[43] 8. Bauer Wahrhaft.

Es war einmal ein König, der hatte eine Ziege, ein Lamm, einen Widder und einen Hammel. Weil er nun die Thiere sehr lieb hatte, wollte er sie nur Jemanden übergeben in dem er ganzes Vertrauen hätte. Nun hatte der König einen Bauer, den nannte er nur Bauer Wahrhaft,1 weil derselbe noch nie eine Lüge gesagt hatte. Den ließ der König kommen und übergab ihm die Thiere, und jeden Sonnabend mußte der Bauer in die Stadt kommen und dem König Bericht aberstatten. Wenn er nun vor dem König kam, so zog er immer sein Mützchen ab und sprach:


»Guten Morgen, königliche Majestät!«2

»Guten Morgen, Bauer Wahrhaft;

Wie geht es der Ziege?«

»Ist weiß und schalkhaft!«[43]

»Wie geht es meinem Lamm?«

»Ist weiß und schön!«

»Wie geht es meinem Widder?«

»Ist schön zu sehen!«

»Wie geht es meinem Hammel?«

»Ist schön zu schauen!«


Wenn sie so mit einander gesprochen hatten, zog der Bauer wieder auf seinen Berg, und der König glaubte ihm immer Alles.

Unter den Ministern des Königs war aber einer, der sah mit neidischen Augen die Gunst, die der König dem Bauer erwies, und eines Tages sprach er zum König: »Sollte der alte Bauer wirklich unfähig sein, eine Lüge zu sprechen? Ich wollte doch wetten, daß er euch nächsten Sonnabend anlügt.« »Und wenn mir mein Bauer eine Lüge sagt,« rief der König, »so will ich den Kopf verlieren.« Also gingen sie die Wette ein, und wer verlor sollte den Kopf verlieren. Der Minister aber, je mehr er darüber nachdachte, desto schwerer wurde es ihm, ein Mittel auszudenken, den Bauern bis zum Sonnabend, in drei Tagen, zu einer Lüge zu bewegen. Den ganzen Tag dachte er vergeblich nach, und als es Abend wurde, und der erste Tag verstrichen war, ging er mißmuthig nach Haus. Als seine Frau ihn nun so schlechter Laune sah, sprach sie: »Was drückt euch, daß ihr so verstimmt seid?« »Laß mich in Ruhe,« antwortete er, »muß ich es dir erst noch erzählen!« Sie bat ihn aber so freundlich, daß er es ihr endlich sagte. »O,« sagte sie, »ist's weiter Nichts? Das will ich schon zu Wege bringen.«

Den nächsten Morgen kleidete sie sich in ihre schönsten Kleider, legte ihren besten Schmuck an, und befestigte über der Stirn einen diamantenen Stern. Dann setzte sie sich in ihren Wagen und fuhr auf den Berg,[44] wo Bauer Wahrhaft die vier Thiere weidete. Als sie nun vor dem Bauer erschien, blieb dieser wie versteinert stehen, denn sie war über die Maßen schön. »Ach,« sprach sie, »lieber Bauer, wollt ihr mir einen Gefallen thun?« »Edle Frau,« antwortete der Bauer, »befehlt mir was ihr wollt, so will ich es thun!« »Sieh,« sprach sie, »ich bin guter Hoffnung und habe ein unwiderstehliches Gelüst nach einer gebratenen Hammelsleber, und wenn du sie mir nicht giebst, so muß ich sterben.« »Edle Frau,« sprach der Bauer, »verlangt von mir was ihr wollt, aber dies Eine kann ich euch nicht gewähren; denn der Hammel gehört dem König und ich kann ihn nicht tödten.« »Ich Unselige,« jammerte die Frau, »so muß ich sterben, wenn du mein Gelüste nicht befriedigst. Ach, lieber Bauer, thue es doch. Der König weiß ja nichts davon, und du kannst ihm sagen, der Hammel sei den Berg heruntergestürzt.« »Nein, das kann ich nicht sagen,« sprach der Bauer, »und die Leber kann ich euch auch nicht geben.« Da fing die Frau noch mehr an zu jammern, und that als ob sie sterben müsse, und weil sie so überaus schön war, wurde das Herz des Bauern ganz davon berückt, er schlachtete den Hammel, briet die Leber und brachte sie ihr. Da aß die Frau voller Freude, nahm Abschied von dem Bauer und ging fort. Nun fiel es dem armen Bauer schwer auf's Herz, was er dem König sagen sollte. In seiner Verlegenheit nahm er seinen Stock, pflanzte ihn in die Erde, und hing sein Mäntelchen darüber; ging dann einige Schritte darauf los, und fing an: »Guten Morgen, königliche Majestät!« Wenn er aber an die letzte Frage des Königs nach dem Hammel kam, blieb er immer stecken, und fand keine Antwort. Er versuchte es mit Lügen: »Der Hammel ist geraubt worden,« oder »er ist den Berg hinuntergestürzt,« aber die Lügen blieben ihm in der Kehle stecken. Er steckte seinen Stock wo anders in die Erde, und hing wieder sein Mäntelchen darüber, aber es fiel ihm Nichts ein. Die ganze Nacht konnte er nicht schlafen, endlich, am Morgen fiel ihm eine passende Antwort ein. »Ja,« dachte er, »das wird gehen,« nahm seinen Stock und sein Mäntelchen und machte sich auf den Weg zum König, denn es war Sonnabend. Unterwegs blieb er von Zeit zu Zeit[45] stehen, stellte wieder den König vor mit seinem Stock und Mäntelchen und sagte die ganze Unterredung mit dem König her, und jedes Mal gefiel ihm seine Antwort besser.

Als er nun in das Schloß trat, saß da der König mit seinem ganzen Hofstaat, denn nun sollte sich die Wette entscheiden. Da zog er sein Mützchen ab; und fing an wie gewöhnlich:


»Guten Morgen, königliche Majestät!«3

»Guten Morgen, Bauer Wahrhaft;

Wie geht es meiner Ziege?«

»Ist weiß und schalkhaft!«

»Wie geht es meinem Lamm?«

»Ist weiß und schön!«

»Wie geht es meinem Widder?«

»Ist schön zu sehen!«

»Wie geht es meinem Hammel?« ...

»Mein Herr und König!

Die Lüge verhöhn' ich.

Vom hohen Berg' in weiter Fern

Erschien die Schöne mit ihrem Stern.

Es traf mich tief ihr Liebesblick –

Dem Hammel brach ich das Genick.«
[46]

Da klatschten Alle in die Hände, und der König beschenkte seinen treuen Bauer reichlich. Der Minister aber mußte seinen Neid mit dem Kopf büßen.

1

Massaru verità.

2

»Bon giornu, riali maestà!«

»Bon giornu, massaru verità;

Comu è la crapa?«

»Janca e ladra!«

»Comu è l'agneddu?«

»Jancu e beddu!«

»Comu è lu muntuni?«

»Beddu a vidiri!«

»Comu è lu crastu?«

»Beddu a guardari!«

3

»Bon giornu, riali maestà!«

»Bon giornu, massaru verità!«

»Comu è la crapa?«

»Janca e ladra!«

»Comu è l'agneddu?«

»Jancu e beddu!«

»Comu è lu muntuni?«

»Beddu a vidiri!«

»Comu è lu crastu?«

»Riali maestà!

Ju ci dicu la verità.

Vinni na donna di autu munti,

Janca e bedda, cu na stidda in frunti

Tantu di sciamma a lu cori mi misi

Chi pri l'amuri soi lu crastu uccisi.«

Quelle:
Gonzenbach, Laura: Sicilianische Märchen. Leipzig: Engelmann 1870, S. XLIII43-XLVII47.
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