[313] 5. Vom Prinzen, der dem Drakos gelobt wurde.

Text (aus Ziza).

Variante. (Aus Kukuli in Çagori.) – Es war einmal eine Schwiegermutter, die hatte drei Schwiegertöchter, von denen die jüngste zuerst schwanger wurde. Da hieß die Schwiegermutter eines Tages die beiden ältesten in den Wald gehen und Holz holen. Die sagten aber, daß sie nicht allein gingen, wenn die jüngste nicht mit ihnen käme. Die Schwiegermutter entgegnete ihnen, daß die keinen Bündel tragen dürfe, weil sie schwanger sei; aber die älteren bestanden darauf, daß sie mitgehen solle, und so ging sie denn mit. Sie gingen nun in den dicken Wald, schlugen Holz und banden es in drei Lasten, und als sie damit fertig waren, kauerten sie nieder und banden sich die Lasten auf den Rücken. Darauf standen die beiden älteren auf und gingen ihrer Wege, ohne sich weiter um die jüngste zu kümmern, die vergebens mit ihrer[313] Last aufzustehen versuchte. Die Ärmste wurde von der Anstrengung so müde und matt, daß sie zu weinen und zu schluchzen anfing.

Da stand plötzlich ein Pope vor ihr und fragte, was ihr fehle. Das war aber der Teufel, der sich in einen Popen verwandelt hatte, um sie zu betrügen. Sie sagte ihm die Ursache ihres Kummers, und er erwiderte: »Ich helfe dir aufstehen, wenn du mir versprichst, daß du mir das Kind geben willst, das du gebären wirst, wenn es ein Knabe ist und er zwölf Jahre alt geworden, wenn es aber ein Mädchen ist, so soll es dein sein.« Da sprach die junge Frau in ihrer Not: »Ja, ich will dir's geben, wenn es ein Knabe ist und er zwölf Jahre alt geworden,« und nun hob sie der Teufel auf, und sie ging nach Hause.

Bald darauf gebar sie einen Knaben, der wacker gedieh, und als er größer wurde, in die Schule ging. Als er nun zwölf Jahre alt war, da wartete ihn der Teufel eines Tages auf seinem Wege zur Schule ab und sprach zu ihm: »Sage deiner Mutter, daß sie mir das geben solle, was sie mir versprochen hat.« Als aber der Knabe nach Hause kam, da hatte er den Auftrag vergessen. Am andern Tage traf er den Teufel auf derselben Stelle, und der fragte ihn, was für eine Antwort ihm seine Mutter gegeben habe: ja oder nein. Da sagte der Knabe: »Ich habe vergessen, es ihr zu sagen.« Darauf gab ihm der Teufel eine Ohrfeige und einen Apfel und sprach: »Nun wirst du es nicht vergessen, ihr meinen Auftrag auszurichten.«

Als nun der Knabe nach Hause kam, da fragte ihn die Mutter, von wem er den Apfel erhalten habe. Der Knabe antwortete: »Fast hätte ich es wieder vergessen, denn schon zweimal hat mir ein Pope aufgetragen, dir zu sagen, du sollest ihm das geben, was du ihm versprochen[314] hast.« Da fiel der Mutter das Versprechen ein, das sie dem Teufel im Walde gegeben hatte, und sie rief: »Ach, mein Kind! das ist der Teufel, und der wird dich nun holen.« Der Knabe aber antwortete: »Was, er will mich holen? da muß er mich doch erst fangen; und glaubst du, daß ich hier bleibe und warte, bis er kommt?«

Da ging er fort, und nahm von Hause weiter nichts mit, als eine Hündin mit drei Jungen1. Unterwegs begegnete er einer Füchsin mit ihren Jungen, und diese verlangte von ihm einen jungen Hund. Er antwortete, daß er ihr einen geben wolle, wenn sie ihm dafür eines ihrer Jungen gäbe. Das war die Füchsin zufrieden und so tauschten sie miteinander. Nach einer Weile begegnete er einer Wölfin mit ihren Jungen und tauschte auch mit dieser eines davon gegen einen jungen Hund ein.

Darauf zog er mit seinen Tieren so weit, bis er in eine große Einöde kam. Als er eine Weile in dieser gewandert war, kam er an ein großes Schloß, in dem eine alte Frau wohnte. Er ging hinein und begrüßte die Alte: »Guten Tag, Frau Mutter!« und diese erwiderte: »Guten Tag, mein Söhnchen! wie kamst du hierher?« Darauf erzählte ihr der Knabe, was sich mit ihm zugetragen, und bat sie, seine Hunde nicht anzubinden, damit sie ihn vor dem Teufel schützen könnten. Die Alte aber hörte nicht auf seine Bitte und band sie an, und als er sie um etwas zu essen bat, weil er großen Hunger habe, da gab sie ihm eine Honigwabe. Während er diese verzehrte, kam der Teufel und wollte ihn packen; da gab er ihm die Honigwabe und sprach: »Da, friß erst diese und laß mich noch so lange leben, bis du damit fertig bist.« Während aber der Teufel an der Wabe kaute, rief der Knabe: »Hundsmutter,[315] Schlaufuchs, Schreckwolf2, kommt und helft mir.« Die Tiere suchten sich loszureißen, aber sie waren zu fest angebunden; da rief er noch einmal, und als er sah, daß der Teufel fertig war und auf ihn losstürzte, rief er, so stark er konnte: »Hundsmutter, Schlaufuchs, Schreckwolf, kommt und helft mir!« Da strengten sie all ihre Kräfte an, rissen sich los, stürzten auf den Teufel und zerrissen ihn in Stücke. Darauf nahm er den Kopf des Teufels und zeigte ihn der Alten. Die nahm ihn und warf ihn ins Feuer; während er aber verbrannte, fuhr er aus dem Feuer der Alten an die Stirn, und diese starb von dem Schlage.

Von da kam der Knabe in eine andere Einöde, und dort fand er einen Drachen, einen Adler, eine Fliege und eine Ameise, welche sich über die Teilung eines Aases stritten. Als der Knabe dies sah, begann er sich zu fürchten und wollte sich aus dem Staube machen, aber die Tiere riefen ihm zu, er solle sich nicht fürchten, sondern herbeikommen, ihren Streit schlichten und die Teilung vornehmen, über die sie nicht einig werden könnten.

Da faßte sich der Knabe ein Herz, trat herzu und machte aus dem Aase vier Teile. Von diesem gab er den größern Teil des Fleisches dem Drachen, den kleinern dem Adler, das Fell der Fliege, und die Knochen der Ameise. Mit dieser Teilung waren alle so wohl zufrieden, daß sie ausmachten, daß jeder ihm dankbar bleiben solle, und darum sprach der Drache: »Wenn du große Stärke nötig hast, so rufe: ›Drache, mit deiner Stärke‹;« der Adler: ›Wenn du fliegen willst, so rufe: Adler, mit deinen Flügeln!‹ und die Fliege und die Ameise sagten: ›Wenn er irgendwo hineinschlüpfen wolle, so solle er sie rufen3.‹[316]

Darauf ging er zu einem König, dessen Tochter hatte bekanntmachen lassen, daß sie denjenigen heiraten wolle, welcher ihr das Wasser des Lebens bringe, um sich damit zu waschen. Es waren aber schon viele nach diesem Wasser vergebens ausgegangen, als er vor den König trat und von diesem die Erlaubnis erhielt, dasselbe zu holen. Dieses Wasser des Lebens war nämlich in einem Berge, der sich so schnell wie der Blitz öffnete und ebenso schnell wieder schloß, und als der Jüngling dahin kam, rief er: »Adler, mit deinen Flügeln!« Da wuchsen ihm sogleich Flügel an und mit diesen schoß er, so schnell er konnte, durch den Spalt des Berges, füllte darinnen seine Kürbisflasche mit dem Wasser des Lebens und flog ebenso schnell aus dem Berge zurück, als sich dieser wieder öffnete. Darauf ging er heimlich zur Prinzessin, brachte ihr das Wasser und verwandelte sich dann in eine Ameise. Die Prinzessin glaubte, er sei weggegangen und zog sich aus, um sich mit dem Wasser des Lebens zu waschen; da überraschte er sie plötzlich, und so mußte ihn die Prinzessin zum Manne nehmen.

Nach einer Weile schickte sie ihn in den Krieg und zeichnete ihn auf der Stirn, um ihn sicher wiederzuerkennen, wenn er zurückkehre. Als er nun im Lager ankam und auf dieses der Feind anrückte, sagte er zum König: »Halte dein Heer im Lager, ich will den Feind allein bestehen.« Der König wollte anfangs nicht auf ihn hören und gebot ihm, mit so dummen Reden zu schweigen. Als er aber darauf bestand, allein vor den Feind zu gehen, ließ es der König endlich zu. Da zog der Jüngling allein dem Feinde entgegen, und als er in dessen Nähe kam, rief er: »Drache, mit deiner Stärke!« und stürzte dann mit solcher Wut auf die Feinde, daß sie in großen Schrecken gerieten und die Flucht ergriffen und er viele von ihnen[317] auf der Flucht erschlug. Als er in das Lager zurückkam, sah der König, daß er an dem Arme verwundet war, er nahm also sein Schnupftuch4 und verband ihm die Wunde damit.

Darauf zogen sie wieder nach Hause; als sie aber in die Nähe der Stadt kamen, blieb der Jüngling zurück und setzte sich auf den Rand eines Brunnens, und ehe er sich es versah, stieg daraus der Teufel hervor und zog ihn in den Brunnen hinab. Nach einer Weile kam die Königstochter, um zu sehen, was aus ihrem Manne geworden, und erblickte dessen Tiere, wie sie ängstlich um den Brunnen herumliefen. Da merkte sie, daß er in den Brunnen gefallen sei, und als sie hineinsah, rief der Teufel ihr zu: »Wenn du mir die Hündin gibst, so zeige ich ihn dir bis zur Brust.« Da gab sie ihm die Hündin und er steckte den Kopf des Mannes aus dem Brunnen. Für den Fuchs bekam sie ihn bis zu den Hüften zu sehen und für den Wolf hob er ihn ganz aus dem Brunnen hervor; wie er aber den Jüngling wieder zurückziehen wollte, da hetzte dieser seine Tiere auf ihn und diese zerrissen ihn in Stücke und der Jüngling lebte fortan mit der Königstochter herrlich und in Freuden.

Anmerkungen. – Das Textmärchen und die Variante folgen der Kindergelobungsformel Nr. 8.

In beiden ist damit die Formel von den dankbaren Tieren Nr. 32 verbunden, jedoch mit der Besonderheit, daß der Held von ihnen das Vermögen erhält, sich in ihre Gestalten zu verwandeln. Dann folgt ein Zug der Brautwette.

Dem Kerne nach stimmen beide Formen mit der Nixe im Brunnen bei Grimm Nr. 181 überein, denn hier wie[318] dort befreit die Frau den einem Wassergeist gelobten und von diesem in die Tiefe gezogenen Mann aus dessen Gewalt, indem sie ihn durch Geschenke überlistet. Doch weichen die Einzelheiten voneinander ab. In der Variante findet sich selbst die Gestalt der Alten des deutschen Märchens, wenn auch vollkommen unverstanden.

Noch verwandter mit den griechischen Formen ist das deutsche vom grauen Männchen bei Wolf d. Hausm. S. 377, wo sich die Züge der Gelobung, der Brautwette, des Raubes des Gelobten und seiner Wiedererlangung durch Gaben in gleicher Ordnung finden, nur tritt im letzten Zuge ein Zauberer an die Stelle der Frau. – Auf S. 82 daselbst findet sich eine dem Textmärchen entsprechende Teilung eines Aases unter Biene, Fuchs, Windhund und Löwe. Nachdem der Held die Teilung zur vollen Zufriedenheit der Tiere vollzogen, geht er seines Weges. Da kommt ihm der Windhund nachgelaufen und ruft ihn zurück, und die Tiere sprachen, sie hätten vergessen, sich bei ihm zu bedanken, Geld hätten sie keines, aber das wollten sie ihm verleihen, daß er die Gestalt von einem jeden der fünf Tiere annehmen könnte, sooft er sich in Gedanken dazu wünschen wolle.

Beachtenswert ist ferner der Zug der Variante, daß der Held gegen junge Hunde einen jungen Fuchs und einen Wolf eintauscht und von diesen begleitet und verteidigt wird, weil er an die Tiere der beiden Brüder in Grimm Nr. 60 erinnert.

Ein solcher Tieraustausch kommt auch in Nr. 24 vor.

Die stets zur Zufriedenheit der Beteiligten ausfallende Teilung eines Aases durch den Held ist ein weitverbreiteter Märchenzug und läßt sich als das Gegenstück zu der bekannten Teilung des Opferfleisches durch den hesiodischen Prometheus bei der Versammlung in Mekone[319] betrachten, bei welcher er den Zeus überlisten wollte.

Die Bedingung der Variante, daß das gelobte Kind erst nach zwölf Jahren dem Dämon gehören solle, wiederholt sich nicht nur in Nr. 54, sondern auch bei Grimm Nr. 92. – Vielleicht hängt diese Zahl irgendwie mit dem Glauben der Litauer zusammen, daß die von den Laumes (Elfen) für entwendete Kinder hingelegten Wechselbälge niemals älter als zwölf Jahre würden; s. Schleicher S. 91.

Fußnoten

1 κουτάβια.


2 σκῦλα μάνα, ἀλεποῦ πονηρὴ, κλύκε φοβερέ.


3 νὰ τοὺς ἀναβάνῃ s.v.a. ἀναφέρῃ.


4 τζεβρέ.

Quelle:
Hahn, J[ohann] G[eorg] v[on]: Griechische und Albanesische Märchen 1-2. München/Berlin: Georg Müller, 1918, S. 313-320.
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