Opernfragmente zwischen Entführung und Figaro

[217] Während der Virtuosenruhm Mozarts immer höher stieg, ließ man ihn auf dem Gebiet seiner eigentlichen Sehnsucht, dem dramatischen, fast völlig darben. Da ihm der gewöhnliche Weg eines Opernauftrages hartnäckig verschlossen blieb, sehen wir ihn nach den verschiedensten Richtungen hin auf eigene Faust vorgehen, ja sogar fremde Werke mit seinen Arien schmücken, nur um Gelegenheit zu dramatischem Schaffen zu bekommen, und als sich dann mit dem »Schauspieldirektor« der ersehnte Auftrag endlich einstellte, da erwies er sich wohl als ein Mittel, seine amtliche Tätigkeit zu beleben, aber nicht seine Phantasie zu entzünden. Bei seinen eigenen Entdeckungsfahrten nach einem passenden Text ließ ihn das Glück regelmäßig im Stich. Er versuchte es bei einzelnen mehrere Male, seine Phantasie in Schwung zu bringen, aber es blieb bei einem rasch verflackernden Strohfeuer, das wirkliche, innere Erlebnis wollte sich nicht einstellen, weil die Bedingungen, die sein Genius mit einem Operntexte verband, nicht erfüllt wurden. Seine dramatische Muse zu kommandieren war aber nicht seine Art, wenn es nicht geradewegs von oben herab befohlen wurde; so blieben alle diese Versuche nach den ersten Ansätzen liegen.

Das war gleich bei dem zeitlich frühesten der Fall, Varescos »Oca del Cairo«, von der sich, von des Dichters Hand geschrieben, der erste vollständig ausgeführte Akt und vom zweiten und dritten eine vollständige prosaische Inhaltsangabe in Mozarts Nachlasse finden1.


Das Personenverzeichnis lautet:


Don Pippo Marchese di Ripasecca, innamorato diLavina, e credutosi vedovo di

Donna Pantea, sotto nome di Sandra, sua Moglie

Celidora loro unica figlia destinata sposa al ConteLionetto di Casavuota, Amante di

Biondello gentiluomo ricco di Ripasecca

Calandrino Nipote di Pantea, Amico di Biondello, ed amante corrisposto di

[218] Lavina Compagna di Celidora

Chichibio Maestro di casa di Don Pippo, Amante di

Auretta, Cameriera di Donna Pantea.


Der Inhalt ist in Kürze folgender:


Der eitle und gewalttätige Don Pippo hält seine verstoßene Gemahlin Pantea für tot, sie lebt aber verborgen jenseits des Meeres. Biondello, den er haßt, liebt seine Tochter Celidora, die er dem Grafen Lionetto di Casavuota zugedacht hat; er selbst hat Absichten auf deren Gesellschafterin Lavina, die ihrerseits mit Calandrino, Panteas Neffen und Biondellos Freund, bereits einig ist; beide Mädchen hält er in einem befestigten Turme sorgfältig verborgen. Pippo hat im Gefühl seiner Sicherheit dem Biondello versprochen, ihm seine Tochter zu geben, wenn er binnen Jahresfrist zu ihr in den Turm gelange. Darauf hat Calandrino eine künstliche Gans gemacht, deren Mechanismus von einem in ihrem Innern verborgenen Mann in Bewegung gesetzt werden kann; Pantea soll als Mohrin verkleidet dieses Wunderwerk vorführen; man hofft Pippo zu veranlassen, sie den Mädchen zu zeigen, damit der verborgene Biondello so in den Turm gelange. Calandrino soll dafür die Hand Lavinas erhalten.

Die Oper beginnt am Morgen des Jahrestags der Wette mit den Vorbereitungen zur Begrüßung des Grafen Lionetto, der der Hochzeit Pippos mit Lavina beiwohnen soll. Da meldet Calandrino bestürzt, Pantea sei eines Sturmes halber nicht gekommen; sie beschließen somit, mittelst einer Brücke in den Turm zu ihren Geliebten zu gelangen. Auretta, das Kammermädchen, und ihr Liebhaber, der Haushofmeister Chichibio, sollen gegen hohen Lohn Don Pippo durch Wegnahme seiner Kleider am Ausgehen verhindern. Biondello und Calandrino leiten den Brückenbau und unterhalten sich mit den Mädchen im Turme in einem zärtlichen Quartett. Aber Auretta und Chichibio haben nicht achtgegeben: Pippo erscheint plötzlich und vereitelt gewaltsam den Brückenbau.

Im zweiten Akt landet Pantea mit der Gans trotz dem Sturme doch noch und erregt beim Jahrmarkt damit großes Aufsehen; Chichibio berichtet davon seinem Herrn. Pippo läßt Pantea kommen; sie versichert, die Gans habe beim Sturm die Sprache verloren, werde sie aber wieder erhalten, wenn sie in einem einsamen Garten ein bestimmtes Kraut zu sich nehmen könne. Pippo läßt Pantea mit der Gans in den Festungsgarten führen, um sie auch den beiden Mädchen zu zeigen. Vom Fenster des Turms sehen diese dem Jahrmarkt zu. Es entspinnt sich unter Biondellos Teilnahme ein Streit, den Pippo als Gerichtsherr schlichten muß; der lächerliche Handel endet mit einem allgemeinen Tumult.

Pantea versteckt Biondello in der Gans und geht in den Turm, Calandrino aber meldet dem Pippo, Biondello sei in der Verzweiflung in einem Kahn in den Sturm hinausgefahren, was Auretta weinend bestätigt. Höchst erfreut geht Pippo im Hochzeitszuge nach dem Turme, an dessen Fenster die Mädchen zum Ergötzen der Menge mit der Gans scherzen. Er will Hochzeit machen, sobald Lionetto da ist. Aber dieser läßt absagen. Trotzdem will Pippo Lavina die Hand reichen, da tritt ihm Pantea in ihrer wahren Gestalt entgegen, die Gans beginnt zu reden, Biondello tritt aus ihr hervor und mahnt Pippo an sein Versprechen. Es bleibt ihm nichts anderes übrig, als gute Miene zum bösen Spiel zu machen. Reumütig kehrt er zu Pantea zurück, und alle drei Paare werden glücklich.
[219]

Abenteuerliche Handlungen dieses Schlages waren der opera buffa durchaus geläufig, wenngleich Varesco auf das Ganswunder, das der Vorliebe der Zeit für derlei mechanische Mirakel entsprach, besonders stolz sein mochte. Was aber weit schlimmer ist, das ist der äußerst dürftige Witz dieser Handlung, die sich nur schwerfällig und ohne jede Spannung vom Flecke bewegt und entweder gar keine oder nur die allergröbste Charakteristik kennt. Auch Mozart erkannte dies sofort, glaubte aber dem Übel zunächst noch durch Änderungen steuern zu können und ging auch gleich selbst ans Werk, wie sein Brief an den Vater vom 6. Dezember 1783 lehrt2:


Es fehlen nur noch drei Arien, so ist der erste Act von meiner Opera fertig. Die Aria buffa, das Quartett und das Finale kann ich sagen, daß ich ganz vollkommen damit zufrieden bin und mich in der That darauf freue. Drum wäre mir leid, wenn ich eine solche Musique müßte umsonst gemacht haben, das heißt, wenn nicht das geschieht, was unumgänglich nöthig ist. Weder Sie, noch der Abbate Varesco, noch ich haben die Reflexion gemacht, daß es sehr übel lassen wird, ja die Opera wirklich fallen muß, wenn keine von den 2 Haupt-Frauenzimmern eher als bis auf den letzten Augenblick auf das Theater kommen, sondern immer in der Festung auf den Bastein oder Ramport herumspazieren müssen. Einen Act durch traue ich den Zusehern noch so viel Geduld zu, aber den zweyten können sie ohnmöglich aushalten, das kann nicht seyn. Diese Reflexion machte ich erst in Linz, – und da ist kein ander Mittel, als man läßt im 2ten Act etwelche Scenen in der Festung vorgehen. – Camera della fortezza. – Man kann die Scene machen, wie Don Pippo Befehle gibt die Gans in die Festung zu bringen, daß dann das Zimmer in der Festung vorgestellt wird, worin Celidora und Lavina sind. Pantea kömmt mit der Gans herein – Biondello schlüpft heraus – man hört Don Pippo kommen, Biondello ist nun wieder Gans. Da läßt sich nun ein gutes Quintett anbringen, welches desto komischer seyn wird, weil die Gans auch mitsingt. – Übrigens muß ich Ihnen sagen, daß ich über die ganze Ganshistorie nur deswegen nichts einzuwenden hatte, weil zwey Männer von mehr Einsicht und Überlegung als ich sich nichts dagegen einfallen ließen, und das sind Sie und Varesco. Itzt ist es aber noch Zeit auf andere Sachen zu denken. Biondello hat einmal versprochen, daß er in den Thurm hineinkommt; wie er es nun anfängt, ob er durch eine gemachte Gans oder durch eine andere List hineinkömmt, ist nun einerley. Ich dächte, man könnte viel komischere und natürlichere Sachen anbringen, wenn Biondello in Menschengestalt bliebe. Zum Beyspiel könnte die Nachricht, daß sich Biondello aus Verzweiflung, daß es ihm nicht möglich wäre in die Festung zu kommen, den Wellen überlassen hätte, gleich am Anfange des 2ten Acts geschehen, er könnte sich dann als ein Türk, oder was weiß ich verkleiden und Pantea als eine Sklavin (versteht sich als eine Mohrin) vorführen. Don Pippo ist willens die Sklavin für seine Braut zu kaufen; dadurch darf der Sklavenhändler und die Mohrin in die Festung, um sich beschauen zu lassen. Dadurch hat Pantea Gelegenheit ihren Mann zu cujoniren und ihm tausend Impertinenzen anzuthun, und bekommt eine bessere Rolle, denn je komischer die welsche Opera ist, desto besser. – Nun bitte ich Sie dem Herrn Abbate Varesco meine Meynung recht begreiflich zu machen, und ich ließe ihn bitten fleißig zu seyn – ich habe auf die kurze Zeit geschwind genug gearbeitet. Ja, ich hätte den ganzen ersten Act fertig, wenn ich[220] nicht noch in einigen Arien in den Wörtern Veränderungen brauchte, welche ich aber bitte ihm itzt noch nicht zu sagen.


Damit war es aber noch nicht genug. Schon am 10. Dezember wünscht er3, er »könnte die 2 Frauenzimmer auch im ersten Akt, wenn sie die Arien singen, von der Bastey herabbringen, will ihnen gerne erlauben, daß sie das ganze Finale oben singen«. Das war durch einen Szenenwechsel leicht zu bewerkstelligen, aber bald kam Mozart mit neuen Forderungen, die wiederum zeigen, wie emsig er an seinen Texten mitarbeitete (24. Dezember 1783)4:


Nun von der Opera als das Nothwendigste. – Hr. Abbate Varesco hat zu der Cavatina der Lavina extra geschrieben: »a cui servirà la musica della cavatina antecedente«, – nemlich der Cavatina von der Celidora. – Das kann aber nicht seyn. Denn in der Cavatina der Celidora ist der Text sehr trost- und hoffnungslos, und in der Cavatina der Lavina ist er sehr trostreich und hoffnungsvoll. – Übrigens ist das auch eine sehr ausgepeitschte und nimmer gewöhnliche Mode, daß ein Anderer dem Andern sein Liedchen nachlallt. – Höchstens kann es so bey einer Soubrette mit ihren Amanten, nemlich bei den ultime parti gelten. Meine Meynung wäre, daß die Scene mit einem schönen Duett anfienge, welches mit dem nämlichen Text durch eine kleine Aggiunta für die Coda sehr gut angehen kann. – Nach dem Duett folgt die Unterredung wie sonst. – e quando s'ode il Campanello della Custode, so wird Mademoiselle Lavina anstatt Celidora die Güte haben, sich wegzubegeben, damit Celidora als Prima Donna Gelegenheit hat eine schöne Bravour-Aria zu singen. – Auf diese Art dächte ich wäre es für den Compositeur, für die Sängerin und für die Zuschauer und Zuhörer besser, und die ganze Scene würde ohnfehlbar dadurch interessanter werden. – Ferners würde man schwerlich die nemliche Aria von der 2. Sängerin ertragen können, nachdem man sie von der ersten hat singen hören. – Nun weiß ich nicht wie Sie es beyde mit nachfolgender Ordnung meynen. – Zu Ende der neu eingeschaltenen Scene der zwey Frauenzimmer im ersten Act schreibt Hr. Abbate: – »siegue la scena VIII. che prima era la VII. e così cangiansi di mano in mano i numeri«. – Nach dieser Beschreibung muß ich ganz wider Verhoffen vermuthen, daß die Scene nach dem Quartett, allwo beyde Donne eine nach der andern ihr Liedchen am Fenster herabsingen, bleiben solle. – Das kann ohnmöglich seyn. – Dadurch würde der Act nicht allein umsonst um nichts verlängert, sondern sehr abgeschmackt. – Es war mir immer sehr lächerlich zu lesen: – Celidora: »Tu qui m' attendi, amica. Alla Custode farmi veder vogl' io; ci andrai tu puoi.« Lavina: »Si dolce amica, addio.« (Celidora parte.) Lavina singt ihre Aria. (Celidora kommt wieder und sagt): »Eccomi, or vanne« etc. und nun geht Lavina, und Celidora singt ihre Aria, – sie lösen einander ab, wie die Soldaten auf der Wacht. – Ferners ist es auch viel natürlicher, daß, da sie im Quartett alle einig sind, ihren abgeredeten Anschlag auszuführen, die Männer sich fort machen um die dazugehörigen Leute aufzusuchen und die 2 Frauenzimmer ruhig sich in ihre Clausur begeben. Alles was man ihnen noch erlauben kann, sind ein Paar Zeilen Recitativ. Doch ich glaube auch ganz sicher, daß es niemals darauf angesehen war, daß die Scene bleiben soll, sondern daß es nur vergessen worden anzuzeigen, daß sie ausbleibt. – Auf Ihren guten Einfall den Biondello in den[221] Thurm zu bringen, bin ich sehr be gierig; – wenn er nur komisch ist, wir wollen ihm gerne ein bischen Unnatürlichkeit erlauben. Wegen einem kleinen Feuerwerk bin ich gar nicht in Sorgen; – es ist hier so eine gute Feuerordnung, daß man sich vor einem Theaterfeuerwerk gar nicht zu fürchten hat. – Dann wird ja hier Medea so oft gegeben, worin zuletzt die Hälfte des Palastes zusammenfällt, die übrige Hälfte in Feuer aufgeht.


Die letzte Nachricht über den Plan stammt vom 10. Februar 17845:


Man sieht der Poesie des Hrn. Varesco nur zu sehr die Eyle an! Ich hoffe er wird es mit der Zeit selbst einsehen; darum wünsche ich nur die Opera (er solle sie nur so gerade hinwerfen) im Ganzen zu sehen, dann kann man gründliche Ausstellungen machen; wir haben ja um Gottes willen nichts zu eilen! Wenn Sie das, was meinerseits fertig ist, hören sollten, so würden Sie mit mir wünschen, daß es nicht verdorben werden sollte! und das ist so leicht geschehen! und geschieht so oft. Meine gemachte Musique liegt und schläft gut. Unter allen Opern, die währender Zeit bis meine fertig seyn wird, aufgeführt werden können, wird kein einziger Gedanke einem von den meynen ähnlich seyn, dafür stehe ich gut!


Aber Varesco fehlte entweder der Wille oder, was wahrscheinlicher ist, die Kraft, Mozarts Ansprüchen zu genügen, und die Oper blieb liegen.

Erhalten sind von der Musik außer einem Rezitativ und einer Tenorarie (Biondello) sechs Stücke des er sten Aktes im Partiturentwurf (K.-V. 422, S. XXIV. 37), der wie gewöhnlich Singstimmen und Baß vollständig, Ritornelle und Begleitung dagegen nur andeutungsweise enthält6. Gleich das Duett zwischen Auretta und Chichibio Nr. 1 ist ein bedeutendes, des reifen Mozart durchaus würdiges Stück, das ein altes Lieblingsthema der Buffooper behandelt: das überlegene Mädchen hänselt den eifersüchtigen Liebhaber und versöhnt ihn dann wieder. Aber wie fein treten bei Mozart da gleich am Anfang die beiden Charaktere auseinander, die schalkhafte, ihrer Sache durchaus sichere Auretta und der Haushofmeister, der bei seiner Eifersucht große Mühe hat, seine Würde zu bewahren, auf die er doch so viel Wert legt7! Schon bei der ersten C-Dur-Melodie, hinter der die Parodie schon deutlich hervorlugt, zappelt er in ihrem Netze. Hier und in der folgenden Tränenepisode stehen wir noch auf italienischem Boden, aber bei den Worten »siamo amici«8 geschieht die Versöhnung in unverfälscht Mozartschen Zungen:


Opernfragmente zwischen Entführung und Figaro

[222] mit rückhaltloser Herzlichkeit und Wahrheit; bezeichnend ist auch, daß dieses Thema nicht von den Singstimmen, sondern vom Orchester gebracht wird.

Auch die folgende Arie der Auretta (2) ist ein Stück von ganz reizender Schalkhaftigkeit. Sie läßt sich zum Scherz von Calandrino umarmen und malt sich nun die Situation aus, wenn ihr eifersüchtiger »Argus« Chichibio dies sähe, wobei sie ganz genau gemerkt hat, daß dieser unterdessen wirklich hinzugekommen ist. Das ganze Stück ist voll dramatischen Lebens. Mit tragikomischem Pathos schildert sie die Gegenwart des eifersüchtigen Liebhabers; wir fühlen den Schauer des Entsetzens, der sie durchrieselt, wir sehen ihn keifen und zanken, dann aber beteuert sie ihre Unschuld und schildert mit entzückendem, an Susanne gemahnendem Humor seine Erleichterung, wenn er dessen inne wird; bei dem »o qui non c'è pericolo« lacht ihr der überlegene Schalk förmlich aus den Augen. Dabei fügt sich dieser Wechsel der Gegensätze mit erstaunlicher Leichtigkeit und Selbstverständlichkeit der einfachen zweiteiligen Buffoarienform ein. Ganz italienisch ist dagegen die Arie des Chichibio (3), eine der üblichen Philippiken gegen den Wankelmut der Weiber, mit raschen, kurzen Parlandomotiven. Wie Mozart diesen Typus in den Dienst der dramatischen Charakteristik zu stellen versteht, hat er später im »Figaro« gezeigt; hier bleibt es bei allgemeiner, drastischer Komik, der nach der angedeuteten Instrumentation (Trompeten) auch das orchestrale Kolorit dienen sollte. Auch das folgende Duett zwischen Auretta und Chichibio (4) ist mehr drastisch als charakteristisch, und abermals ist den Instrumenten eine besondere Rolle zugedacht; am Schlusse tritt das »Horn des Astolf« hervor. Aber auch hier kommt jeder einzelne Gedanke des Textes zu seinem Recht, während dem Orchester mit seinem martialischen Grundmotiv und dem kleinen Triller die Wahrung der Einheitlichkeit zufällt. Das nächste Fragment ist ein Rezitativ im leichten Buffocharakter, worin die dem Pippo zugewiesenen bewegten Baßfiguren auffallen. Don Pippos Arie (5) läßt trotz ihrem skizzenhaften Zustand erkennen, daß Mozart den Alten zu einer Buffopartie großen Stiles ausersehen hatte; freilich hat er gerade hier von der jedenfalls sehr wichtigen Begleitung am wenigsten aufgezeichnet. Die beiden letzten Stücke sind Ensembles. Das Quartett (6), das die Unterhaltung der beiden Liebespaare aus der Entfernung enthält, ist das intimste Stück des Ganzen. Ernste und sehnsüchtige Töne walten zunächst vor, nur bei der Erwähnung Pippos gleitet ein Schalkslächeln über Biondellos Lippen. Scharf treten trotz der gemeinsamen Situation die beiden Paare auseinander. Im Mittelsatz wechselt die Gruppierung: der ängstlichen Frage der Mädchen antworten beruhigend, in leichter kanonischer Führung, die Männer. Dann taucht der Gedanke an die Brücke auf, parodistisch eingekleidet in die Alternative zwischen dem »Nachen Charons« und der »Brücke des Horatius Cocles«, und sehr witzig fallen alle sofort ein: »meglio il ponte piace a me«. Nun beschließen sie im Allegro ohne Zagen ans Werk zu gehen, einem echt Mozartschen Satze, der[223] neben der Entschlossenheit ganz deutlich auch die geheime Angst zum Ausdruck bringt. Typisch dafür ist die pp vorgetragene kleinlaute Phrase auf »più non chiedasi perchè«; auch der Schluß hat etwas Krampfhaftes. In den größten Maßen ist das Finale (7) angelegt. Es steht insofern schon auf der Höhe der späteren, als die einzelnen Phasen der Handlung mit außerordentlich sicherem Blick herausgegriffen und zu wirksamen Bildern zusammengefaßt sind, deren Folge eine beständig anhaltende Steigerung aufweist. Die bewegte Schilderung des Brückenbaues beginnt, der Gedanke an den genasführten Lionetto äußert sich dabei mit echt Mozartschem Humor, und in dem 6/8-Takt mit seinem lustigen Geplapper und seinen Fanfarenmotiven wird die Fröhlichkeit bereits zu toller Ausgelassenheit. Aber alsbald folgt in dem Rezitativ und dem anschließenden Adagio mit der seltsamen Orchesterbegleitung der Rückschlag in die Angst, und sofort stürzt in dem d-Moll-Satze mit dem hämmernden anapästischen Rhythmus Auretta mit der Unglücksbotschaft von der Ankunft Don Pippos herein. Sehr witzig ist der atemlose Bericht Aurettas und Chichibios, die von ihrem »il marchese non c' è più« gar nicht mehr loskommen. Calandrinos Beschwichtigungsversuch nützt nichts, ebensowenig der von den Hörnern eingeleitete Entschluß Aurettas und Chichibios, den Alten zu beobachten. Die Stimmung bleibt andauernd getrübt, eine furchtsame Chromatik, die bereits auf das Sextett des »Don Giovanni« vorausdeutet, greift in der Melodie Platz und behauptet sich auch in einem großen Teile des nächsten Satzes. Mit einem ganz unvermittelten C-Dur tritt der Gefürchtete auf, durch seinen herrischen Gesang die ganze Gesellschaft wie eine Schar aufgescheuchter Vögel vor sich hertreibend. Blitzschnell entwickelt sich die drohende Situation, die Wache kommt9, von unwiderstehlicher Komik ist das Wehgeschrei der Ertappten »ah! siam traditi!« Und nun legt Pippo mit einem auch aus dem »Figaro« bekannten rollenden Triolenmotiv los, er allein gegen die geschlossene Masse der übrigen, und stellt sich nach einer vielsagenden Generalpause in dem kleinen Andante maestoso mit drastischem Pathos als Buffo großen Stils vor. Aber auch die Gegenpartei ermannt sich: die Mädchen suchen sich in einem entzückend leichtsinnigen Tone herauszureden, die Männer rüsten sich zu offenem Widerstand. Die Lage fängt an, für Pippo kritisch zu werden, da ruft er die Wache zu Hilfe, und für dieses Presto hat Mozart den Chor aufgespart, der hier völlig selbständig eingreift, zuerst ruhig, sozusagen in dienstlicher Haltung, dann aber gleichfalls immer erregter. Dieses Schlußstück ist von glänzender Wirkung: erregte kurze Schreie, langgezogene Rufe lassen sich auf beiden Seiten vernehmen, lange schwankt die Entscheidung, bis die Liebespaare bei der pp-Stelle in g-Moll den Mut verlieren und schließlich das Feld räumen. Das ganze Finale ist zwar durchaus auf Situationsschilderung angelegt, von feinerer Charakteristik[224] ist kaum die Rede, aber an dramatischer Beweglichkeit und Steigerung kann es neben den späteren wohl bestehen, ebenso was die Klarheit und Knappheit der Anordnung und die Plastik der gewählten Gedanken betrifft.

Nicht besser als dieser »Oca« ging es dem »Sposo deluso« (K.-V. 430) vom Jahre 1784.


Der Inhalt dieser Oper ist weit weniger gesucht und albern, obschon auch er sich durchaus nicht über den Durchschnitt erhebt und weit hinter »Figaro« und »Don Giovanni« zurücksteht10. Im Mittelpunkt steht der reiche und liebesbedürftige, aber schon bejahrte Bocconio (Sempronio11), dessen Verlöbnis mit der stolzen Römerin Eugenia durch allerhand Buffointrigen hintertrieben wird; sein glücklicherer Nebenbuhler ist der Offizier Don Asdrubale, in den die beiden übrigen Damen des Stücks, Bocconios eitle Nichte Bettina und die verschlagene Sängerin und Tänzerin Metilde, ihrerseits verliebt sind. Dazu kommen noch zwei andere Nebenrollen, der Weiberfeind Pulcherio (Fernando) und Gervasio (Geronzio), Eugenias Vormund. Der Schwerpunkt liegt auf dem beständig ge nasführten Bocconio und dem von allen Seiten umworbenen Asdrubale, und das scheint Mozart hauptsächlich zur Wahl des Buches bestimmt zu haben. Tatsächlich ist Bocconio eine Buffopartie allergrößten Stiles, die unter den Händen eines Dramatikers von Mozarts Schlag weit über die bloße Karikatur hinauswachsen mußte; der von drei Frauen umworbene Kavalier aber rührt bereits an ein Problem, das Mozart dann im »Figaro« und vollends im »Don Giovanni« aufs lebhafteste beschäftigt hat. Jedenfalls trug dieses Werk weit mehr als die »Gans von Kairo« die Gewähr einer lebensfähigen dramatischen Schöpfung in sich. Dafür drohte ihm das Verhängnis von einer anderen Seite: es war eine selbstgewählte, nicht bestellte Arbeit und hatte darum, so wie die Dinge damals lagen, geringe Aussicht, von den Bühnen angenommen zu werden. Die wachsende Erkenntnis dieser Sachlage scheint denn auch Mozart die Lust daran genommen zu haben.


Ouvertüre und gesungene Introduktion (hier quartetto genannt) sind diesmal zu einem Ganzen vereinigt12, und zwar so, daß das Gesangsstück die – rondomäßig erweiterte – Wiederholung des ersten Sinfonie-Allegros darstellt. Dieses ist eine so waschechte italienische Festmusik, wie sie Mozart seit langer Zeit nicht mehr geschrieben hatte, mit Fanfaren, Schleifern, kichernden Motiven, sogar der Concertinocharakter des zweiten Themas schimmert noch durch. Auch die redselige Breite ist echt italienisch; moduliert wird dabei nur zwischen Tonika und Dominante. Ein zartes, besonders fein instrumentiertes Andante schlägt Töne von auffallender Innigkeit an; es scheint, als blickte Mozart bereits hier mit ganz anderen Augen auf diese Welt der Liebeshändel herab als seine italienischen Kollegen. In der Introduktion aber geben die Singstimmen sozusagen den Kommentar zum ersten Allegro. Gleich am Anfang antwortet Bocconio, der sich hier zum Empfang[225] seiner Braut in vollen Staat wirft, dem schadenfrohen Gelächter Pulcherios mit der unvergleichlichen Stelle:


Opernfragmente zwischen Entführung und Figaro

Das reizt zum Lachen, aber auch zugleich zum Mitleid mit dem Liebeswahn des Alten. Er ist denn auch mit seinem Gemisch von Verliebtheit und nervöser Aufregung der eigentliche Held dieses Quartetts. Pulcherios überlegene Ironie tritt bereits mehr zurück, und die Charakteristik Asdrubales und Bettinas bleibt vorerst fast ganz im Hintergrund; sie schlagen einen allgemein heiteren Ton an, aus dem sich nur vorübergehend Bettinas scharfe Zunge heraushebt. Der Geist der alten introduzioni wirkt noch deutlich nach. Ein ganz merkwürdiges Stück ist die nur in der Skizze erhaltene Arie der Eugenia (2). Sie ist so stolz wie nur irgend eine Römerin; um so mehr empört es sie, daß man sie nicht nach Gebühr empfängt, denn Bocconio ist unglücklicherweise mit seiner Toilette nicht fertig geworden. So beginnt Eugenia zunächst durchaus im Pathos der opera seria mit seinen großen Intervallen, das auch im weiteren Verlauf immer wieder anklingt13; sogar in das Gefühl einer »furia delirante« steigert sie sich am Anfang des Allegros hinein. Dazwischen vergißt sie aber immer wieder die heroische Luft des Kapitols und ereifert sich als gewöhnliches Menschenkind in leicht anklingendem Buffoton, doch ohne Karikatur, in echt weiblicher Entrüstung. Man erkennt deutlich, daß Mozart doch etwas anderes beabsichtigte als eine karikierte Heroinengestalt, mit der sich die meisten Italiener begnügt hätten, nämlich eine Frau von echtem Stolz, der nur durch die äußeren Umstände sich mitunter zu komischer Überspannung verleiten läßt. Mit karikiertem Römerstolz allein wäre sie wirklich eine des alten Bocconio würdige Braut, während sie tatsächlich doch eine tiefe Neigung zu dem Kavalier Asdrubale hegt. In diesem Sinne ist auch die Koloratur am Schlusse aufzufassen, in der von ferne das Horn des Postillons anklingt, der sie wieder nach Rom zurückführen soll.

Einen weit unvollständigeren Eindruck gewinnen wir von Pulcherios Arienskizze (3). Er sucht hier das beim ersten Empfang bereits ziemlich aneinandergeratene Brautpaar zu versöhnen, indem er jeden Teil auf die Vorzüge des anderen aufmerksam macht. Für sich spricht er freilich die[226] ärgsten Befürchtungen für die Zukunft aus und freut sich zum Schlusse königlich der eigenen Freiheit. Man erkennt zwar in den allgemeinen Umrissen, wie geistvoll Mozart diese Aufgabe gelöst hat: fest und männlich redet Pulcherio dem Bocconio zu, schmeichelnd, ja mit komischer Schwärmerei der Eugenia, und von köstlicher Lebendigkeit ist das Bild, das er von dem Auftreten des Paares in der Öffentlichkeit entwirft; auch seine eigenen Gefühle kommen drastisch zum Ausdruck. Aber unverkennbar hatte gerade hier das Orchester ein wichtiges Wort mitzureden, und davon finden sich nur einige dürftige Andeutungen.

Vollständig ausgearbeitet ist dagegen das Terzett (I 9, Nr. 4) zwischen Eugenia, Asdrubale und Bocconio. Es spielt nach der gegenseitigen Erkennung Asdrubales und Eugenias; diese, die den Asdrubale tot geglaubt hatte, fällt halb ohnmächtig in einen Sessel, worauf Bocconio davoneilt, um Erfrischungen zu holen; Asdrubale dagegen, der auf dem Wege nach Rom ist, um sich mit Eugenia zu vermählen, überhäuft sie mit Vorwürfen, da er sie für treulos hält. Ehe sie sich erklären kann, kehrt Bocconio zurück und findet die Lage völlig verändert. Damit beginnt das Terzett, das Mozart zu einem ganz eigentümlichen Stimmungsstück gestaltet hat. Da die Handlung nicht fortschreitet, genügt ihm die einfache dreiteilige Form, die er zudem durch beständiges Wiederholen derselben Motive besonders einheitlich behandelt. Der Schwerpunkt liegt zunächst im Orchester. Es schickt dem Ganzen nach Mozarts späterer Art eine ebenso kurze wie spannende Einleitung mit Bläserverstärkung und Crescendo voraus, das wiederum echt mozartisch überraschend in das piano des Hauptgedankens mündet. Das sind echt romantische Partien, die ohne alle melodische Gestaltung, aber mit einem in seinem plötzlichen Anwachsen geradezu unheimlich wirkenden seelischen Druck den Hörer mitten in die Situation hineinführen. Auch das folgende Hauptthema hat mit seinem unsicher tappenden Unisono und dem plötzlichen Sforzato ein seltsam erregendes Gepräge. Der Zuhörer weiß gar nicht, wohin die Reise geht. Auch das folgende, unruhig hämmernde Motiv vermehrt nur die Spannung; auch hier weist die Melodik einen merkwürdig abgerissenen, suchenden Charakter auf. Von diesem Wesen kommen wir zunächst überhaupt nicht los: alle drei Personen sind wie vor den Kopf geschlagen und müssen dabei mit ihren Gefühlen doch aufs äußerste an sich halten. Erst bei der b-Moll-Stelle mit der Synkope14 bricht der Schmerz plötzlich durch, freilich nur um alsbald wieder abzuebben; zugleich treten hier die drei Singstimmen zum ersten Male zusammen: die Drei finden sich im gemeinsamen Grundgefühl, so verschiedene Ursachen es auch beim Einzelnen haben mag. Von jetzt an bleibt das Ensemble beisammen, während das Orchester nach wie vor seine alte Straße zieht. Aber auch jetzt kommt es zu keiner entscheidenden Entladung, nur zu blitzschnell hervorschießenden und ebenso rasch wieder verschwindenden[227] Ausbrüchen. Buffozüge im eigentlichen Sinne treten nur selten auf, wie beim Anrufen der »stelle irate« oder beim zweiten »questa pena é troppo barbara«; selbst Bocconio hebt sich kaum von den andern ab. Ebensowenig wird man freilich an Tragik denken; es liegt vielmehr im Charakter der einzelnen Gedanken wie in der Anlage des ganzen Stückes eine überlegene Schelmerei, die dem Zuhörer sofort die richtige Auffassung beibringt: er erlebt zwar das Kritische der Situation der drei Personen mit, aber er betrachtet sie zugleich von höherer Warte aus, und er empfindet ihre Tragikomik.

Neben diesen italienischen Bruchstücken steht der voll ausgeführte deutsche Schauspieldirektor (K.-V. 486; s.o.S. 84). Dichterisch ist er ihnen insofern weit unterlegen, als er weder Handlung noch dramatische Charaktere bietet. Er ist ein Gelegenheitsspiel, und nicht einmal ein besonders unterhaltendes. Dem entspricht auch die Komposition. Sie entsprang keinem inneren Erlebnis, sondern lediglich der Amtspflicht des Künstlers und beschränkt sich deshalb statt des wirklichen Humors auf Heiterkeit allgemeiner Art und auf Parodie. Diesen Ton schlägt gleich die Ouvertüre an. Schon ihr Hauptthema:


Opernfragmente zwischen Entführung und Figaro

mischt Pathos und Spielerei und hat mit seiner auffallend breiten und lärmenden Ausführung einen Stich ins Parodistische, und auch das durch einen anspruchsvollen Halbschluß vorbereitete, konzertinomäßig behandelte Gesangsthema trägt eine stereotype Maske, die es erst später, beim Eintritt der Bläser, in seiner gemütvollen Fortsetzung lüftet. Geistvoll ist die Art, wie die Bläser schon während der beiden letzten Takte mit der Durchführung beginnen. Diese verbindet das thematische mit dem Schobertschen Modulationsprinzip. Freilich, echte Leidenschaft darf man auch hier nicht suchen, im Gegenteil, es geht zunächst trotz allem Pathos recht wohlgesittet zu, so daß wiederum der Gedanke an die Parodie nahe liegt. Erst mit dem Eintritt des As in den Bässen tritt der wahre Mozart ins Orchester und führt mit entzückenden Imitationen des Schleifermotivs in den Bläsern ganz in der Art der großen Sinfonien die Reprise herbei. Die thematische Coda treibt mit ihrem hochpathetischen Unisono die Parodie auf die Spitze. Schon darin, daß auf das dürftige Scherzspiel ein Sinfonie-Allegro großen Stils als Ouvertüre losgelassen wird, liegt ein parodistischer Zug, der samt seiner Ausführung zwar nicht den innersten Kern, aber doch eine eigentümliche Nebenseite von Mozarts Kunst offenbart.

Die Arien der beiden Sängerinnen sind fertig mitgebrachte Probestücke und daher gleich angelegt (langsamer und rascher Satz), auch haben sie beide[228] vier konzertierende Bläser15. Auch dem Texte nach sind sie verwandt, um so verschiedener dagegen in der Ausführung. Die zweite trägt die Überschrift Rondo, was sich aber wiederum mehr auf den Charakter des ersten Themas bezieht als auf die Form, die einfach dreiteilig ist: das Thema gehört jenem langsamen Gavottentypus an, dem wir schon mehrfach begegnet sind. Neigt sich somit die zweite Sängerin den Franzosen zu, so hält es die erste mehr mit den Italienern und – Mozart. Ihr g-Moll-Larghetto trägt den unverfälschten Stempel seines Geistes in Melodik, Stimmführung und Instrumentation; ganz leise klingt freilich auch hier mitunter die Parodie an16. Im allgemeinen ist die erste Arie empfindsamer, die zweite dagegen anmutiger, wie es sich für Madame »Herz« und Mademoiselle »Silberklang« geziemt. Koloraturen bringen beide pflichtschuldigst, wenn auch nicht in italienischem Maße an; es ist ihnen mehr darum zu tun, ihre Höhe als ihre Geläufigkeit zu zeigen.

Das Terzett »Ich bin die erste Sängerin« hat Mozart am meisten gefesselt, denn er nahm es zuerst, am 18. Januar 1786, vor, während das Ganze erst am 3. Februar fertig wurde. Es bildet tatsächlich den Höhepunkt des Ganzen: die Sängerinnen geraten sich in die Haare, weil dem Direktor die Wahl schwer wird; der Tenorist sucht vergeblich Frieden zu stiften. Derlei Auftritte mochten Mozart aus eigener Erfahrung nur zu gut bekannt sein. Höchst witzig ist, wie in diesem großen dreiteiligen, mit mehreren kleineren Episoden durchsetzten Stück die beiden Damen immer wieder ihren in den Arien ausgeprägten Charakter festzuhalten suchen, aber sobald die Wut sie übermannt, in genau denselben keifenden Ton verfallen. Mozart bedient sich dabei mit Vorliebe der Imitation. Die beiden lassen einander kaum ausreden, sondern reißen sich zumeist gleich die Phrase vom Munde. Keine vermag der anderen das letzte Wort zu lassen, so treiben sie sich z.B. bei dem Eintritt der Triolenbegleitung gegenseitig in aller Geschwindigkeit bis ins c''' hinauf. Der begütigende Tenor bildet einen sehr wirksamen Gegensatz. Er unterzieht sich seiner schweren Aufgabe mit Resignation, und seine Moralpredigt in der Andanteepisode klingt in ihrem leirigen Tone nicht gerade, als ob sie ihm aus vollem Herzen käme, trotz angelegentlicher Beteiligung der Bläser. Aber für den Anfang wirkt sie doch, ja es kommt dabei sogar zu einer äußerst gesitteten und strengen Polyphonie (»nichts kann die Kunst mehr adeln«) – auch die Damen wissen, was sie der Würde der Kunst schuldig sind. Nur dauert es nicht lange. Gleich darauf murmelt es verdächtig in den tiefen Klarinetten, in den Singstimmen schießen spitze Skalen[229] Raketen gleich bis zum f''' empor; während der Tenorist in seiner salbungsvollen Ansprache fortfährt, zischen sich die beiden bereits wieder heimlich ihr »ich bin die erste« zu, und bald steht der Zank wieder in vollstem Flor. Höchst gelungen fahren sie mit ihrem »adagio« und »allegrissimo« aufeinander los, und kaum gelingt es dem Tenor, seinen Mahnungen »piano! calando! pianissimo!« usw. Geltung zu verschaffen und den Satz pp, echt mozartisch, zu Ende zu führen. Das Ganze ist ein Stück voll sprudelnden Lebens, von niemals stockendem Fluß und dabei frei von jeder Karikatur. Der Schlußgesang ist ein Vaudeville nach französischer Art wie in der »Entführung«17; nicht zufällig stimmt Mlle. Silberklang das graziöse, der opéra comique nachgebildete Thema an. Jede Person steuert ihrer Eigenart gemäß eine Strophe bei, worauf alle mit dem an Grétry gemahnenden Refrain einfallen. Schließlich tritt sogar noch der Schauspieler Buff als erster Buffo hinzu, in groteskem c-Moll; freilich kann er nicht recht singen, womit Lange, der Darsteller, sich selbst ironisierte18. Deshalb ist er natürlich auch vom Ensemble ausgeschlossen.

Fußnoten

1 Varescos autographes Textbuch befindet sich in der Berliner Staatsbibliothek. Ausgeführt ist nur der erste Akt in der ersten und in einer zweiten, durch Mozart veranlaßten Bearbeitung, daran schließt sich noch eine prosaische Inhaltsangabe der Oper. Das Ganze ist mitgeteilt von Graf Waldersee AMZ 1882, S. 693 f. und im Anhange des Rev.-Ber. S. 125 f.


2 B II 238 f.


3 B II 241.


4 B II 242 f.


5 B II 245.


6 Partitur auf der Berliner Staatsbibliothek. Darnach wurde 1855 von Jul. André ein Klavierauszug angefertigt, s.o.S. 87. R. Genée, MBM 1900, Heft 9, S. 271 f. Nicht autograph ist der Anfang der Arie Pippos Nr. 5. Die G.-A. enthält außerdem noch die vorhandenen Skizzen. Vgl. den R.-B. von Graf Waldersee.


7 Der Anklang an das Duett Nr. 16 im »Figaro« ist auffallend.


8 Zuerst ist nur der Baß aufgezeichnet, die Melodie erfahren wir erst später bei den Worten »Sia ricetto l'alma mia«.


9 Sehr drastisch ist ihre Ankündigung durch Chichibio, die dann von den übrigen in der Verkleinerung aufgenommen wird.


10 Inhalt im R.-B.S. 120 ff. Der ganze Text nach dem in der Berliner Staatsbibliothek befindlichen Textbuche Mozarts ebenda Anh. II, S. 140 ff.


11 Mozart hat in der von einem des Italienischen unkundigen Kopisten angefertigten Abschrift die ursprünglichen Namen zum Teil verändert.


12 Vgl. Piccinnis »Viaggiatori« I 430.


13 Man beachte auch die Tonart Es-Dur.


14 Daß Bocconio dabei singt »una sincope m'afferra«, ist sicher ein beabsichtigter Witz.


15 Die Ritornelle fehlen im Autograph, stehen aber in den Partiturabschriften und Klavierauszügen und sind, da sie durchaus Mozartsches Gepräge tragen, auch in die G.-A. aufgenommen. Vgl. den Rev.-Ber.


16 So gleich am Anfang in dem Sforzato der Hörner, die das Schlagen der Abschiedsstunde verkünden, dann bei den aufgeregten Worten »wie fällt mir so was ein?« in der Singstimme. Echt mozartisch ist die Melodik bei »Ich will Dich begleiten« (vgl. die c- Moll-Messe S. 120) und am Anfang des Allegros (vgl. Zerline im Duett Nr. 7 des »Don Giovanni«).


17 I 797.


18 Selbstbiogr. S. 126.


Quelle:
Abert, Hermann: W. A. Mozart. Leipzig 31955/1956, S. 230.
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