2. Eine gute That wird immer mit bösem vergolten. (36)

[353] Ein Bauerwirt ging auf einem Waldweg und fand da einen Drachen, der lag unter einem Stamm1 eingepresst. Da bat der Drache den Menschen, dass er ihn los mache. Der Mensch aber sprach ›Was willst du mir dafür geben?‹ ›Ich werde dir eine schöne Belohnung geben‹, antwortete der Drache, und da machte ihn der Mensch los. Der Drache aber sagte jetzt ›Ich werde dich verschlingen!‹ Drauf sprach der Mensch zu ihm ›Du wolltest mich ja dafür, dass ich dich befreite, belohnen!‹ Aber der Drache versetzte ›Eine gute That wird immer mit bösem vergolten.‹ Jetzt bat der Mensch um sein Leben und sprach ›Lass uns zusammen des Wegs gehn, die drei ersten, die uns begegnen, die mögen unsern Handel entscheiden.‹ Dem Drachen war der Vorschlag recht, sie gingen[353] selbander, und da kam ein Hund des Wegs. Der Bauer sagte ›Lieber Hund, entscheide du einen Handel zwischen uns.‹ ›Was ist's?‹ fragte der Hund, und der Mensch erzählte ihm: ›Als ich meines Wegs ging, fand ich den Drachen unter einem Stamm eingezwängt, und da er mich bat, ich sollte ihn doch befreien, da versprach er mir eine schöne Belohnung, und ich machte ihn los. Aber da wollte er mich gleich auf der Stelle verschlingen, und da sagte ich, wir wollten doch zusammen gehn, bis wir drei träfen, die sollten unsere Sache entscheiden.‹ Darauf antwortete der Hund: ›Als ich noch jung war, da brauchte mein Herr, wenn eine Sau von der Herde einen Schaden anrichtete, sie mir nur von weitem zu zeigen, da sprang ich auch schon hin und trieb sie zurück. Als ich aber alt wurde, fielen mir die Zähne aus, und da hat mich mein Herr fortgejagt. Was soll ich jetzt anfangen? Gute Thaten werden immer mit schlechtem vergolten!‹ Und zum Drachen sprach er dann ›Verschling ihn nur! Auch ich vergelte jetzt immer gutes mit bösem.‹ Drauf gingen sie den Weg weiter und trafen ein Pferd. Der Mensch sprach zu ihm ›Liebes Pferd, entscheide du uns einen Handel.‹ ›Was ist's?‹ fragte das Pferd, und der Bauer erzählte ihm die Sache wie dem Hund, und da sprach das Pferd ›Eine gute That wird stets mit bösem vergolten. Verschling du den Menschen.‹ Alsdann gingen sie wieder weiter und begegneten einem Fuchs. Der Mensch sprach zu dem Fuchs ›Entscheide du uns einen Handel.‹ Und der Fuchs fragte den Bauer ›Was willst du mir für meine Entscheidung geben?‹ ›Eine Gans will ich dir geben‹, antwortete der Bauer, und da sagte der Fuchs ›So führ mich hin und zeig mir die Stelle, wo der Drache gelegen hatte.‹ Sie gingen alle drei zu dem Platz, und da sagte der Fuchs zum Bauer, er solle den Stamm in die Höhe richten, und zum Drachen sprach er ›Leg dich einmal dorthin, wo du gelegen hast.‹ Alsdann sagte er zum Bauer ›So, jetzt lass du den Stamm niederfallen‹, und dann zum Drachen ›Und du kannst nun so liegen bleiben, wie du da gelegen hattest.‹ Darauf machte sich der Bauer auf den Heimweg, und der Fuchs ging mit ihm. Wie sie beim Gehöfte des Bauers waren, blieb der Fuchs stehn, und der Bauer sagte ›Ich werde dir die Gans bringen.‹ Der Bauer ging hinein, erzählte seiner Frau, wie der Fuchs Schiedsrichter gewesen sei, und dass er ihm eine Gans versprochen habe. ›Dummkopf!‹, sprach[354] seine Frau, ›nimm doch die Flinte und schiess den Fuchs todt, für seinen Pelz bekommst du Geld!‹ Da nahm der Bauer in die eine Hand die Gans, in die andre das Gewehr und ging zum Fuchs zurück. Er liess ihn aber nur die Gans sehn, und als der Fuchs nun ein Endchen näher an ihn herankam, da schoss er ihn todt. Im Umfallen konnte der Fuchs grade noch sagen ›Eine gute That wird immer mit bösem vergolten!‹

1

Das litauische Wort scheint genauer ›Querholz, Querbalken‹ zu bedeuten. Vgl. S. 236 Anm.

Quelle:
Leskien, August/Brugman, K.: Litauische Volkslieder und Märchen. Straßburg: Karl J. Trübner, 1882, S. 353-355.
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