Kastrāt

[732] Kastrāt (Hämmling, lat. Castratus, ital. Castrato), ein im Knabenalter durch die Operation der Kastration (s. d.) der Mannheit Beraubter, dem durch Unterdrückung des Stimmwechsels die Knabenstimme erhalten bleibt. Das mosaische Gesetz verbot die Operation an Menschen und Tieren. Bei einigen asiatischen Völkern war sie dagegen religiöser Brauch und wurde an den Kybele-Priestern oder Gallen mit Steinmessern vorgenommen; sie drang mit diesen Kulten nach Griechenland und Rom. Indessen verboten Cäsar, Domitian, Nerva und Konstantin d. Gr. die Kastration; im oströmischen Reich aber ward sie besonders unter Justinian sehr gebräuchlich, und christliche Fanatiker, wie z. B. Origenes, nahmen sie aus übertriebenem asketischen Eifer an sich selbst vor. In den mohammedanischen Ländern dienen Kastraten als Haremswächter (s. Eunuch). Das kanonische Recht verbietet die Kastration, und in mehreren päpstlichen Bullen wird sie bei Strafe des Kirchenbannes untersagt. Gleichwohl wurde sie in Italien behufs der Erzielung guter Diskantsänger häufig ausgeübt, und noch im 18. Jahrh. rechnete man mehr als 4000 Knaben, die in Italien, namentlich im Kirchenstaat, jährlich verstümmelt wurden; ja bis in die neuere Zeit gab es in Rom und allen großen Städten Italiens zahlreiche Kastraten für den Kirchengesang, für Oper- und Konzertaufführungen. Die Stimme des Kastraten vereinigt mit dem Timbre der Knabenstimme die Lungenkraft des Mannes, so daß der Sänger endlos scheinende Passagen auszuführen und das messa di voce erstaunlich auszudehnen vermag. Als Sänger der italienischen Oper erreichten einzelne Kastraten, wie Farinelli, Senesino, Cusanino, Ferri, Momoletto, Giziello, Bernacchi, Caffarelli, Crescentini, Pacchierotti, Manzuoli, Marchesi, Salimbeni, Velluti (gest. 1861), europäischen Ruf und bezogen schon zu Händels Zeiten enorme Honorare.

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 10. Leipzig 1907, S. 732.
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