Vom Häusler, der ein Doktor ward.

[115] Es war einmal ein Häusler, der hatte eine Frau und ein ansehnliches Häufchen Kinder. Er war sehr arm, wenn er auch noch so sehr arbeitete und sich plagte. Als er nun nicht wuste, was er thun und wie er sich ernähren sollte, da kam er auf den Gedanken in den Wald zu fahren und Holz zu stehlen. Eines Tages spannte er sein Gäulchen an und fuhr in den Wald, hieb seinen kleinen Schlitten so voll Holz, daß sein Gaul es kaum ziehen konnte, und fuhr in die Stadt zum Verkaufe. Als er in die Stadt hinein fuhr, sah er an einem Hause über der Thür eine Tafel hangen, auf welcher das Schild des Kaufmanns gemalt war; vor dem Hause hielt er und sah immer auf das Schild hin. Der Kaufmann, der ihn da stehen sah, kam heraus und fragte ihn ›Bauer, was stehst du da, was willst du?‹ Der Häusler antwortete »Ich habe Holz zu verkaufen.« Der Kaufmann fragte ›Wie viel willst du dafür?‹ Jener sagte »Ich will die Tafel da.« Der Kaufmann machte sich im Stillen lustig über den dummen Menschen und den von ihm verlangten Preis und ließ sogleich die Tafel abnehmen und gab sie dem Bauer für sein Holz. Der fuhr die Tafel wie eine hochwichtige Sache nach Hause. Die Frau mit den Kindern hatte sich aber inzwischen darauf gefreut, daß[115] der Vater, wenn er aus der Stadt komme, doch etwas für den Lebensunterhalt mitbringen werde, und sobald er nur auf das Höfchen angefahren kam, sprangen gleich alle aus der Stube, um alles was er mitgebracht, vom Schlitten zu nehmen und in die Stube zu tragen. Als sie mit solcher großen Freude an den Schlitten gelaufen kamen, sagte der Vater ›Na, Mutter, jetzt bringe ich etwas gutes mit, das ich gekauft habe: da, schau nur, die Tafel.‹ Als die Frau das Ding erblickte fieng sie an zu schreien und sagte ›Bist du denn ohne allen Verstand? Wir haben keinen Bißen Brot zu Hause und du fährst da ein beschriebenes Stück Holz heim! Du hättest doch für das Geld, das du fürs Holz bekommen, ein paar Metzen Korn oder ein Pfündchen Fett mitbringen sollen.‹ Der Mann sagte ›Still, Mutter, auch das ist gut, ich werde alles noch mitbringen.‹

Am andern Morgen fuhr er wieder in den Wald, und als er den Schlitten voll gehauen, in die Stadt. Als er durch eine Straße fuhr, sah er durch ein Fenster einen Herrn, wie er in seiner Stube hin und her gieng und noch seinen schon ganz alten Morgenrock an hatte und aus einer gewönlichen Pfeife rauchte. Der Rock und die Pfeife des Herrn gefielen ihm; deswegen hielt er vor dem Fenster und blickte stets durch dasselbe den Herrn an. Der Herr aber war ein Doktor. Als der Herr ihn so lange stehen und durchs Fenster in die Stube blicken sah, gieng er heraus und fragte ›Bauer, was willst du da?‹ Er sagte »Ich habe Holz zu verkaufen.« Der Herr fragte ›Wie viel willst du?‹ Der Bauer antwortete »Herr, ich will da deinen Kittel und die Pfeife.« Der Doktor zog seinen alten und abgetragenen Schlafrock sogleich aus und gab ihn samt der Pfeife dem Bauern für sein Holz. Als der Häusler diese Dinge bekommen hatte, fuhr er froh heim. Der Frau und den Kindern war aber vor lauter Warten die Zeit schon sehr lang geworden, und sie dachten, heute wird der Vater ganz gewis etwas mitbringen. Und als er angefahren kam, da liefen sie ihm alle entgegen; der Vater aber rief ihnen von ferne zu ›Na, Mutter, aber heute bin ich freilich glücklich; schau, was für eine feine Pfeife, und sieh! was für ein Kittel vom Herrn Doktor; das alles habe ich heute für das Holz glücklich erworben.‹ Als die Frau diese Possen und gänzlich wertlosen Dinge erblickte, fieng sie wieder an zu schreien, als werde sie mit Ruten gehauen, und sagte ›Du Narr, du Dummkopf, du bist doch dümmer als ein Hirtenjunge; wir sterben fast vor Hunger und nun bringst[116] du eine elende Pfeife und einen alten verstänkerten elenden Rock; der Lumpen ist ja nur für den Lumpensammler gut.‹ Der Mann beruhigte sie und sagte »Still, Mutter, es wird alles gut werden, jammere nur nicht.«

Der Häusler ließ nun auf jene Tafel schreiben »Der Doktor, der alles weiß und alles kann!« und schlug sie über seiner Hausthür an; und nun zog er alle Tage den Schlafrock des Doktors an, rauchte aus seiner Pfeife und gieng in der Stube hin und her. Nicht lange darauf fuhr ein Herr von einem nicht all zu weit entfernten Hofe vor dem Häuschen vorbei; dem Herrn aber hatte man in der verfloßenen Nacht einen sehr theuern Hengst gestohlen. Als der Herr jene Aufschrift erblickte, ließ er den Kutscher halten und den Doktor heraus rufen. Der gute Mann aber gieng in des Doktors Kittel barfuß im Zimmer herum. Der Kutscher öffnete die Thür und bat sehr ehrerbietig, der Herr Doktor möge doch so gut sein und heraus kommen. Er gieng nun auch schnell hinaus, und der Herr begrüßte ihn ebenfalls höflich und sagte ›Herr Doktor, man hat mir verfloßene Nacht einen sehr theuern Hengst gestohlen; wüstest du wol, wo man ihn wieder finden könnte? Ich habe ja hier auf der Tafel gelesen, daß du ein Doktor bist, der alles weiß.‹ Der Häusler, der auch nicht das mindeste wuste, sagte »Den Hengst können wir finden.« Da bat ihn der Herr, er möge mit ihm fahren; jener aber sagte »Ich habe keine Stiefel.« Der Herr befahl sogleich seinem Kutscher, sich auf ein Pferd zu setzen, nach Hause zu reiten und ein paar Stiefel zu holen; und es dauerte nicht lange, so waren die Stiefel da. Da zog der Häusler die Stiefel an, setzte sich zu dem Herrn in die Kutsche und fuhr mit.

Als sie ein Ende weit gefahren waren, fragte der Herr ›Wie, Herr Doktor, ists noch weit?‹ Der sagte »Noch weit.« Dann fuhren sie in einen großen Wald, und in dem Walde stund ein schöner Hof, den sich Räuber gebaut hatten. Als sie nicht mehr weit von dem Hofe waren, fragte der Herr abermals ›Wie, Herr Doktor, ists etwa hier?‹ Er sagte »Ja, ja, hier ist es.« Sobald sie nur auf den Hof fuhren, fieng der Hengst im Stalle zu wiehern an, und der Herr merkte sogleich, daß es sein Hengst sei. Sie giengen nun hinein und fanden nur einen ältlichen Mann zu Hause; den schalten sie heftig aus und er muste ihnen sogleich den Hengst heraus geben. Der Herr aber kehrte hoch erfreut nach Hause zurück und beschenkte den Doktor[117] reichlich mit allerlei Sachen; auch ließ er auf seine Kosten in die Zeitungen setzen, daß da und da ein Doktor wohne, der allwißend sei. Nun freute sich auch seine Frau, die ihm bisher stets Vorwürfe über sein tolles Benehmen gemacht hatte, über ein solches Glück.

Nicht lange, etwa ein paar Wochen nachher, kam ein Bote aus einem andern Königreiche vom Könige mit einem Briefe, in welchem er gebeten ward, er möge so gut sein und so schnell als möglich per Post zu ihm kommen, denn seine (des Königs) einzige Tochter sei auf den Tod krank, vielleicht könne er sie heilen. Der Häusler, obgleich er auch dieses Mal nicht das geringste wuste, machte sich schnell fertig und reiste ab. Als er in die Stadt kam, wo jener König wohnte, gieng er in die Apotheke, kaufte sich allerlei Arznei und ähnlichen Kram, packte sich das alles in ein Kästchen und verfügte sich dann zum Könige. Ach, war da eine Freude, daß der Wunderdoktor gekommen war, als wenn der Herrgott selber gekommen wäre. Der König führte ihn sogleich zu seiner kranken Tochter, und als sie der Doktor besehen hatte, fragte ihn der König, ob er sie zu heilen gedenke. Der Doktor sagte ›Ich denke, in dreien Tagen wird sie gesund sein; ich bitte mir nur ein Zimmer aus, welches während dieser drei Tage niemand betreten darf; in das bringe man die Kranke und ich werde allein bei ihr bleiben.‹ Als das geschehen war, brachte er sein Kästchen und begann der Kranken allerlei Öle und Kräuter einzugeben, ohne zu wißen, ob es gut oder böse sei, ob es helfen könne oder nicht. Mit dem Doktorieren verfloßen zwei Tage, aber die Prinzessin blieb immer im früheren Zustande. Am dritten Tage gab er ihr wieder am Morgen von allem ein, und als auch das nichts helfen wollte, nahm er sie mit Gewalt aus dem Bette und setzte sie auf einen Seßel ans Fenster, durch welches man in einen schönen Baumgarten sehen konnte, und dachte ›Vielleicht wird das helfen.‹ Als aber alles nicht helfen wollte, da überkam den Doktor keine kleine Furcht; denn er hatte versprochen, daß die Prinzessin am dritten Tage gesund sein müße. Als er nun nicht wuste, was er anfangen sollte, kam er fast von Sinnen. Plötzlich sprang er auf sie zu und schrie mit übermäßig lauter Stimme ›Daß aber auch nichts helfen will!‹ Die Prinzessin erschrak so arg, daß sie zusammen fuhr und ihr ein Schauer über den ganzen Leib lief, und während dem auf einmal giengs puff! im Halse, und sofort floß Eiter und Blut aus dem Munde. Jetzt sah der Doktor, daß sie ein Geschwür im Halse habe,[118] sprang zu ihr hin und drückte ihren Hals: da floß noch mehr Unreinigkeit aus, und nach ein paar Stunden war ihr schon so wol geworden, daß sie etwas zu eßen verlangte. Jetzt freute sich der Doktor, gieng schnell hinaus und befahl, man solle der Kranken zu eßen bringen. Als der König und die Königin das vernahmen, kamen sie beide schnell herbei, um nach zu sehen, und sieh da! ihre Tochter war schon fast ganz gesund. Da ward dem Doktor überschwängliche Ehre angethan, aber das war nicht genug: der König beschenkte ihn reichlich mit allerlei kostbaren Sachen, gab ihm auch viel Geld und ließ ihn in einer feinen Kutsche nach Hause fahren.

Die Geschichte ward bald bis in ferne Lande hin ruchbar, und nach einigen Monaten bekam dieser allmächtige Doktor wieder einen Brief aus einem andern Königreiche von einem Könige, er solle schnell zu ihm hin reisen; denn man hatte ihm viel Geld gestohlen. Der Doktor war inzwischen schon reich geworden und fuhr nun mit seinem eigenen Gespanne. Unterweges aber kaufte er sich allerlei buntes Papier und heftete das immer zusammen, so daß zuletzt ein dickes Buch daraus wurde. Als er zu jenem Könige kam, war ebenfalls große Freude. Der König theilte ihm sein Unglück mit, daß ihm so und so viel Geld abhanden gekommen sei, und fragte ihn, ob er wol wiße, wo das Geld sei. Der Doktor antwortete ›Das ist eine Kleinigkeit; innerhalb dreier Tage werde ich das Geld auffinden.‹ Und er erbat sich ein Zimmer, wo er allein sein könne. Der König überließ ihm sehr gerne eine sehr große und schöne Stube. Als der Doktor da allein war, nahm er sein buntes Buch vor, blätterte darin hin und her und murmelte in einem fort wie ein Jude beim Beten, und das that er Tag und Nacht. Das Geld aber hatten drei Bedienten des Königs gestohlen. Als sie hörten, daß ein solcher Wunderdoktor gekommen sei, der alles wiße, ward es ihnen unheimlich zu Mute, indem sie dachten, er könne sie ausfindig machen. So kam denn die dritte Nacht und dem Doktor war es sehr übel zu Mute, weil die Zeit schon ablief und noch kein Geld da war. Er hatte beschloßen, die ganze Nacht wach zu bleiben, ob sich vielleicht das Geld finden werde. Jene drei Diebe aber hatten sich in ihrer Unruhe verabredet, einer um den andern unter des Doktors Fenster zu gehen und zu horchen, ob sie etwas vernehmen könnten. Als der erste unter dem Fenster stund und horchte und lange Zeit hindurch nichts vernahm, als das Gebrummel des Doktors, schlug die Uhr, stimmt! ein Uhr[119] nach Mitternacht. Der Doktor that, patsch! einen Schlag mit der Hand auf den Tisch und sagte ›Eins1 haben wir schon!‹ Der unter dem Fenster stehende meinte, das gehe auf ihn, lief zu jenen beiden hin und erzählte, der Doktor wiße ihren ganzen Diebstahl. Jene wollten es nicht glauben und der zweite stellte sich unter das Fenster. Während er da stund, schlug die Uhr wieder, stimmt, stimmt! zwei. Der Doktor schlug, patsch, patsch! mit der Hand auf den Tisch und sagte ›Jetzt haben wir schon zwei.‹ Der dachte nun auch, das gehe auf ihn, lief zu den andern und sagte »Ja, wahrhaftig, der Mann weiß alles.« Der dritte wollte das noch nicht glauben und gieng also auch unter dem Fenster lauern. Während er da stund, schlug die Uhr, stimmt, stimmt, stimmt! drei. Der Doktor schlug wieder, patsch, patsch, patsch! dreimal auf den Tisch und sagte ›Gott sei Dank! nun haben wir schon drei; jetzt ist es Zeit zu Bette zu gehn.‹ Als der unter dem Fenster das vernahm, eilte er nach Hause und sagte zu jenen beiden »Jetzt glaube ich wirklich, daß er weiß, daß wir das Geld haben; na, was werden wir jetzt thun?« Schnell verabredeten sie sich, zu ihm hin zu gehen und ihm alles Geld zu bringen und ihn sehr zu bitten, er möge sie nicht verraten. Als sie zum Doktor kamen, lag er schon im Bette; da klopften sie an die Thüre und er ließ sie ein. Jetzt bekannten sie ihm, daß sie dem Könige das Geld gestohlen hätten, knieten sämmtlich vor ihm nieder und baten ihn, er möge sie nicht verraten, sie würden sogleich alles Geld bringen. Der Doktor versprach ihnen das und befahl, eilig das Geld zu bringen. Da trugen sie nun mit aller Anstrengung das Geld in des Doktors Stube bis alles da war, und zuletzt brachten sie auch noch den Geldschrank.

Früh, als der Doktor noch schlief, kam einer von den Dienern des Königs leise in des Doktors Stube und sah den Geldschrank stehen. Schnell kehrte er um und hinterbrachte es dem König. Der König war hoch erfreut darüber und befahl, daß niemand mehr zum Doktor in die Stube gehen solle, um ihn nicht zu wecken. Als nun der Doktor völlig ausgeschlafen hatte, stund er auf und ersuchte den König mit zu kommen. Der König fand den Geldschrank und das sämmtliche gestohlene Geld. Nun wollte aber der König wißen, wer das Geld gehabt habe und wie es zugegangen sei, daß sich das Geld[120] wieder gefunden habe. Der Doktor sagte ›König und Herr, das kann ich dir nicht sagen; laß dir daran genügen, daß das Geld wieder da ist.‹ Da fragte der König auch nicht weiter nach, obgleich er die Diebe gerne gestraft hätte. Für diese große Wolthat aber bezahlte er den Doktor tüchtig mit Gelde und schenkte ihm ein schönes Gehöfte. Da muste er denn sein Häuschen verkaufen und auf dem Hofe wohnen. Dort lebte er viele Jahre lang glücklich und ward sehr alt und blieb bis an sein Ende der Doktor, der alles weiß und alles kann.

1

Im Litauischen trifft auch das Geschlecht; es heißt dort: ›einen‹.

Quelle:
Schleicher, August: Litauische Märchen, Sprichworte, Rätsel und Lieder. Weimar: Böhlau, 1857, S. 121.
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