[211] 13. Die Schöne mit den sieben Schleiern.

Vgl. Hahn Nr. 49, Wolf's Z. IV, 320 (aus Zakynthos), Simrock S. 365 (aus Kalliopi), Schott Nr. 25, Erdélyi-Stier Nr. 13, Pentamer. V, 9, A. Wesselofsky, Le tradizioni popolari nei poemi d'Antonio Pucci S. 11 (piemontesisch), Milá S. 179 = Wolf S. 40, Schneller Nr. 191, Zingerle I, Nr. 11. An die Stelle der drei Pomeranzen oder Citronen oder Aepfel, aus welchen, wenn sie aufgebrochen oder aufgeschnitten werden, schöne Mädchen hervorkommen, die aber, wenn sie nicht sofort Wasser erhalten, gleich sterben, sind im sicil. M. drei Kästchen getreten, in deren jedem eine Schöne mit 7 Schleiern2 sich befindet, die nach Oeffnung des Kästchens ebenfalls alsbald nach Wasser verlangen.

In Bezug auf den Eingang des sicil. M., welcher dem von Nr. 12 ähnlich und dem von Nr. 14 fast ganz gleich ist, steht dem sicilian. von den verglichenen M. das aus Kalliopi am nächsten, welches auch mit der Sehnsucht einer kinderlosen Königin nach einem Kinde, mit einem ähnlichen Gelübde (drei Springbrunnen mit Milch, Honig, Wein) und mit der daran sich knüpfenden Verwünschung einer beleidigten Alten beginnt. Bei Hahn und Zingerle kommen zwar der Kinderwunsch und das Brunnengelübde nicht vor, wol aber die Verwünschung einer Alten, welcher der Königssohn einen Topf zerbrochen hat. In allen andern M. ist von einer gegen den Helden des M. ausgesprochenen Verwünschung nicht die Rede.

Dem Festhaken der auf- und zuschlagenden Thür entspricht im piemontesischen und im wälschtiroler M. das Einschmieren der Thür mit Oel und[211] Fett. Ein Einschmieren des Gatterthors, welches den Fliehenden todtquetschen soll, kömmt auch bei Hyltén-Cavallius Nr. 14, A vor. Vgl. auch sicil. M. Nr. 15, wo die Frau des Königs Stieglitz die auf- und zugehende Thür lobt, und Pentamer. V, 4, wo Parmetella vor die auf- und zugehende Thür einen Stein legt.

Dem Löwen und dem Esel, die sich um Heu und Knochen streiten, entsprechen im neugr. M. bei Hahn Hunde und Wölfe, die Stroh und Knochen unter sich zu theilen haben; offenbar ursprünglich auch hier Hunde und Esel. Im sicil. M. Nr. 15 finden wir einen Esel mit einem Knochen im Maul und einen Hund mit Heu, bei Hahn Nr. 45 ein Roß, vor welchem Knochen liegen, und einen Hund, vor welchem Heu liegt.

Das Loben der schlechten Früchte des Feigenbaums kömmt in dem M. aus Kalliopi vor, wo außerdem noch ein bittres Wasser gelobt wird. Vgl. auch das sicil. M. Nr. 15, wo ein blutfließender Strom, Hahn Nr. 72, wo ein krätziger Feigenbaum und stinkendes Wasser, Nr. 54 und 100, wo eine stinkende Quelle gelobt wird.

Wie in unserm M. die Diener, welche mit Knüppeln die Treppe kehren, einen Besen, und die Köche, welche das Feuer mit dem Mund anfachen, einen Wedel vom Prinzen bekommen, so bekömmt im piemontes. und bei Schneller Nr. 18 (Nr. 19 ist hier sehr entstellt) das Weib, welches mit den Händen oder mit dem Kleid kehrt, einen Besen, und ein andres, welches das Wasser mit ihren Haaren emporzieht, ein Seil. Auch bei Zingerle kömmt ein Kehrbesen vor, aber in ganz entstelltem Zusammenhang. Vgl. auch Hyltén-Cavallius Nr. 14, A, wo Männer, die hölzerne Aexte und eiserne Dreschflegel haben, vom Königssohn eiserne Aexte und hölzerne Dreschflegel bekommen, und 14, B, wo Holzhauer statt hölzerner eiserne Messer und Aexte erhalten.

Wie im sicil. die Riesin weggeht, um ihre Zähne zu wetzen, so im piemontesischen. S. auch die Anm. zu Hahn Nr. 15 am Ende.

Daß der Prinz die Schöne in Folge des Kusses seiner Mutter eine Zeit lang vergißt, kömmt außer in dem sicil. M. nur noch in dem M. aus Zakynthos vor, und es ist dieser Zug auch hier nicht recht am Platz. Es ist aus dem M. von der vergessenen Braut herübergenommen worden. S. die Anm. zu Nr. 14.

Eigenthümlich ist dem sicil. M., daß der Königssohn sich in den Finger schneidet und ein Blutstropfen auf den weißen Marmor fällt, worauf eine eben von ihm ausgelachte Kammerfrau ihm wünscht, er möge nicht eher heiraten, als bis er eine Braut finde so weiß wie Marmor und so rot wie Blut, welche Verwünschung ihn an seine vergessene Braut erinnert. Das Citronenmärchen im Pentamerone beginnt damit, daß der heiratsscheue Prinz sich eines Tages, als er einen frischen Käse durchschneiden will, in den Finger schneidet und zwei große[212] Blutstropfen auf den Käse fallen, worauf der Prinz erklärt, sich eine Braut suchen zu wollen so weiß und rot wie der von seinem Blut gefärbte Käse. Ein andres M. des Pentam. IV, 9 beginnt damit, daß ein König einen blutigen todten Raben auf einem Marmorstein liegen sieht und sich eine Frau wünscht so rot wie Blut, so weiß wie Marmor und so schwarzhaarig wie die Rabenfedern. Hier haben wir also wie im sicil. M.: rot wie Blut und weiß wie Marmor. In vielen nichtitalienischen M. sind es Blutstropfen im Schnee, welche die Sehnsucht nach einer Gattin oder einem Gatten oder einem Kind so rot wie Blut und so weiß wie Schnee erregen. S. meine Nachweise in den Weimarischen Beiträgen zur Literatur und Kunst S. 197 f.

Den Reimen


»Cocu, cocu ddi la sala (cucina),

chi fa lu re cu la schiava (regina)?«


entsprechen im piemontesischen M. die Worte: »Cocconaro, mio bel cocconaro, che tu possa dormire, l'arrosto bruciare e la brutta vecchia non più mangiare!« und im wälschtiroler: »Cogo, bel cogo, Endormenzate al fogo, Che l'arrosto se possa brusar E la fiôla della veccia stria non ne possa magnar!«

Daß die Sklavin sich selbst ihr Urteil spricht, kömmt auch im neapolitanischen, im piemontesischen und im M. aus Kalliopi vor. Dies unbewußte Urteilsprechen über sich selbst kömmt in vielen M. vor. Vgl. z.B. Nr. 11, Grimm Nr. 135, Zingerle II, 131, Peter II, 198.

1

Das M. ist sehr entstellt, wird aber trefflich durch Nr. 18 ergänzt, wo ein Mädchen für drei Feen drei Pomeranzen einer Alten rauben muß.

2

»Sie war so schön, daß die Schönheit durch die sieben Schleier hindurchstrahlte« (S. 81). Dasselbe in Nr. 64 (II, 55) von der Fata Morgana. Vgl. Vigo, Canti popolari siciliani S. 147, Nr. 75: Bedda, ca siti 'mmensu setti veli.

Quelle:
Gonzenbach, Laura: Sicilianische Märchen. Leipzig: Engelmann 1870, S. 211-213.
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