289. Jaggli Lander als Musikant.

[197] Durch das »Altefer-Dorf« hinauf schritt einst Jaggli Lander, der fahrende Schüler. Seine Schuhe waren mit den Ranken der Waldrebe gebunden und seine Hosen zerfetzt; aber das Musizieren, das hat er verstanden! Mit einem wuchtigen Holderknebel strich er im Takte über einen yenen Ast (Taxus) und entlockte diesem die herrlichsten, wunderbarsten Weisen. Nachdem er sein Violinkonzert beendet, setzte er den Holderknebel an den Mund und pichelte oder trompetete, je nach Belieben, dass den Menschen, die ihm in grossen Scharen folgten, das Herz im Leibe lachte vor Lust und Freude. Da kam auch Landammann Brand1, ein gebürtiger Schächentaler (der in fremden Kriegsdiensten und durch Heirat reich geworden) des Weges und redete den Musikanten an: »Wen-i äso chennt gygä-n- und pichlä-n- und trumbeetä wiä[197] dü und alles wissti, sä tät-i de doch d'Schüeh nitt mit Niälä bindä und tat ä chly diä bessärä Hosä-n-a'leggä!« »Ja, dü müesch eppis sägä,« versetzt Jaggli Lander, »dü bisch im Schächädall innä-n-äu nu einisch ammä-n-ä-n-Ort innäg'stigä und hesch zwei Geißchäsli g'stohlä!« Und der gestrenge, weise Herr Landammann gestand freimütig: »Noch, bi mym Eich! Das isch wahr, das ha-n-i.«


Josef Huber, Erstfeld.


Der alte Ratsherr Baumann im Schweinsberg zu Attinghausen († 1876 im Alter von 80 Jahren) hat den Jaggli Lander noch gekannt und hat selber gesehen, wie dieser in der Surenenalp Reckholterbäumchen ausriss, an den Mund hielt und damit pichelte, dass das Vieh zusammenlief, brüllte und trychelte, wie wenn es zur Alpabfahrt ginge. – Früher hat es überhaupt viel fahrende Schüler gegeben; sie konnten andern Leuten raten und helfen, aber sich selber nicht.


Heinrich Baumann, 75 J. alt, Attinghausen.


Fußnoten

1 Martin Fridolin Brand, gebürtig aus dem »Tal« zu Spiringen, war Landammann 1756–1758, sein Bruder Johann Peter 1758–1760; der erstere starb 1787, der letztere 1775.

Quelle:
Müller, Josef: Sagen aus Uri 1-3. Bd. 1-2 ed. Hanns Bächtold-Stäubli; Bd. 3 ed. Robert Wildhaber. Basel: G. Krebs, 1926, 1929, 1945, S. 197-198.
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