27. Wie sich der Mond vor einem Stern verneigte. (24)

[457] Ein Bauerwirt hatte einen Sohn, den liess er in der Stadt die Schule besuchen, und als der Junge genug gelernt hatte, kam er wieder heim. Da hatte nun eines Nachts der Vater einen merkwürdigen Traum: er träumte, der Mond hätte sich vor den Sternen verneigt. Am Morgen, wie er aufwachte, ging ihm der Traum im Kopf herum, und er dachte, den Traum will ich doch nachher meinem Jungen erzählen, der hat was gelernt und wird mir sagen können, was der Traum zu bedeuten hat. Wie nun der Junge auf war und zum Vater in die Stube kam, erzählte der ihm den Traum. Drauf stellte sich der Junge an die Thür und sagte ›Das bedeutet, lieber Vater, dass du dich dereinst noch vor mir verneigen wirst.‹ Da wurde der Alte so zornig, dass er eine Axt ergriff und sie nach seinem Sohn warf. Aber der Junge war schon zur Thür hinaus, und die Axt fuhr in die Wand. Der Junge lief nach dem Viehverschlag und blieb den ganzen Tag und die ganze Nacht drin. Am andern Morgen kam seine Mutter in den Verschlag, die Kühe zu melken, sie weinte und sagte ›Nur den einen Sohn hab ich gehabt, und den hat er fortgetrieben!‹ ›Ich bin da, Mutterchen, weine nicht!‹ liess sich jetzt der Junge hören. Aber die Mutter sprach ›Lauf davon, mein Kind! lauf davon! Hier darfst[457] du nicht bleiben, sonst bringt er dich um!‹ Und sie gab ihm eine Kuh; ›die nimm dir mit!‹ sagte sie.

Der Junge machte sich nun mit der Kuh auf, kam durch einen Wald, und wie er den hinter sich hatte, da begegnete ihm ein altes Männchen mit zwei Hunden, das sagte ›Wir wollen doch tauschen, mein Junge! gib mir das Kühchen und ich gebe dir meine beiden Bracken dafür, die bringen dir jeden um, den du willst.‹ Es war ihm recht, sie tauschten, und er machte sich mit seinen Hunden weiter. Ueber ein Stück Wegs kam er wieder in ein Gehölz und fand da ein Räuberhaus. In dem Räuberhaus war ein altes Weib, das war die Räubermutter, sonst fand er niemanden darin. Am Fenster aber sah er einen Becher stehn, der war von Gold, und in dem Becher war so eine Salbe. Und er fragte die Alte ›Wozu braucht man die Salbe?‹ ›Wenn man‹, antwortete sie, ›von der Salbe an die Wand schmiert und man stösst jemanden dagegen, so bleibt er kleben und kommt nimmer los.‹ Da nahm er von der Salbe, bestrich die Wand damit und schmiss die Alte an die Wand, und da hing sie. Darauf machte er, dass er weiter kam, und nahm den Becher mit der Salbe mit. Ueber eine Weile kam er an ein Meer. Am Ufer aber lag ein grosser Felsblock, der war fest in die Erde gewachsen, und er dachte, wer weiss, wozu es gut ist? und schmierte von seiner Salbe daran. Dann machte er sich nicht weit davon ein Feuer an und setzte sich daneben. Wie er nun so dasass, hörte er auf dem Meer eine Stimme sprechen: ›Wenn du mir zu eigen versprichst, was du zu Haus nicht zurückgelassen hast, so will ich dich von hier glücklich heimbringen.‹ Und er hörte dann auch, wie der andre es ihm versprach; und sofort erhob sich ein gewaltiger Windbraus. Nach einer Weile aber sah er, wie da was übers Meer auf ihn zugeflogen kam. Es war ein Teufel. Der Teufel hatte einem König aus der Not geholfen und ihn mit Sturmesbrausen heimgetragen, und er kam jetzt von dort wieder zurück. Und den Teufel plagte die Neugierde, wer da wol bei dem Felsblock an dem Feuer sässe. Ganz sachte schlich er sich heran, um zu sehn, und da fasst' er an den Fels und blieb hängen. ›Mach mich von dem Stein los!‹ rief er dem Jungen zu. Der aber sagte ›Wenn du mir die Verschreibung herausgibst, die du vorhin auf dem Meer bekommen hast, so will ich dir helfen, dass du deiner Wege weiterkommst. Aber den Stein[458] musst du schon mitnehmen, von dem kann ich dich nicht losmachen.‹ Da gab ihm der Teufel die Verschreibung, und der Junge befahl seinen beiden Hunden, sie sollten den Stein ausheben helfen. Nachdem sie den Stein aus der Erde losgerüttelt hatten, flog der Teufel mit dem Block nach der Hölle; der Block war aber so gross, dass der Teufel durch die Höllenthür nicht durchkonnte, da musst' er drausen vor der Thür bleiben, und alle Teufel wussten, wo der Fels her war. Der Bauerwirtssohn aber ging jetzt mit der Verschreibung zu dem König und gab sie ihm zurück, und der König freute sich sehr, denn als er von dem Teufel heimgebracht worden war, war ihm unter der Zeit, wo er fort war, ein Sohn geboren worden, den hatte er dem Teufel verschrieben. Und er machte den Bauerwirtssohn zum Herzog.

Ueber ein paar Jahre fand es der junge Herzog einmal nötig, in seinem ganzen Herzogtum herumzureisen, um zu sehn, ob alles in Ordnung wäre, und da traf sichs, dass er auch nach seines Vaters Gehöft kam. Der Alte war vor der Thür und sah, dass da der Herzog angefahren kam, und er und alle seine Leute verbeugten sich vor ihm. Da sagte der Herzog zu ihm ›Siehst du, Vater! damals hast du mich umbringen wollen, weil ich dir den Traum ausgelegt habe, und jetzt erkennst du mich nicht wieder und verneigst dich vor mir!‹ Und später traf er auch das alte Männchen, von dem er die zwei Hunde hatte, und das Männchen sagte ›Dir gehts jetzt gut: so gib mir jetzt meine Hunde wieder und nimm deine Kuh zurück!‹ Da gaben sie jeder dem andern sein Eigentum zurück. Und da war alles gut, und der Herzog lebte herrlich und in Freuden.

Quelle:
Leskien, August/Brugman, K.: Litauische Volkslieder und Märchen. Straßburg: Karl J. Trübner, 1882, S. 457-459.
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