[235] 46. Der Mann mit der Reisekiste.

[235] Es war einmal ein reicher Mann, der hatte eine große Lust am Reisen. Als er die halbe Welt gesehen hatte, kam er einst nach Hause zurück und sprach zu einem seiner Freunde: »so viel ich auch von der Welt gesehen habe, so bin ich des Reisens doch noch nicht satt geworden, und möchte gerne wieder weiter ziehen, wenn es nur nicht so beschwerlich wäre.« Darauf antwortete jener: »was giebst du mir, wenn ich dich in den Stand setze, große Reisen ohne alle Mühe zu machen?« – »Wenn du das zu Wege bringst, so gebe ich dir, was du willst.« – Da machte ihm der Freund eine Kiste und füllte sie mit Zauberdünsten, und wenn er sich darauf setzte, so fuhr er mit ihr überall, wohin er wollte, durch die Luft.

Mit dieser Kiste zog nun der Mann wieder in die Welt und kam endlich zu einem König, dem war prophezeit worden, daß ein Abenteurer ihm seine Tochter entführen werde. Er hatte daher ein Castell auf einem hohen Berge bauen lassen und seine Tochter hineingesetzt, um sie vor diesem Unglück zu bewahren. Als nun der Reisende das erfahren hatte, fuhr er auf seiner Kiste nach jenem Castelle und fand die Prinzessin dort allein. Wie die ihn erblickte, wunderte sie sich nicht wenig, und fragte ihn, »wie er in das wohlverschlossene Castell habe kommen können.« Er aber antwortete: »ich bin der Sohn des lieben Gottes, der mich hierher geschickt hat, um dich zur Frau zu nehmen, weil er weiß, daß dein Vater ein rechtschaffner Mann ist. Sage ihm also, er solle morgen Abend mit all seinen Großen in das Castell kommen, damit ich mich mit ihm bereden könne.« Am andern Morgen ließ die Prinzessin[236] ihren Vater rufen und erzählte ihm alles, was sich am Vorabend zugetragen hatte.

Als das der König hörte, berief er sogleich alle seine Großen zu sich und teilte ihnen den Vorfall mit, und alle meinten, daß dieser Fremde wohl der Sohn des lieben Gottes sein möge, bis auf einen, welcher behauptete, daß es ein Betrüger sein müsse. Als aber der König die Großen entlassen hatte und diese nach Hause ritten, da strauchelte das Pferd jenes Ungläubigen und warf ihn ab und die andern sprachen: »das ist die Strafe Gottes für seinen Unglauben!«

Der Mann mit der Kiste erkundigte sich nach allem, was den Tag über vorgefallen, und als am Abend der König mit allen Großen ins Schloß gegangen und dieses wieder wohl verschlossen war, da erschien er plötzlich unter ihnen und sie empfingen ihn mit großen Ehren. Darauf warf er demjenigen, welchen das Pferd abgeworfen hatte, seinen Unglauben vor und erklärte, daß er der Sohn des lieben Gottes und von diesem hierher geschickt worden sei, um die Prinzessin zu heiraten. Beim Abschied aber sagte er: »Morgen Abend werde ich nicht zu euch kommen, weil dann der liebe Gott donnern und blitzen wird, ihr aber sollt vor die Stadt kommen und ihn anbeten.«

Am andern Morgen kaufte er eine Masse Pulver und Pistolen und gegen Abend stieg er mit seiner Kiste in die Lüfte, schoß von dort aus auf die Stadt herunter und verführte einen solchen Lärm, daß alle Welt in großen Schrecken geriet.

Als er sich wieder zur Erde herabließ, da versteckte er seine Kiste im Walde, und ging in die Stadt, um zu hören, was der König und die andern Großen sprächen, und nachdem er dies erfahren hatte, ging er am Abend wieder in den Wald, um seine Kiste zu holen, er fand sie aber[237] verbrannt. Da machte er sich ohne Säumen auf und ging zu seinem Freunde, um ihn zu bitten, daß er ihm eine andere Kiste machen solle, er fand ihn aber tot, und so konnte er nichts mehr machen.

Der König und seine Großen aber meinten, daß der liebe Gott über irgend etwas mißmutig geworden, und darum seinem Sohne nicht erlaubt habe, wieder zu kommen.

Quelle:
Hahn, J[ohann] G[eorg] v[on]: Griechische und Albanesische Märchen 1-2. München/Berlin: Georg Müller, 1918, S. 235-238.
Lizenz:
Kategorien: