[283] Don Giovanni

[283] Man kennt diese Oper unter dem Titel il dissoluto panito und nach der Uebersetzung: Don Juan oder der steinerne Gast. Der Originaltext ist vom Abbate di Ponte. Ausser der Schröderschen Umänderung in vier Akte und Nazionalisirung der Karaktere, hat man verschiedene Uebersetzungen. Die Bearbeitung von Friedrich Rochliz ist ohnstreitig die beste. Die sehr korrekt und splendid gedruckte Partitur, mit deren Herausgabe sich die Breitkopf-[284] und Härtelsche Musikhandlung ein unvergängliches Lorbeerblatt in den Kranz ihres Ruhms gewunden hat, ist, nebst dem beigelegten Dialog, für den äußerst billigen Preiß von zwölf Thalern zu haben. Die meisterhaft von Kinninger und Bolt gezeichnete und gestochene Titelvignette stellt die Szene dar, wo der Geist Don Juan bei der Hand faßt, und dieser erschrocken zurück bebt. Diese Oper ist die zweite Nummer, der von dieser Handlung veranstalteten Lieferung Mozartischer Partitionen.

Mozart schrieb diese Oper für das Prager Theater unter der Direktion des bekannten Bondini, im Jahr 1787.

Wenn schon in Hinsicht der Komposizion diese Oper eines der vorzüglichsten Kunsterzeugnisse Mozarts ist, so kann sie doch nichts weniger als den Forderungen[285] des Aesthetikers Genüge leisten, weil man sie nicht als eine ganze Schönheit betrachten kann. Die Gefühle sind zu verschieden, zu widersprechend, die Karaktere greifen nicht in einander und von allen Aufgaben, die in der Zauberflöte so meisterhaft gelößt sind, konnte hier nicht einmal die Rede seyn. Mozart selbst hat das gefühlt – aber konnte er anders? Der Text lag nun einmal da.

So wenig Einheit des Gefühls der Dichter in den Text gebracht hatte, so wenig konnte Mozart wieder geben. Eben jenes Ineinandergreifen zu einem Zwecke, jenes ununterbrochene Fort- und Fortstreben zum Ziele und am Ende die ruhige Freude, alles das war für Don Juan verlohren. Wild brausen die widersprechendsten Gefühle im planlosen Stil durch einander. Ewig Schade, daß an solchen[286] Text Mozart seine himmlische Musik verschwenden mußte!

Welche Sprünge! Mißlungene Entehrung eines Mädchens im Negligee aus ihrem Hause gerissen, ist die erste Szene, der Mord des Vaters die zweite und auf diese folgt – eine Bauernhochzeit; am Ende kömmt alles auf dem Balle wieder zusammen. – Der zweite Akt schleppt sich matt durch mißlungene Abentheuer; ein Leichenstein spricht; – dazu kommen einige Hanswurstiaden; Don Juan kömmt, der Himmel weiß wie? auf den Einfall, den Leichenstein zu Gaste zu bitten; – er kömmt und der steinerne Mann predigt dem Wüstlinge Buße. – Am Ende, da der Dichter gar nicht weiß, wie er seinen Mann fortbringen will, läßt er ihn von dem Teufel holen, ober nach neuern Ausgaben vom Blitze erschlagen. Eigentlich[287] könnte man die Teufel immer beibehalten, sie passen zu dem Uebrigen recht sehr gut. – Wie war es möglich, aus diesem Plane ein schönes Ganze hervorzurufen? Und dennoch ist Don Juan eines der reichsten Werke an Kunstschönheiten. Aber immer nur im Einzelnen. Jede Szene ist für sich schön und bildet ein einzelnes Kunstwerk, daß nie auf das neben ihm stehende Bezug hat. Don Juan ist kein schönes Ganze, eine Bildergallerte einzelner Schönheiten.

Man beurtheile daher diese Oper nie als ein Kunstwerk. Sie ist eine Sammlung verschiedener Meisterstücke, wild durch einander geworfen.

Bei diesen grotesken Sprüngen muß man aber erstaunen, wie Mozart so viel[288] Großes mit Kleinen, den größten Schreck mit dem fadesten Spase zusammenstellen konnte!

Man halte zum Beispiel die Geisterszene gegen die Bauernhochzeit; die Mordszene gegen die Arie: fin chan dal vino, und so durchgängig.

Und doch, bei diesen widersprechenden Gefühlen, wie richtig sind alle Karaktere gezeichnet! – Welche sprechende Deklamazion, welches rasche Fortschreiten der Melodien! Welches Drängen in den Modulazionen! Man nehme Don Juan; wie richtig ist der Wüstling karakterisirt! Seine Tonarten (B dur, D dur bei lärmender Freude) mahlen ihn ganz. Auch das immer aufwärtssteigende in der Melodie ist Karakter. – Gleich in der zweiten Szene: »Donna folle! indarno gridi:[289] chi son io tu non saprai«1 wie hebt sich die Singstimme aus dem Akkompagnement der Geigen, aus der Quinte ff bb cc, db. Und wie scharf zeichnet nicht die bekannte Arie: »Fin chan dal vino etc.« den ausgelassenen Schwärmer, der sich von einem Bacchanal zum andern stürzt, über Ehre und Tugend, wie über ein Nichts, leichtfertig hinweggaukelt.

Leporello ist ein Tropf, der, in der Schule der Nichtswürdigkeit seines Herrn eingeweiht in die Geheimnisse der Verführungskunst, erborgten Witz mit origineller Dummheit paart, und – wie jedes Geschöpf dieses Schlags – nur klug erscheint, wenn sein Herr nicht zugegen ist.[290]

Daher hebt sich seine Parthie nur immer da, wo er nicht mit seinem Herrn in Kollision kömmt, wie in der Arie: »Madamina! il catalogo e questo« und dem großen Sextett: »Sola, sola in bujo logo.« im zweiten Akte, wo er sich ganz ausbreiten kann, ohne zu riskiren, daß sein Herr ihn mit seinen Albernheiten prostituire. Hingegen in Gesellschaft seines Herrn ist er nur das Echo des erstern, um doch etwas zu sagen, ohne sich zu blamiren. Solche nachbetende Stellen sind unter andern vorzüglich im ersten Final. Don Juan: Ma non manca in me corraggini, Leporello: Ma non manca in lui coraggio. D. Juan: Non mi perdo o mi confondo. Leporello: Non si perdé o si confonde. Und dann mit D. Juan zusammen bei dem gleich darauf eintretenden piu stretto: Se[291] cadesse ancora il mondo nulla mai temer mi (lo) fa.

Der Dichter hat freilich zu sehr auf diesen faden Spasmacher gerechnet, daß durch ihn nicht selten der Totaleindruck mancher ernsthaften Szene geschwächt, oft gänzlich vernichtet wird, wie bei der Mordszene auf dem Kirchhofe und vorzüglich bei der Geisterszene, wo er völlig zum Hanswurste herabsinkt. Die ganze Szene hätte sich selbst verderben müssen, hätte Mozart Leporellos Parthie nicht als bloß ausfüllendes Akkompagnement, mit dem Basse gehend, behandelt. Ich meine die Stelle: »La terzana d'avere mi sembra.« Alle Aufmerksamkeit leitet er auf Don Juan, und die Worte Leporellos, Sylbe auf Note getheilt, rolken in den Triolen weniger bemerkt dahin.[292]

Diese beiden Karaktere sind am schönsten ausgemahlt, und zumal im Don Juan die Farben mit einer Lebhaftigkeit aufgetragen; welche nicht die geringste Mißdeutung gestattet. Ueberhaupt ist die Zeichnung seiner Karaktere von beispielloser Bestimmtheit.

Octavio ist – ein wahrer Bräutigam. Er will die gekränkte Ehre rächen, und zittert bei dem Gedanken an die Möglichkeit, sein Leben dabei zu verliehren. Selbst das Schwankende seines Karakters mahlte Mozart vortreflich. Man werfe einen Blick auf die Arie mit den wechselnden Tempos: »Il mio tessoro intanto.« – Die ganze Musik seiner Parthie mahlt den Jüngling, dessen Feuer, gebunden durch die süßen Bande der Liebe, nur hie und da noch auflodert, schnell aber wieder in den Busen zurückkehrt, wenn ihn sein[293] Bräutigamsstand an die Pflichten für sein Mädchen erinnert. Anna's Besitz liegt ihm näher am Herzen als die nutzlose, gefahrvolle Rache des – doch nun einmal todten – Vaters.

Masetto's Karakter erlangt seine mehrste Bestimmtheit durch die späterhin eingelegte Arie (f dur)»Ho capito, signor si,« und mit dem Anfange des ersten Finals: »presto presto! pria ch'ei venga.« Der Bauer ist in beiden Stellen in der Deklamazion so wohl, als im Akkompagnement meisterhaft geschildert. Der Komthur, so kurz seine Szene ist, so edel ist sein Karakter behandelt.

Elvire, das getreuste Bild eines edeln, gemißhandelten Weibes, das, vom Gram und Gefühl ihres Unglücks niedergebeugt, ihrem traurigen Verhältnisse entfliehen[294] will und nicht kann, ihren Verführer hassen, verabscheuen möchte, und noch immer mit Liebe an ihm hängt. Ihre Würde, so wie ihre Schwermuth, wird mit der Tonart Es dur, sehr wahr, geschildert.

Donna Anna ist ein sehr zusammengesetzter Karakter. Die Situazionen, worin sie erscheint, sind im Ganzen nicht geeignet, das Bild schöner Weiblichkeit darzustellen. Das leidenschaftliche Aufbrausen, dieses beständige Auffordern zur Rache kann nie das sittliche Wohlgefallen erwecken, das nur das unschuldig leidende Weib interessirt; das leidenschaftlich Tobende erregt Widerwillen. Ihre Bearbeitung ist auch von jeder andern Heldin der gewöhnlichen tragischen Oper nicht viel verschieden. Erst gegen das Ende des Stücks sucht uns Mozart mit ihr auszusöhnen in der[295] siebenswürdigen Szene: Crudele? Ah no, mio bene.

Der Dichter, welcher sich bei Bearbeitung des Sujets nicht viel mehr, als dieses, dachte, scheint im Ganzen selbst nicht gewußt zu haben, was er aus Donna Anna machen sollte; man fühlt es, wie sehr er Mozart durch seine Unbestimmtheiten in Verlegenheit setzte.

Zerline scheint ein Lieblingskarakter von Mozart gewesen zu seyn. Sie ist con amore bearbeitet, ganz das unbefangene Naturmädchen mit der gehörigen Dosis Vorwitz unter dem gewöhnlichen Deckmantel der Sanftmuth und Eingezogenheit. – Man vergleiche ihre beiden Arien gegen einander, die im ersten Akte vor dem Final mit dem obligaten Violonzell (f dur)Batti, batti o bel Masetto, und jene im[296] zweiten Akte (c dur) Vedrai carino, mit obligaten Fagotts. Schon die Wahl des ruhigen F und sanftfließenden tändelnden C karakterisiren sie hinlänglich.

Mozart konnte sich aus der ganzen Oper nur drei Hauptkaraktere ausheben: Don Juan, Elvire und Lepolello. – Die andern sind sämtlich episodisch und scheinen nur da zu stehen, den Zwischenraum vom Tode des Komthurs, bis zu seinem Wiedererscheinen als Geist auszufüllen. –

Es ist überhaupt unbegreiflich, wie sich eine so abgeschmackte Farce von weiland jesuitischer Erfindung unter so vielen Gestalten, seit 1667 auf den Theatern erhalten konnte. Aber zu bedauern ist es, daß Mozart seine himmlische Musik daran[297] verschwenden mußte, und nur wegen dieser wird sie auf den Bühnen noch geduldet2.[298]

Die Ouverture ist eines der sonderbarsten Musickstücke ihres Geschlechts. Alle die vermischten Gefühle der Oper selbst beherrschen[299] sie. Schrecken, Staunen, Tändeln, Ballmusik, Wuth, alles stürmi und lispelt durch einander. Gleich das erste Andante, welches die Reminszenz des Eintretens des Geistes ist, verkündigt aus seiner grellen Tonart – D moll – mit den trommelnden Pauken und lang anhaltenden Trompeten Furcht und Entsetzen, das sich nach einer kleinen Stille in der Quinte noch schrecklicher wiederholt. Die folgenden vier Takte drücken das Athemholen nach den beiden schrecklichen Akkorden[300] aus; die Flöten fangen an d d, ihnen folgen die Oboen in der Quinte a a nebst den Fagotts und Klarinetten; jetzt kömmt ein neuer Donnerschlag mit der Pauke im Quintsexten-Akkord, und die Bewegung der Violinen nimmt allmählig zu; nach einem Takte vorbereitender Pause tritt die Sekondvioline mit lebendigem Akkompagnement ein, wählend der Baß mit der ersten Violine in der Gegenbewegung bleibt. Mit dem vierten Takte treten alle Blasinstrumente, unter anhaltendem Donner der Pauke wieder an, die Geigen prasseln herein; nun wieder eine vorbereitende Stille nur mit den zitternden Geigen und kurzen, Achtelsbaßnoten ausgefüllt, auf den erschütternden Schlag in der Quinke. Endlich erbrausen alle Instrumente in winselnden Semitonien-Läufern die Skala[301] auf und ab; der Baß rückt in geschärften Noten herauf, um alle Instrumente mit sich in die Tiefe herab zu reißen. Mit sich die Empfindung plötzlich; der Ausgang des Andante bereitete auf ein rasendes Presto vor; wir sind betrogen; Violonzell und Bratschen fangen ganz piano an, die Geigen legen sich erst mit dem zweiten Takte auf und leiten zu einer tändelnden Melodie ein, worauf die Trompeten und sämtliche Blasinstrumente in marschmäßiger Bewegung zum Tanze aufzufordern scheinen. Das Tanze mahlt nun das lustige Leben des Wüstlings, hie und da von Gewissensbissen unterbrochen, wenn das grelle Schmettern der Trompete ganz unversehens die luftigen Melodien unterbricht, und immer neue Spannung bewirkt. Es reißt dann gewöhnlich die andern Instrumente in fürchterlichem Unisono nach sich;[302] die Geigen leiten schwach in die frohe Melodie ein, aber eine neue Erschütterung stürzt sie wieder herab! – die Freude ist unzusammenhängend, mehr verwirrende Betäubung, als ruhiger Genuß. Der Gebrauch der Trompeten überhaupt ist in dieser Ouverture ganz eigen, und giebt Stoff zu sonderbaren Betrachtungen über die ganz ungewöhnliche Wirkung dieses Instruments. Manchmal versinkt der Wüstling in ernstes Nachdenken und hält sich selbst seine Verirrungen vor; auch dieses wußte unser Raphael in den kontrapunktischen Stellen, die alle nach einer starken Erschütterung folgen, meisterhaft zu koloriren. Dann rafft er sich mit Gewalt wieder empor, die frohen Melodien kehren wieder, rauschen in frohem Tumult, bis ein neuer Schreck den Jubel abermals unterbricht. Das Bild des Wollüstlings zu vollenden, läßt er die Ouverture nicht prächtig[303] aufhören – sie stirbt allmählig hin, die lauten Blasinstrumente mit ihrem Jubel verstummen, der Baß schlägt einzelne Noten an, nur ein Fagott stützt das morsche Gebäude, und die Flöten hauchen den letzten Athemzug aus. Auch schließt sie nicht in ihre ursprüngliche Tonart, sondern bildet einen Uebergang zur ersten Szene in f, den Ton der Ruhe und der Nacht. Leporello steht auf der Lauer; die Bewegung der Instrumente mahlt Frost und Ungedult, welche bei jedem Takte durch die Hoboe lichter kolorirt wird. So wie sie steigt, mehren sich auch die Blasinstrumenten bis zum Ruhepunkte. Jetzt wo Leporello den beruhigenden Entschluß gefaßt hat: Voglio far il gentil vomo e non voglio piu servir, ändert sich auch das Akkompagnement; lebhafte Triolen mahlen die frohe Bewegung, die Melodie rückt mehr an einander. Treffend ist die[304] Zeichnung des Lärmens in dem Tutti der Instrumente, während Don Juan mit Donna Anna aus dem Hause stürzt. Und welches Ringen, welches Drängen im Akkompagnement und in den Singparthien bei den Worten: Non sperar se non m'uccidi, und weiter.

Mit bloßem Degen stürzt der Komthur heraus. Wie mahlt die Bewegung der Geigen das Zittern des Alten vor Wuth! welche Verwirrung unter den Instrumenten! Von vorzüglicher Ueberlegung zeigt der Takt Pause durch alle Instrumente, wo Don Juan den Entschluß zu fassen scheint, auf den Alten zu ziehen.(Misero! attendi se vuoi morir.) Die Malerei des Gefechts ist besonders gut, und auch das Orchester theilt sich in zwei Partheien; die Geigen fallen aus, der Baß kömmt jedesmal nach, während die Blasinstrumente in haltenden Noten[305] an einem wegschreien. So wie die Partheien einander näher auf den Leib rücken, bis zum Stiche, werden die Laufer immer kürzer. Mit diesem gewinnt alles eine andre Gestalt. Der Verwundete läßt den Degen sinken, Don Juan wird betreten, die Wuth der Leidenschaft ist mit einem Male gekühlt. Die Blasinstrumente verstummen, nur die Hörner und Fagotts brummen einen schauderhaften Orgelbaß, während die erste Geige mit ihren langsam abstoßenden Triolen ins frostige f moll modulirt. In der Vertheilung der Stimmen liegt außerordentlich viel Wahrheit. – Der unglückliche Todesstich ist geschehen, allgemeines Schrecken versiegelt allen den Mund, die Musik bleibt einen halben Takt ohne Melodie. Der Mörder schweigt am längsten, und ganz natürlich, daß der Verwundete zuerst nach Hülfe ruft: Ah! soccorso (Ach zu Hülfe!) Jetzt offnet Leporello[306] seinen Mund auch, um seinem Schreck und Erstaunen Luft zu machen, das nicht treuer als in den Noten as, h c c der Natur abgeschrieben werden konnte (qual mis sutto! qual eccesso – welch Verbrechen! welch ein Ausgang!) Nun erst fällt Don Juan ein, und faßt den Faden der eingeleiteten Melodie auf (ah già cade il sciagurato! Ha! schon stürzet der Verwegne!) Uebrigens bleibt er seinem Karakter zu Folge ganz in der Fassung, und die Melodie hat immer gleiche Notenfiguren, während der hasenherzige Leporello, in seinem Winkel versteckt, durch die bizarrsten Intervalle seine Noten punktirt und die Stimme mit dem ängstlich aussetzenden Pulsen hüpfen läßt.

Der Verwundete spricht nur mit äußerster Anstrengung, da ihm der Stich die Luft versetzt, immer in abgebrochenen Noten,[307] ein Achtel und ein Viertel, dann wieder Pausen. Endlich bei abnehmender Luft bleiben die Achtel aus und die einzelnen abgebrochenen Athemzüge erscheinen in Gestalt einzelner Viertel zwischen Pausen in jedem Takte.

Erst wo die Singstimmen schweigen, mahlt Mozart mit der klagend einfallenden Hoboe das Winden und Krümmen der Sterbenden, c h b, a as g g, f. Dieses Solo hebt sich, auf dem trefflich gewählten Instrumente, bei der schwachen Begleitung meisterhaft heraus; der Hörer selbst fühlt ein unwillkührliches Zusammenziehen in der Brust. Wie viel Ueberlegung herrscht in der Abnahme dieser Stelle durch die Flöte mit dem Fagott! Man kann hier gerade den Ausdruck aus der Malerkunst auf die Musik übertragen: Mozart hat seine Farben treflich in einander[308] verschmolzen. Ueberhaupt ist diese Szene klassisch.

Das Terzett in der fünften Szene (N. 3) die Angst der Forschenden mit den lebhaftesten Farben aus. (Ah chi mi dice mai – wo werd' ich ihn entdecken?) Dieses Terzett hat das Eigene, daß es plötzlich in den Dialog übergehn, und Don Juans Ueberraschung, da er Elviren erlernt, den Hörern mittheilt.

Nun die allbeliebte Favoritarie Leporellos. (D dur) (Madamina! il catalogo e questo – Schöne Donna! dieses kleine Register) welche Abwechslung im Akkompagnement, welche Farbenmischung der Instrumente, und welche Karakteristik in der Akzion! Man fählt in den kurzen aufsteigenden Achtelsnoten, bald der ersten Geige,[309] bald dem Basse anvertraut, das Hin-und Herdeuten mit dem Finger, bald auf dieses, bald auf jenes Mädchen, und die Stakkato herunter burzelnden Läufer zeigen das Wegmessen ganzer Provinzen auf der Bandrolle.

Die Blasinstrument akkompagniren in dieser Arte durchgehends die Saiteninstrumente die Pantomime, was bei eben dieser Stelle vorzüglich in die Augen fällt. Wenn er eine Parthie heraus gezogen hat, akkompagniren jedesmal die Hörner und Klarinetten, die Geigen pausiren und greifen jedesmal da wieder ein, wo er schweigend fortmißt.

Da, wo er in der Gezählung schneller wird und die Mädchen geschwinder vorzeigt, häufen sich auch die Instrumente zum lärmenden Tutti: V'han fra queste contadine,[310] cameriere, citadine, v'han contesse, baronesse, marchanesse, principesse, – diese Suite Kammerkätzchen, und hier manches Bürgers Schätzchen, an der Spitze drei Prinzessin, nun die Anzahl Baronessen, hier in Federn, dort in Häubchen, hier junonisch, dort wie Täubchen. –

Nach diesem kömmt das Rezitativ mit der Arie der Donna Elvire, welches Mozart erst späterhin einlegte. (Es befindet sich in der gedruckten Partitur hinter dem zweiten Akte unter dem Anhange später komponirter Stücke N. 1) Ich habe schon angemerkt, daß diese Arie Elvirens Karakter die mehrste Bestimmtheit gebe. Sie ist ohnstreitig eine der vollendetsten, die Mozart jemals schrieb, und leistet allen Forderungen des Aesthetikers Genüge. In der Deklamazion liegt so viel Weichheit und doch so viel Tiefe der Empfindung, in der Melodie[311] so viel Ausdruck des edelsten Schmerzes; – sie reißt unwillkührlich mit sanfter Rührung allmählig zur innigsten Theilnahme hin. Sie pakt nicht, aber ihr motivirter Stufengang würkt desto sicherer, bleibender, schöner – wie jedes vollendete Kunstwerk sollte. Ohne Ritornell fängt die Singstimme ganz allein im Auftakte (4/4) mit zwei Achtel an:»Mi tradi quell'alma ingrata« (mich verläßt der Undankbare!) Geigen, Bratsche und Baß akkompagniren ganz piano in Viertelnoten; ein Violonzello begleitet in sekondirenden Achtelsfiguren. Einen Takt hernach fällt die konzertirende B Klarinette ein, und bringt die Melodie der Singstimme nach, welche abermals einen Takt später vom Fagott aufgenommen wird. So entsteht eine beständige Imitazion zwischen den vier konzertirenden Instrumenten: einer Flöte, einer Klarinette, einem Fagott und[312] Violonzell. Nur zwei Hörner füllen mit weiser Sparsamkeit die kleinen Zwischenräume.

In dem darauf folgenden muntern Hochzeitchore aus der sanften Tonart g dur (giovinette che fatte all'amore) mahlt er die reinste innigste Freude, wie sich unschuldige gute Naturmenschen freuen, sanfte Flöten, Hoboe's, Fagotte begleiten in anschmiegender Eintracht die Geigen, keine Pauken donnern, keine Trompeten betäuben, und doch macht den Hörer dieser einfach ländliche Chor fröhlicher, als der lärmende von Don Juans Gefolge im ersten Final: »Lustig! lustig lieben Leute!« – Man vergleiche die verschiedene Behandlungsart – hier spricht die reine ländliche Freude, dort lärmt zügelloser Tumult mit Trompeten und Pauken.

Elvirens Arie (No. 7.) Ah fuggi il traditor! (Verlohrne, hör' ihn nicht) ist[313] ein kontrapunktisches Kunststück. Mozart scheint, als habe er zeigen wollen, daß er auch in Bachischer Manier setzen könne. – Ihr Stil ist schön, aber von allen andern Pieçen dieser Oper so unendlich verschieden, daß ihre Ausführung bei den Vorstellungen befremdet und wie mit dem Schlage einer Zauberruthe in das goldne Zeitalter der Bache, Händel und Hassen versetzt. Gewöhnliche Direktionen lassen sie weg, weil sie in Ansehung des Taktes für manche Sängerin eine gefährliche Klippe ist. Ihre kunstreiche Instrumentazion besteht bloß in den vier gewöhnlichen Saiteninstrumenten.

Das große Quartett (No. 8.) Non ti fidar o misera! (Fliehe des Schmeichlers glattes Wort) gehört nicht allein zu den vortreflichsten Komposizionen im Don Juan, sondern in allen andern Werken[314] seines unsterblichen Schöpfers. Man betrachte die Anlage, den wohldurchgeführten Plan, die Vereinigung der Instrumente; – alle Forderungen eines guten Quartetts sind aufs angenehmste befriedigt.

Die Arie Don Juans, (No. 10) die ich wiederholt anführte, ist das Karakterstück der ganzen Rolle. Hier mahlt sich die wilde, taumelnde Freude des Wollüstlings unverkennbar, vorzüglich in der Stelle: »Se trovi in piazza.« – Wahl der Tonart, Melodie, der tändelnde, unbedeutend scheinende Baß und die volle lebendige Begleitung der Blaßinstrumente, – Fagott und Klarinetten – welche mit der Sekondvioline und Bratsche in beständiger Bewegung sind, wahre Tanzmusik; alles schnurrt, geigt und pfeift lustig schwärmend durch einander; alles dreht sich im Kreise und musizirt in vollem Athem.[315]

Gleich karakteristisch ist Zerlinens Arie mit dem obligaten Violonzell: »Batti, batti o bel Masetto etc.« Durch ihren sanften Karakter tritt der hierauf folgende erste Final (C dur): »presto! presto! pria ch' ei venga« in desto helleres Licht. Gewiß ist dieses einer seiner vorzüglichsten Finals – vielleicht aller, die je komponirt wurden.

Man merkt es gleich, wenn der Dichter etwas für den Komponisten that, daß er es zehnfach zu vergelten wußte. Die Anlage ist wirklich brav, und das einzige Gelungene im ganzen Texte. Alle Erfordernisse eines guten Finals sind berücksichtigt, öftere Abwechselung, keine Leeren, das Ensemble gewählt und kein zweckloses Kommen und Gehen der Personen, die Vereinigung zum letzten Chore aus dem Anfange zwanglos entwickelt. Was[316] Mozart für dieses Final that, ist außerordentlich! – Seine Schönheiten lassen sich nur empfinden, und von Kennern, beim Lesen der Partitur verstehen. Wie wechseln die Gefühle! welche Kombinazion der Karaktere! Von der ersten Privatstreitigkeit Masetto's mit seiner Braut an, bis zum allgemeinen Lärmen am Ende, durch alle Abwechselungen der Empfindungen konsequent bearbeitet. Masetto – man sieht in ihm die Hauptperson des Finals – erneuert es immer fort durch alle Abwechselungen; bei der lustigsten Musik brütet er über seiner Rache. Die Menuet und das Gespräch der verschiedenen Personen während derselben ist ganz aus der Natur gegriffen. Keines hat auf das andre Bezug, und die Musik geht ihren eigenen Gang. Das hier angebrachte Kunststück mit der Vereinigung dreier verschiedener Taktarten verdient[317] allerdings Bewunderung, und giebt die schönsten Aufschlüsse über die Behandlung des 3/4, 2/4 und 3/8 Taktes. Allein zur Nachahmung ist sie um deßwillen nicht zu empfehlen, weil sie, aus ästhetischem Gesichtspunkte betrachtet, dem eigentlichen Zwecke der Musik nicht entspricht und gegen die Einheit des Karakters verstößt. Auch gehört das Ohr eines Kenners dazu, die drei verschiedenen Taktarten aus einem guteingespielten Orchester herauszuhorchen. Es singt und tanzt alles durch einander und nimmt seine Stelle hier auf dem Bilde des wilden Bacchanals, wo sich jeder, selbst überlassen, belustigt, so gut er kann, mit Recht ein. Wir finden in einer französischen Oper von d'Allaygrak: Raul Crequi, eine ähnlich gedachte Stelle, wo man zu gleicher Zeit den gefangenen Raul im Kerker klagen[318] hört, während die Kinder dem Kerkermeister eine Romanze singen.

Soll das Mozartische Kunststück in der Ausführung gelingen, so ist von Seiten des Orchesterdirektors die größte Behutsamkeit nöthig; und wenn nicht jedes der drei Orchester auf seinen eignen Direktor sehen kann, so ist es besser, man führt gar keinen Takt und überläßt die drei Parthien ihrem Spiele. Das für sich schon unschickliche Takttreten kann die größte Verwirrung veranlassen. Am besten ists, wenn kein Orchester seinen Takt streng markirt.

Der Schlußchor: »Trema, trema scelerato!« ist die Krone dieses Meisterwerks. Wie mahlt sich die Verwirrung in der Behandlung der Geigen! welches immerwährende Aufbrausen, Wogen und[319] Stürmen in den Triolen! Die Blaßinstrumente vereinigten sich mit dem Chore, das Don Juan nicht zum Worte kommen läßt, und immer schrecklicher herein braust. Seine Wirkung ist einzig, das Ideal seiner Größe unerreichbar! –

Das Terzett im zweiten Akte: (No. 2.) »Ah taci ingisto cere« mit seiner sprechenden Deklamazion, ist treflich gearbeitet. Die Instrumente konzertiren in so feinen Nuanzen. Das Ganze gleicht einem italienischen Abendgemählde. –

Das Ständchen mit der Mandoline ist, zumal bei der Stelle, wo es durch fis moll, h dur, e moll, in g dur modulirt, ganz im Geschmacke italienischer Serenaten. Und welche süße Töne überredender Liebe! welch warmer Odem im Gesang und Akkompagnement![320]

Das große Sextett (No. 6.) ist ein erhabenes Gegenstück zum Quartett des ersten Aktes und dem ersten Final. Man muß es sehr aufmerksam studiren, wenn man die Enden des künstlichen Gewebes herausfinden will. Jede Forderung wird befriedigt.

Im Deutschen verliehrt diese Oper durch den Abgang des, als Rezitativ behandelten Dialogs außerordentlich, und nirgends fällt dieser Defekt mehr auf, als in der Kirchhofsszene. Die beiden schauerlichen Adagios stehen einzeln da, weil durch das in Gespräch verwandelte Rezitativ, der Zusammenhang gänzlich unterbrochen wird. Selbst, daß im Deutschen die Instrumente der Statue vorschlagen müssen, benimmt der Stelle den größten Theil ihrer Wirkung, die der Komponist hauptsächlich auf die vor- und dazwischenliegenden[321] Rezitative berechnet hat. – Welche imposante Wirkung thut hingegen der ganz unerwartet ins Rezitativ einfallende Choral! Mozart hat es jedesmal so eingerichtet, daß D. Juan der Statue, und diese ihm den Ton vorschlägt, damit Singstimme und Possaunen desto unerwarteter eintreten. Don Juans letzte Worte schließen in a, und dieses wird vom Komthur aufgefaßt. Der Choral schließt in e; Don Juan nimmt in seinen Anfangsworten zum Rezitativ:»chi ha parlato?« dieses e wieder auf, und giebt am Ende, bei den Worten: »chi va la?« das g zum zweiten Chorale an, welches der Komthur zu seinem: »Ribaldo! Audace!« auffaßt.

Die Wirkung dieser beiden Stellen ist fürchterlich schön; die wenigen Takte so erschütternd; die Bewegung der Mittelstimmen,[322] – Fagott und Terz- und Quartpossaune – so hart und frostig! Kalte Schauer überfahren den Zuhörer, er wähnt eine Stimme aus der andern Welt zu hören, und glaubt an Gespenster. Auch das Unisono der Hoboe mit den Klarinetten in der tiefen Oktave vermehrt das Schauderhafte3.

Die sonderbare Instrumentazion: Hoboe, Klarinette, drei Possaunen und zwei Fagotte mit den Kontrabässen, ist so ausgesucht, als in ihrer Wirkung entscheidend. In Behandlung solcher Stellen ist Mozart ganz originell. Jeder andere[323] Komponist vor ihm hätte sie zum Rezitative gemacht. In Idomeneo ist der Orakelspruch des Neptuns auf dieselbe Art behandelt.

Der zweite Final mußte, zufolge des Plans, mager ausfallen. Kein Ensemble konnte statt finden, als zwischen Don Juan und dem Geiste. Die andern Personen, welche nur Episoden, und in die Haupthandlung nicht verflochten sind, kommen am Ende, wenn der Knoten schon zerhauen ist, singen einen Chor, ohne zu wissen, warum?

Die Armuth des Dichters ist zu auffallend, und wahrlich! nur ein Mozart konnte ihre Blöße bekleiden.

Er hat alles aufgeboten, die Zuhörer zu amüsiren, und wie schön ist es ihm gelungen! Mozarten gelang überhaupt alles,[324] sein schöpferischer Geist wußte aus Nichts ein schönes Etwas hervorzurufen.

In der ersten Anlage bei der Tafelszene, bildet er ein doppeltes Orchester. Die Saiteninstrumente begleiten die Singstimme und die Blaßinstrumente besetzen die Tafelmusik. Gleich mit Don Juans Eintritt blasen die Trompeten mit den Klarinetten und Hörnern einen Aufzug, und wechseln jedesmal zwischen dem Gesange mit den Saiteninstrumenten. Jetzt werden aus verschiedenen Opern arrangirte Harmoniepieçen geblasen. Mit dieser Musik weiß Mozart seine Zuhörer so lange zu unterhalten, bis Elvire auftritt. Aber diese Szene, welche überhaupt ganz am unrechten Orte liegt, ist am wenigsten musterhaft gearbeitet. Elvirens Erscheinung kann hier nichts wirken und im Akkompagnement ist der Ausdruck zu wenig berücksichtigt.[325]

Fürchterlich schön ist der Eintritt des Geistes, das Erscheinen eines mehr als menschlichen Wesens, vortreflich idealisirt. Die Posaunen stehen wohl an ihrem eigentlichsten Platze. Ich kann mich über diese Stelle deshalb nicht verbreiten, weil dergleichen Schreckensbilder sowohl in der Mahlerei, Schauspielerkunst und – Musik – den Forderungen der Aesthetik entgegen stehen. Nur die schöne Natur, nur das schöne Ideal sollte geschildert werden; das Schreckliche nie. Mord- und Geisterszenen sollte man vom Theater verbannen, denn mit beiden wird die sittliche Vollkommenheit eines Kunstwerks nicht erreicht – vielmehr geradezu zerstört. Die Opernkomponisten sollten sich unter einander verbinden, solche Mord- und Geisterspektakel nicht zu besingen. Die sanften Töne ihrer Lyra werden verstimmt, und scheu[326] flieht die jungfräuliche Muse vor dem wilden Geheul.

Nur der schönen Natur widmet euern Gesang, der häßlichen nie!

Die Geisteszene verdient allerdings Bewunderung, aber zur Nachahmung würde ich sie nicht empfehlen.

Wollte man den Forderungen der Aesthetik im strengern Sinne Genüge leisten, so dürften solche Karaktere, wie Don Juan, weder besungen noch dargestellt werden.

Als moralische Wesen beziehen wir alle menschliche Handlungen, die mit Willensfreiheit und Ueberlegung ausgeübt werden, auf Sittlichkeit, billigen alles, was diese hervorbringt, befördert, oder[327] wenigstens nicht hindert; mißbilligen im Gegensatze alles Unsittliche, und was diesem Vorschub thut. Daher steht jedes Kunstwerk, als Produkt menschlicher Willensfreiheit und Ueberlegung, unter dem Richtstuhle der Sittlichkeit. Sittlichkeit gefällt; Unsittlichkeit, ja selbst der unachtsame Leichtsinn auf sein gutes oder schlimmes Beispiel, mißfällt.

Demnach schadet der größte Künstler seinem Produkte, sey es übrigens auch noch so schön dargestellt, wenn es etwas Unsittliches und Unnatürliches zum Vorwurfe hat.

Ich wiederhole, was ich zum Eingange über diese Oper sagte. Man darf sie nicht als eine Schönheit, sondern als eine Sammlung einzelner Schönheiten betrachten.

Fußnoten

1 Ich werde bei den italienischen Singspielen jedesmal den italienischen Text anführen, weil die Uebersetzungen nicht immer übereintreffen und die Verwechselung auf keine Art besser zu vermeiden ist.


2 Die erste Veranlaßung zu diesem Mährchen war ein politischer Roman, der von einem portugiesischen Jesuiten verfaßt, unter dem Titel: Vita et mors sceleratissimi principis Domini Joannis erschien, und den Zweck hatte, das Publikum mit den schlechten Streichen bei damaligen Königs Alfons des Sechsten, einem Sohne Don Johanns von Braganza, zu unterrichten, und zur Empörung gegen ihn zu verleiten. Der darin aufgestellte Don Juan ist niemand anders als König Alfons selbst, gegen welchen sich seine eigne Gemahlin, die als Donna Elvire auftritt, mit seinem Bruder, Don Pedro, verband, und ihn vom Throne brachte. Er ward auf eine der azorischen Inseln gebracht, wo er verhungern sollte, nach der Zeit aber, als der neue Regent nichts mehr von ihm zu fürchten hatte, wieder zurück gebracht und bis an seinen Tod in einem Thurme bei Lissabon verwahrt. Die Jesuiten machten dem Volke weis, der Teufel habe ihn in den Lüften fortgeführt. Er war ein gleich schlechter Regent und beispielloser Bösewicht, allen, selbst den unnatürlichsten Lastern mit Aufopferung seiner Gesundheit und seines Verstandes ergeben. Die Jesuiten, welche am thätigsten zu seinem Unglück mitgewürkt hatten, zogen aus dem Romane eine Komödie, und ließen sie von ihren Schülern aufführen; wandernde Schauspielertruppen brachten sie als extemporirtes Stück nach Spanien und Italien, wo es als Ballet, Pantomime, Schauspiel, Farce, Oper und Marionetten-Komödie aufgeführt wurde. In letzter Qualität ergötzt es noch gegenwärtig die Bauern im Oesterreichischen. Golboni bearbeitete es schon als skizzirtes Schauspiel für Venedig. Moliere führte es aus, und der Abbate di Ponte, Theaterdichter bei der italieni-Oper in Wien – Metastasio's Nachfolger – verfertigte den Text für Mozarts Komposizion, wo Arien und Dialog – wie in den mehrsten italienischen Opern, durchgängig gereimt sind. Man könnte recht gut dieser Oper die Geschichte Alfons des Sechsten unterlegen, ohne daß die Musik verrückt würde. Don Juan und Leporello blieben unverändert, Don Octavio würde der Infant Don Pedro und Donna Elvira Don Juans verstoßene Gemahlin, die sich mit Pedro zur Entthronung ihres Mannes, der sie grausam behandelt, verbindet. Die Szene mit dem Morde des Komthurs kann bleiben, da nächtliche Abentheuer dieser Art häufig in seiner Geschichte vorkommen. Die Ballszene zum ersten Akte gäbe einen mißlungenen Anschlag der Verschwornen. Der Geist kömmt als jesuitischer Spuk zu ihm ins Zimmer, warnt ihn und ermahnt ihn zur Buße. Die Szene mit den höllischen Geistern gibt den tumultuarischen Ueberfall vermummter Verschwornen, die auf ihn eindringen und ihn ermorden, oder gefangen mit sich fortführen. Den Schluß machte die Huldigung Don Pedro's und Verbindung mit Elviren. Der Gang der Verschwörung machte den Plan des Ganzen. – So könnte allenfalls Mozarts Musik noch gerettet werden.


3 Die Uebersetzung dieser beiden Stellen ist Herrn Rochliz nickt gelungen. Er hätte sich mehr an das Original halten sollen; es klingt prophetischer, wenn der steinerne Mann spricht: »Du hörst zu lachen auf, eh noch der Tag erscheint,« als: »Verwegner! gönne Ruhe den Entschlafenen.«

Quelle:
Arnold, Ignaz Ferdinand Cajetan: Mozarts Geist. Erfurt 1803, S. 283-328.
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