IX. Das Ulta-Mädchen.

[49] Es waren einmal zwei Bursche, die um dasselbe Mädchen freiten. Als das Frühjahr kam, zogen die beiden Bursche und das Mädchen in Gemeinschaft mit anderen Leuten nach einer weit im Meere draußen gelegenen Insel, um dem Fischfang zu obliegen. Auf der Insel waren nämlich Fischerhütten erbaut, da dieser Ort von Alters her als ausgezeichneter Fischplatz bekannt war und die Leute in der Regel bis zum Herbste daselbst verblieben.

Das Mädchen und die beiden Bursche bewohnten dieselbe Hütte und fischten in demselben Boote. Allmählich begann jedoch der eine der Bursche zu bemerken, daß das Mädchen ihm weniger Aufmerksamkeit schenke als seinem Kameraden. Hierüber wurde er sehr verdrossen und er sann darüber nach, auf welche Weise er wohl seinen Nebenbuhler am besten aus dem Wege räumen könnte.

Als die Fischer wieder die Heimreise antraten, richtete er es so ein, daß er, das Mädchen und sein Kamerade die Letzten waren, welche den Fischplatz verließen. Als nun auch sie alle ihre Sachen in das Boot gebracht hatten und schon zum Abrudern bereit waren, sagte der Bursch, um den das Mädchen sich nicht kümmerte, zu seinem Kameraden:

»Ah, ich habe mein Messer oben in der Hütte vergessen; spring' doch hinauf und hole es mir, dann bist du ein guter Kerl!«[50]

Dieser that dies ohne den geringsten Verrath zu ahnen, war jedoch noch nicht weit gekommen, als der Kamerade das Boot abstieß und mit dem Mädchen davon ruderte.

Er war nun ganz allein auf der Insel und besaß nichts Anderes, womit er sich forthelfen konnte, als das Messer, welches der Kamerade zurückgelassen hatte. Er machte sich einen Bogen und mit diesem schoß er Strandvögel, die er am Feuer briet. Auf diese Weise fristete er sein Leben fort bis Weihnachten. Am Weihnachtsabend trug er eine größere Menge Brennholz zusammen und stapelte dasselbe gerade vor der Thür der Hütte zu einem großen Haufen auf, um nicht während der Weihnachtstage Holz holen zu müssen.

Abends, als er mit dem Holzstoß fertig war, saß er eine Weile vor der Thür und blickte sehnsuchtsvoll nach dem Festlande hinüber. Da bemerkte er plötzlich ein Boot, welches auf die Insel zusteuerte. Der Bursch war darob sehr erfreut, denn er glaubte, daß es Menschen wären, die auf die Insel kämen. Als aber das Boot näher kam, schien ihm dasselbe allerdings etwas sonderbar auszusehen, und als es anlegte und die Leute an's Land stiegen, erkannte er bald, daß es nicht »Albma-olbmuk«, d.h. Leute von dieser Welt oder richtige Menschen, sondern Ulta-Leute waren. Er kroch deshalb hinter den Holzstoß und versteckte sich, jedoch so, daß er sie ungesehen beobachten konnte.

Es stiegen nun Alle an's Land. Es war eine große Gesellschaft, die allerlei Kram bei sich hatte. Unter den Weibern befanden sich zwei junge Mädchen, die sehr schön und dabei auch hübsch gekleidet waren. Jedes derselben trug einen Proviantkasten in der Hand, als die ganze Schaar auf die Hütte zuging. Nachdem der ganze Kram in die Hütte geschafft war, kamen die beiden Mädchen wieder heraus, um sich auf der Insel umzusehen; dabei entdeckten sie aber den Burschen, der hinter dem Holzstoß lag. Anfangs fürchteten sie sich ein wenig[51] und wären beinahe wieder davon gelaufen; da der Bursch aber ganz ruhig dalag, traten sie näher an ihn heran und begannen zu kichern und zu lachen und allerlei Scherz mit ihm zu treiben.

Der Bursch hatte eine Stecknadel in dem einen Aermel seiner Jacke. Als sie nun so um ihn herumsprangen und ihn von Zeit zu Zeit zupften, paßte er einen günstigen Augenblick ab und stach die Eine in die Hand, so daß diese zu bluten begann. Die Gestochene begann nun laut zu schreien und zu jammern. Da kamen auch die Uebrigen aus der Hütte gelaufen, um zu sehen, was geschehen sei; sowie sie aber des Burschen ansichtig wurden, stürzten sie wieder hinein, rafften in größter Eile und Hast von dem mitgebrachten Kram zusammen, was Jedes erwischen konnte, und eilten davon.

In einem Augenblicke war Alles verschwunden: die Leute, der Kram und das Boot; nur ein Schlüsselbund war auf dem Tische liegen geblieben und auch das Mädchen, welches der Bursch blutig gestochen hatte, stand noch da; dasselbe war ganz kraft- und hilflos.

»Nun mußt du mich zu deinem Weibe nehmen,« sagte das Mädchen, »da du mich blutig gestochen hast!«

»Ja, ja, warum nicht«, antwortete der Bursch, »das will ich gern thun; aber wie glaubst du, daß wir den Winter über auf der Insel hier werden leben können?«

»Damit hat es keine Noth,« meinte das Mädchen, »wenn du mir nur versprechen willst, daß du mich zum Weibe nimmst; du bekommst ja reiche Verwandte!«

Der Bursch versprach es und so lebten sie denn miteinander auf der Insel bis zum Frühjahre, wo wieder Leute hinauskamen, mit denen sie nach dem Festlande hinüber fuhren.

»Wohin sollen wir uns jetzt begeben?« fragte das Mädchen den Burschen.

»Das weiß ich nicht,« sagte der Bursch; »was meinst du hierüber?«[52]

Das Mädchen meinte, daß es ihr am Liebsten wäre, sich an einem Orte niederzulassen, wo ihre Eltern wohnten; »aber nur, wenn du willst,« fügte sie hinzu.

»Warum nicht?« antwortete der Bursch, und so reisten sie dahin und suchten sich einen bequemen Wohnplatz aus.

»Nun mußt du selbst den Platz für das Haus ausmessen,« sagte das Mädchen, »du kannst ihn groß oder klein nehmen, wie du willst!«

Der Bursch maß den Platz aus.

Als sie sich des Abends schlafen legten, sagte das Mädchen: »Wenn du in der Nacht, während wir liegen und schlafen, etwas hören solltest, so darfst du nicht aufstehen und auch nicht nachsehen, was es sei!«

In der Nacht hörte er, wie gemauert, gezimmert, gespalten und gehämmert wurde; er rührte sich aber nicht. Des Morgens, als er und das Mädchen aufstanden und sich umsahen, stand das Haus in allen Theilen fertig da.

»Nun mußt du den Platz für den Kuhstall ausmessen,« sagte das Mädchen am nächsten Tage, »aber nimm' den Platz nicht zu groß und auch nicht zu klein!«

Der Bursch maß.

In der Nacht hörte er wieder, wie gezimmert, gespalten und gehämmert wurde. Am Morgen stand der Kuhstall vollkommen fertig da mit Ständern, Milcheimern und Kloben; nur Kühe waren nicht darin. Nun bat das Mädchen den Burschen, er möchte den Platz für ein Vorrathshaus ausmessen; dieses könne er so groß haben, als er selbst wolle. Als auch das Vorrathshaus fertig war, forderte sie ihn auf, zu ihren Eltern zu reisen. Sie wanderten denn auch dahin und weilten dort, so lange es sie freute. Als sie aber wieder nach Hause reisen sollten, sagte das Mädchen zu dem Burschen:[53]

»Wenn wir Abschied genommen haben und daran sind, aus dem Hause zu treten, so gib gut acht und eile so schnell du kannst über die Thürschwelle!«

Der Bursch that, wie das Mädchen gesagt hatte, und gerade in dem Augenblicke, als er über die Schwelle stieg, warf der Vater des Mädchens einen großen Hammer nach ihm. Wäre er nicht so schnell gewesen, als er war, sondern hätte er nur einen Augenblick stille gestanden, so würde ihr Vater ihm beide Beine abgeschlagen haben.

Als sie eine Strecke weit auf dem Heimwege gewandert waren, sagte das Mädchen:

»Nun darfst du dich nicht früher umsehen, als bis du in das Haus getreten bist, was immer du auch hören und wahrnehmen magst!«

Der Bursch versprach es; als er aber schon bei der Hausthür angelangt war, konnte er sich nicht länger zurückhalten, sondern sah sich um. Da war gerade die Hälfte einer großen Viehheerde, welche die Schwiegereltern ihnen nachgeschickt hatten, innerhalb des Zaunes gekommen, die andere Hälfte stand noch außerhalb desselben; die aber, welche außerhalb stand, war in demselben Augenblicke verschwunden.

Hierauf ließ sich das Paar von dem Priester trauen und sie bekamen Kinder und lebten glücklich und zufrieden. Das Einzige, was dem Manne nicht gefiel, war, daß seine Frau bisweilen verschwand, ohne daß es ihm möglich war zu erforschen, wohin sie gekommen sei. Als er sich daher eines Tages hierüber beklagte, sagte die Frau, welche ja ihren Gemal recht lieb hatte:

»Lieber Mann, wenn es dir nicht recht ist, daß ich manchmal fort bin, so schlage nur einen großen Nagel in die Thürschwelle; ich kann dann weder hinaus noch hinein, es sei denn, daß du selbst es willst!«

Quelle:
Poestion, J. C.: Lappländische Märchen, Volkssagen, Räthsel und Sprichwörter. Wien: Verlag von Carl Gerolds Sohn, 1886, S. 49-54.
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