frost und droht, sich zu Eis und Stein zu verhärten. Da will Ilmarinen die Jungfrau dem alten Wäinö schenken, doch dieser weist sie zurück und rät, aus ihr allerhand Geräte zu schmieden, denn nicht zieme es sich, das Gold zu verehren und vor dem Silber schwach zu werden.

Ilmarinen fährt nun abermals nach dem Nordland und will um die jüngere Schwester seines Weibes freien, wird jedoch abgewiesen; ergrimmt darüber, raubt er die Jungfrau. Auf dem Heimweg beschimpft sie ihn und wird dafür in eine Möwe verwandelt. Ilmarinen kehrt heim und berichtet Wäinämöinen, daß Pohjola durch den Sampo ohne Pflügen und Säen in großem Wohlstand lebe. Da beschließen die beiden Helden, sich des Sampo zu bemächtigen, ihnen schließt sich Lemminkäinen an.

Auf dem Wege nach Pohja bleibt das Boot der Sampofahrer auf dem Rücken eines großen Hechtes hängen. Der Hecht wird von Wäinö getötet, und aus den Knochen des Fisches schnitzt sich der Sänger eine Kantele, auf der er so herrlich spielt, daß alle Geschöpfe der Erde, des Wassers und der Luft herbeikommen, um zu lauschen. Aus Wäinös Augen aber tropfen Tränen, die zu schimmernden Perlen werden.

Die drei Helden kommen sodann ins Nordland, und Wäinämöinen erklärt Louhi, er verlange die Hälfte des Sampo, sonst würden[171] sie ihn mit Gewalt entführen. Louhi schlägt das Verlangen rundweg ab und ruft Pohjolas Kriegsvolk herbei. Da setzt sich Wäinö hin zum Spielen und versenkt alt und jung in Schlaf. Dann holt er aus seinem Lederbeutel noch des Schlafes Pfeile hervor und streicht tiefsten Schlummer auf die Augen der Bezauberten. – Die Helden holen den Sampo aus dem Berg und eilen im Boot der Heimat zu. Als die Nordlandwirtin erwacht und das Fehlen des Sampo bemerkt, sendet sie dichten Nebel und starken Sturm, die Samporäuber aufzuhalten. Die hohen Wellen spülen Wäinös Kantele über Bord, die Helden erhöhen darauf die Bootswände, um den Sturm zu überstehn. Louhi und ihr Kriegsvolk setzen den Samporäubern nach; es kommt zu einem erbitterten Kampf, in dem die drei Helden siegen. Doch gelingt es der Pohjawirtin, den Sampo ins Meer zu werfen, wobei er in Stücke geht. Die großen versinken und bilden des Wassers Reichtum, die kleinen treiben dem Ufer Finnlands zu, worüber Wäinö sich freut, denn er hofft, daß auch aus diesen Stücken der Heimat Segen erwachsen werde.

Nach der Heimkehr sucht der Sänger vergeblich seine ins Wasser gefallene Kantele wiederzufinden, da macht er sich aus der Birke ein neues Instrument, mit dem er alle erfreut, die seinem Spiele lauschen. Sogar Mond und Sonne steigen herab, um das Spiel zu hören:


Zu des Mondes Stube drangen,

Zu der Sonne Fenster Töne,

Kam der Mond aus seiner Stube,

Schritt zum Stamme einer Birke,

Aus der Burg kommt auch die Sonne,

Setzt sich in der Tanne Wipfel,

Um das Harfenspiel zu hören,

Um die Freude anzustaunen.


Louhi, sie, des Nordlands Wirtin,

Nordlands Alte, arm an Zähnen,

Nimmt daselbst die Sonn gefangen,[172]

Greift den Mond mit ihren Händen,

Nimmt den Mond vom Stamm der Birke,

Aus der Tanne Kron die Sonne,

Führet sie sogleich nach Hause,

Nach dem nimmerhellen Nordland.


Birgt den Mond, daß er nicht scheine,

In den Fels mit bunter Rinde,

Bannt die Sonne, daß sie nicht leuchte,

In dem stahlgefüllten Berge,

Redet selber diese Worte:

Nimmer soll von hier in Freiheit,

Daß er scheint, der Mond gelangen,

Nicht die Sonne, daß sie leuchte,

Wenn ich selbst nicht lösen komme,

Ich sie selber nicht befreie,

Neun der Hengste mich begleiten,

Die getragen eine Stute!


Als der Mond nun fortgeschaffet,

Als die Sonne war geborgen

In dem Steinberg von Pohjola,

In dem eisenfesten Felsen,

Raubet sie darauf die Flamme,

Aus Wäinöläs Stub das Feuer,

Ohne Licht die Häuser waren.


Nacht war nun ohn Unterbrechung,

Dichte Finsternis ohn Ende,

Dunkle Nacht in Kalevala,

In den Stuben von Wäinölä,

Aber auch im Himmel oben,

In dem Sitz von Ukko selber.

(47, 5–46)


Ukko sucht die Sonne und den Mond, aber da er sie nicht finden kann, schlägt er Feuer zu einem neuen Mond und einer neuen[173] Sonne. Das Feuer fällt auf die Erde hinab und wird von einem Hecht verschluckt. Wäinämöinen und Ilmarinen fangen nach langer Mühe den Hecht und finden in seinem Innern den Feuerfunken. Dieser eilt jedoch davon in den Wald hinein und verheert viele Länder, eh er eingefangen werden kann, um Kalevalas dunkle Stuben zu erhellen.

Wäinö erfährt, wo Sonne und Mond sich befinden, geht nach Pohjola und haut die Nordlandssöhne nieder. Sonne und Mond vermag er aber nicht zu befreien, kehrt darum in die Heimat zurück, um sich von Ilmarinen die Werkzeuge schmieden zu lassen, deren er bedarf, um den Berg zu öffnen. Louhi befürchtet, daß es ihr übel ergehen könne, und gibt Mond und Sonne frei.

Die Jungfrau Marjatta (Maria) gebiert nach dem Genuß einer Preiselbeere einen Knaben. Das Kind verschwindet von ihren Knien und wird im Sumpfe wiedergefunden. Niemand will den Vaterlosen taufen, und Wäinö rät, ihn zu töten. Das Kind schilt ihn aber für diesen Rat und hält ihm seine Sünden vor. Ein alter Mann tauft den Knaben und segnet ihn als König von Karjala. Der alte Wäinämöinen ist darob mißmutig und zieht davon in einem Boot. Beim Scheiden singt er:


»... Man wird meiner schon bedürfen,

Nach mir schauen, nach mir blicken,

Daß ich neu den Sampo schaffe,

Daß ich neu das Spiel beginne,

Neu den Mond zum Himmel führe,

Frei die neue Sonne mache,

Da man ohne Mond und Sonne

Wohl sich nie der Welt erfreuet.«


Fuhr der alte Wäinämöinen

Mit des Segels lautem Rauschen

Auf dem kupferreichen Boote,

Auf dem erzbeschlagnen Nachen,

Zu den höhern Länderstrecken,

Zu den niedern Himmelsräumen.
[174]

Blieb mit seinem Boot dort haften,

Mit dem Nachen dorten stehen,

Doch zurück ließ er die Harfe,

Ließ das schöne Spiel in Suomi

Zu des Volkes ew'ger Freude,

Schönen Sang den Suomikindern.

(50, 493–512)


In seinen Schlußworten sagt der Sänger des Liedes, daß er hoffe, seine Hörer befriedigt zu haben, obwohl er in keiner Lehre gewesen sei und keinen Unterricht empfangen habe. Immerhin glaube er, den Weg für begabtere Sänger des jungen, kommenden Geschlechts gebahnt zu haben.

Fußnoten

1 Kurzform für Wäinämöinen.

Quelle:
Löwis of Menar, August von: Finnische und estnische Volksmärchen. Jena: Eugen Diederichs, 1922, S. 152-175.
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