[93] 65. Lyderik de Buck.

[93] N.D. en F.R. Chronyke van Vlaenderen. Brügge o.J. Fol. I, S. 4.

M. van Vaernewyck, Historie van Belgis of Spiegel der nederlandsche rudheyt. Gendt 1574. 4. Fol. 96 verso.

Französische Reimchronik. Ms. bibl. tornac. im Auszuge in de Reiffenbergs Ausgabe der Chronik von Ph. Mouskes. I, S. 44.

Die excellente Cronike van Vlaenderen – die alderexcellenste Cronike van Vlaenderen – Oudegherst und die meisten andern.

Idonea en Liederyk de Buk, eersten Forestier van Vlaenderen blyende treur-spel door J. Dromers. Brugghe. (1696.)

Liederyk de Buk, eerste Forestier van Vlaenderen, in 8 zangen, door Petr. Alb. Priem. Brugge 1826.

Liederik de Buk. In zwei Gesängen von Ph. Blommaert. S. Nederd. Letteroefeningen. Gent 1834. S. 169. m. einem Kupfer.


Als um das Jahr 583 Chilperik einen blutigen Krieg führte gegen Gontran, König von Burgund, seinen Oheim, da verließen viele edeln Fürsten, welche einem also unnatürlichen Kampfe zwischen zwei so nahen Verwandten nicht zuschauen konnten, ihr Vaterland und zogen mit ihren Familien und ihren Gütern in fremde, unbekannte Länder. Unter diesen Fürsten befand sich auch ein edler Herr von der Burg zu Dijon in Hochburgund, dessen Name Saluwart war, und der führte mit sich seine liebe Frau Ermegarde von Roussillon, welche zu der Zeit eben schwanger ging. Ihre Meinung und ihr Vornehmen war, nach Brittanien zu reisen, damit dort Frau Ermegarde in Ruhe ihrer Frucht genesen könne.

Um diese Zeit aber hauste an der niederländischen Seeküste ein gewaltiger Riese, Finard mit Namen, der Sohn Phiniberts, des Sohnes von Flanbert. Dieser fiel den Prinzen Saluwart in dem Walde von Buck verrätherisch an und zwang ihn zum Kampfe, und ermordete ihn in demselben. Als Ermegarde dieses sah, flüchtete sie mit einem Knechte und einer Magd auf unbekannten Wegen, um ein Plätzlein zu suchen, wo sie gebären[94] könnte. Da führte sie Gott in die Mitte des Waldes, wo ein frommer Einsiedel wohnte, und der hieß Lyderik. Kaum hatte Ermegarde die Klause betreten, da fühlte sie schwere Wehen, und bald darauf genaß sie eines Söhnleins, welches der Eremit Lyderik sogleich taufte und nach seinem Namen benannte.

Nachdem Ermegarde die Tage ihrer Reinigung vollbracht hatte, da wandelte sie öfters in dem Walde, um ihrer Trübheit Meister zu werden. Da wurde sie einmal erblickt von dem Riesen Finard, und dieser er griff sie mit ihrer Dienstmagd und führte sie mit sich auf sein Schloß, welches Lijle le Buck hieß, und da mußte sie dem Riesen dienen für ehrlichen Unterhalt. Ihr Söhnlein wurde inzwischen mit väterlicher Sorgfalt von Lyderik, dem Einsiedel, aufgezogen, bis er ein Alter von sieben Jahren erreicht hatte. Da geschah es nämlich, daß einige Dienstmannen des Königs von England von Dornik her nach ihrem Vaterlande zogen, und das Kind auf ihrer Reise findend, es mit Zustimmung des Einsiedlers mit sich führten an ihres Königs Hof, wo es in Kraft und Schönheit aufblühete. In allen ritterlichen Handthierungen wurde der junge Lyderik gar bald sehr erfahren und übertraf darin alle Prinzen am Hofe. Dadurch erwarb er sich des Königs Liebe in hohem Grade, aber noch mehr die Liebe der Königstochter Graciana, welche mit so viel Innigkeit an ihm hing, daß sie von ihm schwanger wurde.

Zu dieser Zeit war Lyderik sechs und dreißig Jahre alt und hatte schon drei und zwanzig Jahre am Hofe des Königs gedient. Als die schöne Graciana ihm aber kündete, daß sie eine Frucht von ihm unter ihrem Herzen trüge, da ergriff ihn große Furcht vor der Rache des Königs und er schaffte Rath mit Graciana und bewog sie, heimlich mit ihm aus England zu flüchten, welches sie auch zugestand. So kam er nun in sein Vaterland[95] zurück und suchte zu allererst den Einsiedel auf, der sehr erfreut war, ihn wieder zu sehen, und ihm erzählte, wie der Riese Finard seinen Vater erschlagen habe und seine Mutter gefangen halte.

Darob entbrannte Lyderik in großer Gramschaft und Rachesucht, so daß er schwur, den Mörder zu tödten und seine liebe Mutter zu erretten und aus der Sklaverei zu befreien. Zu dem Ende begab er sich zu Clotar, dem Könige von Frankreich, und dieser gab ihm, umgeben von den Edeln des Reiches, Gehör, und Lyderik erzählte ihm alles, wie der Eremit es ihm verkündet hatte. Der König verwunderte sich höchlich über die Beredtheit, mit welcher Lyderik ihm das alles vortrug, und über den großen Muth, mit welchem der junge Prinz sich erbot, gegen den gewaltigen Riesen zu fechten und sich demselben zu stellen, damit also die Wahrheit und Gerechtigkeit der Klage offenbar würde; auch bedankte er sich über die großen Lobsprüche, welche Lyderik seinem Eifer für alles Rechte gemacht hatte. Doch rieth er ihm von dem Kampfe ab, indem Finard der muthigste und stärkste Mann der Erde wäre, und sprach dann, daß Lyderik den Kampf verschieben solle für eine andere Zeit, wo er stärker und kräftiger geworden wäre. Darauf aber antwortete der Prinz Lyderik, die Gerechtigkeit seiner Sache sei so groß, daß er nicht zweifle, sie werde seine schwachen Kräfte unterstützen, und besonders gegen einen so böswilligen Mörder, dessen Tapferkeit wohl nur deßhalb so berühmt sei, weil unmenschliche Grausamkeit sie begleite.

Als der König sah, daß er bei dem muthigen Prinzen nichts mit Ueberredung ausrichten könne, da fand er es gerathen, einen Gesandten zu Finard zu schicken, um diesen von der Klage Lyderiks in Kenntniß zu setzen und also kein ungerechtes Urtheil sprechen zu können.[96]

Wie der Gesandte zu dem Riesen kam und ihm gebot, aufs schleunigste sich gegen die Anschuldigungen zu vertheidigen, da wußte der Finard gar wohl seine Gewissensunruhe zu bergen und antwortete, er habe nie Räuberei und Mord getrieben; was Saluwarts Tod betreffe, so sei dieser in ehrlichem Kampfe erfolgt; übrigens sei er stets bereit, sich gegen den sogenannten Sohn der Prinzessin Ermegarde zu vertheidigen.

Sicherlich hätte der Gesandte nach einer solchen Antwort dem Riesen alles Vertrauen geschenkt, wäre ihm nicht zufällig Gelegenheit geworden, Ermegarde zu sprechen. Diese setzte ihn über alles in genaue Kenntniß und offenbarte ihm Finards ganze Falschheit. Auch war in der ganzen Burg alsbald ein gar sonderliches Gemurmel und Gezische unter den Dienstleuten zu schauen.

Als König Clotar die Wahrheit also verstanden hatte, gestand er Lyderik den Kampf zu, und Dagobert, des Königs Sohn, reiste sogleich mit dem ganzen Hofe nach der Burg von Buck, wo Finard wohnte. Dieser gedachte, den königlichen Prinzen herrlich zu empfangen und also auf seine Seite zu bringen, aber er bekam zur Stunde den Befehl, sich auf den folgenden Tag zum Kampfe zu bereiten. Darauf antwortete Finard, er hoffe, das Ende dieses Kampfes werde besser sein wie der Anfang, und brachte dazu viel leichte Entschuldigungen her über sein Betragen, so daß es mühesam war, aus seinem Aeußern seine innere Bosheit zu erkennen.

Am folgenden Tage kam Lyderik mit einer großen Anzahl von Edelleuten bis zu der Brücke, welche die Endbrücke (le pont de fin) heißt, wo das Gefecht statt haben sollte. Finard zeigte sich gleichfalls bald nachher und erschien so, als habe er gar keine Furcht. Endlich erschien auch Dagobert, des Königs Sohn, und da schwiegen alle, welche bis dahin dem einen oder andern der[97] Kämpen zum Vortheil gesprochen hatten, und der Riese begann auf Lyderik anzustürmen, als kaum der erste Schall der Trompete erschollen war. Bei diesem Gegeneinanderrennen brachen beider Lanzen, und beide waren genöthigt, sie wegzuwerfen und sich mit den Schwertern zu grüßen. Es war sehr schwer, zu urtheilen, wer den Sieg behalten würde, so harte Schläge führte Finard und so wohl wußte Lyderik denselben auszuweichen; doch wurden alle bald einig, daß der Riese nicht nur seines Gleichen, sondern sogar seinen Meister gefunden hätte. Schon waren beide ermüdet durch das lange Streiten, als Lyderik sich noch einmal des grausamen Mordes seines Vaters und der unrechtfertigen Gefangenschaft seiner Mutter erinnerte und mit solcher Gewalt auf seinen Gegner eindrang, als ob er eben erst zu kämpfen begonnen hätte. Dadurch betroffen, wollte Finard rückwärts springen, fiel zur Erde und wurde also von Lyderik überwunden und getödtet.

Da war nun große Freude und Prinz Dagobert beglückwünschte den Sieger mit unaussprechlicher Freude und geleitete ihn selber nach der Burg von Buck. Aber Lyderik wollte nicht eher an seinen Wunden verbunden sein, als bis er seine Mutter Ermegarde wiedergesehen hätte, und als ihm diese Freude wurde, da stand er stumm und ohne Worte, bis Ermegarde die Erzählung von ihren Leiden und Trübsalen beendigt hatte. Da erst kam er wieder zu sich und tröstete sie mit vielen milden Worten. Dann aber befahlen ihm die Heilmeister, daß er sich zur Ruhe begeben solle, damit man an die Heilung seiner Wunden denken könne.

Weil aber jeder leicht einsehen konnte, daß Lyderik so bald nicht genesen würde, begab sich der Prinz Dagobert mit dem ganzen Hofe am andern Morgen zu ihm und übertrug ihm im Namen des Königs Clotar alle[98] Herrlichkeiten, Besitzungen und Würden, welche ehedem Finards Eigenthum gewesen waren, und zwar nicht nur ihm, sondern auch all seinen Nachkommen, und nannte ihn, zu größerer Belohnung der bewiesenen Tapferkeit, den ersten Förster oder Oberherrn des Waldes von Flandern. Darauf bat er ihn, gleich nach seiner Herstellung den König zu besuchen, und zog mit dem ganzen Hofe wieder nach Hause zurück.

Als Lyderik aber wieder gesundet war, da trug er redlich Sorge für gute Gesetze und Sitten unter dem Volke in Flandern. Auch machte er dem heidnischen Wesen in dem Lande ein Ende und baute als ein christlicher Vater, der für das Seelenheil der Seinen Sorge tragen muß, viele Kirchen und Kapellen, unter welchen die besonderste war die von Brughstock, die er der Mutter Gottes weihte, und die stand auf der Stelle, wo nun die weitberühmte Stadt Brügge steht und später die Kirche des heiligen Donatius gebaut wurde.

Quelle:
Wolf, Johann Wilhelm: Niederländische Sagen. Leipzig: Brockhaus, 1843, S. 93-99.
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