Die faule Frau.

[38] Es war eine faule109 Frau, die wollte nicht mehr spinnen. So gingen ihr die Kleider aus und sie musste nackend hinterm Ofen sitzen. Zuletzt fiel ihr auch das Hemde weg. Da redete der Mann ihr vor, in der Stadt wäre die grösste Weltneuigkeit, sie sollte mitfahren und sich die ansehen. Und sie glaubte alles und wollte mit, weil sie aber nackt war, musste sie der Bauer nackt in Erbsstroh einwickeln, fuhr mit ihr auf den Marktplatz und band die Ochsen an die Wagenleitern. Die frassen das Erbsstroh weg und die Frau konnte sich nicht mehr einwickeln, musste nackend vom Wagen springen und verlief sich in verschiedenen Strassen. Da war die Neuigkeit in der Stadt und alle Leute liefen zusammen.

Unterwegs wirbelte (drehte) sie Haarmoos (chojcowy, łosowy moch) von Kiefern und Fichten zusammen und zu Hause fing sie an mit Flachs zu spinnen, doch ging's ihr zu langsam. Und der Mann fragte: »Frau, wie viel hast Du eingesponnen?« – »Wollen nachsehen,« sagte sie, »ich gehe nach oben, bleib Du unten«. Zwei »Kaulen« hatte sie nur gesponnen, die warf sie herunter, der Mann hinauf, und so immerfort.

Und der Mann redete ihr vor: »Woll'n die Kuh schlachten, das Fleisch in die alte Lade [Truhe] thun und immer d'ran riechen«. So geschah es, und er ass, sie roch.110

Dann redete ihr der Mann vor: »Geh in die Kirche, da ist eine grosse Neuigkeit«. Sie wollte gern, aber hatte kein Kleid. Da sagte der Mann: »Hier die scheckige Kuhhaut zieh an. Dann machst die Thüre auf und kuckst hinein«. So that sie. Es war Sonntag, der Pfarrer stand auf der Kanzel, und alle Leute sprangen weg, wie sie in die Kirche kam. Und der[38] Pfarrer schrie auf der Kanzel: »Ludźe za woltaŕ, tam ńema zły mocy, Leute, hinter den Altar, da hat der Böse keine Macht«. Aber alle Leute waren weg. Da ging die Frau an den Pfarrer heran und wollte fragen, warum die Leute weg wären. Da fiel der Pfarrer von der Kanzel herunter und brach sich sein Bein und schrie nach Hülfe. Zuletzt sah er einen Blinden an der Kanzel sitzen, sprach: »Doch jena duša jo mi zwěrna wostała, eine Seele ist mir wenigstens treu geblieben«. Da sagte der Blinde: »Ja how tež wostał neby, dyby ja moju micu měł. Ich wäre hier auch nicht geblieben, wenn ich nur meine Mütze hätte«. S.

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Sprüchwort: źowcišćo lažy doma ako krowa z šelešim, das Mädchen liegt zu Hause wie die Kuh mit dem Kalbe; oder: holica l.d. z golešim (mit dem Jungen) kaž k.z.š.

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Zwei geizige reiche Brüder in Lübbenau »warfen die Pellkartoffeln gegen den Hering, der an einer Strippe von der Decke hing; am Käse rochen sie nur«.

Quelle:
Schulenburg, Willibald von: Wendisches Volksthum in Sage, Brauch und Sitte. Berlin: Nicolai, 1882, S. 38-39.
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