[357] Die Prinzessin, die aus dem Meere heraufkam.

[357] Die Sage von der Prinzessin, die aus dem Meere heraufkam, ist eines der in Schweden am meisten bekannten Volksmärchen, und wird auf verschiedene Art erzählt.

1. Der Goldring und die Kröte, die Goldkette und die Schlange. – Aus Upland.

Es war einmal ein Mann, der verirrte sich im Walde. Als er lange umhergewandert war, ohne irgend einen Weg zu finden, wurde er sehr betrübt, und setzte sich auf einen Stein nieder. Da kam ein altes häßliches Weib daher, und fragte, worüber er so traurig sei. Der Mann antwortete, daß er sich verirrt habe, und nicht heim finden könne. Das Weib entgegnete: »Wenn du mir versprechen willst, mich zum Weibe zu nehmen, so werde ich dir den Weg zeigen, sonst kommst du nicht lebendig aus diesem Walde.« In der Noth versprach der Mann, ihren Wunsch zu erfüllen; und nun folgte das Weib ihm zur Wohnung und ward seine Frau; aber sie war eine Hexe, und gewährte ihm nicht viele frohe Tage.

Der Mann war früher verheirathet gewesen, und hatte mit seinem früheren Weibe eine Tochter, die gut und schön war. Das Weib hatte gleichfalls eine Tochter; aber diese gerieth ihrer Mutter nach, und war von häßlichem Aussehen und Gemüth. Die Hexe und ihre Tochter haßten sehr die arme Stieftochter, so daß sie immer wie ein Stiefkind gehalten wurde und Unrecht erlitt.[358]

Es ereignete sich einmal, daß die böse Hexe in's Bad gehen wollte und ihre Stieftochter schickte, um zu sehen, ob Alles in der Badstube in Bereitschaft sei. Als nun das Mädchen hinkam, begegnete sie drei Mädchen, die baten sie so schön, daß sie sie baden möchte. Die Stieftochter antwortete: »Ich will es gerne thun, allein beeilt euch, damit ich von meiner Stiefmutter nicht ausgescholten werde.« Sie badete nun die kleinen Jungfrauen, und ging hinweg. Als aber das Mädchen hinweggegangen war, überlegten die drei Kleinen mit einander, wie sie dem freundlichen Mädchen ihre Dienstfertigkeit lohnen sollten. Die Eine sagte: »Ich wünsche, daß sie dreimal schöner werde, als sie schon ist.« Die Andere sagte: »Ich wünsche, daß jedesmal ein goldener Ring auf ihrem Finger hervorkomme, wenn sie nieset.« »Und ich« fügte die Dritte hinzu »wünsche, daß jedesmal, wenn sie nieset, eine goldene Kette sich dreimal um ihren Hals schließe.« So sprechend zogen die Jungfrauen ihres Weges. Die Stieftochter folgte nun ihrer Mutter zur Badstube, und half ihr beim Baden. Als dies geschah, nies'te das Mädchen, und in demselben Augenblicke fiel ein Goldring auf den Boden nieder, so daß es dabei klang. »Was war dies?« fragte das Weib, und hob eilig den Ring auf, »den hast du gewiß von mir genommen.« Das Mädchen sagte nichts, und die Stiefmutter behielt den Schmuck. Als sie in die Stube zurückkamen, nies'te das Mädchen wieder, und in demselben Augenblicke schloß sich eine rothe goldene Kette dreimal um ihren Hals. »Was war dies?« fragte das Weib wieder, »die hast du gewiß von mir genommen?« Die Stiefmutter riß nun[359] schnell die schöne Kette an sich, und behielt sie; die Stieftochter aber konnte wol merken, daß der Schmuck eine Gabe der drei kleinen Jungfrauen war.

Das Weib hielt nun Rath, wie ihre eigene Tochter ebenso schön werden könne, wie die Stieftochter war. Zu dem Ende ließ sie wieder ein Bad zubereiten; und schickte ihre Tochter, um nachzusehen, ob Alles in der Badstube bereitet sei. Als nun die Tochter des Weibes hinkam, begegneten ihr drei kleine Jungfrauen, und baten sie sehr schön, daß sie sie baden solle. Das böse Mädchen aber schalt die Jungfrauen, und wies sie mit harten Worten fort. Da überlegten die drei Kleinen mit einander, wie sie das häßliche Mädchen für ihre Böswilligkeit bestrafen sollten. Die Eine sagte: »Ich wünsche, daß sie dreimal häßlicher werde, als sie schon ist.« Die Andere sagte: »Ich wünsche, daß jedesmal, wenn sie nieset, eine Kröte hervorkomme.« »Und ich,« fügte die Dritte hinzu, »wünsche, daß jedesmal, wenn sie nieset, eine Schlange sich dreimal um ihren Halsschlinge.« So sprechend verschwanden die drei Mädchen, und kein Mensch hat sie seitdem gesehen.

Das Weib und ihre Tochter gingen nun zur Badstube. Als dies geschah, nies'te das Mädchen, und in demselben Augenblicke fiel eine Kröte auf den Boden nieder. »Hu! was war dies?« fragte das Trollweib. Das Mädchen schwieg. Als sie nun wieder in die Stube gekommen waren, nies'te das Mädchen wieder, und in demselben Augenblicke schloß sich eine eiskalte Schlange dreimal um ihren Hals. »Hu! was war dies?« fragte das Weib, und riß erschreckt die Schlange hinweg. Da erzählte das Mädchen[360] Alles, was sich zwischen ihr und den drei kleinen Jungfrauen zugetragen hatte. Aber von dem Tage an haßten das Trollweib und ihre Tochter das Kind des Greises noch mehr, und schickten sie in den Wald, um Vieh zu weiden, auf daß Niemand ihre Schönheit sehen oder von ihr etwas erfahren solle. Das Weitere der Sage stimmt fast ganz mit dem im Buche Angeführten überein, daß die Stieftochter von der bösen Mutter in die See geworfen wurde, diese aber von der Meerfrau die Erlaubniß erhielt, auf die grüne Erde zu gehen und ihren kleinen Sohn zu grüßen. Wobei sie jedesmal an seiner Wiege stand, und sang:


»Gott segne dich, mein kleiner Prinz!

Mein König schläft im Arm der Hexe.

Ich sehe dich noch zweimal,

Und dann nicht mehr«


Beide, die böse Tochter und das Trollweib werden zuletzt in Theer gekocht.

2. Der Kranz. – Aus Süd-Småland.

In dieser wiederholt sich dasselbe, nur daß es die kleinen Tauben waren, die dem armen, von ihrer Mutter übelbehandelten Mädchen Gutes wünschten. Die Eine nämlich sagte: »Ich gebe ihr einen Kranz.« Die Andere sagte: »Ich gebe ihr einen Vogel darein.« »Und ich,« fügte die Dritte hinzu, »mache, daß ihr Niemand den Kranz nehmen kann, ohne daß er verwelkt.« So sprechend verschwanden die kleinen Tauben; als aber das Mädchen heim kam, trug sie auf dem Kopfe einen Kranz von den schönsten Blumen,[361] und unter den Rosen saßen kleine Vögel, die sangen so lieblich, daß Niemand dergleichen gehört hatte.

Der Schluß dieser Sage wieder gleicht dem oben Angeführten.

3. In A. J. Arwidssons Lese- und Lehrbuch für die Jugend, Stockholm 1830, Theil I. S. 19–25, wird eine Aufzeichnung aus Ostgothland mitgetheilt, welche diese Sage mit der bekannten, selbstständigen Erzählung vom »Askungen« verbindet.

4. Eine andere Ueberlieferung aus Ostgothland erzählt, daß die böse Stiefmutter durch einen Zauber einen heftigen Sturm erregte, so daß die Jungfrau im Meere umkam. Die Hexe schickte hierauf ihre eigene Tochter auf einem anderen Fahrzeuge hin, und diese wurde die Braut des Prinzen. Die rechte Königin aber kam in drei verschiedenen Gestalten aus dem Wasser herauf, und seufzte:

»Hu! Hu! es ist so kalt im tiefen Meer.« Die dritte Nacht war der Königssohn zugegen, und sprach mit ihr. Der Königssohn hielt sie zurück, als sie fortgehen wollte, ungeachtet sie sich sehr oft verwandelte. Da wurde der Zauber gelöst, worauf die Stiefmutter und ihre Tochter bestraft und im siedenden Blei gekocht wurden.

5. Eine merkwürdige, obschon unvollständige Ueberlieferung aus Westmanland erzählt, daß der König den Jüngling in einen Schlangenhof setzen ließ. Seine Schwester aber, die aus der See entstiegene Jungfrau, ging drei Donnerstagsnächte aus dem Meere hervor, und kam zum Königshof. Hier verweilte sie im Zimmer vor[362] dem Schlafgemach des Königs, öffnete ihren Goldschrein, kämmte ihr langes, schönes Haar, und sang:


»Ich kämme mein Haar,

Und weine manche Thräne,

Mein Bruder liegt im Schlangenhofe.«


Die dritte Nacht wachte der König selbst, und hieb die Kette ab, welche die Jungfrau gefangen hielt. Da wurde der Zauber gelöst worauf der König die Jungfrau zur Königin nahm.

6. In einer Ueberlieferung aus Upland wird berichtet, wie die schöne Jungfrau ihr Haupt auf das Knie der Stiefmutter legte, und sich lausen ließ. Als aber die Jungfrau einschlummerte, ergriff das böse Weib die Gelegenheit, warf sie über Bord, und setzte ihre eigene Tochter an ihren Platz. Die Sage fügt hinzu, daß, als das der See entstiegene Mädchen in den Nächten hervorkam, um mit ihrem Hunde zu sprechen, sie sich an's Windauge setzte, und ihr langes Haar kämmte, wobei die schönsten Perlen auf den Boden herabfielen. Die Perlen aber blieben in den Locken der Jungfrau stecken, als sie im Meere war.

7. Nach einer anderen Aufzeichnung aus Upland lautet die Sage auf diese Art, daß die Stiefmutter ihre beiden Töchter zum Brunnen schickte, um Wasser zu holen, wobei ihre Tochter einen Eimer, die Stieftochter aber ein Sieb erhielt. – Die Fortsetzung stimmt mit der oben mitgetheilten Sage: »Jungfrau Swanhwita und Fräulein Räfrumpa« überein.[363]

8. Eine Ueberlieferung, ebenfalls aus Upland, läßt die der See entstiegene Jungfrau in eine Schlange verwandeln, die der König in drei Stücke hieb, und hierauf wurde sie eine der schönsten Prinzessinnen. Die Sage schließt damit, daß die böse Stiefmutter und ihre Tochter verbrannt werden.

9. Noch eine Aufzeichnung der gegenwärtigen Sage wurde aus Upland genommen, von dem bekannten deutschen Gelehrten H.R. von Schrötter. Die genannte Aufzeichnung erwähnen die Gebrüder Grimm (S. Kinder- und Hausmärchen, Th. III. S. 406–7); sie besitzt aber wenig Werth.

10. Nach einer ähnlichen Ueberlieferung aus Blekinge, steigt die verzauberte Jungfrau als eine kleine Ente aus dem Meere empor, und kriecht in die Küche durch eine Dachöffnung. In der dritten Nacht ist der König zugegen, und verstopft die Dachlucke, so daß der Vogel nicht hinauskommen kann. Der König erfaßt hierauf die kleine Ente, und schneidet sie in den Fuß, so daß drei Blutstropfen hervorkommen. In demselben Augenblicke wird der Vogel zu einer schönen Jungfrau; ihr Bruder aber wird unbeschädigt aus der Löwenhöhle gebracht, und die Stiefmutter zur Strafe für ihre Falschheit verbrannt.

11. Eine weniger gute und zugleich unvollständige Aufzeichnung aus Norrland läßt die Stieftochter von ihrer bösen Pflegemutter verzaubern, als sie zusammen über die See fahren. Da singt ein kleiner Vogel:


»Schau nicht auf die blauen Wogen!

Denn dann wirst du grau.«[364]


Die Jungfrau aber kann ihrem Verlangen nicht widerstehen, und wird in die Wellen hinabgezogen, wo sie von einem großen Fisch verschlungen wird. Den Tag vorher, als der König seine Hochzeit mit dem falschen Mädchen feiern soll, fängt man den großen Fisch, und der König erhält wieder seine rechte Braut.

12. Eine Ueberlieferung aus Småland erzählt, daß die Königstochter bei einem Schiffbruche an einen Berg verschlagen wurde, wo sie von den Bergtrollen aufgenommen wurde. Nach vielen Bitten erhielt sie die Erlaubniß, dreimal zum Königshofe zu gehen, und mit ihrem kleinen Hunde zu sprechen. Als die dritte Donnerstagsnacht kam, hatte der König alle Oeffnungen im Zimmer verstopfen lassen. Hierauf versuchte er, die verzauberte Jungfrau zu fangen; aber sie verwandelte sich in allerhand Thiere, und wurde zuletzt zu einer kleinen Nähnadel, die auf der Herdplatte lag und glänzte. Da nahm der König einen Faden, und zog ihn eilig durch das Nadelöhr; sogleich erhielt die Jungfrau ihre wahre Gestalt, und die Hochzeit wurde mit Lust und Fröhlichkeit gefeiert.

Quelle:
Hyltén-Cavallius, Gunnar/Stephens, George: Schwedische Volkssagen und Märchen. Wien: Haas, 1848, S. 357-365.
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