[238] 47. Von den drei um die Braut streitenden Brüdern.

Es war einmal ein König, der hatte drei Söhne und wollte den ältesten von ihnen verheiraten. Er schickte daher einen seiner Diener aus, um eine Braut für ihn zu finden, welche schön, gebildet und von edlem Blute sein sollte. Nachdem der Diener eine Weile herumgezogen, kam er auch nach Rumelien und fand dort eine Jungfrau, die ebenso schön, als gebildet, und von edlem Blute war. Da zog er ihr königliche Kleider an und brachte sie nach Constantinopel, und als die drei Prinzen dies schöne Mädchen sahen, da begannen sie mit einander auf Leben und Tod darüber zu streiten, wer von ihnen sie heiraten solle. Was sollte nun der alte König tun? Wie sollte er sie auseinander bringen? Er rief seinen Vertrauten und fragte ihn um Rat, wie er den Hausfrieden wieder herstellen könnte; und dieser riet ihm, er solle sie in die Fremde schicken, und wer von ihnen die beste Sache nach Hause brächte, der solle die Jungfrau bekommen. Der Rat gefiel dem König, er schickte daher den einen nach Rumelien, den zweiten ins Frankenland und den dritten nach Anatolien. Sie reisten zusammen bis nach Adrianopel und machten aus, daß sie zu einer bestimmten Zeit wieder dort[238] zusammenkommen und nach Constantinopel zurückkehren wollten; darauf trennten sie sich.

Der Älteste kam auf seiner Fahrt durch Rumelien bis nach Jannina, stieg dort in einem Gasthofe ab und hörte am andern Morgen, wie ein Ausrufer ein Fernrohr ausbot, auf das bereits fünf Beutel geboten waren, für die er es aber noch nicht zuschlagen wollte. Da ließ er den Ausrufer auf sein Zimmer holen und fragte ihn, »was das für ein Fernrohr sei, für welches er so viel Geld begehre.« Der Ausrufer antwortete, »das sei kein gemeines Fernrohr, denn es bringe einem alles, was man zu sehen wünsche, vor die Augen.« Der Prinz ließ sich also das Rohr zum Versuche geben, richtete es nach Constantinopel zu, wünschte sich jene schöne Jungfrau zu sehn, sah hindurch und erblickte sie, wie sie leibte und lebte. Da kaufte er das Fernrohr für dreitausend Piaster, gab dem Ausrufer noch ein gutes Trinkgeld und machte sich auf den Rückweg nach Adrianopel, wo er auf seine beiden Brüder wartete.

Unterdessen war der Mittlere im Frankenlande von einer Stadt zur andern gezogen und kam endlich in eine, wo er einen Ausrufer eine Apfelsine ausbieten hörte, auf die schon sechs Beutel geboten waren, ohne daß er sie dafür losschlagen wollte. Da ließ ihn der Prinz zu sich rufen und fragte ihn, »was das für eine Apfelsine sei, für die er so viel Geld verlange«, und jener antwortete, »das sei keine gemeine, sondern eine mit vieler Kunst gemachte Apfelsine und habe die Eigenschaft, daß sie jeden Menschen, der im Begriff zu sterben sei, wieder zum Leben erwecke, wenn er daran röche.« Der Prinz ließ mehrere Versuche damit anstellen und mehrere Todkranke daran riechen, und da alle, die daran rochen, wieder gesund wurden, so kaufte er die Apfelsine für sieben Beutel, gab dem[239] Ausrufer noch ein gutes Trinkgeld, und zog dann nach Adrianopel.

Der Jüngste endlich, welcher nach Anatolien gegangen war, kam auf seiner Reise durch eine Stadt, in welcher ein Ausrufer einen kleinen Teppich feil bot, auf den schon fünftausend Piaster geboten waren, ohne daß er ihn dafür losschlagen wollte. Der Prinz ließ also den Ausrufer zu sich kommen und fragte ihn, »was das für ein Teppich sei, für den er so viel Geld fordere«, und der Ausrufer erwiderte, »das sei kein gemeiner Teppich, denn er brächte alle, welche auf ihm säßen, dahin, wohin sie wünschten.«

Da versuchte der Prinz mit dem Ausrufer die Kraft des Teppichs und als er sie erprobt gefunden, kaufte er ihn für siebentausend Piaster, gab dem Ausrufer ein gutes Trinkgeld, setzte sich mit seinen Leuten auf den Teppich, und wünschte sich nach Adrianopel, und im Nu war er dort bei seinen Brüdern.

Keiner von den dreien wollte aber den andern gestehn, was er mitbringe. Als sie des andern Tags nach Constantinopel aufbrechen wollten, sagte der Jüngste zu den andern: »ach Brüder, für ein Mädchen haben wir all dies Ungemach erduldet, und doch wissen wir nicht einmal, ob sie noch lebt oder tot ist.« Da sprach der Älteste: »Wenn es weiter nichts ist, so kann ich helfen, denn ich habe ein Fernrohr, das will ich aufstellen und sehn, was sie macht.« Da ließ er sich sein Fernrohr holen, sah damit nach Constantinopel in das Königsschloß, dort war aber große Verwirrung und Bekümmernis, denn das Mädchen lag in seinen letzten Zügen. Als das der Mittlere hörte, sprach er: »wenn wir nur rasch zu ihr kommen könnten, so könnte ich ihr helfen, denn ich habe eine Apfelsine, und wenn daran ein Sterbender riecht, so wird er wieder gesund.« Darauf sagte der Jüngste:[240] »dazu kann ich verhelfen, denn ich habe einen Teppich, der uns sogleich dorthin bringt.« Er ließ also die andern auf seinen Teppich setzen, und sie fuhren auf ihm in einem Augenblicke nach Constantinopel. Als sie dort ankamen, war die Jungfrau noch nicht vollkommen tot, und sowie man ihr die Apfelsine unter die Nase hielt, wurde sie wieder gesund.

Da huben die drei Brüder von neuem zu streiten an, wer sie zur Frau bekommen solle; denn der Älteste sprach: »mir gebührt sie, weil ich sie mit meinem Fernrohr zuerst gesehen habe.« Der Zweite sprach: »nein, mir gebührt sie, denn von dem Geruch meiner Apfelsine wurde sie gesund.« Der Jüngste aber sprach: »nein, mir gebührt sie, denn ohne meinen Teppich wäre alle Hülfe zu spät gekommen.«

Als der König sie alle drei angehört hatte und nun das Urteil sprechen sollte, da geriet er in große Verlegenheit, weil alle drei Recht und keiner Unrecht hatte, und um dem Streite ein Ende zu machen, erklärte er, daß keiner von den dreien das Mädchen haben solle, sondern daß er sie selbst zur Frau nehme.

Quelle:
Hahn, J[ohann] G[eorg] v[on]: Griechische und Albanesische Märchen 1-2. München/Berlin: Georg Müller, 1918, S. 238-241.
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